Welt

Nach Bombenanschlag in der Türkei steht Regierung in Kritik

Die Nachrichtensperre nach dem Bombenanschlag in Istanbul führt bei Experten zu Misstrauen. Könnte dies auch bei der Wahl 2023 passieren? Doch auch außenpolitisch könnte der Anschlag gravierende Folgen haben.

Seit Jahren wurde die Türkei nicht mehr so erschüttert wie am Sonntag. Mitten auf der Istiklal-Straße, einer belebten Einkaufsstraße mitten in Istanbul, ist eine Bombe explodiert. Mindestens sechs Menschen wurden dabei getötet, 81 weitere wurden verletzt.

Der Bombenanschlag erinnert an vergangene Anschläge, die Bilder aus 2015 und 2016 sind im kollektiven Gedächtnis der Türken noch frisch. Damals wurden in der Türkei mehrere Bombenschläge verübt, innerhalb von 146 Tagen kamen insgesamt 862 Menschen ums Leben – und das mitten in der Zeit von zwei Parlamentswahlen und einem Militärputschversuch. Mit Blick auf die Umfragen konnte die regierende AKP unter Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan die Situation damals für sich nutzen – und eine kurz zuvor verlorene Mehrheit wiedererringen. Die Tatsache, dass es jetzt – rund sieben Monate vor der nächsten Wahl – erneut einen Bombenanschlag gegeben hat, nährt Spekulationen. 

Seit Jahren wurde die Türkei nicht mehr so erschüttert wie am Sonntag. Mitten auf der Istiklal-Straße, einer belebten Einkaufsstraße mitten in Istanbul, ist eine Bombe explodiert. Mindestens sechs Menschen wurden dabei getötet, 81 weitere wurden verletzt.

Auf der Istiklal-Straße hat man am Montag Hunderte Türkei-Fahnen aufgehangen, die die Einheit gegen den Terror symbolisieren sollen. Doch die türkische Gesellschaft ist tief gespalten, bei der Türkei-Wahl am 18. Juni 2023 könnte es knapp werden für Erdoğan. In einer Umfrage des türkischen Meinungsforschungsinstituts Yöneylem gaben 58 Prozent aller Befragten an, bei der Wahl “auf keinen Fall” für ihn stimmen zu wollen.

Vorwarnung für den Wahlabend

Doch nicht nur der Anschlag selbst, sondern auch der Umgang damit, hat die Menschen aufgeschreckt. Die türkische Rundfunk-Aufsichtsbehörde RTük hatte noch am Sonntagnachmittag eine Nachrichtensperre verhängt. Man wolle Angst und Panik vermeiden. Türkische Sender unterbrachen daraufhin die Berichterstattung über die Explosion. Soziale Medien wie Facebook, Instagram und Twitter funktionierten zeitweise nur eingeschränkt.

Im Gespräch mit der DW warnen Experten vor einem ähnlichen Szenario am Wahlabend in rund sieben Monaten. “Am Wahlabend könnte man nach der Anweisung der Wahlkommission den Zugang zu allen Social-Media-Kanälen einschränken. Das Internet in der ganzen Türkei könnte sogar verboten werden”, kritisiert Faruk Çayır, Anwalt und Vertreter von dem Verband für Alternative Informationstechnologien. Es gebe kein Gesetz, das dies eindeutig verhindern könnte. 

Kommunikationsberater Mehmet Şafak Sarı fürchtet erhebliche Folgen. “Wenn Sie die Social-Media-Netzwerke einschränken, die Menschen für Kommunikation und Informationszwecke brauchen, drängen Sie die Menschen eigentlich zu einer unfassbaren Angst und Panik”, so Sarı gegenüber der DW. Er warnt davor, dass Ähnliches am Wahlabend geschehen könnte: “Menschen sagen: ‘Wenn ich kein Social Media haben kann, ist etwas Schlimmes passiert.’ Stellen Sie sich vor, dass wir die sechs- bis siebenstündige Panik, die wir nun erlebt haben, am Wahlabend erleben.”

Die mutmaßliche Attentäterin wurde inzwischen festgenommen, die Bilder der Festnahme auf den offiziellen Social-Media-Kanälen verbreitet. Außerdem sollen über 40 weitere Personen unter dem Verdacht der Komplizenschaft in Polizeigewahrsam sein. Die mutmaßliche Attentäterin soll aus der syrischen Stadt Afrin in die Türkei auf illegalem Wege eingereist sein und den Anschlag im Auftrag der YPG verübt haben, die Gebiete im Norden Syriens kontrolliert. Die Frau soll den türkischen Behörden gestanden haben, dass sie von der PKK trainiert wurde. Die PKK erklärte indes, dass sie mit dem Anschlag nichts zu tun hätte.

Die Türkei betrachtet die YPG als den syrischen Zweig der PKK, der Kurdischen Arbeiterpartei, die in der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft wird. Innenminister Süleyman Soylu warf Washington deshalb erneut vor, “Terrororganisationen” zu unterstützen. Der Anschlag sei von der PKK verübt worden und die PKK werde von den USA unterstützt. “Wir lehnen die Beileidsbekundung der amerikanischen Botschaft ab”, so Soylu. Man müsse darüber diskutieren, ob ein Staat, dessen Senat nach Kobane Geld schickt, ein guter Verbündeter sei. Kobane wurde international bekannt, als die YPG die Stadt gegen den IS verteidigte. Die Türkei ist schon länger frustriert, dass die USA in Syrien im Kampf gegen den IS mit den kurdischen Milizen zusammenarbeitet. Mit der angeblichen Unterstützung für die YPG etwa hatte Ankara auch das Veto für die Nato-Norderweiterung um Schweden und Finnland begründet.

In der türkischen Öffentlichkeit wird auch darüber diskutiert, dass der Bombenanschlag als Anlass für eine bereits angekündigte türkische Militäroperation in Syrien dienen könnte. Noch bevor die Ermittlungen abgeschlossen seien, hätten türkische Beamte für eine neue Militäroperation in Nordsyrien plädiert, sagt Berkay Mandirici von der International Crisis Group. Präsident Erdogan hatte vor einigen Monaten wiederholt gesagt, dass die Türkei “eines Nachts plötzlich kommen” könnte. Er hat auch betont, dass seine Regierung die Sicherheitsbedenken seines Landes “mit neuen Operationen beheben” wolle.  

Der Anschlag vom 13. November könnte auch wirtschaftliche Auswirkungen haben – wenn verschreckte Touristen wegbleiben, genauso wie vor einigen Jahren. Dabei befindet sich die Türkei momentan schon in einer tiefen Wirtschaftskrise. Die jährliche Inflationsrate beträgt nach offiziellen Angaben über 85 Prozent – und das könnte noch geschönt sein. Die ENAG, die sogenannte Gruppe für Unabhängige Inflationsforschung, glaubt, dass die Inflationsrate in der Realität bei über 185 Prozent liegt. 

Mitarbeit: Burcu Karakaş

Die Tatverdächtige wurde von der türkischen Polizei festgenommen
 türkische Innenminister Süleyman Soylu

Seit Jahren wurde die Türkei nicht mehr so erschüttert wie am Sonntag. Mitten auf der Istiklal-Straße, einer belebten Einkaufsstraße mitten in Istanbul, ist eine Bombe explodiert. Mindestens sechs Menschen wurden dabei getötet, 81 weitere wurden verletzt.

Der Bombenanschlag erinnert an vergangene Anschläge, die Bilder aus 2015 und 2016 sind im kollektiven Gedächtnis der Türken noch frisch. Damals wurden in der Türkei mehrere Bombenschläge verübt, innerhalb von 146 Tagen kamen insgesamt 862 Menschen ums Leben – und das mitten in der Zeit von zwei Parlamentswahlen und einem Militärputschversuch. Mit Blick auf die Umfragen konnte die regierende AKP unter Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan die Situation damals für sich nutzen – und eine kurz zuvor verlorene Mehrheit wiedererringen. Die Tatsache, dass es jetzt – rund sieben Monate vor der nächsten Wahl – erneut einen Bombenanschlag gegeben hat, nährt Spekulationen. 

Vorwarnung für den Wahlabend

Auf der Istiklal-Straße hat man am Montag Hunderte Türkei-Fahnen aufgehangen, die die Einheit gegen den Terror symbolisieren sollen. Doch die türkische Gesellschaft ist tief gespalten, bei der Türkei-Wahl am 18. Juni 2023 könnte es knapp werden für Erdoğan. In einer Umfrage des türkischen Meinungsforschungsinstituts Yöneylem gaben 58 Prozent aller Befragten an, bei der Wahl “auf keinen Fall” für ihn stimmen zu wollen.

Doch nicht nur der Anschlag selbst, sondern auch der Umgang damit, hat die Menschen aufgeschreckt. Die türkische Rundfunk-Aufsichtsbehörde RTük hatte noch am Sonntagnachmittag eine Nachrichtensperre verhängt. Man wolle Angst und Panik vermeiden. Türkische Sender unterbrachen daraufhin die Berichterstattung über die Explosion. Soziale Medien wie Facebook, Instagram und Twitter funktionierten zeitweise nur eingeschränkt.

Im Gespräch mit der DW warnen Experten vor einem ähnlichen Szenario am Wahlabend in rund sieben Monaten. “Am Wahlabend könnte man nach der Anweisung der Wahlkommission den Zugang zu allen Social-Media-Kanälen einschränken. Das Internet in der ganzen Türkei könnte sogar verboten werden”, kritisiert Faruk Çayır, Anwalt und Vertreter von dem Verband für Alternative Informationstechnologien. Es gebe kein Gesetz, das dies eindeutig verhindern könnte. 

Kommunikationsberater Mehmet Şafak Sarı fürchtet erhebliche Folgen. “Wenn Sie die Social-Media-Netzwerke einschränken, die Menschen für Kommunikation und Informationszwecke brauchen, drängen Sie die Menschen eigentlich zu einer unfassbaren Angst und Panik”, so Sarı gegenüber der DW. Er warnt davor, dass Ähnliches am Wahlabend geschehen könnte: “Menschen sagen: ‘Wenn ich kein Social Media haben kann, ist etwas Schlimmes passiert.’ Stellen Sie sich vor, dass wir die sechs- bis siebenstündige Panik, die wir nun erlebt haben, am Wahlabend erleben.”

Türkei macht die PKK verantwortlich

Die mutmaßliche Attentäterin wurde inzwischen festgenommen, die Bilder der Festnahme auf den offiziellen Social-Media-Kanälen verbreitet. Außerdem sollen über 40 weitere Personen unter dem Verdacht der Komplizenschaft in Polizeigewahrsam sein. Die mutmaßliche Attentäterin soll aus der syrischen Stadt Afrin in die Türkei auf illegalem Wege eingereist sein und den Anschlag im Auftrag der YPG verübt haben, die Gebiete im Norden Syriens kontrolliert. Die Frau soll den türkischen Behörden gestanden haben, dass sie von der PKK trainiert wurde. Die PKK erklärte indes, dass sie mit dem Anschlag nichts zu tun hätte.

Mögliche Auswirkungen auf die Wirtschaft

Die Türkei betrachtet die YPG als den syrischen Zweig der PKK, der Kurdischen Arbeiterpartei, die in der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft wird. Innenminister Süleyman Soylu warf Washington deshalb erneut vor, “Terrororganisationen” zu unterstützen. Der Anschlag sei von der PKK verübt worden und die PKK werde von den USA unterstützt. “Wir lehnen die Beileidsbekundung der amerikanischen Botschaft ab”, so Soylu. Man müsse darüber diskutieren, ob ein Staat, dessen Senat nach Kobane Geld schickt, ein guter Verbündeter sei. Kobane wurde international bekannt, als die YPG die Stadt gegen den IS verteidigte. Die Türkei ist schon länger frustriert, dass die USA in Syrien im Kampf gegen den IS mit den kurdischen Milizen zusammenarbeitet. Mit der angeblichen Unterstützung für die YPG etwa hatte Ankara auch das Veto für die Nato-Norderweiterung um Schweden und Finnland begründet.

In der türkischen Öffentlichkeit wird auch darüber diskutiert, dass der Bombenanschlag als Anlass für eine bereits angekündigte türkische Militäroperation in Syrien dienen könnte. Noch bevor die Ermittlungen abgeschlossen seien, hätten türkische Beamte für eine neue Militäroperation in Nordsyrien plädiert, sagt Berkay Mandirici von der International Crisis Group. Präsident Erdogan hatte vor einigen Monaten wiederholt gesagt, dass die Türkei “eines Nachts plötzlich kommen” könnte. Er hat auch betont, dass seine Regierung die Sicherheitsbedenken seines Landes “mit neuen Operationen beheben” wolle.  

Der Anschlag vom 13. November könnte auch wirtschaftliche Auswirkungen haben – wenn verschreckte Touristen wegbleiben, genauso wie vor einigen Jahren. Dabei befindet sich die Türkei momentan schon in einer tiefen Wirtschaftskrise. Die jährliche Inflationsrate beträgt nach offiziellen Angaben über 85 Prozent – und das könnte noch geschönt sein. Die ENAG, die sogenannte Gruppe für Unabhängige Inflationsforschung, glaubt, dass die Inflationsrate in der Realität bei über 185 Prozent liegt. 

Mitarbeit: Burcu Karakaş

Nachrichten

Ähnliche Artikel

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"