Kultur

NS-Raubkunst: Restitution fühlen

Nazi-Raubkunst ist ein Politikum – noch heute. Ein neues Projekt in Berlin und München will die Geschichten von jüdischen Sammlerinnen und Sammlern multimedial erzählen. Es sind Geschichten, die schmerzen.

Fragen rund um Restitution sind in aller Munde, nicht nur wenn es um Nazi-Raubkunst geht. Dass es mit ihrer Aufklärung auch im fortgeschrittenen 21. Jahrhundert nicht vorbei ist, hat der Fall Gurlitt klar gemacht. Doch was ist mit den Geschichten hinter den Gemälden, Zeichnungen und Skizzen? Was ist mit den Menschen?

Ein neues Gemeinschaftsprojekt der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen will hier eine Lücke schließen und die Geschichten einiger Restitutionen in ihrer menschlichen Dimension erzählen. “Wir machen seit 20 Jahren Provenienzforschung, helfen bei Restitutionen oder stoßen sie an”, sagt Bernhard Maaz, Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, im DW-Gespräch. “Doch was zu wenig vermittelt bleibt, ist die große emotionale Tragweite dieser Prozesse.”

Fragen rund um Restitution sind in aller Munde, nicht nur wenn es um Nazi-Raubkunst geht. Dass es mit ihrer Aufklärung auch im fortgeschrittenen 21. Jahrhundert nicht vorbei ist, hat der Fall Gurlitt klar gemacht. Doch was ist mit den Geschichten hinter den Gemälden, Zeichnungen und Skizzen? Was ist mit den Menschen?

30 Fälle sollen also innerhalb der drei Jahre Projektlaufzeit filmisch aufbereitet werden, 30 Geschichten, die von den Kunstwerken und ihren jüdischen Besitzerinnen und Besitzern erzählen. Sie sollen auch ihren Weg durch die Hände von Kollaborateurinnen und Kollaborateuren oder Unwissenden nachvollziehen und ihren Wert für die Besitzerinnen und Besitzer sowie Nachfahren beleuchten. Im Idealfall enden die Geschichten mit der Restitution.

Archiv der vergessenen Schicksale

Für das Projekt, das ein junges Publikum erreichen will, kooperieren die beiden großen Kunstinstitutionen mit dem Bayerischen und dem Berliner Rundfunk. “Es ist ein Schnittstellenprojekt, das kunsthistorische Forschung und mediale Vermittlungskompetenz vereinen muss”, so Ingolf Kern, Kommunikationsdirektor der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, gegenüber DW. Mit einer Mediathek sollen die Geschichten Museumsbesucherinnen und -besuchern sowie Interessierten zugänglich gemacht werden.

Die Geschichten der jüdischen Sammlerinnen und Sammler sind oft kaum bekannt. Die Gemälde, die mit ihnen assoziiert sind, aber sehr wohl: Etwa das goldene Porträt der Adele Bloch-Bauer von Gustav Klimt, die “Berliner Straßenszene” von Ernst Ludwig Kirchner oder die “Justitia” von Carl Spitzweg. Die Geschichten hinter den Bildern erzählen von Verfolgung, Enteignung, Ermordung.

Der Betrieb des österreich-tschechischen Zuckerfabrikanten und Kunstliebhabers Ferdinand Bloch-Bauer etwa wurde “arisiert”, er verarmte ab 1939 im Schweizer Exil und starb vereinsamt kurz nach Kriegsende. Die Familie Hess hatte eine Schuhfabrik in Erfurt und besaß die wohl beste Sammlung an deutschen Expressionisten. Tekla Hess und ihr Sohn Alfred überlebten den Krieg in ärmlichen Verhältnissen im Londoner Exil, große Teile der Sammlung wurden verkauft. Ihre beiden Schwägerinnen und Cousine Olga wurden von den Nazis in Theresienstadt ermordet.

Die “Justitia” war Teil der kleinen Sammlung von dem jüdischen Kaufmann Leo Bendel, der – im polnischen Strzyzow geboren – nach immer stärker werdenden Repressalien 1937 gemeinsam mit seiner Frau Berlin Richtung Wien verlassen hatte. Hier veräußerte er im selben Jahr notgedrungen – und unterpreisig – zwei Spitzweg-Gemälde. Die “Justitia” wurde von einer Ankäuferin der Linzer Führersammlung erworben, Leo Bendel wurde aber nicht als “nicht-arisierter Ursprung” vermerkt. So kam es, dass das Bild nach dem Krieg als unbedenklich eingestuft und 1961 dem Bundespräsidialamt übergeben wurde. Das Gemälde hing bis 2007 in der Villa Hammerschmidt in Bonn, unter den Augen der deutschen Bundespräsidenten. Danach wurde es auf Betreiben und auf Grundlagen von Recherchen der Erben restituiert.

Leo Bendel wurde 1939 von der Gestapo als polnischer Jude verhaftet, misshandelt und letztlich ins KZ Buchenwald deportiert. Eine Gruppe von Menschen wurde hier in einen abgezäunten Teil des KZs, oberhalb des jüdischen Blocks, zusammengepfercht. Direkt neben dem Appellplatz wurden hier Alte und Schwache, die nicht mehr zum Appell erscheinen konnten, dem Sterben überlassen. Es wurde der Ort der ersten vorsätzlichen Massentötung von Juden und Polen im KZ Buchenwald. In den Totenbüchern findet sich auch der Name Leo Bendel: Er starb am 30. März 1940 um 2.35 Uhr morgens an “Altersschwäche”. 

Die Washingtoner Prinzipien, die 1998 mit einer gemeinsamen Erklärung von Deutschland und den USA anerkannt wurden, haben den Rahmen geschaffen, mit dem Nazi-Raubkunst seitdem behandelt wird. In ihnen verpflichtet sich Deutschland, seine Kunstwerke zu untersuchen und Raubkunst zu identifizieren bzw. zu der Aufklärung beizutragen. Es war eine Stunde Null für den Umgang mit NS-Raubkunst.

Doch die Dinge erzählen ihre Geschichten nicht von alleine. Die Kunstwelt prüft seitdem (mal mehr, mal weniger engagiert, in manchen Fällen auch gar nicht) ihre Bestände. Provenienzforschung – historische Forschung an den Objekten, zu ihnen überlieferten Dokumenten oder Menschen, die sie besaßen oder veräußerten – ist komplex. “Wir sprechen hier von insgesamt schätzungsweise 600.000 Kunstwerken, das sind riesige Dimensionen”, führt Bernhard Maaz aus. Auch wenn sich viel getan habe, ist Provenienzforschung oft kleinteilige, langwierige Arbeit. “Denn jeder Fall ist ein Einzelfall”, so Maaz. “Das wird uns noch Jahrzehnte beschäftigen.”

Die drei Pinakotheken und 20 Zweiggalerien umfassenden Bayerischen Staatsgemäldesammlungen konnten seit 1998 25 Werke aus 17 Sammlungen restituieren. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat seit 1999 mehr als 50 Restitutionsbegehren bearbeitet und dabei mehr als 350 Kunstwerke und rund 2000 Bücher an die Berechtigten zurückgegeben. Darunter waren eine Zeichnung von Vincent van Gogh, Arbeiten von Munch und “Der Watzmann” von Caspar David Friedrich. Die Provenienzforschung hat sich in Deutschland seit 1998 zwar etabliert und auch professionalisiert. Aber sie hat ein Kommunikationsproblem.

Die Bedeutung jüdischer Mäzene war nicht nur für die deutsche Kunstlandschaft immens. Viele der großen Kunstschätze haben jüdische Sammlerinnen oder Sammler eingebracht, man denke zum Beispiel an die Nofretete im Neuen Museum in Berlin, deren Ausgrabung James Simon finanziert und die Büste 1920 dem Ägyptischen Museum geschenkt hatte. Das Gedenken an James Simon hat mit dem Gebäude von David Chipperfield einen angemessenen Platz gefunden, andere Erinnerungsorte sind aber noch “work in progress”, etwa der Johanna und Eduard Arnhold Platz in Berlin.

“Restituere” bedeutet “wiederherstellen”, und die Kernidee von Restitutionspolitik ist, durch die Rückgabe von Besitz das getane Unrecht wenn nicht wieder gut zu machen, doch immerhin durch den Akt der Restitution vollumfänglich anzuerkennen und im Idealfall tröstlich zu lindern.

Anerkennung setzt aber Kenntnis voraus. “Uns geht es darum, das Wissen, was in der Community da ist, in die Bevölkerung zu tragen”, sagt Maaz. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen sehen sich hierbei auch in der Verantwortung. “München und Berlin waren schließlich die Orte, an denen Kunstwerke von den Nationalsozialisten als erstes diffamiert wurde”, so Maaz.

Im Idealfall sollen die Filme wie eine Art Stolperstein in den Museen fungieren, als Irritation, die Zugang zu den jüdischen Lebensgeschichten schafft, die von den Nazis vernichtet oder an der Entfaltung gehindert wurden. Es sind Geschichten, die den Kunstwerken eine längst überfällige Dimension hinzufügen: die der Menschlichkeit.

Porträt-Foto in schwarz-weiß von Adele Bloch-Bauer
Justitia, Gemälde von Carl Spitzweg | 1857
Deutschland 2019 Bayerische Staatsgemäldesammlungen | Bernhard Maaz, Generaldirektor

Fragen rund um Restitution sind in aller Munde, nicht nur wenn es um Nazi-Raubkunst geht. Dass es mit ihrer Aufklärung auch im fortgeschrittenen 21. Jahrhundert nicht vorbei ist, hat der Fall Gurlitt klar gemacht. Doch was ist mit den Geschichten hinter den Gemälden, Zeichnungen und Skizzen? Was ist mit den Menschen?

Ein neues Gemeinschaftsprojekt der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen will hier eine Lücke schließen und die Geschichten einiger Restitutionen in ihrer menschlichen Dimension erzählen. “Wir machen seit 20 Jahren Provenienzforschung, helfen bei Restitutionen oder stoßen sie an”, sagt Bernhard Maaz, Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, im DW-Gespräch. “Doch was zu wenig vermittelt bleibt, ist die große emotionale Tragweite dieser Prozesse.”

Archiv der vergessenen Schicksale

30 Fälle sollen also innerhalb der drei Jahre Projektlaufzeit filmisch aufbereitet werden, 30 Geschichten, die von den Kunstwerken und ihren jüdischen Besitzerinnen und Besitzern erzählen. Sie sollen auch ihren Weg durch die Hände von Kollaborateurinnen und Kollaborateuren oder Unwissenden nachvollziehen und ihren Wert für die Besitzerinnen und Besitzer sowie Nachfahren beleuchten. Im Idealfall enden die Geschichten mit der Restitution.

Für das Projekt, das ein junges Publikum erreichen will, kooperieren die beiden großen Kunstinstitutionen mit dem Bayerischen und dem Berliner Rundfunk. “Es ist ein Schnittstellenprojekt, das kunsthistorische Forschung und mediale Vermittlungskompetenz vereinen muss”, so Ingolf Kern, Kommunikationsdirektor der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, gegenüber DW. Mit einer Mediathek sollen die Geschichten Museumsbesucherinnen und -besuchern sowie Interessierten zugänglich gemacht werden.

Die Geschichten der jüdischen Sammlerinnen und Sammler sind oft kaum bekannt. Die Gemälde, die mit ihnen assoziiert sind, aber sehr wohl: Etwa das goldene Porträt der Adele Bloch-Bauer von Gustav Klimt, die “Berliner Straßenszene” von Ernst Ludwig Kirchner oder die “Justitia” von Carl Spitzweg. Die Geschichten hinter den Bildern erzählen von Verfolgung, Enteignung, Ermordung.

Der Betrieb des österreich-tschechischen Zuckerfabrikanten und Kunstliebhabers Ferdinand Bloch-Bauer etwa wurde “arisiert”, er verarmte ab 1939 im Schweizer Exil und starb vereinsamt kurz nach Kriegsende. Die Familie Hess hatte eine Schuhfabrik in Erfurt und besaß die wohl beste Sammlung an deutschen Expressionisten. Tekla Hess und ihr Sohn Alfred überlebten den Krieg in ärmlichen Verhältnissen im Londoner Exil, große Teile der Sammlung wurden verkauft. Ihre beiden Schwägerinnen und Cousine Olga wurden von den Nazis in Theresienstadt ermordet.

Grausame Schicksale, schleppende Aufarbeitung 

Die “Justitia” war Teil der kleinen Sammlung von dem jüdischen Kaufmann Leo Bendel, der – im polnischen Strzyzow geboren – nach immer stärker werdenden Repressalien 1937 gemeinsam mit seiner Frau Berlin Richtung Wien verlassen hatte. Hier veräußerte er im selben Jahr notgedrungen – und unterpreisig – zwei Spitzweg-Gemälde. Die “Justitia” wurde von einer Ankäuferin der Linzer Führersammlung erworben, Leo Bendel wurde aber nicht als “nicht-arisierter Ursprung” vermerkt. So kam es, dass das Bild nach dem Krieg als unbedenklich eingestuft und 1961 dem Bundespräsidialamt übergeben wurde. Das Gemälde hing bis 2007 in der Villa Hammerschmidt in Bonn, unter den Augen der deutschen Bundespräsidenten. Danach wurde es auf Betreiben und auf Grundlagen von Recherchen der Erben restituiert.

Eine Frage der Gerechtigkeit

Leo Bendel wurde 1939 von der Gestapo als polnischer Jude verhaftet, misshandelt und letztlich ins KZ Buchenwald deportiert. Eine Gruppe von Menschen wurde hier in einen abgezäunten Teil des KZs, oberhalb des jüdischen Blocks, zusammengepfercht. Direkt neben dem Appellplatz wurden hier Alte und Schwache, die nicht mehr zum Appell erscheinen konnten, dem Sterben überlassen. Es wurde der Ort der ersten vorsätzlichen Massentötung von Juden und Polen im KZ Buchenwald. In den Totenbüchern findet sich auch der Name Leo Bendel: Er starb am 30. März 1940 um 2.35 Uhr morgens an “Altersschwäche”. 

Die Washingtoner Prinzipien, die 1998 mit einer gemeinsamen Erklärung von Deutschland und den USA anerkannt wurden, haben den Rahmen geschaffen, mit dem Nazi-Raubkunst seitdem behandelt wird. In ihnen verpflichtet sich Deutschland, seine Kunstwerke zu untersuchen und Raubkunst zu identifizieren bzw. zu der Aufklärung beizutragen. Es war eine Stunde Null für den Umgang mit NS-Raubkunst.

Doch die Dinge erzählen ihre Geschichten nicht von alleine. Die Kunstwelt prüft seitdem (mal mehr, mal weniger engagiert, in manchen Fällen auch gar nicht) ihre Bestände. Provenienzforschung – historische Forschung an den Objekten, zu ihnen überlieferten Dokumenten oder Menschen, die sie besaßen oder veräußerten – ist komplex. “Wir sprechen hier von insgesamt schätzungsweise 600.000 Kunstwerken, das sind riesige Dimensionen”, führt Bernhard Maaz aus. Auch wenn sich viel getan habe, ist Provenienzforschung oft kleinteilige, langwierige Arbeit. “Denn jeder Fall ist ein Einzelfall”, so Maaz. “Das wird uns noch Jahrzehnte beschäftigen.”

Die Washingtoner Erklärung und die Provenienzforschung

Die drei Pinakotheken und 20 Zweiggalerien umfassenden Bayerischen Staatsgemäldesammlungen konnten seit 1998 25 Werke aus 17 Sammlungen restituieren. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat seit 1999 mehr als 50 Restitutionsbegehren bearbeitet und dabei mehr als 350 Kunstwerke und rund 2000 Bücher an die Berechtigten zurückgegeben. Darunter waren eine Zeichnung von Vincent van Gogh, Arbeiten von Munch und “Der Watzmann” von Caspar David Friedrich. Die Provenienzforschung hat sich in Deutschland seit 1998 zwar etabliert und auch professionalisiert. Aber sie hat ein Kommunikationsproblem.

Die Bedeutung jüdischer Mäzene war nicht nur für die deutsche Kunstlandschaft immens. Viele der großen Kunstschätze haben jüdische Sammlerinnen oder Sammler eingebracht, man denke zum Beispiel an die Nofretete im Neuen Museum in Berlin, deren Ausgrabung James Simon finanziert und die Büste 1920 dem Ägyptischen Museum geschenkt hatte. Das Gedenken an James Simon hat mit dem Gebäude von David Chipperfield einen angemessenen Platz gefunden, andere Erinnerungsorte sind aber noch “work in progress”, etwa der Johanna und Eduard Arnhold Platz in Berlin.

Mehr Erinnerungskultur an jüdisches Leben

“Restituere” bedeutet “wiederherstellen”, und die Kernidee von Restitutionspolitik ist, durch die Rückgabe von Besitz das getane Unrecht wenn nicht wieder gut zu machen, doch immerhin durch den Akt der Restitution vollumfänglich anzuerkennen und im Idealfall tröstlich zu lindern.

Wissen und Mitgefühl

Anerkennung setzt aber Kenntnis voraus. “Uns geht es darum, das Wissen, was in der Community da ist, in die Bevölkerung zu tragen”, sagt Maaz. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen sehen sich hierbei auch in der Verantwortung. “München und Berlin waren schließlich die Orte, an denen Kunstwerke von den Nationalsozialisten als erstes diffamiert wurde”, so Maaz.

Im Idealfall sollen die Filme wie eine Art Stolperstein in den Museen fungieren, als Irritation, die Zugang zu den jüdischen Lebensgeschichten schafft, die von den Nazis vernichtet oder an der Entfaltung gehindert wurden. Es sind Geschichten, die den Kunstwerken eine längst überfällige Dimension hinzufügen: die der Menschlichkeit.

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