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Ein mitteleuropäischer Schriftsteller und streitbarer Intellektueller – Zum Tod von Richard Wagner

Der rumäniendeutsche Autor Richard Wagner ist im Alter von 70 Jahren in Berlin gestorben. Er war ein streitbarer Intellektueller, wie es sie in der deutschen Literatur nur noch selten gibt, schreibt Rudolf Herbert.

“Der Zustand der heutigen Welt ist weitgehend politisch begründet … Meine Texte haben einen grundsätzlich kritischen Ansatz. Einen ideellen kritischen Ansatz. Und deshalb sind sie auch politisch”, bekannte Richard Wagner einmal in einem Gespräch. Damals lebte er schon fast ein Jahrzehnt lang in Berlin, galt zwar immer noch als rumäniendeutscher Autor, hatte aber mit einigen Veröffentlichungen, darunter Erzählungen, Romanen und Gedichten, die von angesehenen deutschen Verlagen veröffentlicht worden waren, die literarische Provinz, aus der er kam, weit hinter sich gelassen.

Erschienen waren unter anderem Erzählungen wie “Ausreiseantrag”, die Romane “Die Muren von Wien” und “In der Hand der Frauen”, doch auch die Essays “Sonderweg Rumänien. Bericht aus einem Entwicklungsland” und “Völker ohne Signale. Zum Epochenbruch in Osteuropa”, ein Buch, in dem Wagner den Bogen weit spannte und den Zustand jener Staaten erhellend beschrieb, die beinahe ein halbes Jahrhundert dem Diktat Moskaus gehorcht hatten.

“Der Zustand der heutigen Welt ist weitgehend politisch begründet … Meine Texte haben einen grundsätzlich kritischen Ansatz. Einen ideellen kritischen Ansatz. Und deshalb sind sie auch politisch”, bekannte Richard Wagner einmal in einem Gespräch. Damals lebte er schon fast ein Jahrzehnt lang in Berlin, galt zwar immer noch als rumäniendeutscher Autor, hatte aber mit einigen Veröffentlichungen, darunter Erzählungen, Romanen und Gedichten, die von angesehenen deutschen Verlagen veröffentlicht worden waren, die literarische Provinz, aus der er kam, weit hinter sich gelassen.

1952 im rumänischen Banat geboren, verstand er sich bereits als 20-Jähriger als jemand, der sich mit seiner Lyrik am gesellschaftlichen Diskurs beteiligen wollte. “… unser beitrag in dieser runde / ist vorsätzlich und zugehörig / einem neuen gesichtspunkt”, hieß es herausfordernd in dem 1973 veröffentlichten Gedicht “klartext”.

Wortführer der “Aktionsgruppe Banat”

Die Produktivität, die er neben der Belletristik auch auf dem Gebiet der Essayistik nach der 1987 erfolgten Ausreise entfaltete, ist beeindruckend. In dem Band “Der leere Himmel. Reise in das Innere des Balkan” öffnet er dem Leser die Augen für die Verfasstheit und die Herkunft der Probleme des südosteuropäischen Teils des Kontinents, in “Der deutsche Horizont. Vom Schicksal eines guten Landes” hielt er der deutschen Gesellschaft einen Spiegel vor. Die Reaktionen darauf waren kontrovers, insbesondere in jenem Teil, der sich als politisch links definiert.

Der gemeinsam mit Thea Dorn veröffentlichte Band “Die deutsche Seele” hingegen, der deutsche Prägungen zur Debatte stellt, hielt sich wochenlang in den Bestseller-Listen. Hinzu kamen zahlreiche Beiträge in der deutschen Tagespresse sowie in Zeitschriften, darunter in dem von Hans Magnus Enzensberger begründeten “Kursbuch”. Wagner war ein Schriftsteller und streitbarer Intellektueller, wie es sie in der zeitgenössischen deutschen Literatur nur selten gibt.

Bereits Anfang der 1970er Jahre, als er als junger Mann die sehr überschaubare Bühne der rumäniendeutschen Literatur betrat, setzte er Akzente und neue Maßstäbe. Als Wortführer der literarischen Plattform “Aktionsgruppe Banat”, die wenig später vom Geheimdienst Securitate zerschlagen wurde, befreite er die Lyrik von Pathos und Innerlichkeit und verordnete ihr Wirklichkeitsnähe. Trotz der geografischen und kulturellen Isolation rezipierten sie die Autoren der deutschen Moderne, hinterfragten den Alltag kritisch und äußerten ihre Befunde ironisch.

Als um die Mitte der 1980er Jahre eine Anthologie mit Gedichten von zehn jungen Autoren in rumänischer Übersetzung erschien, stieß diese bei den rumänischen Generationskollegen auf ein begeistertes Echo. Viele dürften damals zum ersten Mal davon erfahren haben, dass es eine deutsche Minderheit und darunter Schriftsteller gab, die in der Zeit von Diktatur und Zensur Mittel gefunden hatten, um sich zu artikulieren und mit den Lesern einen Dialog aufrecht zu erhalten, der auf die realen Lebensverhältnisse zielte.

Auch eine in der DDR veröffentlichte Anthologie deutschsprachiger Lyriker Rumäniens war ein Erfolg. Einen Gemeinschaftsauftritt einer Nischenliteratur im binnendeutschen Sprachraum hatte es seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr gegeben. Es war eine späte Blüte. Mit Publikationsverboten und der wenig später erfolgten Ausreise vieler damals noch junger Autoren löste sich diese Literatur auf.

Dass im Rumänien jener Jahre vor allem Lyrik und wenig Prosa in deutscher Sprache geschrieben wurde, hing mit dem von der Umwelt geprägten, eingeschränkten Sprachangebot zusammen. Richard Wagner, der allerdings schon in Rumänien Kurzprosa veröffentlicht hatte, überwand auch dieses Hindernis sehr schnell. Neben Lyriksammlungen und den bereits erwähnten Titeln entstanden auch die Romane “Lisas geheimes Buch”, “Im Grunde sind wir alle Sieger” oder “Das reiche Mädchen”. Dabei fällt auf, dass er in “Miss Bukarest” und in “Belüge mich” ins Rumänien der Nachwendezeit, zu den Verstrickungen der Vergangenheit mit der Gegenwart zurückkehrte.

In seinem vielleicht erfolgreichsten Roman “Habseligkeiten”, der von allen großen deutschen Tageszeitungen rezensiert und teilweise sogar gefeiert wurde, in dem Heimatroman ohne Heimat geht es um die Schicksale von vier Generationen, die sich zwischen dem Banat und Deutschland abspielen. Die Ceausescu-Diktatur war zwar nicht das große Thema Wagners, die damit verbundenen Erfahrungen jedoch ein Stoff, mit dem er sich immer wieder auseinandersetzte. Viele seiner Bücher wurden auch ins Rumänische übersetzt. Seine zuletzt veröffentlichte Prosa war “Herr Parkinson”, ein schonungsloses und auch witziges Selbstporträt als kranker Mensch. Darin schrieb er: “Wenn nichts mehr ist, wie es war, und nichts wie es sein sollte. / Frage nach dem Stein, aus dem die Tränen wachsen. Und lass dir ein Auge geben, für alles, was noch kommt.”

Richard Wagner wurde am 10.04.1952 in Lowrin bei Temeswar/Timisoara in Westrumänien geboren. Er gehörte der deutschen Minderheit der Banater Schwaben an. 1969 debütierte er im kommunistischen Rumänien mit Gedichten in der deutschen Tageszeitung des Landes, “Neuer Weg”. Während seines Studiums der Germanistik und Rumänistik in Temeswar publizierte er Lyrik und Kurzprosa und gründete 1972 gemeinsam mit Studienfreunden – u.a. William Totok und Ernest Wichner (von 2003 bis 2017 Leiter des Literaturhauses Berlin) – die “Aktionsgruppe Banat”. Nach einer kurzzeitigen Verhaftung Wagners und weiterer Mitglieder durch den rumänischen Geheimdienst Securitate wurde die Gruppe 1975 zerschlagen.

1987 konnte Wagner gemeinsam mit seiner damaligen Ehefrau, der späteren Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller, in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen. Zwei Jahre später trennte sich das Paar. Wagner lebte als Schriftsteller und freier Journalist in Berlin. Er verstarb am 14. März 2023 nach einer langen und schweren Krankheit im Alter von 70 Jahren.

Rudolf Herbert, langjähriger Journalist (u.a. bei der Deutschen Welle und Euronews), ist künstlerischer Leiter und stellvertretender Intendant des Deutschen Staatstheaters Temeswar.

Schriftsteller Richard Wagner

“Der Zustand der heutigen Welt ist weitgehend politisch begründet … Meine Texte haben einen grundsätzlich kritischen Ansatz. Einen ideellen kritischen Ansatz. Und deshalb sind sie auch politisch”, bekannte Richard Wagner einmal in einem Gespräch. Damals lebte er schon fast ein Jahrzehnt lang in Berlin, galt zwar immer noch als rumäniendeutscher Autor, hatte aber mit einigen Veröffentlichungen, darunter Erzählungen, Romanen und Gedichten, die von angesehenen deutschen Verlagen veröffentlicht worden waren, die literarische Provinz, aus der er kam, weit hinter sich gelassen.

Erschienen waren unter anderem Erzählungen wie “Ausreiseantrag”, die Romane “Die Muren von Wien” und “In der Hand der Frauen”, doch auch die Essays “Sonderweg Rumänien. Bericht aus einem Entwicklungsland” und “Völker ohne Signale. Zum Epochenbruch in Osteuropa”, ein Buch, in dem Wagner den Bogen weit spannte und den Zustand jener Staaten erhellend beschrieb, die beinahe ein halbes Jahrhundert dem Diktat Moskaus gehorcht hatten.

Wortführer der “Aktionsgruppe Banat”

1952 im rumänischen Banat geboren, verstand er sich bereits als 20-Jähriger als jemand, der sich mit seiner Lyrik am gesellschaftlichen Diskurs beteiligen wollte. “… unser beitrag in dieser runde / ist vorsätzlich und zugehörig / einem neuen gesichtspunkt”, hieß es herausfordernd in dem 1973 veröffentlichten Gedicht “klartext”.

Die Produktivität, die er neben der Belletristik auch auf dem Gebiet der Essayistik nach der 1987 erfolgten Ausreise entfaltete, ist beeindruckend. In dem Band “Der leere Himmel. Reise in das Innere des Balkan” öffnet er dem Leser die Augen für die Verfasstheit und die Herkunft der Probleme des südosteuropäischen Teils des Kontinents, in “Der deutsche Horizont. Vom Schicksal eines guten Landes” hielt er der deutschen Gesellschaft einen Spiegel vor. Die Reaktionen darauf waren kontrovers, insbesondere in jenem Teil, der sich als politisch links definiert.

Der gemeinsam mit Thea Dorn veröffentlichte Band “Die deutsche Seele” hingegen, der deutsche Prägungen zur Debatte stellt, hielt sich wochenlang in den Bestseller-Listen. Hinzu kamen zahlreiche Beiträge in der deutschen Tagespresse sowie in Zeitschriften, darunter in dem von Hans Magnus Enzensberger begründeten “Kursbuch”. Wagner war ein Schriftsteller und streitbarer Intellektueller, wie es sie in der zeitgenössischen deutschen Literatur nur selten gibt.

Bereits Anfang der 1970er Jahre, als er als junger Mann die sehr überschaubare Bühne der rumäniendeutschen Literatur betrat, setzte er Akzente und neue Maßstäbe. Als Wortführer der literarischen Plattform “Aktionsgruppe Banat”, die wenig später vom Geheimdienst Securitate zerschlagen wurde, befreite er die Lyrik von Pathos und Innerlichkeit und verordnete ihr Wirklichkeitsnähe. Trotz der geografischen und kulturellen Isolation rezipierten sie die Autoren der deutschen Moderne, hinterfragten den Alltag kritisch und äußerten ihre Befunde ironisch.

Ein schonungsloses und witziges Selbstporträt

Als um die Mitte der 1980er Jahre eine Anthologie mit Gedichten von zehn jungen Autoren in rumänischer Übersetzung erschien, stieß diese bei den rumänischen Generationskollegen auf ein begeistertes Echo. Viele dürften damals zum ersten Mal davon erfahren haben, dass es eine deutsche Minderheit und darunter Schriftsteller gab, die in der Zeit von Diktatur und Zensur Mittel gefunden hatten, um sich zu artikulieren und mit den Lesern einen Dialog aufrecht zu erhalten, der auf die realen Lebensverhältnisse zielte.

Auch eine in der DDR veröffentlichte Anthologie deutschsprachiger Lyriker Rumäniens war ein Erfolg. Einen Gemeinschaftsauftritt einer Nischenliteratur im binnendeutschen Sprachraum hatte es seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr gegeben. Es war eine späte Blüte. Mit Publikationsverboten und der wenig später erfolgten Ausreise vieler damals noch junger Autoren löste sich diese Literatur auf.

Dass im Rumänien jener Jahre vor allem Lyrik und wenig Prosa in deutscher Sprache geschrieben wurde, hing mit dem von der Umwelt geprägten, eingeschränkten Sprachangebot zusammen. Richard Wagner, der allerdings schon in Rumänien Kurzprosa veröffentlicht hatte, überwand auch dieses Hindernis sehr schnell. Neben Lyriksammlungen und den bereits erwähnten Titeln entstanden auch die Romane “Lisas geheimes Buch”, “Im Grunde sind wir alle Sieger” oder “Das reiche Mädchen”. Dabei fällt auf, dass er in “Miss Bukarest” und in “Belüge mich” ins Rumänien der Nachwendezeit, zu den Verstrickungen der Vergangenheit mit der Gegenwart zurückkehrte.

In seinem vielleicht erfolgreichsten Roman “Habseligkeiten”, der von allen großen deutschen Tageszeitungen rezensiert und teilweise sogar gefeiert wurde, in dem Heimatroman ohne Heimat geht es um die Schicksale von vier Generationen, die sich zwischen dem Banat und Deutschland abspielen. Die Ceausescu-Diktatur war zwar nicht das große Thema Wagners, die damit verbundenen Erfahrungen jedoch ein Stoff, mit dem er sich immer wieder auseinandersetzte. Viele seiner Bücher wurden auch ins Rumänische übersetzt. Seine zuletzt veröffentlichte Prosa war “Herr Parkinson”, ein schonungsloses und auch witziges Selbstporträt als kranker Mensch. Darin schrieb er: “Wenn nichts mehr ist, wie es war, und nichts wie es sein sollte. / Frage nach dem Stein, aus dem die Tränen wachsen. Und lass dir ein Auge geben, für alles, was noch kommt.”

Richard Wagner wurde am 10.04.1952 in Lowrin bei Temeswar/Timisoara in Westrumänien geboren. Er gehörte der deutschen Minderheit der Banater Schwaben an. 1969 debütierte er im kommunistischen Rumänien mit Gedichten in der deutschen Tageszeitung des Landes, “Neuer Weg”. Während seines Studiums der Germanistik und Rumänistik in Temeswar publizierte er Lyrik und Kurzprosa und gründete 1972 gemeinsam mit Studienfreunden – u.a. William Totok und Ernest Wichner (von 2003 bis 2017 Leiter des Literaturhauses Berlin) – die “Aktionsgruppe Banat”. Nach einer kurzzeitigen Verhaftung Wagners und weiterer Mitglieder durch den rumänischen Geheimdienst Securitate wurde die Gruppe 1975 zerschlagen.

1987 konnte Wagner gemeinsam mit seiner damaligen Ehefrau, der späteren Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller, in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen. Zwei Jahre später trennte sich das Paar. Wagner lebte als Schriftsteller und freier Journalist in Berlin. Er verstarb am 14. März 2023 nach einer langen und schweren Krankheit im Alter von 70 Jahren.

Rudolf Herbert, langjähriger Journalist (u.a. bei der Deutschen Welle und Euronews), ist künstlerischer Leiter und stellvertretender Intendant des Deutschen Staatstheaters Temeswar.

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