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Stress, Angst, Trauma: Geburt im Krieg und die psychologischen Folgen

Wenn eine Frau ihr Kind in einem Keller während einer Bombardierung gebären muss, kann die Geburt schmerzhafter sein und die Mutter-Kind-Bindung danach beeinträchtigen. Aber auch positive Folgen sind möglich.

In Mariupol in der Ukraine soll der Beschuss der russischen Armee eine Kinder- und Geburtsklinik mehr oder weniger zerstört haben. Drei Menschen sollen getötet worden sein, 17 verletzt. An Orten überall in der Ukraine werden jeden Tag Babys in Krankenhauskellern oder Luftschutzbunkern geboren.

Und nicht nur dort: In Kriegs- und Krisengebieten auf der ganzen Welt bringen Frauen unter widrigsten Bedingungen ihre Kinder zur Welt.

In Mariupol in der Ukraine soll der Beschuss der russischen Armee eine Kinder- und Geburtsklinik mehr oder weniger zerstört haben. Drei Menschen sollen getötet worden sein, 17 verletzt. An Orten überall in der Ukraine werden jeden Tag Babys in Krankenhauskellern oder Luftschutzbunkern geboren.

Bei einem so vulnerablen Vorgang wie der Geburt in einer beängstigenden Extremsituation zu sein, kann schwerwiegende Folgen haben, sowohl für den Geburtsprozess, als auch langfristig.

Vor der Geburt: “Pränatale Stressprogrammierung”

“Eine Geburt braucht Ruhe”, sagt Martina Kruse, staatlich geprüfte Hebamme und Expertin für das Zusammenspiel von Trauma und Schwangerschaft. “Wenn nebenan die Bomben fallen, trägt das nicht dazu bei, dass die Frau sich entspannen kann.”

Schon vor der Geburt kann sich das Leben in ständiger Angst vor Bombardierung, oder in einer ähnlichen extremen Stresssituation, auf das Leben des ungeborenen Kindes auswirken.

“Unser Körper reagiert bei solchen Stresserlebnissen wie in der Steinzeit”, sagt Cornelia Schwarze, Psychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Heidelberg. Sie forscht zu den Effekten von Stressbelastung und Traumata auf die Schwangerschaft. “Wir sind in höchster Alarmbereitschaft, um ein bestmögliches Überleben zu sichern. Unser Körper schüttet große Mengen Cortisol aus.”

Dieses Stresshormon bahnt sich vom Blutkreislauf der Mutter über die Plazenta auch einen Weg in den Blutkreislauf des Fötus. Bei normalem Alltagsstress ist die Menge so gering, dass sie keine Auswirkungen hat. Aber in einer Kriegssituation kommt genug Cortisol durch, dass das Ungeborene eine höhere Stresssensitivität entwickeln kann.

Diese “pränatale Stressprogrammierung” führt dann dazu, dass das Neugeborene mehr schreit, sich schlechter beruhigen kann oder schwieriger zu füttern ist. Später könnte das Kind schneller und für längere Zeit durch Probleme an Schule oder Uni gestresst sein. Und auch im hohen Alter können sich aufgrund des Stresses der Mutter vor der Geburt noch Krankheiten wie Bluthochdruck oder Herzkreislauferkrankungen einstellen.

Das ist natürlich kein Muss. “Es gibt auch sehr resiliente Kinder, deren Mütter schwierigste Bedingungen erlebt haben und die sich trotzdem sehr gut entwickeln”, sagt Schwarze. Es ist die Wahrscheinlichkeit für Probleme in der Entwicklung, die erhöht ist.

Auf den Geburtsprozess können Umstände wie eine Bombardierung oder eine Flucht in den Keller dramatische Folgen haben. Die Situation sei beängstigend, gerade für Frauen, die ihr erstes Kind bekommen.

Kruse spricht vom “Blackbox-Effekt” schon bei Geburten unter normalen Umständen, weil die Frauen nicht genau wissen, was sie erwartet und sich möglicherweise ohnmächtig oder hilflos fühlen, weil ihr Körper die Führung übernimmt. Wenn draußen die Bomben fallen, wird dieses Gefühl exponentiell verstärkt.

Erhöhte Angst, Stress und Anspannung können zu einer “längeren, schwierigeren oder schmerzhafteren Geburt” führen, sagt Schwarze. “Es kann zu einer Reduzierung der Wehentätigkeit kommen, zu Hemmungen der Uteruskontraktion auf Grund von Stress.” Außerdem sei die Sauerstoffversorgung des Babys möglicherweise schlechter, wenn Stress die Arterien der Mutter verengt und der Uterus dann weniger gut durchblutet wird.

Dabei gilt ganz klar: Nähe, Mitgefühl und Unterstützung können auch den schlimmsten äußeren Bedingungen entgegen wirken. Schon wenn bei der Geburt eine vertraute Begleitperson anwesend ist und das medizinische Personal es schafft, dass die Frau sich trotz allem geborgen fühlt, “kann das viel ausgleichen”, sagt Kruse.

“Selbst wenn die Umstände nicht so sind, wie idealerweise ein neues Leben auf die Welt kommt – bei einer menschlichen Interaktion zwischen der Gebärenden und dem medizinischen Personal kann es gut gehen, mit genug Unterstützung.” 

Auch die Zeit nach der Geburt ist durch eine Stresssituation wie Krieg oder Flucht geprägt. “Langfristig steht da der Verlust des Sicherheitsgefühls, wenn die Frau keinerlei Gewissheit hat, ob sie morgen noch lebt, ob ihr Zuhause noch da ist”, sagt Kruse. “Wenn sie nicht weiß, wie es mit ihr weitergeht, was soll sie dann an ihr Kind weitergeben?”

Schlimmstenfalls kann die Frau durch die belastende Geburtserfahrungen eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickeln. Das kann auch ohne Krieg passieren, ist in Extremsituationen aber viel wahrscheinlicher.

“Die Mutter kann dann viel weniger auf das Kind eingehen, weil sie selbst so schwer betroffen ist”, sagt Schwarze. “Dadurch kann die Mutter-Kind-Bindung massiv beeinträchtigt werden.”

Martina Kruse beschreibt das gleiche Problem. “Die Mutter ist so mit Überleben beschäftigt, dass sie keine psychischen Ressourcen mehr hat, um sich ums Kind zu kümmern.” Das kann die Beziehung der beiden auf Jahre schädigen. 

Aber: Die negativen Auswirkungen treten aber nicht zwangsläufig auf. “Eine Geburt unter solchen Ausnahmesituationen kann die Bindung zwischen Mutter und Kind auch stärken”, sagt Kruse. “Und auch die Frau kann aus der Erfahrung ‘Ich kann unter diesen Umständen ein Kind zur Welt bringen’ mit mehr Kraft hervorgehen.”

Eine Frau hält ihr Baby in einem Luftschutzbunker in Mariupol.
Eine Mutter mit ihrem Neugeborenen im Keller des Kinderkrankenhauses Okhmadet in Kiew

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Ukraine: Gebären im Krieg

In Mariupol in der Ukraine soll der Beschuss der russischen Armee eine Kinder- und Geburtsklinik mehr oder weniger zerstört haben. Drei Menschen sollen getötet worden sein, 17 verletzt. An Orten überall in der Ukraine werden jeden Tag Babys in Krankenhauskellern oder Luftschutzbunkern geboren.

Und nicht nur dort: In Kriegs- und Krisengebieten auf der ganzen Welt bringen Frauen unter widrigsten Bedingungen ihre Kinder zur Welt.

Vor der Geburt: “Pränatale Stressprogrammierung”

Bei einem so vulnerablen Vorgang wie der Geburt in einer beängstigenden Extremsituation zu sein, kann schwerwiegende Folgen haben, sowohl für den Geburtsprozess, als auch langfristig.

“Eine Geburt braucht Ruhe”, sagt Martina Kruse, staatlich geprüfte Hebamme und Expertin für das Zusammenspiel von Trauma und Schwangerschaft. “Wenn nebenan die Bomben fallen, trägt das nicht dazu bei, dass die Frau sich entspannen kann.”

Schon vor der Geburt kann sich das Leben in ständiger Angst vor Bombardierung, oder in einer ähnlichen extremen Stresssituation, auf das Leben des ungeborenen Kindes auswirken.

“Unser Körper reagiert bei solchen Stresserlebnissen wie in der Steinzeit”, sagt Cornelia Schwarze, Psychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Heidelberg. Sie forscht zu den Effekten von Stressbelastung und Traumata auf die Schwangerschaft. “Wir sind in höchster Alarmbereitschaft, um ein bestmögliches Überleben zu sichern. Unser Körper schüttet große Mengen Cortisol aus.”

Die Geburt: Nähe und Unterstützung können viel ausgleichen  

Dieses Stresshormon bahnt sich vom Blutkreislauf der Mutter über die Plazenta auch einen Weg in den Blutkreislauf des Fötus. Bei normalem Alltagsstress ist die Menge so gering, dass sie keine Auswirkungen hat. Aber in einer Kriegssituation kommt genug Cortisol durch, dass das Ungeborene eine höhere Stresssensitivität entwickeln kann.

Nach der Geburt: Mutter-Kind-Bindung “massiv beeinträchtigt”

Diese “pränatale Stressprogrammierung” führt dann dazu, dass das Neugeborene mehr schreit, sich schlechter beruhigen kann oder schwieriger zu füttern ist. Später könnte das Kind schneller und für längere Zeit durch Probleme an Schule oder Uni gestresst sein. Und auch im hohen Alter können sich aufgrund des Stresses der Mutter vor der Geburt noch Krankheiten wie Bluthochdruck oder Herzkreislauferkrankungen einstellen.

Das ist natürlich kein Muss. “Es gibt auch sehr resiliente Kinder, deren Mütter schwierigste Bedingungen erlebt haben und die sich trotzdem sehr gut entwickeln”, sagt Schwarze. Es ist die Wahrscheinlichkeit für Probleme in der Entwicklung, die erhöht ist.

Auf den Geburtsprozess können Umstände wie eine Bombardierung oder eine Flucht in den Keller dramatische Folgen haben. Die Situation sei beängstigend, gerade für Frauen, die ihr erstes Kind bekommen.

Kruse spricht vom “Blackbox-Effekt” schon bei Geburten unter normalen Umständen, weil die Frauen nicht genau wissen, was sie erwartet und sich möglicherweise ohnmächtig oder hilflos fühlen, weil ihr Körper die Führung übernimmt. Wenn draußen die Bomben fallen, wird dieses Gefühl exponentiell verstärkt.

Erhöhte Angst, Stress und Anspannung können zu einer “längeren, schwierigeren oder schmerzhafteren Geburt” führen, sagt Schwarze. “Es kann zu einer Reduzierung der Wehentätigkeit kommen, zu Hemmungen der Uteruskontraktion auf Grund von Stress.” Außerdem sei die Sauerstoffversorgung des Babys möglicherweise schlechter, wenn Stress die Arterien der Mutter verengt und der Uterus dann weniger gut durchblutet wird.

Dabei gilt ganz klar: Nähe, Mitgefühl und Unterstützung können auch den schlimmsten äußeren Bedingungen entgegen wirken. Schon wenn bei der Geburt eine vertraute Begleitperson anwesend ist und das medizinische Personal es schafft, dass die Frau sich trotz allem geborgen fühlt, “kann das viel ausgleichen”, sagt Kruse.

“Selbst wenn die Umstände nicht so sind, wie idealerweise ein neues Leben auf die Welt kommt – bei einer menschlichen Interaktion zwischen der Gebärenden und dem medizinischen Personal kann es gut gehen, mit genug Unterstützung.” 

Auch die Zeit nach der Geburt ist durch eine Stresssituation wie Krieg oder Flucht geprägt. “Langfristig steht da der Verlust des Sicherheitsgefühls, wenn die Frau keinerlei Gewissheit hat, ob sie morgen noch lebt, ob ihr Zuhause noch da ist”, sagt Kruse. “Wenn sie nicht weiß, wie es mit ihr weitergeht, was soll sie dann an ihr Kind weitergeben?”

Schlimmstenfalls kann die Frau durch die belastende Geburtserfahrungen eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickeln. Das kann auch ohne Krieg passieren, ist in Extremsituationen aber viel wahrscheinlicher.

“Die Mutter kann dann viel weniger auf das Kind eingehen, weil sie selbst so schwer betroffen ist”, sagt Schwarze. “Dadurch kann die Mutter-Kind-Bindung massiv beeinträchtigt werden.”

Martina Kruse beschreibt das gleiche Problem. “Die Mutter ist so mit Überleben beschäftigt, dass sie keine psychischen Ressourcen mehr hat, um sich ums Kind zu kümmern.” Das kann die Beziehung der beiden auf Jahre schädigen. 

Aber: Die negativen Auswirkungen treten aber nicht zwangsläufig auf. “Eine Geburt unter solchen Ausnahmesituationen kann die Bindung zwischen Mutter und Kind auch stärken”, sagt Kruse. “Und auch die Frau kann aus der Erfahrung ‘Ich kann unter diesen Umständen ein Kind zur Welt bringen’ mit mehr Kraft hervorgehen.”

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