Deutschland

Asyl für russische Deserteure in Deutschland?

Politiker fast aller Parteien in Deutschland wollen russischen Deserteuren Schutz bieten. Doch noch sind rechtliche Fragen ungeklärt – und die wichtigsten Fluchtrouten geschlossen.

Im Minutentakt gingen mittlerweile die Anfragen aus Russland ein, erzählt Wiebke Judith von Pro Asyl. “Menschen fragen, wie sie jetzt aus dem Land herauskommen. Seit der Bekanntmachung der Teilmobilisierung in Russland merken wir das extrem, sowohl auf unseren Social-Media-Kanälen als auch gegenüber unserem Beratungsteam”, so Judith im Gespräch mit der DW.

Doch viel Hoffnung können die Berater der Menschenrechtsorganisation den Anfragenden derzeit nicht machen. “Das Problem ist: Wie kommen sie überhaupt nach Europa?”, sagt Judith. “Denn die Fluchtwege sind sehr stark eingeschränkt. Umso mehr, als die angrenzenden EU-Staaten es fast unmöglich machen, noch über den Landweg einzureisen.”

Im Minutentakt gingen mittlerweile die Anfragen aus Russland ein, erzählt Wiebke Judith von Pro Asyl. “Menschen fragen, wie sie jetzt aus dem Land herauskommen. Seit der Bekanntmachung der Teilmobilisierung in Russland merken wir das extrem, sowohl auf unseren Social-Media-Kanälen als auch gegenüber unserem Beratungsteam”, so Judith im Gespräch mit der DW.

Estland, Lettland, Litauen und Polen verweigern Russen derzeit die Einreise. Nur über Finnland können sie auf dem Landweg in die EU gelangen, doch die Regierung in Helsinki erwägt Einreisebeschränkungen für russische Staatsbürger.

Schutz für Oppositionelle 

Gleichzeitig betonen Politiker fast aller großen deutschen Parteien, dass russische Deserteure in Deutschland willkommen seien. Auch Kriegsdienstverweigerer, also Menschen, die noch nicht zum Dienst eingezogen sind, sollten Asyl erhalten. So wollen es Vertreter der Regierungsparteien SPD, Grüne, FDP sowie zahlreiche Politiker aus den Reihen der oppositionellen Unionsparteien und der Linken.

“Es braucht einen Ort, an den sie fliehen können,” sagte der Grünen-Außenpolitiker Robin Wagener im englischen Nachrichtenprogramm der DW. Es sei auch für die Ukraine besser, wenn Russen vor dem Militärdienst flöhen, als wenn sie in den Kampf zögen. “Wir sollten offene Arme haben”, so Wagener. 

Dies gelte nicht nur für diejenigen, die sich nicht am russischen “Vernichtungskrieg” gegen die Ukraine beteiligen wollten. “Wir brauchen auch Möglichkeiten für die demokratische Opposition in Russland, nach Europa zu kommen. Damit sie von hier aus daran arbeiten kann, den Krieg zu stoppen, den Diktator zu stürzen und ein anderes Russland aufzubauen.” 

Es zeichne sich ab, dass es eine Fluchtbewegung nach Westen gebe, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag in Berlin. Nun suche man die Abstimmung mit EU-Partnern über den Umgang damit. Innerhalb der EU brauche es nun “eine tragfähige Lösung”. Die hatten einzelne Politiker der Ampel-Koalition bereits im Frühjahr gefordert. Doch in Fragen von Flucht und Migration hat sich die EU in den vergangenen Jahren selten einig gezeigt. 

“Wir brauchen Fluchtwege statt Lippenbekenntnisse der Politik”, sagt Wiebke Judith von Pro Asyl. “Es muss jetzt wirklich deutlich gemacht werden, welche Optionen es ganz konkret für die Menschen in Russland gibt und nicht einfach nur in den Raum gestellt werden, dass sie Schutz bekämen, würden sie es herschaffen. Da ist zu viel Konjunktiv drin.”

Auch russische Oppositionelle könnten nach geltender Rechtslage in Deutschland eine Chance auf Asyl haben – wenn sie es denn nach Deutschland schafften. “Aber da stellt sich wieder die Frage: Wie können sie das belegen? Welche Anforderungen werden konkret gestellt?”, so Judith. 

Zuständig für Asylanträge in Deutschland ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), das zum Bundesinnenministerium gehört. Im laufenden Jahr wurden bislang kaum mehr Anträge von russischen Staatsbürgern auf Asyl registriert als im Vorjahr, heißt es nach einer DW-Anfrage. Bislang lägen rund 1800 Asylanträge vor. Im Jahr 2021 waren es rund 2300. Auch seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine im Februar habe es keine signifikante Steigerung gegeben. 

Maximilian Kall, Sprecher des Innenministeriums, sagte, die Entscheidungspraxis des BAMF für Asylbewerber aus Russland sei bereits im April so geändert worden, “dass im Regelfall die Kriegsdienstverweigerung ein Schutzgrund ist.” Zusätzlich seien seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 438 russische Staatsangehörige aus humanitären Gründen aufgenommen worden. Darunter fallen etwa Oppositionelle oder Journalisten.

Dass einige Nachbarländer, wie zum Beispiel die baltischen Staaten, Polen oder Tschechien russischen Deserteuren kein Asyl gewähren wollen, löst im BAMF Erstaunen aus. Europäisches Recht gelte für alle Mitgliedsländer der EU. Gemeint ist damit, dass nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom November 2020 verfolgten Deserteuren grundsätzlich der volle Flüchtlingsschutz zusteht. Hintergrund waren andauernde Rechtsunklarheiten in mehreren Fällen von wehrpflichtigen syrischen Flüchtlingen, denen nach der Rechtsprechung des europäischen Gerichtes Asyl gewährt wurde.

Regierungssprecher Steffen Hebestreit machte an diesem Freitag klar, dass Anfang der kommenden Woche mit allen europäischen Partnerländern noch einmal über dieses Thema gesprochen werden müsse. Wiebke Judith von Pro Asyl hoffe, dass es nicht bei “politischen Signalen” bleibt, sondern Fluchtrouten für Menschen aus Russland nach Europa geöffnet werden.

DW News Still | Robin Wagener
Wiebke Judith von Pro Asyl
Russland BG Teilmobilmachung

Im Minutentakt gingen mittlerweile die Anfragen aus Russland ein, erzählt Wiebke Judith von Pro Asyl. “Menschen fragen, wie sie jetzt aus dem Land herauskommen. Seit der Bekanntmachung der Teilmobilisierung in Russland merken wir das extrem, sowohl auf unseren Social-Media-Kanälen als auch gegenüber unserem Beratungsteam”, so Judith im Gespräch mit der DW.

Doch viel Hoffnung können die Berater der Menschenrechtsorganisation den Anfragenden derzeit nicht machen. “Das Problem ist: Wie kommen sie überhaupt nach Europa?”, sagt Judith. “Denn die Fluchtwege sind sehr stark eingeschränkt. Umso mehr, als die angrenzenden EU-Staaten es fast unmöglich machen, noch über den Landweg einzureisen.”

Schutz für Oppositionelle 

Estland, Lettland, Litauen und Polen verweigern Russen derzeit die Einreise. Nur über Finnland können sie auf dem Landweg in die EU gelangen, doch die Regierung in Helsinki erwägt Einreisebeschränkungen für russische Staatsbürger.

Gleichzeitig betonen Politiker fast aller großen deutschen Parteien, dass russische Deserteure in Deutschland willkommen seien. Auch Kriegsdienstverweigerer, also Menschen, die noch nicht zum Dienst eingezogen sind, sollten Asyl erhalten. So wollen es Vertreter der Regierungsparteien SPD, Grüne, FDP sowie zahlreiche Politiker aus den Reihen der oppositionellen Unionsparteien und der Linken.

“Es braucht einen Ort, an den sie fliehen können,” sagte der Grünen-Außenpolitiker Robin Wagener im englischen Nachrichtenprogramm der DW. Es sei auch für die Ukraine besser, wenn Russen vor dem Militärdienst flöhen, als wenn sie in den Kampf zögen. “Wir sollten offene Arme haben”, so Wagener. 

Dies gelte nicht nur für diejenigen, die sich nicht am russischen “Vernichtungskrieg” gegen die Ukraine beteiligen wollten. “Wir brauchen auch Möglichkeiten für die demokratische Opposition in Russland, nach Europa zu kommen. Damit sie von hier aus daran arbeiten kann, den Krieg zu stoppen, den Diktator zu stürzen und ein anderes Russland aufzubauen.” 

Abstimmung in Brüssel nötig

Es zeichne sich ab, dass es eine Fluchtbewegung nach Westen gebe, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag in Berlin. Nun suche man die Abstimmung mit EU-Partnern über den Umgang damit. Innerhalb der EU brauche es nun “eine tragfähige Lösung”. Die hatten einzelne Politiker der Ampel-Koalition bereits im Frühjahr gefordert. Doch in Fragen von Flucht und Migration hat sich die EU in den vergangenen Jahren selten einig gezeigt. 

Bislang wenig Asylanträge

“Wir brauchen Fluchtwege statt Lippenbekenntnisse der Politik”, sagt Wiebke Judith von Pro Asyl. “Es muss jetzt wirklich deutlich gemacht werden, welche Optionen es ganz konkret für die Menschen in Russland gibt und nicht einfach nur in den Raum gestellt werden, dass sie Schutz bekämen, würden sie es herschaffen. Da ist zu viel Konjunktiv drin.”

Auch russische Oppositionelle könnten nach geltender Rechtslage in Deutschland eine Chance auf Asyl haben – wenn sie es denn nach Deutschland schafften. “Aber da stellt sich wieder die Frage: Wie können sie das belegen? Welche Anforderungen werden konkret gestellt?”, so Judith. 

Zuständig für Asylanträge in Deutschland ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), das zum Bundesinnenministerium gehört. Im laufenden Jahr wurden bislang kaum mehr Anträge von russischen Staatsbürgern auf Asyl registriert als im Vorjahr, heißt es nach einer DW-Anfrage. Bislang lägen rund 1800 Asylanträge vor. Im Jahr 2021 waren es rund 2300. Auch seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine im Februar habe es keine signifikante Steigerung gegeben. 

Deserteure genießen vollen Flüchtlingsschutz

Maximilian Kall, Sprecher des Innenministeriums, sagte, die Entscheidungspraxis des BAMF für Asylbewerber aus Russland sei bereits im April so geändert worden, “dass im Regelfall die Kriegsdienstverweigerung ein Schutzgrund ist.” Zusätzlich seien seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 438 russische Staatsangehörige aus humanitären Gründen aufgenommen worden. Darunter fallen etwa Oppositionelle oder Journalisten.

Dass einige Nachbarländer, wie zum Beispiel die baltischen Staaten, Polen oder Tschechien russischen Deserteuren kein Asyl gewähren wollen, löst im BAMF Erstaunen aus. Europäisches Recht gelte für alle Mitgliedsländer der EU. Gemeint ist damit, dass nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom November 2020 verfolgten Deserteuren grundsätzlich der volle Flüchtlingsschutz zusteht. Hintergrund waren andauernde Rechtsunklarheiten in mehreren Fällen von wehrpflichtigen syrischen Flüchtlingen, denen nach der Rechtsprechung des europäischen Gerichtes Asyl gewährt wurde.

Regierungssprecher Steffen Hebestreit machte an diesem Freitag klar, dass Anfang der kommenden Woche mit allen europäischen Partnerländern noch einmal über dieses Thema gesprochen werden müsse. Wiebke Judith von Pro Asyl hoffe, dass es nicht bei “politischen Signalen” bleibt, sondern Fluchtrouten für Menschen aus Russland nach Europa geöffnet werden.

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