Kultur

Holocaust-Überlebende: Wenn die Ära der Zeitzeugen endet

Holocaust-Überlebende spielen eine wichtige Rolle in der Gesellschaft. Wie kann nach ihrem Tod mit ihrem Vermächtnis verantwortungsvoll umgegangen werden?

Sie haben unermessliches Leid und Grausamkeit erfahren – und doch überlebt. Als Zeitzeugen und auch als Mahner erfüllen sie in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine wichtige Rolle. Nun sterben die letzten Holocaust-Überlebende eines natürlichen Todes und die Verantwortung über ihr Vermächtnis wandert nach und nach in die Hände verschiedener Institutionen. Das ist kein einfacher Prozess: Zeitzeuginnen und Zeitzeugen bieten zwar nur eine von vielen Perspektiven auf die Geschichte an, aber sie können als Korrektiv wirken und als wichtige Mahner – von Mensch zu Mensch.

“Nie wieder!” Dieser Schwur ist in verschiedenen Sprachen in der Gedenkstätte des früheren Konzentrationslagers Dachau in Stein gemeißelt. Es ist die zentrale Leitlinie deutscher Innen- und Außenpolitik: um Antisemitismus entgegenzutreten, das Existenzrecht des Staates Israels zu verteidigen, um zu erinnern an die grausamen Entscheidungen und Taten der Nationalsozialisten, und an die vielen, die sie unterstützten.

Sie haben unermessliches Leid und Grausamkeit erfahren – und doch überlebt. Als Zeitzeugen und auch als Mahner erfüllen sie in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine wichtige Rolle. Nun sterben die letzten Holocaust-Überlebende eines natürlichen Todes und die Verantwortung über ihr Vermächtnis wandert nach und nach in die Hände verschiedener Institutionen. Das ist kein einfacher Prozess: Zeitzeuginnen und Zeitzeugen bieten zwar nur eine von vielen Perspektiven auf die Geschichte an, aber sie können als Korrektiv wirken und als wichtige Mahner – von Mensch zu Mensch.

Die Ausstellung “Ende der Zeitzeugenschaft” in der Neuen Synagoge in Berlin widmet sich der Frage, wie Museen, Gedenkstätten und andere Institutionen mit den literarischen Zeugnissen und Videointerviews der Überlebenden verantwortungsvoll umgehen können. Sie ist aus einer Kooperation des Jüdischen Museums Hohenems und der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg in Zusammenarbeit mit der Stiftung Neue Synagoge Berlin entstanden. Die Ausstellung stellt die Zeitzeugen zudem in einen historischen Kontext: In Deutschland kamen die Überlebenden erst in den 1980er Jahren verstärkt zu Wort. 

Zeitzeuge sein: Nie ohne Kontext

Nicht immer waren Zeitzeuginnen und Zeitzeugen so sehr in der Öffentlichkeit präsent wie in den vergangenen Jahren: Die junge Anita Lasker-Wallfisch etwa sprach 1945 in einem Interview mit der BBC als eine von nur wenigen Holocaust-Überlebenden. Sehr wichtige Grundlagenarbeit leistete rund um das Kriegsende die Zentrale Jüdische Kommission, die 1944 in Lodz gegründet wurde: Sie führte zwischen 1944 und 1947 hunderte Interviews mit Überlebenden und erstellte zudem Anleitungen und Fragebögen für den Umgang mit den traumatisierten Gesprächspartnern. 

Dokumentiert wurde das Grauen der Konzentrationslager in Osteuropa in erster Linie durch die Rote Armee, die Streitkräfte der Sowjetunion, die unter anderem das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau befreite. Auch einige westliche Fotojournalisten trugen wichtige Bilddokumente bei. Sehr bekannt sind etwa die Fotos nach der Befreiung des KZ Buchenwald, die Eric Schwab und Meyer Levin für die französische Nachrichtenagentur Agence France Presse machten.

Doch Zeitzeugen und ihre Berichte waren bis weit in die 1960er Jahre hinein vor allem Teil der juristischen Beweisführung: Ob bei den Nürnberger Prozessen von 1945 bis 1949, dem Majdanek-Prozess von 1944 bis 1981, den Prozessen von Jerusalem 1961 oder den Auschwitz-Prozessen in Frankfurt am Main von 1963 bis 1968.

Während in den 1970er Jahren ein großer Fokus auf den Tätern lag – etwa auf dem ehemaligen Marineoffizier Karl Dönitz, einer der Angeklagten im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher -, stieß erst die US-amerikanische TV-Serie “Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiß” ab 1979 in Deutschland eine breite gesamtgesellschaftliche Debatte über die Opfer an.

Fortan fanden Zeitzeuginnen und Zeitzeugen mehr Gehör – in der Öffentlichkeit, aber auch in der Geschichtsschreibung. Dabei ging es auch darum, einer falschen Historisierung des Holocausts durch rechte Kreise entgegenzuwirken. Gleichzeitig erhoben Überlebende wie Margot Friedländer,Anita Lasker-Wallfisch oder Esther Bejarano ihre Stimme – und wurden zu moralischen Autoritäten.

Historikerinnen und Historiker wissen um die großen Herausforderungen bei der Auswertung von Zeitzeugnissen: Sie bergen wertvolle Informationen, wichtige Einordnungen, aber auch einige Stolperfallen. So stimmt faktisches Wissen mit den Erinnerung der Zeugen manchmal nicht überein. 

Um Missbrauch entgegenzuwirken, ist ein breiteres Wissen vonnöten. Auch deswegen widmet sich die Ausstellung der Frage, welche Rolle den Überlebenden seitens der Öffentlichkeit, der Zuhörenden oder den Institutionen zugeschrieben wurde. Sie blickt auf die Absichten der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen und hinterfragt gleichzeitig die “Gemachtheit” der Interviews, die Rolle der Interviewenden und die gesellschaftliche Erwartungshaltung.

Für die Ausstellung wurden auch neue Interviews mit Holocaust-Überlebenden geführt: Neben ausgewählten Tönen ist es auch möglich, die Interviews ungeschnitten in kompletter Länge und im Originalton zu hören. Auch so versucht die Ausstellung, ein Bewusstsein schaffen, dass Ausschnitte eben nicht für das Ganze stehen können – und stark von der jeweiligen Intention ihres Einsatzes abhängen.

Diese Antwort kann auch die Ausstellung nicht geben. Sie macht aber deutlich, wie sehr Erinnerung und ihr jeweiliger gesellschaftlicher Kontext zusammenhängen. Das heutige Erinnern an die Schoah wird aus ganz unterschiedlichen Perspektiven gespeist, von denen auch die Ausstellung einige aufzeigt. Unter anderem lässt sie junge Menschen in Interviews zu Wort kommen. 

Der 31-jährige aus Tadschikistan stammende Berliner Artur Bakaev kritisiert beispielsweise, dass Juden auch heutzutage noch als Opfer dargestellt würden. Das Erinnern werde instrumentalisiert: “Es soll einen Zweck erfüllen, irgendwie Deutschland zu entlasten oder was auch immer zu machen, und es wird gar nicht richtig hingeguckt oder zugehört, was es eigentlich für Leute sind, um die es geht.” Damit weist die Ausstellung auch in eine ungewisse Zukunft: Neue Generationen werden die Stimmen der Verstorbenen zwar hören, aber trotzdem eigene Antworten finden müssen.

Schriftzug Täter - Opfer - Zeugen hinter einem Glaskasten mit einem so genannten Erinnerungskästchen aus der Gedenkstätte Buchenwald in der Ausstellung Ende der Zeitzeugenschaft? in der Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum.
Mann in einer Grube mit ausgemergelten Leichen, KZ Bergen-Belsen, im April 1945
Schautafel mit Lageplan der Konzentrationslager an der Wand des Gerichtssaals im Justizpalast beim Nürnberger Kriegsverbrecherprozess 1945.

Sie haben unermessliches Leid und Grausamkeit erfahren – und doch überlebt. Als Zeitzeugen und auch als Mahner erfüllen sie in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine wichtige Rolle. Nun sterben die letzten Holocaust-Überlebende eines natürlichen Todes und die Verantwortung über ihr Vermächtnis wandert nach und nach in die Hände verschiedener Institutionen. Das ist kein einfacher Prozess: Zeitzeuginnen und Zeitzeugen bieten zwar nur eine von vielen Perspektiven auf die Geschichte an, aber sie können als Korrektiv wirken und als wichtige Mahner – von Mensch zu Mensch.

“Nie wieder!” Dieser Schwur ist in verschiedenen Sprachen in der Gedenkstätte des früheren Konzentrationslagers Dachau in Stein gemeißelt. Es ist die zentrale Leitlinie deutscher Innen- und Außenpolitik: um Antisemitismus entgegenzutreten, das Existenzrecht des Staates Israels zu verteidigen, um zu erinnern an die grausamen Entscheidungen und Taten der Nationalsozialisten, und an die vielen, die sie unterstützten.

Zeitzeuge sein: Nie ohne Kontext

Die Ausstellung “Ende der Zeitzeugenschaft” in der Neuen Synagoge in Berlin widmet sich der Frage, wie Museen, Gedenkstätten und andere Institutionen mit den literarischen Zeugnissen und Videointerviews der Überlebenden verantwortungsvoll umgehen können. Sie ist aus einer Kooperation des Jüdischen Museums Hohenems und der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg in Zusammenarbeit mit der Stiftung Neue Synagoge Berlin entstanden. Die Ausstellung stellt die Zeitzeugen zudem in einen historischen Kontext: In Deutschland kamen die Überlebenden erst in den 1980er Jahren verstärkt zu Wort. 

Nicht immer waren Zeitzeuginnen und Zeitzeugen so sehr in der Öffentlichkeit präsent wie in den vergangenen Jahren: Die junge Anita Lasker-Wallfisch etwa sprach 1945 in einem Interview mit der BBC als eine von nur wenigen Holocaust-Überlebenden. Sehr wichtige Grundlagenarbeit leistete rund um das Kriegsende die Zentrale Jüdische Kommission, die 1944 in Lodz gegründet wurde: Sie führte zwischen 1944 und 1947 hunderte Interviews mit Überlebenden und erstellte zudem Anleitungen und Fragebögen für den Umgang mit den traumatisierten Gesprächspartnern. 

Dokumentiert wurde das Grauen der Konzentrationslager in Osteuropa in erster Linie durch die Rote Armee, die Streitkräfte der Sowjetunion, die unter anderem das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau befreite. Auch einige westliche Fotojournalisten trugen wichtige Bilddokumente bei. Sehr bekannt sind etwa die Fotos nach der Befreiung des KZ Buchenwald, die Eric Schwab und Meyer Levin für die französische Nachrichtenagentur Agence France Presse machten.

Doch Zeitzeugen und ihre Berichte waren bis weit in die 1960er Jahre hinein vor allem Teil der juristischen Beweisführung: Ob bei den Nürnberger Prozessen von 1945 bis 1949, dem Majdanek-Prozess von 1944 bis 1981, den Prozessen von Jerusalem 1961 oder den Auschwitz-Prozessen in Frankfurt am Main von 1963 bis 1968.

Holocaust-Überlebende im Zeugenstand

Während in den 1970er Jahren ein großer Fokus auf den Tätern lag – etwa auf dem ehemaligen Marineoffizier Karl Dönitz, einer der Angeklagten im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher -, stieß erst die US-amerikanische TV-Serie “Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiß” ab 1979 in Deutschland eine breite gesamtgesellschaftliche Debatte über die Opfer an.

Zeitzeugen als moralische Instanzen

Fortan fanden Zeitzeuginnen und Zeitzeugen mehr Gehör – in der Öffentlichkeit, aber auch in der Geschichtsschreibung. Dabei ging es auch darum, einer falschen Historisierung des Holocausts durch rechte Kreise entgegenzuwirken. Gleichzeitig erhoben Überlebende wie Margot Friedländer,Anita Lasker-Wallfisch oder Esther Bejarano ihre Stimme – und wurden zu moralischen Autoritäten.

Historikerinnen und Historiker wissen um die großen Herausforderungen bei der Auswertung von Zeitzeugnissen: Sie bergen wertvolle Informationen, wichtige Einordnungen, aber auch einige Stolperfallen. So stimmt faktisches Wissen mit den Erinnerung der Zeugen manchmal nicht überein. 

Um Missbrauch entgegenzuwirken, ist ein breiteres Wissen vonnöten. Auch deswegen widmet sich die Ausstellung der Frage, welche Rolle den Überlebenden seitens der Öffentlichkeit, der Zuhörenden oder den Institutionen zugeschrieben wurde. Sie blickt auf die Absichten der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen und hinterfragt gleichzeitig die “Gemachtheit” der Interviews, die Rolle der Interviewenden und die gesellschaftliche Erwartungshaltung.

Neue Verantwortung für Institutionen im Umgang mit Zeitzeugnissen

Für die Ausstellung wurden auch neue Interviews mit Holocaust-Überlebenden geführt: Neben ausgewählten Tönen ist es auch möglich, die Interviews ungeschnitten in kompletter Länge und im Originalton zu hören. Auch so versucht die Ausstellung, ein Bewusstsein schaffen, dass Ausschnitte eben nicht für das Ganze stehen können – und stark von der jeweiligen Intention ihres Einsatzes abhängen.

Diese Antwort kann auch die Ausstellung nicht geben. Sie macht aber deutlich, wie sehr Erinnerung und ihr jeweiliger gesellschaftlicher Kontext zusammenhängen. Das heutige Erinnern an die Schoah wird aus ganz unterschiedlichen Perspektiven gespeist, von denen auch die Ausstellung einige aufzeigt. Unter anderem lässt sie junge Menschen in Interviews zu Wort kommen. 

Und was passiert danach?

Der 31-jährige aus Tadschikistan stammende Berliner Artur Bakaev kritisiert beispielsweise, dass Juden auch heutzutage noch als Opfer dargestellt würden. Das Erinnern werde instrumentalisiert: “Es soll einen Zweck erfüllen, irgendwie Deutschland zu entlasten oder was auch immer zu machen, und es wird gar nicht richtig hingeguckt oder zugehört, was es eigentlich für Leute sind, um die es geht.” Damit weist die Ausstellung auch in eine ungewisse Zukunft: Neue Generationen werden die Stimmen der Verstorbenen zwar hören, aber trotzdem eigene Antworten finden müssen.

Zwei Frauen halten sich in den Armen und gehen gemeinsam einen Bahnsteig entlang.

Nachrichten

Ähnliche Artikel

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Überprüfen Sie auch
Schließen
Schaltfläche "Zurück zum Anfang"