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Sergej Tichanowski in Belarus wieder vor Gericht

In der Nähe von Minsk beginnt ein weiterer Prozess gegen den belarussischen Oppositionellen Sergej Tichanowski. Was wirft ihm das Lukaschenko-Regime vor und welche Strafen drohen dem Videoblogger?

Am Dienstag beginnt in Schodino in der Region Minsk ein weiterer Prozess gegen den belarussischen Videoblogger Sergej Tichanowski. Der Ehemann der Ex-Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja war bereits im Dezember 2021 zu 18 Jahren Haft verurteilt worden und wurde später von Menschenrechtlern als politischer Gefangener anerkannt. Nun wird ihm wiederholter Ungehorsam gegenüber Gefängniswärtern vorgeworfen. Bei einem Schuldspruch drohen ihm zwei weitere Jahre Haft.

Für viele war es eine Überraschung, als Sergej Tichanowski im Jahr 2020 die politische Bühne in Belarus betrat. Bis dahin war er nur einem kleinen Kreis politisch engagierter Belarussen mit seinem YouTube-Kanal “Ein Land zum Leben” bekannt. Zusammen mit einem kleinen Team war Tichanowski durch das Land gereist und hatte in Videos erzählt, mit welchen Problemen einfache Bürger in der Provinz zu kämpfen haben. Ohne jegliche Zensur konnten die Menschen vor der Kamera ihre Meinung äußern.

Am Dienstag beginnt in Schodino in der Region Minsk ein weiterer Prozess gegen den belarussischen Videoblogger Sergej Tichanowski. Der Ehemann der Ex-Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja war bereits im Dezember 2021 zu 18 Jahren Haft verurteilt worden und wurde später von Menschenrechtlern als politischer Gefangener anerkannt. Nun wird ihm wiederholter Ungehorsam gegenüber Gefängniswärtern vorgeworfen. Bei einem Schuldspruch drohen ihm zwei weitere Jahre Haft.

Am 7. Mai 2020 erschien dann ein Video, in dem Tichanowski seine Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen ankündigte. Dabei verbüßte er zu diesem Zeitpunkt bereits eine Verwaltungshaft, denn dem Regime von Machthaber Alexander Lukaschenko war die wachsende Popularität des Bloggers ein Dorn im Auge. Folgerichtig konnte Tichanowski die Dokumente, die bei der Zentralen Wahlkommission auf Zulassung als Präsidentschaftskandidat eingereicht werden müssen, unter diesen Umständen nicht unterzeichnen.

Ein Blogger, der Präsident werden wollte

Aus diesem Grund stellte seine Ehefrau Swetlana Tichanowskaja ihren Antrag als Präsidentschaftskandidatin. Sie wurde zugelassen. Damals hatte niemand ernsthaft damit gerechnet, dass so viele Belarussen für die unbekannte Frau stimmen würden. Soziologen zufolge votierte für sie eine große Mehrheit der oppositionellen Wähler nach dem Motto “für Tichanowskaja stimmen, weil sie gegen Lukaschenko ist”.

Am 29. Mai 2020 wurde Tichanowski, als er schon seine Verwaltungshaft abgesessen hatte, in Grodno während einer Unterschriftensammlung für die Nominierung seiner Frau als Präsidentschaftskandidatin festgenommen. Dabei wurde eine Rangelei mit einem Polizisten inszeniert, was für ein Strafverfahren wegen Körperverletzung verwendet wurde. Später wurde Tichanowski zudem vorgeworfen, Proteste und Unruhen organisiert, zu Hass aufgestachelt und die Arbeit der Zentralen Wahlkommission behindert zu haben.

Nach den Wahlen im August 2020, denen Massendemonstrationen wegen Wahlfälschung und eine brutale Unterdrückung der Opposition durch das Regime folgten, traf sich Lukaschenko im Oktober 2020 vor dem Hintergrund anhaltender Proteste mit inhaftierten Oppositionellen. Unter ihnen war auch Sergej Tichanowski. Wie Augenzeugen und auch das Staatsfernsehen berichteten, zeigte sich Tichanowski dem belarussischen Machthaber gegenüber selbstbewusst, duzte ihn sogar und stellte kritische Fragen. Er kritisierte, wie man überhaupt einen Dialog führen könne, wenn Vertreter einer der Seiten hinter Gittern sitzen würden.

“Tichanowski blieb sich treu”, sagte damals der Jurist Ilja Salej der belarussischen Zeitung “Nascha Niwa”. Er habe bei dem Treffen wissen wollen, warum ihm die Polizei bei einer Hausdurchsuchung Geld in Millionenhöhe untergeschoben habe, was Grund für die damalige Verwaltungshaft war. Alexander Lukaschenko rügte ihn daraufhin, er solle “den Präsidenten nicht unterbrechen”. Darauf antwortete Tichanowski, seine Frau sei gewählte Präsidentin des Landes. “Dann bitten Sie Ihre Frau um Freilassung”, erwiderte Lukaschenko.

Der Prozess gegen Tichanowski begann am 24. Juni 2021. Um seine Unterstützer und die Presse fernzuhalten, fand er in einem Untersuchungsgefängnis in Gomel hinter verschlossenen Türen statt. Zu diesem Zeitpunkt war Tichanowskis Anwalt bereits die Zulassung entzogen worden. Am 14. Dezember 2021 wurde der Blogger unter anderem der Organisation von Massenunruhen und der Anstiftung zum sozialen Hass für schuldig befunden und zu 18 Jahren strenger Haft in einem Hochsicherheitsgefängnis verurteilt.

Tichanowski sitzt in einem Gefängnis nahe Mogiljow. Es ist dafür bekannt, dass politische Gefangene erst einmal in eine Strafzelle kommen. An Tichanowski sehe man, so Menschenrechtler, wie Gefangene unter Druck gesetzt würden. So seien in der Zelle des Bloggers Provokateure untergebracht worden. Zudem habe man Tichanowskis Gespräche mit seinem Anwalt abgehört.

Wegen angeblicher Verstöße gegen die Ordnung im Gefängnis wurde Tichanowski mit immer härteren Haftbedingungen bestraft und auch in eine Einzelzelle verlegt. Nach Erkenntnissen von Menschenrechtlern wird dabei immer ein bekanntes Muster angewandt: ein Strafverfahren nach Artikel 411 des Strafgesetzbuchs wegen böswilligen Ungehorsams gegenüber Mitarbeitern einer Justizvollzugsanstalt.

“Für ein und dieselben Verstöße kann ein Gefangener entweder eine Haft in einer Strafzelle oder härtere Haftbedingungen erhalten oder eine zusätzliche Haftstrafe von bis zu zwei Jahren Gefängnis”, erläutert Pawel Sapelko, Jurist des belarussischen Menschenrechtszentrum “Wjasna” (zu Deutsch: Frühling). Letzteres dürfte Tichanowski nun bevorstehen. Seine Frau Swetlana sagt: “Sergej wird ein charismatischer und intelligenter Anführer bleiben, egal wie viele Jahre Haft man ihm aufschreiben wird.”

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

Anhänger von Sergej Tichanowski demonstrieren im August 2020 mit einem Plakat Ein Land zum Leben für seine Freilassung
Machthaber Alexander Lukaschenko sitzt an einem Tisch mit belarussischen Flaggen im Hintergrund

Am Dienstag beginnt in Schodino in der Region Minsk ein weiterer Prozess gegen den belarussischen Videoblogger Sergej Tichanowski. Der Ehemann der Ex-Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja war bereits im Dezember 2021 zu 18 Jahren Haft verurteilt worden und wurde später von Menschenrechtlern als politischer Gefangener anerkannt. Nun wird ihm wiederholter Ungehorsam gegenüber Gefängniswärtern vorgeworfen. Bei einem Schuldspruch drohen ihm zwei weitere Jahre Haft.

Für viele war es eine Überraschung, als Sergej Tichanowski im Jahr 2020 die politische Bühne in Belarus betrat. Bis dahin war er nur einem kleinen Kreis politisch engagierter Belarussen mit seinem YouTube-Kanal “Ein Land zum Leben” bekannt. Zusammen mit einem kleinen Team war Tichanowski durch das Land gereist und hatte in Videos erzählt, mit welchen Problemen einfache Bürger in der Provinz zu kämpfen haben. Ohne jegliche Zensur konnten die Menschen vor der Kamera ihre Meinung äußern.

Ein Blogger, der Präsident werden wollte

Am 7. Mai 2020 erschien dann ein Video, in dem Tichanowski seine Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen ankündigte. Dabei verbüßte er zu diesem Zeitpunkt bereits eine Verwaltungshaft, denn dem Regime von Machthaber Alexander Lukaschenko war die wachsende Popularität des Bloggers ein Dorn im Auge. Folgerichtig konnte Tichanowski die Dokumente, die bei der Zentralen Wahlkommission auf Zulassung als Präsidentschaftskandidat eingereicht werden müssen, unter diesen Umständen nicht unterzeichnen.

Aus diesem Grund stellte seine Ehefrau Swetlana Tichanowskaja ihren Antrag als Präsidentschaftskandidatin. Sie wurde zugelassen. Damals hatte niemand ernsthaft damit gerechnet, dass so viele Belarussen für die unbekannte Frau stimmen würden. Soziologen zufolge votierte für sie eine große Mehrheit der oppositionellen Wähler nach dem Motto “für Tichanowskaja stimmen, weil sie gegen Lukaschenko ist”.

Am 29. Mai 2020 wurde Tichanowski, als er schon seine Verwaltungshaft abgesessen hatte, in Grodno während einer Unterschriftensammlung für die Nominierung seiner Frau als Präsidentschaftskandidatin festgenommen. Dabei wurde eine Rangelei mit einem Polizisten inszeniert, was für ein Strafverfahren wegen Körperverletzung verwendet wurde. Später wurde Tichanowski zudem vorgeworfen, Proteste und Unruhen organisiert, zu Hass aufgestachelt und die Arbeit der Zentralen Wahlkommission behindert zu haben.

Nach den Wahlen im August 2020, denen Massendemonstrationen wegen Wahlfälschung und eine brutale Unterdrückung der Opposition durch das Regime folgten, traf sich Lukaschenko im Oktober 2020 vor dem Hintergrund anhaltender Proteste mit inhaftierten Oppositionellen. Unter ihnen war auch Sergej Tichanowski. Wie Augenzeugen und auch das Staatsfernsehen berichteten, zeigte sich Tichanowski dem belarussischen Machthaber gegenüber selbstbewusst, duzte ihn sogar und stellte kritische Fragen. Er kritisierte, wie man überhaupt einen Dialog führen könne, wenn Vertreter einer der Seiten hinter Gittern sitzen würden.

Wie Tichanowski auf Lukaschenko traf

“Tichanowski blieb sich treu”, sagte damals der Jurist Ilja Salej der belarussischen Zeitung “Nascha Niwa”. Er habe bei dem Treffen wissen wollen, warum ihm die Polizei bei einer Hausdurchsuchung Geld in Millionenhöhe untergeschoben habe, was Grund für die damalige Verwaltungshaft war. Alexander Lukaschenko rügte ihn daraufhin, er solle “den Präsidenten nicht unterbrechen”. Darauf antwortete Tichanowski, seine Frau sei gewählte Präsidentin des Landes. “Dann bitten Sie Ihre Frau um Freilassung”, erwiderte Lukaschenko.

Immer härtere Haftbedingungen für Oppositionelle

Der Prozess gegen Tichanowski begann am 24. Juni 2021. Um seine Unterstützer und die Presse fernzuhalten, fand er in einem Untersuchungsgefängnis in Gomel hinter verschlossenen Türen statt. Zu diesem Zeitpunkt war Tichanowskis Anwalt bereits die Zulassung entzogen worden. Am 14. Dezember 2021 wurde der Blogger unter anderem der Organisation von Massenunruhen und der Anstiftung zum sozialen Hass für schuldig befunden und zu 18 Jahren strenger Haft in einem Hochsicherheitsgefängnis verurteilt.

Tichanowski sitzt in einem Gefängnis nahe Mogiljow. Es ist dafür bekannt, dass politische Gefangene erst einmal in eine Strafzelle kommen. An Tichanowski sehe man, so Menschenrechtler, wie Gefangene unter Druck gesetzt würden. So seien in der Zelle des Bloggers Provokateure untergebracht worden. Zudem habe man Tichanowskis Gespräche mit seinem Anwalt abgehört.

Wegen angeblicher Verstöße gegen die Ordnung im Gefängnis wurde Tichanowski mit immer härteren Haftbedingungen bestraft und auch in eine Einzelzelle verlegt. Nach Erkenntnissen von Menschenrechtlern wird dabei immer ein bekanntes Muster angewandt: ein Strafverfahren nach Artikel 411 des Strafgesetzbuchs wegen böswilligen Ungehorsams gegenüber Mitarbeitern einer Justizvollzugsanstalt.

“Für ein und dieselben Verstöße kann ein Gefangener entweder eine Haft in einer Strafzelle oder härtere Haftbedingungen erhalten oder eine zusätzliche Haftstrafe von bis zu zwei Jahren Gefängnis”, erläutert Pawel Sapelko, Jurist des belarussischen Menschenrechtszentrum “Wjasna” (zu Deutsch: Frühling). Letzteres dürfte Tichanowski nun bevorstehen. Seine Frau Swetlana sagt: “Sergej wird ein charismatischer und intelligenter Anführer bleiben, egal wie viele Jahre Haft man ihm aufschreiben wird.”

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

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