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Bastian Schweinsteiger über WM 2022 in Katar: “Mein Favorit heißt Frankreich”

Der Ex-Kapitän der Fußball-Nationalmannschaft, Bastian Schweinsteiger, blickt voraus auf die Weltmeisterschaft 2022. Im DW-Interview spricht er über Favoriten, das deutsche Team und die Kontroversen um Katar.

DW: Wer ist Ihr Favorit auf den Sieg bei der Weltmeisterschaft in Katar?

Bastian Schweinsteiger: Frankreich. Die Franzosen haben die meisten Spitzenspieler und die beste Mischung in ihrem Kader. Nehmen wir nur Kylian Mbappé. Es macht einfach Spaß, ihm zuzuschauen, er ist ein fantastischer Spieler. Aber diese französische Mannschaft bringt auch die nötige Erfahrung mit, gemeinsam ein großes Turnier zu spielen. Trainer Didier Deschamps weiß genau, was er den Spielern auf dem Platz zumuten kann. 

DW: Wer ist Ihr Favorit auf den Sieg bei der Weltmeisterschaft in Katar?

Glauben Sie, dass Frankreich den Biss und die nötige Motivation hat, zum zweiten Mal in Folge den Weltmeistertitel zu gewinnen? Wir erinnern uns an Deutschland bei der WM 2018. Der Titelverteidiger blamierte sich und schied in der Gruppenphase aus.

(lacht) Ja, ich weiß. Wer könnte das vergessen? Auch Brasilien hat natürlich einen tollen Kader. Und die Niederlande sind ebenfalls in einer guten Form.

Deutschland steht nicht auf Ihrer Favoritenliste? 

Für mich steht hinter der deutschen Mannschaft ein großes Fragezeichen. Wir sind in der Lage, jede Mannschaft zu schlagen, aber uns fehlt häufig die Konstanz. Die Spiele verlaufen oft in Form einer Welle: 60 Minuten guter Fußball, dann die letzten 30 Minuten schlecht. Wir tun uns schwer gegen Mannschaften, die gut verteidigen, wie zuletzt Ungarn in der Nations League. Wenn man nicht auf Umschaltspiel und Konter [des Gegners – Anm. d. Red.] achtet, verliert man die Kontrolle über das Spiel. Bei der Weltmeisterschaft treffen wir im ersten Spiel auf Japan. Da könnte es wieder passieren.

Wird Bundestrainer Hansi Flick die Probleme vor dem Turnier in den Griff bekommen? 

Ich glaube an Hansi Flick. Er weiß, was er zu tun hat. Es geht eher um die Spieler und ihre Einstellung. Wir haben immer noch den besten Torhüter der Welt, Manuel Neuer. Und wir haben andere sehr gute Spieler wie Jamal Musiala. Er ist fantastisch. Er eröffnet uns im Angriff viele Optionen, die wir vorher nicht hatten. Was ich an ihm bewundere, ist, dass er auch defensiv arbeitet. Wenn er fit bleibt, ist er unsere größte Hoffnung. Er kann der Spieler des Turniers werden.

Neben Musiala gibt es aber auch noch Joshua Kimmich und Leon Goretzka vom FC Bayern, dazu Ilkay Gündogan von Manchester City. Vor allem das zentrale Mittelfeld ist sehr gut besetzt. Nicht alle können in der Startelf stehen. Für wen würden Sie sich entscheiden?

Kimmich steht hundertprozentig in meiner Startelf. Ich mag auch Goretzka. Er ist in der Lage, das Spiel in die Breite zu ziehen und auch selbst Tore zu schießen. Wenn diese beiden das Mittelfeld kontrollieren, aber auch hart gegen den Ball arbeiten und auf ihren Positionen bleiben, was in einem Turnier wichtig ist – dann sehen wir gut aus.

Welche Positionen bereiten Ihnen in der deutschen Mannschaft Sorgen?

Uns fehlt ein richtiger Stürmer. Es wäre gut, wenn wir eine echte Nummer neun [klassischer Mittelstürmer – Anm. d. Red.] in der Hinterhand hätten. Probleme könnten wir auch bei den Außenverteidigern bekommen. Aber Hansi Flick weiß das und versucht, Lösungen zu finden. Am Ende des Tages kommt es nicht darauf an, welches System man spielt, sondern in erster Linie auf die Spieler auf dem Platz: Verstehen sie wirklich, was sie zu tun haben – vor allem, wenn das Spiel gegen sie läuft? Wie reagieren sie? Sind sie in der Lage, ins Spiel zurückzufinden? Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass wir unsere sogenannten “deutschen Tugenden” zeigen: Laufen, Kämpfen. Dafür werden wir in anderen Ländern respektiert. Und das ist auch nötig, um die Fans in Deutschland zurückzugewinnen. 

Der große Hype um das DFB-Team, wie Sie ihn in Ihrer Karriere erlebt haben, scheint vorüber zu sein. Die Stadien sind bei Länderspielen nicht mehr ausverkauft, nicht alle Fußballfreunde im Land identifizieren sich noch mit der Mannschaft. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?

Ich denke, es ist in letzter Zeit wieder besser geworden, vor allem seit Hansi Flick den Posten des Bundestrainers von Joachim Löw übernommen hat. Es geht dabei immer um zwei Dinge. Zum einen: Wie verhalten sich die Spieler abseits des Platzes, wie präsentiert man sie in der Öffentlichkeit? Zum anderen: Bringen Sie Leistung? Am Ende zählen guter Fußball und Spieler, die nicht so schnell aufgeben. Ich habe immer Spieler bewundert, die hartnäckig sind. Ich denke, das ist es, was auch die Fans sehen wollen.

Es gab und gibt viel Kritik an der Weltmeisterschaft in Katar. Deutschland und andere UEFA-Mitglieder haben beschlossen, dass ihre Kapitäne Armbinden mit der Aufschrift “Liebe” tragen – als Zeichen gegen Diskriminierung und für Vielfalt. Reicht das Ihrer Meinung nach aus?

Es ist definitiv ein gutes Zeichen. Es ist wichtig, seine Werte zu zeigen. Aber mehr als solche Dinge kannst du als Sportler nicht beisteuern. Selbstverständlich muss man über diese Themen reden, sie wirklich analysieren und kritisch sein. Aber unser Bundeskanzler [Olaf Scholz – Anm. d. Red.] hat gesagt, dass sich die Bedingungen [in Katar] verbessern, und ich verlasse mich auf seine Worte. Letztendlich ist es ein Sportereignis, es geht um die Spieler. Ich denke, man sollte ihnen eine Chance geben und sich eine Meinung bilden, wenn die Weltmeisterschaft vorbei ist.

Ihr ehemaliger Mitspieler Thomas Hitzlsperger sagte, es sei “falsch” gewesen, die Weltmeisterschaft an Katar zu vergeben. Hitzlsperger ist homosexuell und könnte in Katar im Gefängnis landen, wenn er dort zu offen mit seiner Sexualität umgeht. Können Sie seine Sichtweise nachvollziehen?

Jeder darf eine Meinung haben. Aber wenn man sagt, Katar sollte nicht Gastgeber der Fußballweltmeisterschaft sein, hätte man das schon vor Jahren sagen sollen. Das ist meine Meinung. Jetzt ist es dafür zu spät. Wir sollten dem Land eine Chance geben und dann nach dem Turnier darüber sprechen, was gut oder schlecht war.

Bastian Schweinsteiger bestritt zwischen 2004 und 2016 insgesamt 121 Länderspiele. 2006 und 2010 wurde der Mittelfeldspieler mit Deutschland WM-Dritter, 2014 in Brasilien Weltmeister. Schweinsteiger trug 17 Jahre lang das Trikot des FC Bayern und feierte mit den Münchenern zahlreiche Erfolge, unter anderem den Champions-League-Triumph 2013. Später spielte er noch für Manchester United und Chicago Fire. Seit seinem Karriere-Ende 2019 ist der inzwischen 38-Jährige als Fußballexperte für die ARD im Einsatz.

Das Interview führte Pascal Jochem. Es wurde aus dem Englischen adaptiert.

Schweinsteiger reckt im Juli 2014 jubelnd den WM-Pokal in die Höhe, umringt von Teamkollegen
Jamala Musiala am Ball, beim Nations-League-Spiel im September 2022 in England
Joachim Löw und Hansi Flick im Gespräch mit Lothar Matthäus

DW: Wer ist Ihr Favorit auf den Sieg bei der Weltmeisterschaft in Katar?

Bastian Schweinsteiger: Frankreich. Die Franzosen haben die meisten Spitzenspieler und die beste Mischung in ihrem Kader. Nehmen wir nur Kylian Mbappé. Es macht einfach Spaß, ihm zuzuschauen, er ist ein fantastischer Spieler. Aber diese französische Mannschaft bringt auch die nötige Erfahrung mit, gemeinsam ein großes Turnier zu spielen. Trainer Didier Deschamps weiß genau, was er den Spielern auf dem Platz zumuten kann. 

Glauben Sie, dass Frankreich den Biss und die nötige Motivation hat, zum zweiten Mal in Folge den Weltmeistertitel zu gewinnen? Wir erinnern uns an Deutschland bei der WM 2018. Der Titelverteidiger blamierte sich und schied in der Gruppenphase aus.

(lacht) Ja, ich weiß. Wer könnte das vergessen? Auch Brasilien hat natürlich einen tollen Kader. Und die Niederlande sind ebenfalls in einer guten Form.

Deutschland steht nicht auf Ihrer Favoritenliste? 

Für mich steht hinter der deutschen Mannschaft ein großes Fragezeichen. Wir sind in der Lage, jede Mannschaft zu schlagen, aber uns fehlt häufig die Konstanz. Die Spiele verlaufen oft in Form einer Welle: 60 Minuten guter Fußball, dann die letzten 30 Minuten schlecht. Wir tun uns schwer gegen Mannschaften, die gut verteidigen, wie zuletzt Ungarn in der Nations League. Wenn man nicht auf Umschaltspiel und Konter [des Gegners – Anm. d. Red.] achtet, verliert man die Kontrolle über das Spiel. Bei der Weltmeisterschaft treffen wir im ersten Spiel auf Japan. Da könnte es wieder passieren.

Wird Bundestrainer Hansi Flick die Probleme vor dem Turnier in den Griff bekommen? 

Ich glaube an Hansi Flick. Er weiß, was er zu tun hat. Es geht eher um die Spieler und ihre Einstellung. Wir haben immer noch den besten Torhüter der Welt, Manuel Neuer. Und wir haben andere sehr gute Spieler wie Jamal Musiala. Er ist fantastisch. Er eröffnet uns im Angriff viele Optionen, die wir vorher nicht hatten. Was ich an ihm bewundere, ist, dass er auch defensiv arbeitet. Wenn er fit bleibt, ist er unsere größte Hoffnung. Er kann der Spieler des Turniers werden.

Neben Musiala gibt es aber auch noch Joshua Kimmich und Leon Goretzka vom FC Bayern, dazu Ilkay Gündogan von Manchester City. Vor allem das zentrale Mittelfeld ist sehr gut besetzt. Nicht alle können in der Startelf stehen. Für wen würden Sie sich entscheiden?

Kimmich steht hundertprozentig in meiner Startelf. Ich mag auch Goretzka. Er ist in der Lage, das Spiel in die Breite zu ziehen und auch selbst Tore zu schießen. Wenn diese beiden das Mittelfeld kontrollieren, aber auch hart gegen den Ball arbeiten und auf ihren Positionen bleiben, was in einem Turnier wichtig ist – dann sehen wir gut aus.

Welche Positionen bereiten Ihnen in der deutschen Mannschaft Sorgen?

Uns fehlt ein richtiger Stürmer. Es wäre gut, wenn wir eine echte Nummer neun [klassischer Mittelstürmer – Anm. d. Red.] in der Hinterhand hätten. Probleme könnten wir auch bei den Außenverteidigern bekommen. Aber Hansi Flick weiß das und versucht, Lösungen zu finden. Am Ende des Tages kommt es nicht darauf an, welches System man spielt, sondern in erster Linie auf die Spieler auf dem Platz: Verstehen sie wirklich, was sie zu tun haben – vor allem, wenn das Spiel gegen sie läuft? Wie reagieren sie? Sind sie in der Lage, ins Spiel zurückzufinden? Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass wir unsere sogenannten “deutschen Tugenden” zeigen: Laufen, Kämpfen. Dafür werden wir in anderen Ländern respektiert. Und das ist auch nötig, um die Fans in Deutschland zurückzugewinnen. 

Der große Hype um das DFB-Team, wie Sie ihn in Ihrer Karriere erlebt haben, scheint vorüber zu sein. Die Stadien sind bei Länderspielen nicht mehr ausverkauft, nicht alle Fußballfreunde im Land identifizieren sich noch mit der Mannschaft. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?

Ich denke, es ist in letzter Zeit wieder besser geworden, vor allem seit Hansi Flick den Posten des Bundestrainers von Joachim Löw übernommen hat. Es geht dabei immer um zwei Dinge. Zum einen: Wie verhalten sich die Spieler abseits des Platzes, wie präsentiert man sie in der Öffentlichkeit? Zum anderen: Bringen Sie Leistung? Am Ende zählen guter Fußball und Spieler, die nicht so schnell aufgeben. Ich habe immer Spieler bewundert, die hartnäckig sind. Ich denke, das ist es, was auch die Fans sehen wollen.

Es gab und gibt viel Kritik an der Weltmeisterschaft in Katar. Deutschland und andere UEFA-Mitglieder haben beschlossen, dass ihre Kapitäne Armbinden mit der Aufschrift “Liebe” tragen – als Zeichen gegen Diskriminierung und für Vielfalt. Reicht das Ihrer Meinung nach aus?

Es ist definitiv ein gutes Zeichen. Es ist wichtig, seine Werte zu zeigen. Aber mehr als solche Dinge kannst du als Sportler nicht beisteuern. Selbstverständlich muss man über diese Themen reden, sie wirklich analysieren und kritisch sein. Aber unser Bundeskanzler [Olaf Scholz – Anm. d. Red.] hat gesagt, dass sich die Bedingungen [in Katar] verbessern, und ich verlasse mich auf seine Worte. Letztendlich ist es ein Sportereignis, es geht um die Spieler. Ich denke, man sollte ihnen eine Chance geben und sich eine Meinung bilden, wenn die Weltmeisterschaft vorbei ist.

Ihr ehemaliger Mitspieler Thomas Hitzlsperger sagte, es sei “falsch” gewesen, die Weltmeisterschaft an Katar zu vergeben. Hitzlsperger ist homosexuell und könnte in Katar im Gefängnis landen, wenn er dort zu offen mit seiner Sexualität umgeht. Können Sie seine Sichtweise nachvollziehen?

Jeder darf eine Meinung haben. Aber wenn man sagt, Katar sollte nicht Gastgeber der Fußballweltmeisterschaft sein, hätte man das schon vor Jahren sagen sollen. Das ist meine Meinung. Jetzt ist es dafür zu spät. Wir sollten dem Land eine Chance geben und dann nach dem Turnier darüber sprechen, was gut oder schlecht war.

Bastian Schweinsteiger bestritt zwischen 2004 und 2016 insgesamt 121 Länderspiele. 2006 und 2010 wurde der Mittelfeldspieler mit Deutschland WM-Dritter, 2014 in Brasilien Weltmeister. Schweinsteiger trug 17 Jahre lang das Trikot des FC Bayern und feierte mit den Münchenern zahlreiche Erfolge, unter anderem den Champions-League-Triumph 2013. Später spielte er noch für Manchester United und Chicago Fire. Seit seinem Karriere-Ende 2019 ist der inzwischen 38-Jährige als Fußballexperte für die ARD im Einsatz.

Das Interview führte Pascal Jochem. Es wurde aus dem Englischen adaptiert.

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