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Stellt Russland die “Verteidiger von Mariupol” vors Kriegsgericht?

Kiew befürchtet Schauprozesse gegen ukrainische Soldaten zum Nationalfeiertag der Ukraine. Todesurteile würden gegen das Völkerrecht verstoßen. Gegen Angehörige des Asow-Regiments hätten sie besondere Symbolkraft.

Auf ihrem Telegram-Kanal hat die vertriebene Stadtverwaltung von Mariupol Fotos veröffentlicht, die angeblich Käfige in der dortigen Philharmonie zeigen. Weiter heißt es in dem Post, die russischen Besatzer planten ein Tribunal gegen “die Verteidiger von Mariupol” – also Kriegsgefangene aus dem berüchtigten “Regiment Asow”. Bürgermeister Wadym Bojtschenko bittet die internationale Gemeinschaft um Hilfe, “ein zweites Oleniwka”, also ein weiteres Massaker an ukrainischen Soldaten, zu verhindern.

In dem mutmaßlichen Foltergefängnis in der Ortschaft Oleniwka nahe Donezk waren Ende Juli 50 ukrainische Kriegsgefangene verbrannt. Russland sagt, sie seien Opfer eines ukrainischen Raketenangriffs geworden, die Ukraine sagt, russische Söldner hätten das Feuer gelegt, um Folterspuren zu vernichten.

Auf ihrem Telegram-Kanal hat die vertriebene Stadtverwaltung von Mariupol Fotos veröffentlicht, die angeblich Käfige in der dortigen Philharmonie zeigen. Weiter heißt es in dem Post, die russischen Besatzer planten ein Tribunal gegen “die Verteidiger von Mariupol” – also Kriegsgefangene aus dem berüchtigten “Regiment Asow”. Bürgermeister Wadym Bojtschenko bittet die internationale Gemeinschaft um Hilfe, “ein zweites Oleniwka”, also ein weiteres Massaker an ukrainischen Soldaten, zu verhindern.

Ende Mai hatten sich nach wochenlanger Belagerung der Hafenstadt Mariupol die letzten ukrainischen Soldaten im dortigen “Asovstal”-Werk ergeben. Einige der Kämpfer sind mittlerweile beim Austausch von Gefangenen zwischen Russland und der Ukraine freigekommen.

Prozessauftakt mit besonderer Symbolik

Doch nach wie vor befinden sich rund 2500 Soldaten des Asow-Regiment in russischer Kriegsgefangenschaft, wo sie laut freigelassenen Kameraden massiv gefoltert werden. Nun, befürchten ukrainische Politiker, könnte ihnen die selbsternannte Volksrepublik Donezk (DNR) den Prozess machen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mutmaßte, der Prozess könnte an diesem Mittwoch (24.08.2022) beginnen – an dem Tag, an dem die Ukraine den 31. Jahrestag der Unabhängigkeit von der Sowjetunion feiert und der Krieg gegen Russland genau ein halbes Jahr andauert.

In Russland gibt es zwar offiziell keine Todesstrafe, die DNR dagegen hat bereits ausländische Kämpfer in der Ukraine wegen angeblicher Umsturzversuche und Terrorismus zum Tode verurteilt. Und Russland hat das Regiment Asow Anfang August zu einer Terrororganisation erklärt. Außerdem wirft es dem Asow-Regiment Kriegsverbrechen vor.

Die Hinrichtung von Kriegsgefangenen würde – genau wie Folter oder Misshandlung – gegen die Genfer Konventionen verstoßen. Doch nicht nur deshalb hätten Todesurteile gegen die “Verteidiger von Mariupol” eine besondere Symbolik für alle Kriegsparteien. Das Regiment Asow war schon lange vor dem Ukrainekrieg eine spezielle Einheit.

Das “Bataillon Asow” wurde im Mai 2014 in der Stadt Berdjansk, rund 25 Kilometer südwestlich von Mariupol, als Freiwilligenkorps gegründet. Damals hatten prorussische Separatisten gerade die ukrainischen Oblaste Luhansk und Donezk zu unabhängigen Volksrepubliken erklärt. Das Bataillon Asow unterstützte die ukrainische Armee bei der Rückeroberung, insbesondere der Hafenstadt Mariupol. Die damals etwa 1000 Kämpfer verfügten über eigene Artillerie und Panzer. Ende 2014 wurden sie als Regiment in die Streitkräfte der Ukraine integriert.

Die Mitglieder entstammten zumeist einer kleinen, aber aktiven Gruppe ukrainischer Rechtsextremer, dem sogenannten “Rechten Sektor”. Der Gründer Andrij Bilezkyj, ein damals 34-jähriger Geschichtsabsolvent der Nationalen Universität Charkiw, und weitere zentrale Figuren stammten aus der Ostukraine, waren russischsprachig und plädierten ursprünglich für die Einigkeit von Russen, Belarussen und Ukrainern. “Es waren Gruppen, die man in Deutschland als freie Kameradschaften beschreiben würde”, sagt Andreas Umland, Experte am Stockholmer Zentrum für Osteuropa-Studien.

Umstritten ist das Asow-Regiment auch wegen der Wolfsangel auf seinem Wappen. “Die Wolfsangel hat eine rechtsradikale Konnotation, es ist ein heidnisches Symbol, das auch die SS verwendete”, sagt Umland. “Es wird in der Ukraine von der Bevölkerung aber nicht als faschistisches Symbol betrachtet.” Das Regiment Asow interpretiert das Symbol als Stilisierung der Buchstaben N und I, die für “nationale Idee” stehen sollen.

Offenbar hat nicht nur das umstrittene Wappen die Eingliederung in die ukrainische Armee überdauert. Eine Initiative im US-Kongress, das Regiment wegen einer mutmaßlichen Nähe zu neonazistischen Ideologien als “terroristische Organisation” einzustufen, scheiterte im Jahr 2019 zwar. Allerdings geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Bundestagsfraktion “Die Linke” aus dem Jahr 2021 hervor, dass die Gruppe weiter Kontakte zu rechtsextremen Szenen im Ausland pflegt.

All dies rückt den vielfach als heldenhaft angesehen Widerstand im Stahlwerk Mariupol in ein Zwielicht, den Osteuropa-Experte Umland so erklärt: “Normalerweise betrachten wir Rechtsextremismus als etwas Gefährliches, was zum Krieg führen kann.” In der Ukraine dagegen habe der Krieg zum Aufstieg und zu der Verwandlung marginaler Kameradschaften in eine politische Bewegung geführt. Der Einfluss der rechten Strömungen auf die Gesellschaft werde jedoch überbewertet. Die meisten Ukrainer sähen in den Kämpfern Verteidiger gegen einen übermächtigen Angreifer. 

Der “Mythos um Asow”, sagt Umland, gehe in Teilen aber auch auf russische Propaganda zurück. Die Existenz des mutmaßlich rechtsextremen Regiments in den Reihen der ukrainischen Armee gilt Russlands Präsident Wladimir Putin als Beweis für seine Behauptung, die Ukraine werde von Faschisten beherrscht, von denen das Volk zu befreien sei. Mit einer Vernichtung des Asow-Regiments wäre also gewissermaßen ein Kriegsziel erreicht.

Zwei erschöpfte Männer in Uniformen in einem Linienbus
Soldaten stehen um einen hölzernen Sarg, auf dem die Wolfsangel des Asow-Regiments zu sehen ist

Auf ihrem Telegram-Kanal hat die vertriebene Stadtverwaltung von Mariupol Fotos veröffentlicht, die angeblich Käfige in der dortigen Philharmonie zeigen. Weiter heißt es in dem Post, die russischen Besatzer planten ein Tribunal gegen “die Verteidiger von Mariupol” – also Kriegsgefangene aus dem berüchtigten “Regiment Asow”. Bürgermeister Wadym Bojtschenko bittet die internationale Gemeinschaft um Hilfe, “ein zweites Oleniwka”, also ein weiteres Massaker an ukrainischen Soldaten, zu verhindern.

In dem mutmaßlichen Foltergefängnis in der Ortschaft Oleniwka nahe Donezk waren Ende Juli 50 ukrainische Kriegsgefangene verbrannt. Russland sagt, sie seien Opfer eines ukrainischen Raketenangriffs geworden, die Ukraine sagt, russische Söldner hätten das Feuer gelegt, um Folterspuren zu vernichten.

Prozessauftakt mit besonderer Symbolik

Ende Mai hatten sich nach wochenlanger Belagerung der Hafenstadt Mariupol die letzten ukrainischen Soldaten im dortigen “Asovstal”-Werk ergeben. Einige der Kämpfer sind mittlerweile beim Austausch von Gefangenen zwischen Russland und der Ukraine freigekommen.

Doch nach wie vor befinden sich rund 2500 Soldaten des Asow-Regiment in russischer Kriegsgefangenschaft, wo sie laut freigelassenen Kameraden massiv gefoltert werden. Nun, befürchten ukrainische Politiker, könnte ihnen die selbsternannte Volksrepublik Donezk (DNR) den Prozess machen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mutmaßte, der Prozess könnte an diesem Mittwoch (24.08.2022) beginnen – an dem Tag, an dem die Ukraine den 31. Jahrestag der Unabhängigkeit von der Sowjetunion feiert und der Krieg gegen Russland genau ein halbes Jahr andauert.

In Russland gibt es zwar offiziell keine Todesstrafe, die DNR dagegen hat bereits ausländische Kämpfer in der Ukraine wegen angeblicher Umsturzversuche und Terrorismus zum Tode verurteilt. Und Russland hat das Regiment Asow Anfang August zu einer Terrororganisation erklärt. Außerdem wirft es dem Asow-Regiment Kriegsverbrechen vor.

Nationalisten mit umstrittener Symbolik

Die Hinrichtung von Kriegsgefangenen würde – genau wie Folter oder Misshandlung – gegen die Genfer Konventionen verstoßen. Doch nicht nur deshalb hätten Todesurteile gegen die “Verteidiger von Mariupol” eine besondere Symbolik für alle Kriegsparteien. Das Regiment Asow war schon lange vor dem Ukrainekrieg eine spezielle Einheit.

“Mythos um Asow”

Das “Bataillon Asow” wurde im Mai 2014 in der Stadt Berdjansk, rund 25 Kilometer südwestlich von Mariupol, als Freiwilligenkorps gegründet. Damals hatten prorussische Separatisten gerade die ukrainischen Oblaste Luhansk und Donezk zu unabhängigen Volksrepubliken erklärt. Das Bataillon Asow unterstützte die ukrainische Armee bei der Rückeroberung, insbesondere der Hafenstadt Mariupol. Die damals etwa 1000 Kämpfer verfügten über eigene Artillerie und Panzer. Ende 2014 wurden sie als Regiment in die Streitkräfte der Ukraine integriert.

Die Mitglieder entstammten zumeist einer kleinen, aber aktiven Gruppe ukrainischer Rechtsextremer, dem sogenannten “Rechten Sektor”. Der Gründer Andrij Bilezkyj, ein damals 34-jähriger Geschichtsabsolvent der Nationalen Universität Charkiw, und weitere zentrale Figuren stammten aus der Ostukraine, waren russischsprachig und plädierten ursprünglich für die Einigkeit von Russen, Belarussen und Ukrainern. “Es waren Gruppen, die man in Deutschland als freie Kameradschaften beschreiben würde”, sagt Andreas Umland, Experte am Stockholmer Zentrum für Osteuropa-Studien.

Umstritten ist das Asow-Regiment auch wegen der Wolfsangel auf seinem Wappen. “Die Wolfsangel hat eine rechtsradikale Konnotation, es ist ein heidnisches Symbol, das auch die SS verwendete”, sagt Umland. “Es wird in der Ukraine von der Bevölkerung aber nicht als faschistisches Symbol betrachtet.” Das Regiment Asow interpretiert das Symbol als Stilisierung der Buchstaben N und I, die für “nationale Idee” stehen sollen.

Offenbar hat nicht nur das umstrittene Wappen die Eingliederung in die ukrainische Armee überdauert. Eine Initiative im US-Kongress, das Regiment wegen einer mutmaßlichen Nähe zu neonazistischen Ideologien als “terroristische Organisation” einzustufen, scheiterte im Jahr 2019 zwar. Allerdings geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Bundestagsfraktion “Die Linke” aus dem Jahr 2021 hervor, dass die Gruppe weiter Kontakte zu rechtsextremen Szenen im Ausland pflegt.

All dies rückt den vielfach als heldenhaft angesehen Widerstand im Stahlwerk Mariupol in ein Zwielicht, den Osteuropa-Experte Umland so erklärt: “Normalerweise betrachten wir Rechtsextremismus als etwas Gefährliches, was zum Krieg führen kann.” In der Ukraine dagegen habe der Krieg zum Aufstieg und zu der Verwandlung marginaler Kameradschaften in eine politische Bewegung geführt. Der Einfluss der rechten Strömungen auf die Gesellschaft werde jedoch überbewertet. Die meisten Ukrainer sähen in den Kämpfern Verteidiger gegen einen übermächtigen Angreifer. 

Der “Mythos um Asow”, sagt Umland, gehe in Teilen aber auch auf russische Propaganda zurück. Die Existenz des mutmaßlich rechtsextremen Regiments in den Reihen der ukrainischen Armee gilt Russlands Präsident Wladimir Putin als Beweis für seine Behauptung, die Ukraine werde von Faschisten beherrscht, von denen das Volk zu befreien sei. Mit einer Vernichtung des Asow-Regiments wäre also gewissermaßen ein Kriegsziel erreicht.

Rund 10 vorwiegend junge Frauen mit Plakaten auf Englisch, z.B.: Rettet die Helden von Asow-Stahl

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