Wirtschaft

Zug oder Flug – was ist klimafreundlicher?

Flugzeug? Auto? Zug? Eine Studie versucht, den ökologischen Fußabdruck von Verkehrsmitteln anders zu messen als bisher – und kommt dabei zu überraschenden Ergebnissen.

Beim Thema Umweltbelastung durch Verkehr wird gerne zugespitzt: Fliegen ist schlecht, Zugfahren ist gut. Verbrennerautos sind schlecht, Elektroautos sind gut. Als “Flugscham” bezeichnen manche das Unbehagen, trotz des Wissens um die Umweltschädlichkeit zu fliegen. “Benzinscham” hat sich noch nicht durchgesetzt, aber vielleicht ist ja bald von “Stromstolz” die Rede. E-Auto-Fahrer betonen jedenfalls gerne, wie sehr sie sich auf der Seite der Guten sehen.

“Ich finde, wir sollten hier weniger ideologisch und emotional argumentieren”, sagt dagegen Klaus Radermacher. “Stattdessen sollten wir uns stärker auf Zahlen, Daten, Fakten und naturwissenschaftliche Sachverhalte konzentrieren. Die Physik gilt immer – und sie kümmert sich nicht um unsere Gefühle.”

Beim Thema Umweltbelastung durch Verkehr wird gerne zugespitzt: Fliegen ist schlecht, Zugfahren ist gut. Verbrennerautos sind schlecht, Elektroautos sind gut. Als “Flugscham” bezeichnen manche das Unbehagen, trotz des Wissens um die Umweltschädlichkeit zu fliegen. “Benzinscham” hat sich noch nicht durchgesetzt, aber vielleicht ist ja bald von “Stromstolz” die Rede. E-Auto-Fahrer betonen jedenfalls gerne, wie sehr sie sich auf der Seite der Guten sehen.

Der promovierte Informatiker hat lange als Manager gearbeitet, bevor er sich als Unternehmensberater selbständig machte. Zu seinen Schwerpunkten gehört die “ganzheitliche Analyse komplexer Systeme”. Was er damit meint, zeigt die Studie, die er in Zusammenarbeit mit der Institut für Mobilität an der Schweizer Universität St. Gallen erstellt hat – aus eigenem Antrieb, wie er betont, nicht als Auftragsarbeit.

“Ganzheitliche Bilanzierung”

Die Diskussion über Klimaschädlichkeit drehe sich meist nur um CO2-Emissionen, die das Fahren oder Fliegen selbst verursacht, sagt Radermacher im DW-Gespräch. “Aber das ist ein methodisch vollkommen falscher Ansatz.” Unberücksichtigt bleibt dabei nämlich all das, was nötig ist, um überhaupt fahren oder fliegen zu können: die Infrastruktur.

Dazu zählt Radermacher “Knotenpunkte”, also Flughäfen, Bahnhöfe oder Parkplätze, aber auch die “Wege-Infrastruktur”: Straßen, Autobahnen, Bahntrassen, Brücken oder Tunnel.

Beim Bau dieser Infrastruktur fallen massenweise CO2-Emissionen an – die allerdings in der Umweltbilanz der Verkehrsmittel nie berücksichtigt und allenfalls der Bauindustrie zugerechnet wurden. Sämtliche Infografiken in diesem Artikel basieren auf Daten, die klassisch berechnet wurden, also nach international einheitlichem Standard, nicht nach Radermachers Methode.

Radermacher zeigt in seiner Studie, dass die Emissionen, die beim Bau der Infrastruktur anfallen, “viel zu groß sind, um sie einfach ignorieren zu können”. Weil die Datenlage dünn ist, beschränkte er sich auf einzelne Beispiele, etwa die ICE-Bahnstrecke zwischen Köln und Frankfurt. Auf der rund 170 Kilometer langen Verbindung, die vor 20 Jahren eingeweiht wurde, fahren Schnellzüge mit bis zu 300 km/h, was die Reisezeit zwischen beiden Städten auf eine Stunde verkürzt.

Anhand alter Bauberichte und der dort aufgeführten Mengenangaben, z.B. für Stahlbeton, erstellte Radermacher dann seine CO2-Bilanz der Trasse. Die ist gewaltig, sagt er, auch weil auf der Strecke 30 Tunnel und 18 Talbrücken gebaut werden mussten.

“Nach meinem Berechnungen sind beim Neubau dieser Bahnstrecke mehrere Millionen Tonnen CO2 emittiert worden, bevor überhaupt der erste Zug fahren konnte”, sagt Radermacher. Deshalb müsse man “zwischen 50 und 100 Prozent” auf die CO2-Emissionen draufschlagen, die sich nur aus der Zugfahrt selbst ergeben, je nachdem, welche Annahmen für Lebensdauer und Auslastung getroffen werden.

Radermacher gibt offen zu, dass seine Berechnungen nicht für ein pauschales Ranking der umweltfreundlichsten Verkehrssysteme taugt – dafür gibt es zu viele Variablen. “Es ist etwas völlig anderes, eine Hochgeschwindigkeitsstrecke in den Niederlanden zu bauen, wo es keine Berge gibt und Brücken allenfalls über Grachten und Kanäle führen, als eine Strecke durch ein Mittelgebirge oder gar die Alpen zu bohren”, sagt er.

Auch gehe es ihm nicht darum, einzelne Verkehrsmittel zu verbieten oder einmal gebaute Infrastruktur nicht mehr zu benutzen. “Kein Gramm CO2 geht zurück in eine imaginäre Flasche, wenn wir nicht mehr durch einen Tunnel fahren, der schon gebaut ist”, sagt Radermacher.

Er will seine Berechnungen vielmehr als Mahnung verstanden wissen, die durch Infrastruktur anfallenden CO2-Emissionen nicht länger zu ignorieren. “Die Kernaussage der Studie ist: Wir müssen bei zukünftigen Planungen, was Verkehrswege und -mittel angeht, sehr viel stärker diesen ganzheitlichen Blick haben. Und wir dürfen die Dinge nicht so sehr vereinfachen, dass sie nicht mehr korrekt dargestellt sind.”

Das gelte auch für den Autoverkehr, der laut Radermacher das “mit Abstand ineffizienteste Verkehrssystem” in Deutschland ist. Im Schnitt steht jedes Auto 23 Stunden pro Tag ungenutzt herum, und wenn es fährt, dann nur mit 1,5 Passagieren. Es sei daher “unsinnig”, den Kauf von Elektroautos mit Steuergeld zu subventionieren. “Dann werden nur schlecht ausgenutzte Verbrennungsautos ersetzt durch stark subventionierte und ebenso schlecht ausgenutzte Elektrofahrzeuge.”

Für die Zukunft erhofft sich Radermacher ein Umdenken in Gesellschaft und Politik, hin zu einer intelligenten Verknüpfung verschiedener Verkehrssysteme. Wenn Autos etwa per Carsharing oder andere “Mobility as a service”-Angebote geteilt würden, könne das bisherige Transportvolumen auch mit der Hälfte der Fahrzeuge erbracht werden.

Optimistisch ist Radermacher für den Flugverkehr. Auf kurzen Strecke ist ihre Umweltbilanz schlecht, das ist bekannt. Aber bei längeren Strecken sei das Fliegen umweltfreundlicher als gedacht. “In der Luftfahrt braucht man null, wirklich null Wege-Infrastruktur”, sagt Radermacher. “Die Luft, durch die sich die Flugzeuge bewegen, muss weder gebaut noch gewartet werden.”

Hinzu komme, dass Flugzeuge besser ausgelastet sind als Autos oder Züge. Außerdem falle die energieintensive Beschleunigung auf die Reisegeschwindigkeit nur einmal pro Flug an, während Autos und Züge durch ständiges Bremsen, Halten und Beschleunigen nicht nur Zeit verlieren, sondern auch Energie.

Sollten sich in Zukunft dann auch noch kerosinfreie Kraftstoffe (SAF – Sustainable Aviation Fuels) durchsetzen, würde das die Lage grundlegend verändern. “Wenn es uns gelingt, mit Kraftstoffen zu fliegen, die keinen oder fast keinen CO2-Fußabdruck hinterlassen, ist Fliegen das mit Abstand effizienteste Verkehrssystem”, so Radermacher.

Ob sich seine “ganzheitliche ökologische Bilanzierung von Verkehrssystemen” durchsetzen wird, ist offen.Das Bundesverkehrsministerium teilte der DW auf Anfrage mit, dass bei der volkswirtschaftlichen Bewertung von Infrastrukturprojekten schon jetzt auch “die Lebenszyklusemissionen der Infrastruktur selbst berücksichtigt werden”. Dabei geht es aber nicht um den Bau, sondern um Nutzung, Wartung und Instandhaltung. Zudem werde die Erfassung des ökologischen Fußabdrucks gerade überarbeitet, so sei es im Koalitionsvertrag vereinbart worden.

Feste Vorgaben gelten dagegen für alle Emissionen, die international verglichen werden – also all das, was im Pariser Klima-Abkommen festgelegt wurde. “Eine davon abweichende Bilanzierung würde an dieser Stelle den weltweit in Gang gekommenen Prozess hin zu immer wirksameren Klimaschutz-Maßnahmen unnötig verzögern”, so der Sprecher des Ministeriums.

Deutschland ICE-Strecke Frankfurt - Köln

Beim Thema Umweltbelastung durch Verkehr wird gerne zugespitzt: Fliegen ist schlecht, Zugfahren ist gut. Verbrennerautos sind schlecht, Elektroautos sind gut. Als “Flugscham” bezeichnen manche das Unbehagen, trotz des Wissens um die Umweltschädlichkeit zu fliegen. “Benzinscham” hat sich noch nicht durchgesetzt, aber vielleicht ist ja bald von “Stromstolz” die Rede. E-Auto-Fahrer betonen jedenfalls gerne, wie sehr sie sich auf der Seite der Guten sehen.

“Ich finde, wir sollten hier weniger ideologisch und emotional argumentieren”, sagt dagegen Klaus Radermacher. “Stattdessen sollten wir uns stärker auf Zahlen, Daten, Fakten und naturwissenschaftliche Sachverhalte konzentrieren. Die Physik gilt immer – und sie kümmert sich nicht um unsere Gefühle.”

“Ganzheitliche Bilanzierung”

Der promovierte Informatiker hat lange als Manager gearbeitet, bevor er sich als Unternehmensberater selbständig machte. Zu seinen Schwerpunkten gehört die “ganzheitliche Analyse komplexer Systeme”. Was er damit meint, zeigt die Studie, die er in Zusammenarbeit mit der Institut für Mobilität an der Schweizer Universität St. Gallen erstellt hat – aus eigenem Antrieb, wie er betont, nicht als Auftragsarbeit.

Die Diskussion über Klimaschädlichkeit drehe sich meist nur um CO2-Emissionen, die das Fahren oder Fliegen selbst verursacht, sagt Radermacher im DW-Gespräch. “Aber das ist ein methodisch vollkommen falscher Ansatz.” Unberücksichtigt bleibt dabei nämlich all das, was nötig ist, um überhaupt fahren oder fliegen zu können: die Infrastruktur.

Dazu zählt Radermacher “Knotenpunkte”, also Flughäfen, Bahnhöfe oder Parkplätze, aber auch die “Wege-Infrastruktur”: Straßen, Autobahnen, Bahntrassen, Brücken oder Tunnel.

Beim Bau dieser Infrastruktur fallen massenweise CO2-Emissionen an – die allerdings in der Umweltbilanz der Verkehrsmittel nie berücksichtigt und allenfalls der Bauindustrie zugerechnet wurden. Sämtliche Infografiken in diesem Artikel basieren auf Daten, die klassisch berechnet wurden, also nach international einheitlichem Standard, nicht nach Radermachers Methode.

Tunnel und Brücken verschlechtern Bahn-Bilanz

Radermacher zeigt in seiner Studie, dass die Emissionen, die beim Bau der Infrastruktur anfallen, “viel zu groß sind, um sie einfach ignorieren zu können”. Weil die Datenlage dünn ist, beschränkte er sich auf einzelne Beispiele, etwa die ICE-Bahnstrecke zwischen Köln und Frankfurt. Auf der rund 170 Kilometer langen Verbindung, die vor 20 Jahren eingeweiht wurde, fahren Schnellzüge mit bis zu 300 km/h, was die Reisezeit zwischen beiden Städten auf eine Stunde verkürzt.

Anregung für Planer

Anhand alter Bauberichte und der dort aufgeführten Mengenangaben, z.B. für Stahlbeton, erstellte Radermacher dann seine CO2-Bilanz der Trasse. Die ist gewaltig, sagt er, auch weil auf der Strecke 30 Tunnel und 18 Talbrücken gebaut werden mussten.

“Nach meinem Berechnungen sind beim Neubau dieser Bahnstrecke mehrere Millionen Tonnen CO2 emittiert worden, bevor überhaupt der erste Zug fahren konnte”, sagt Radermacher. Deshalb müsse man “zwischen 50 und 100 Prozent” auf die CO2-Emissionen draufschlagen, die sich nur aus der Zugfahrt selbst ergeben, je nachdem, welche Annahmen für Lebensdauer und Auslastung getroffen werden.

Radermacher gibt offen zu, dass seine Berechnungen nicht für ein pauschales Ranking der umweltfreundlichsten Verkehrssysteme taugt – dafür gibt es zu viele Variablen. “Es ist etwas völlig anderes, eine Hochgeschwindigkeitsstrecke in den Niederlanden zu bauen, wo es keine Berge gibt und Brücken allenfalls über Grachten und Kanäle führen, als eine Strecke durch ein Mittelgebirge oder gar die Alpen zu bohren”, sagt er.

Fliegen: Umweltfreundlicher als gedacht

Auch gehe es ihm nicht darum, einzelne Verkehrsmittel zu verbieten oder einmal gebaute Infrastruktur nicht mehr zu benutzen. “Kein Gramm CO2 geht zurück in eine imaginäre Flasche, wenn wir nicht mehr durch einen Tunnel fahren, der schon gebaut ist”, sagt Radermacher.

Er will seine Berechnungen vielmehr als Mahnung verstanden wissen, die durch Infrastruktur anfallenden CO2-Emissionen nicht länger zu ignorieren. “Die Kernaussage der Studie ist: Wir müssen bei zukünftigen Planungen, was Verkehrswege und -mittel angeht, sehr viel stärker diesen ganzheitlichen Blick haben. Und wir dürfen die Dinge nicht so sehr vereinfachen, dass sie nicht mehr korrekt dargestellt sind.”

Das gelte auch für den Autoverkehr, der laut Radermacher das “mit Abstand ineffizienteste Verkehrssystem” in Deutschland ist. Im Schnitt steht jedes Auto 23 Stunden pro Tag ungenutzt herum, und wenn es fährt, dann nur mit 1,5 Passagieren. Es sei daher “unsinnig”, den Kauf von Elektroautos mit Steuergeld zu subventionieren. “Dann werden nur schlecht ausgenutzte Verbrennungsautos ersetzt durch stark subventionierte und ebenso schlecht ausgenutzte Elektrofahrzeuge.”

Für die Zukunft erhofft sich Radermacher ein Umdenken in Gesellschaft und Politik, hin zu einer intelligenten Verknüpfung verschiedener Verkehrssysteme. Wenn Autos etwa per Carsharing oder andere “Mobility as a service”-Angebote geteilt würden, könne das bisherige Transportvolumen auch mit der Hälfte der Fahrzeuge erbracht werden.

Optimistisch ist Radermacher für den Flugverkehr. Auf kurzen Strecke ist ihre Umweltbilanz schlecht, das ist bekannt. Aber bei längeren Strecken sei das Fliegen umweltfreundlicher als gedacht. “In der Luftfahrt braucht man null, wirklich null Wege-Infrastruktur”, sagt Radermacher. “Die Luft, durch die sich die Flugzeuge bewegen, muss weder gebaut noch gewartet werden.”

Hinzu komme, dass Flugzeuge besser ausgelastet sind als Autos oder Züge. Außerdem falle die energieintensive Beschleunigung auf die Reisegeschwindigkeit nur einmal pro Flug an, während Autos und Züge durch ständiges Bremsen, Halten und Beschleunigen nicht nur Zeit verlieren, sondern auch Energie.

Sollten sich in Zukunft dann auch noch kerosinfreie Kraftstoffe (SAF – Sustainable Aviation Fuels) durchsetzen, würde das die Lage grundlegend verändern. “Wenn es uns gelingt, mit Kraftstoffen zu fliegen, die keinen oder fast keinen CO2-Fußabdruck hinterlassen, ist Fliegen das mit Abstand effizienteste Verkehrssystem”, so Radermacher.

Ob sich seine “ganzheitliche ökologische Bilanzierung von Verkehrssystemen” durchsetzen wird, ist offen.Das Bundesverkehrsministerium teilte der DW auf Anfrage mit, dass bei der volkswirtschaftlichen Bewertung von Infrastrukturprojekten schon jetzt auch “die Lebenszyklusemissionen der Infrastruktur selbst berücksichtigt werden”. Dabei geht es aber nicht um den Bau, sondern um Nutzung, Wartung und Instandhaltung. Zudem werde die Erfassung des ökologischen Fußabdrucks gerade überarbeitet, so sei es im Koalitionsvertrag vereinbart worden.

Feste Vorgaben gelten dagegen für alle Emissionen, die international verglichen werden – also all das, was im Pariser Klima-Abkommen festgelegt wurde. “Eine davon abweichende Bilanzierung würde an dieser Stelle den weltweit in Gang gekommenen Prozess hin zu immer wirksameren Klimaschutz-Maßnahmen unnötig verzögern”, so der Sprecher des Ministeriums.

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