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Bulgarien: Regierungskrise, geheime Waffenlieferungen und ein genialer Schachzug

Fast wäre Bulgariens Koalitionsregierung zerbrochen. Grund: Uneinigkeit über Waffenhilfe für die Ukraine. Doch dann wurde ein Kompromiss gefunden. Kann er funktionieren?

Militärhilfe für die Ukraine – ja oder nein? Diese Frage hat die bulgarische Regierungskoalition fast auseinanderbrechen lassen. Denn die Politik in dem südosteuropäischen EU-Land ist gespalten in ihrer Haltung zu Moskau: Die traditionell russlandfreundliche Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) droht seit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 damit, die Koalition zu verlassen und damit die Regierung zu stürzen, sollte Sofia Waffen an die Ukraine liefern.

Unterstützung erhält die BPS dabei von Staatspräsident Rumen Radew, der mehrfach warnte, Waffenlieferungen würden das Land zu einem direkten Kriegsteilnehmer machen. In einer fünfstündigen Parlamentsdebatte gelang es dann schließlich am vergangenen Mittwoch (4.05.2022), die Kontroverse beizulegen und sich auf einen Kompromiss zu einigen. Bulgarien werde keine Waffen liefern, sondern stattdessen “militärtechnische Hilfe” leisten, sprich: beschädigte Waffen reparieren und Militärausrüstung warten.

Militärhilfe für die Ukraine – ja oder nein? Diese Frage hat die bulgarische Regierungskoalition fast auseinanderbrechen lassen. Denn die Politik in dem südosteuropäischen EU-Land ist gespalten in ihrer Haltung zu Moskau: Die traditionell russlandfreundliche Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) droht seit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 damit, die Koalition zu verlassen und damit die Regierung zu stürzen, sollte Sofia Waffen an die Ukraine liefern.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte dies in einem Brief an das bulgarische Parlament vorgeschlagen – und mit diesem Kompromissvorschlag den Koalitionsfrieden gerettet. Was genau in Bulgarien repariert werden soll, bleibt jedoch vorerst unklar.

Ein Brief aus Kiew rettet die Koalition

Gustav Gressel, Militärexperte des European Council on Foreign Relations, ist skeptisch: “Es kann sich nur um Wartung und Instandsetzung von gepanzerten Gefechtsfahrzeugen handeln. Bei flugfähigen Geräten habe ich starke Zweifel, das macht nur vor Ort in der Ukraine Sinn. Transit nach Bulgarien und Rückführung in die Ukraine sind mit mehr Aufwand als Nutzen verbunden.”

Drei Tage (7.05.2022) nach der Entscheidung im Parlament kündigte der stellvertretende Verteidigungsminister Jordan Boschilow im staatlichen bulgarischen Fernsehen BNT die Ankunft ukrainischer Spezialisten für die kommende Woche an. Mit ihnen will Boschilow besprechen, “welche Technik eventuell in Bulgarien repariert werden soll.”

Kritischer äußerte sich der frisch entlassene Vorstandsvorsitzende des staatlichen bulgarischen Waffenhändlers Kintex, Aleksandar Michajlow, am Morgen nach der Parlamentsentscheidung im bulgarischen Fernsehsender Nova TV. Er sprach von katastrophalen Zuständen in den für Reparaturen zuständigen Firmen Avionams und Terem. Avionams, so Michajlow, sei bei der Wartung alter sowjetischer Flugtechnik selbst von Russland abhängig. Und auch bei der Wartung gepanzerter Fahrzeuge, für die die Firma Terem zuständig ist, sieht es offenbar nicht besser aus.

“Wegen Unterfinanzierung ist ein Drittel ihrer Reparaturausrüstung defekt, ein anderer Teil ist verschwunden, geklaut oder exportiert. Diese Firmen arbeiten mit gerade einmal 40 Prozent ihrer Kapazität – und damit müssen sie die Technik der bulgarischen Armee warten”, wetterte Michajlow. Außerdem stelle Bulgarien keine eigenen Ersatzteilen her, sondern habe diese bisher seinerseits aus Russland und der Ukraine bezogen. Auch Vizeverteidigungsminister Boschilow gab zu: “Wir warten seit 30 Jahren alte sowjetische Technik und hätten sie schon längst ersetzen sollen.”

Der Nutzen der “militärtechnischen Hilfe” Bulgariens für die Ukraine ist also gering. Doch das ist nur die halbe Wahrheit – denn unterdessen liefert das EU- und NATO-Mitgliedsland offenbar über Umwege Waffen in die Ukraine. So sprach Aleksandar Michajlow im Fernsehen von dem “alten Schema mit bulgarischen Waffen, die über Zwischenhändler in Tschechien, der Slowakei und Polen” ihren Weg in die Ukraine fänden.

“Bulgarien wird damit fortfahren, Waffen an die Ukraine zu verkaufen”, erklärte am vergangenen Samstag (7.05.2022) auch der ehemalige Verteidigungsminister Angel Najdenow gegenüber dem bulgarischen Sender BTV. Spekulationen in den Medien zufolge soll es sich dabei nicht um schweres Kriegsgerät wie Panzer oder Flugzeuge handeln, sondern um Handfeuerwaffen, Granaten und Munition. Verdeckter Waffenhandel war schon im Kalten Krieg die Spezialität von Kintex, das damals vom bulgarischen Geheimdienst geführt wurde.

“Diese Regierungskrise hat eine innen- und eine außenpolitische Dimension”, erläutert Dr. Rumena Filipowa, Direktorin des Institute for Global Analysis in Sofia, im Gespräch mit der DW. “Innenpolitisch zeichnet sich ein Bruch zwischen Präsident Radew und den Reformparteien der Regierung ab. Im Inneren hat Radew in den letzten zwei Jahren politische Reformen vermittelt, außenpolitisch aber auf eine ausgleichende und sogar neutrale Haltung gegenüber Russland gedrängt. Und da versucht Russland gerade, Bulgarien aus dem westlichen Bündnis herauszubrechen, indem es die Gaslieferungen stoppt, den Streit mit Nordmazedonien anfacht und die Frage der Militärhilfe für Kiew instrumentalisiert.”

In allen drei Fragen – Gas, Nordmazedonien und Waffen für die Ukraine – traten Präsident Radew und Wirtschaftsministerin Kornelia Ninowa, die Vorsitzende der BSP, offen in Konflikt zu Premier Petkow. Der offizielle Verzicht auf Waffenlieferungen und die Beschränkung auf “militärtechnische Hilfe”, während gleichzeitig inoffiziell Waffen in die Ukraine geliefert werden, war offenbar ein geschickter politischer Schachzug des bulgarischen Premiers mit Hilfe des ukrainischen Präsidenten.

“Die Ukraine, der von Russland ein Existenzkampf aufgezwungen worden ist, hat es mit ihrem Brief hinbekommen, eine freundlich gesinnte Regierung aus der Nachbarschaft gegen russischen Druck zu stabilisieren. Respekt für diesen Move von Präsident Selenskyj und Premier Petkow”, bilanziert Martin Kothé, Leiter des Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung in Sofia. Doch es ist fraglich, ob die Ruhe von Dauer ist. Bereits am Tag nach der Parlamentsdebatte griff Präsident Radew die Regierung wieder an und bezeichnete die Reparatur ukrainischen Militärgeräts in Bulgarien als “gefährlichen Schritt”.

Militärexperte Gustav Gressel
Ministerpräsident Petkow im Kreis seiner Minister bei der Vorstellung der Regierung im Dezember 2021
Präsident Rumen Radew überreicht Ministerpräsident Kiril Petkow die Ernennungsurkunde bei der Vereidigung der Regieurng im 11.12.2021

Militärhilfe für die Ukraine – ja oder nein? Diese Frage hat die bulgarische Regierungskoalition fast auseinanderbrechen lassen. Denn die Politik in dem südosteuropäischen EU-Land ist gespalten in ihrer Haltung zu Moskau: Die traditionell russlandfreundliche Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) droht seit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 damit, die Koalition zu verlassen und damit die Regierung zu stürzen, sollte Sofia Waffen an die Ukraine liefern.

Unterstützung erhält die BPS dabei von Staatspräsident Rumen Radew, der mehrfach warnte, Waffenlieferungen würden das Land zu einem direkten Kriegsteilnehmer machen. In einer fünfstündigen Parlamentsdebatte gelang es dann schließlich am vergangenen Mittwoch (4.05.2022), die Kontroverse beizulegen und sich auf einen Kompromiss zu einigen. Bulgarien werde keine Waffen liefern, sondern stattdessen “militärtechnische Hilfe” leisten, sprich: beschädigte Waffen reparieren und Militärausrüstung warten.

Ein Brief aus Kiew rettet die Koalition

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte dies in einem Brief an das bulgarische Parlament vorgeschlagen – und mit diesem Kompromissvorschlag den Koalitionsfrieden gerettet. Was genau in Bulgarien repariert werden soll, bleibt jedoch vorerst unklar.

Gustav Gressel, Militärexperte des European Council on Foreign Relations, ist skeptisch: “Es kann sich nur um Wartung und Instandsetzung von gepanzerten Gefechtsfahrzeugen handeln. Bei flugfähigen Geräten habe ich starke Zweifel, das macht nur vor Ort in der Ukraine Sinn. Transit nach Bulgarien und Rückführung in die Ukraine sind mit mehr Aufwand als Nutzen verbunden.”

Drei Tage (7.05.2022) nach der Entscheidung im Parlament kündigte der stellvertretende Verteidigungsminister Jordan Boschilow im staatlichen bulgarischen Fernsehen BNT die Ankunft ukrainischer Spezialisten für die kommende Woche an. Mit ihnen will Boschilow besprechen, “welche Technik eventuell in Bulgarien repariert werden soll.”

Kritischer äußerte sich der frisch entlassene Vorstandsvorsitzende des staatlichen bulgarischen Waffenhändlers Kintex, Aleksandar Michajlow, am Morgen nach der Parlamentsentscheidung im bulgarischen Fernsehsender Nova TV. Er sprach von katastrophalen Zuständen in den für Reparaturen zuständigen Firmen Avionams und Terem. Avionams, so Michajlow, sei bei der Wartung alter sowjetischer Flugtechnik selbst von Russland abhängig. Und auch bei der Wartung gepanzerter Fahrzeuge, für die die Firma Terem zuständig ist, sieht es offenbar nicht besser aus.

Zweifel an den Kapazitäten der bulgarischen Technik

“Wegen Unterfinanzierung ist ein Drittel ihrer Reparaturausrüstung defekt, ein anderer Teil ist verschwunden, geklaut oder exportiert. Diese Firmen arbeiten mit gerade einmal 40 Prozent ihrer Kapazität – und damit müssen sie die Technik der bulgarischen Armee warten”, wetterte Michajlow. Außerdem stelle Bulgarien keine eigenen Ersatzteilen her, sondern habe diese bisher seinerseits aus Russland und der Ukraine bezogen. Auch Vizeverteidigungsminister Boschilow gab zu: “Wir warten seit 30 Jahren alte sowjetische Technik und hätten sie schon längst ersetzen sollen.”

Geheime Waffenlieferungen und russischer Einfluss

Der Nutzen der “militärtechnischen Hilfe” Bulgariens für die Ukraine ist also gering. Doch das ist nur die halbe Wahrheit – denn unterdessen liefert das EU- und NATO-Mitgliedsland offenbar über Umwege Waffen in die Ukraine. So sprach Aleksandar Michajlow im Fernsehen von dem “alten Schema mit bulgarischen Waffen, die über Zwischenhändler in Tschechien, der Slowakei und Polen” ihren Weg in die Ukraine fänden.

“Bulgarien wird damit fortfahren, Waffen an die Ukraine zu verkaufen”, erklärte am vergangenen Samstag (7.05.2022) auch der ehemalige Verteidigungsminister Angel Najdenow gegenüber dem bulgarischen Sender BTV. Spekulationen in den Medien zufolge soll es sich dabei nicht um schweres Kriegsgerät wie Panzer oder Flugzeuge handeln, sondern um Handfeuerwaffen, Granaten und Munition. Verdeckter Waffenhandel war schon im Kalten Krieg die Spezialität von Kintex, das damals vom bulgarischen Geheimdienst geführt wurde.

“Diese Regierungskrise hat eine innen- und eine außenpolitische Dimension”, erläutert Dr. Rumena Filipowa, Direktorin des Institute for Global Analysis in Sofia, im Gespräch mit der DW. “Innenpolitisch zeichnet sich ein Bruch zwischen Präsident Radew und den Reformparteien der Regierung ab. Im Inneren hat Radew in den letzten zwei Jahren politische Reformen vermittelt, außenpolitisch aber auf eine ausgleichende und sogar neutrale Haltung gegenüber Russland gedrängt. Und da versucht Russland gerade, Bulgarien aus dem westlichen Bündnis herauszubrechen, indem es die Gaslieferungen stoppt, den Streit mit Nordmazedonien anfacht und die Frage der Militärhilfe für Kiew instrumentalisiert.”

Spaltung der bulgarischen Politik

In allen drei Fragen – Gas, Nordmazedonien und Waffen für die Ukraine – traten Präsident Radew und Wirtschaftsministerin Kornelia Ninowa, die Vorsitzende der BSP, offen in Konflikt zu Premier Petkow. Der offizielle Verzicht auf Waffenlieferungen und die Beschränkung auf “militärtechnische Hilfe”, während gleichzeitig inoffiziell Waffen in die Ukraine geliefert werden, war offenbar ein geschickter politischer Schachzug des bulgarischen Premiers mit Hilfe des ukrainischen Präsidenten.

“Die Ukraine, der von Russland ein Existenzkampf aufgezwungen worden ist, hat es mit ihrem Brief hinbekommen, eine freundlich gesinnte Regierung aus der Nachbarschaft gegen russischen Druck zu stabilisieren. Respekt für diesen Move von Präsident Selenskyj und Premier Petkow”, bilanziert Martin Kothé, Leiter des Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung in Sofia. Doch es ist fraglich, ob die Ruhe von Dauer ist. Bereits am Tag nach der Parlamentsdebatte griff Präsident Radew die Regierung wieder an und bezeichnete die Reparatur ukrainischen Militärgeräts in Bulgarien als “gefährlichen Schritt”.

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