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Wie die Bundeswehr den Himmel über der Slowakei sichern hilft

Der Raketeneinschlag in Polen zeigt, wie wichtig Luftabwehr für Mitteleuropa ist. In der Slowakei sind deshalb schon seit April deutsche Patriot-Raketen stationiert. Was heißt es, im Alltag ständig abwehrbereit zu sein?

Ein Greifvogel ist an diesem Novembertag das Einzige, was sich am Himmel über dem Flugplatz von Sliac bewegt. Und er interessiert sich mutmaßlich mehr für die Mäuse im benachbarten Rübenacker als für die ausrangierten MiG-Jagdflieger, die die slowakische Armee hier aufgestellt hat – erkennbar eher als Dekoration denn als Abschreckung für einen realen Feind.

Diesen Job übernimmt in diesem beschaulichen Tal am Flüsschen Gran in der zentralen Slowakei die Bundeswehr: Links und rechts der betonierten Startbahn stehen je drei schwere Lastwagen auf ihren ausgefahrenen Stützen, auf den Ladeflächen recken sich rechteckige Kästen schräg nach oben. In ihnen stecken Luftabwehrraketen, jederzeit bereit, ein feindliches Objekt vom Himmel zu holen.

Ein Greifvogel ist an diesem Novembertag das Einzige, was sich am Himmel über dem Flugplatz von Sliac bewegt. Und er interessiert sich mutmaßlich mehr für die Mäuse im benachbarten Rübenacker als für die ausrangierten MiG-Jagdflieger, die die slowakische Armee hier aufgestellt hat – erkennbar eher als Dekoration denn als Abschreckung für einen realen Feind.

Dass die deutschen Patriot-Batterien hier aufgestellt sind, hat in doppelter Hinsicht mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu tun. Zum einen wurde damit die NATO-Ostflanke gestärkt, aber auch eine Lücke geschlossen: Die Slowakei hatte ihr eigenes Raketenabwehrsystem in den ersten Kriegstagen an ihr östliches Nachbarland abgegeben.

“Hirn, Auge und Herz des Patriot”

Deutschland und die Niederlande sprangen anfangs mit drei Patriot-Staffeln in die Bresche, inzwischen sind nur noch die beiden deutschen vor Ort. Die Niederlande sind derzeit nur mit wenigen Verbindungsoffizieren auf der Airbase vertreten – aber es ist nicht ausgeschlossen, dass sie ihr Personal hier in Zukunft wieder verstärken.

“Da drüben sehen wir das sogenannte Dreigestirn”, deutet Oberfeldwebel Patrick – Interviews im Einsatz geben Soldaten in aller Regel nur mit Vornamen – auf die in Tarnfarben lackierten Container in Lkw-Größe. Es handelt sich um den Feuerleitstand, ein leistungsstarkes Radargerät und eine Generator-Einheit für die Stromversorgung – “Hirn, Auge und Herz des Patriot”, wie Patrick sagt.

In einem Einsatz wie diesem darf man als Journalist nicht näher heran, schon gar nicht mit einem zivilen Smartphone in der Hosentasche – aber im Internet gibt es Fotos, wie das klimatisierte und vor ABC-Verseuchung geschützte “Hirn” von innen aussieht: Nebeneinander gibt es zwei baugleiche Arbeitsplätze mit Bildschirmen, die das Radarbild und diverse Informationen über den Status der mehrere Hundert Meter entfernten Abschussvorrichtungen anzeigen. “Auf der rechten Seite sitzt der Offizier, und auf der linken Seite sitze ich als Feuerleitfeldwebel”, sagt Patrick.

Die in Sichtweite aufgestellte zweite Patriot-Staffel verfügt über dieselbe Ausrüstung, die beiden Feuerleitstände sind rund um die Uhr besetzt. Dabei stehen die Soldatinnen und Soldaten im ständigen Austausch mit höheren Instanzen wie dem slowakischen Luftkontrollzentrum in der nahegelegenen Stadt Zvolen. “Die Bekämpfungsentscheidung liegt letztendlich nicht bei uns, die liegt höher, wir sind auch nur Gäste in diesem Land”, erläutert der Oberfeldwebel. Seit Einsatzbeginn im April 2022 ist es noch zu keinem Zwischenfall gekommen, der eine solche Entscheidung notwendig gemacht hätte.

Wie schnell sich das ändern könnte, hat der Raketeneinschlag im polnischen Dörfchen Przewodow am 15. November 2022 gezeigt: Unweit der Grenze zur Ukraine ging aus heiterem Himmel ein Geschoss nieder und tötete zwei Zivilisten. Nach Angaben Polens und der USA war die S-300-Rakete von der ukrainischen Flugabwehr abgeschossen worden. Die Regierung in Kiew hat diese Darstellung mehrfach zurückgewiesen.

Oberfeldwebel Patrick war zu diesem Zeitpunkt im Dienst. Es sei klar gewesen, dass man in so einer Situation erst einmal Ruhe bewahrt und die Situation verarbeitet, anstatt zu eskalieren. “Solche Ereignisse führen einem nochmal vor Augen, wie dicht die ganze Sache ist. Das ist nicht weit weg von zu Hause.”

Als Reaktion auf Przewodow hat die Regierung in Bratislava von der NATO gefordert, den Schutz des slowakischen Luftraums aufzustocken. Neben den deutschen Patriot-Staffeln sind in dem kleinen EU-Land beispielsweise Jets aus Tschechien und Polen für das sogenannte “Air Policing”, militärische Kontrollflüge, im Einsatz. Die Bundeswehr stellt sich schon jetzt auf mindestens noch ein weiteres Jahr in der Slowakei ein. Zudem hat Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) auch Polen einen Patriot-Einsatz angeboten.

Oberst Volker Pötzsch, der Kontingentsleiter der Bundeswehr in der Slowakei, erklärt gegenüber der DW die Patriots als kleines Puzzleteil in einer größeren NATO-Struktur: “Wir können in unterschiedlichste Varianten des Bildes eingepasst werden. Und welche gerade gewählt wird – nutzt man nur Flugzeuge, nutzt man ein Flugabwehrraketensystem oder anderes -, das bestimmt die NATO in einer Gesamtschau. Die zentrale Frage dabei ist: Was haben wir an Kräften? Was ist verfügbar? Und was muss gerade akut in welcher Form geschützt werden?”

Die Bundeswehr führt die sogenannten “eVA” – “enhanced Vigilance Activities”, also erweiterte Wachsamkeits-Aktivitäten – der NATO in der Slowakei. Dazu sind in Sliac rund 300 Soldatinnen und Soldaten abgestellt. Ein weiterer Stützpunkt ist das rund eine Autostunde südlich gelegene Lest, hier leitet Tschechien die Battlegroup, der neben Deutschland auch Slowenien und die USA angehören.

Für Oberst Pötzsch ist der deutsche Beitrag zur NATO-Bündnissolidarität auch Gelegenheit, etwas zurückzugeben: “Das ist etwas, was wir aus der eigenen Geschichte des Kalten Krieges ja sehr gut kennen. Alliierte Kräfte, die bei uns im Land im Prinzip das Gleiche getan haben, nämlich die zu uns gekommen sind, um uns im Ernstfall verteidigen zu können.”

Für die Soldatinnen und Soldaten der Patriot-Staffel bedeutet das auch: Während ihrer acht oder zwölf Stunden langen Schichten halten sie sich in der Nähe des Dreigestirns bereit – am anderen Ende des Flugplatzes von Sliac und damit rund zwei Kilometer entfernt von der Container-Siedlung, wo sie schlafen. Oberfeldwebel Patrick zeigt der DW die “Chill-Out-Area”, wie er den garagengroßen Raum nennt, wo die Bundeswehrangehörigen während des Dienstes ihre Pausen machen.

An der mit Tarnnetzen abgehangenen Wand hängt eine Dartscheibe, um eine Beamerfläche herum stehen aus Paletten und Schaumstoffmatten selbstgebaute Sofas. Hier werden auch mal dienstliche Powerpoints gezeigt, sagt Patrick. An den Wänden prangen auch eine Fan-Flagge und ein Spielplan zur Fußball-WM – ein Teil der Patriot-Crew wird also in den nächsten Wochen eifrig Fußball schauen, während ihre Kameraden den Himmel über der Slowakei im Auge behalten.

Slowakei Bundeswehr in Sliac
Slowakei Bundeswehr in Sliac

Ein Greifvogel ist an diesem Novembertag das Einzige, was sich am Himmel über dem Flugplatz von Sliac bewegt. Und er interessiert sich mutmaßlich mehr für die Mäuse im benachbarten Rübenacker als für die ausrangierten MiG-Jagdflieger, die die slowakische Armee hier aufgestellt hat – erkennbar eher als Dekoration denn als Abschreckung für einen realen Feind.

Diesen Job übernimmt in diesem beschaulichen Tal am Flüsschen Gran in der zentralen Slowakei die Bundeswehr: Links und rechts der betonierten Startbahn stehen je drei schwere Lastwagen auf ihren ausgefahrenen Stützen, auf den Ladeflächen recken sich rechteckige Kästen schräg nach oben. In ihnen stecken Luftabwehrraketen, jederzeit bereit, ein feindliches Objekt vom Himmel zu holen.

“Hirn, Auge und Herz des Patriot”

Dass die deutschen Patriot-Batterien hier aufgestellt sind, hat in doppelter Hinsicht mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu tun. Zum einen wurde damit die NATO-Ostflanke gestärkt, aber auch eine Lücke geschlossen: Die Slowakei hatte ihr eigenes Raketenabwehrsystem in den ersten Kriegstagen an ihr östliches Nachbarland abgegeben.

Deutschland und die Niederlande sprangen anfangs mit drei Patriot-Staffeln in die Bresche, inzwischen sind nur noch die beiden deutschen vor Ort. Die Niederlande sind derzeit nur mit wenigen Verbindungsoffizieren auf der Airbase vertreten – aber es ist nicht ausgeschlossen, dass sie ihr Personal hier in Zukunft wieder verstärken.

“Da drüben sehen wir das sogenannte Dreigestirn”, deutet Oberfeldwebel Patrick – Interviews im Einsatz geben Soldaten in aller Regel nur mit Vornamen – auf die in Tarnfarben lackierten Container in Lkw-Größe. Es handelt sich um den Feuerleitstand, ein leistungsstarkes Radargerät und eine Generator-Einheit für die Stromversorgung – “Hirn, Auge und Herz des Patriot”, wie Patrick sagt.

In einem Einsatz wie diesem darf man als Journalist nicht näher heran, schon gar nicht mit einem zivilen Smartphone in der Hosentasche – aber im Internet gibt es Fotos, wie das klimatisierte und vor ABC-Verseuchung geschützte “Hirn” von innen aussieht: Nebeneinander gibt es zwei baugleiche Arbeitsplätze mit Bildschirmen, die das Radarbild und diverse Informationen über den Status der mehrere Hundert Meter entfernten Abschussvorrichtungen anzeigen. “Auf der rechten Seite sitzt der Offizier, und auf der linken Seite sitze ich als Feuerleitfeldwebel”, sagt Patrick.

Nach dem Raketeneinschlag in Polen: Patriot im Fokus

Die in Sichtweite aufgestellte zweite Patriot-Staffel verfügt über dieselbe Ausrüstung, die beiden Feuerleitstände sind rund um die Uhr besetzt. Dabei stehen die Soldatinnen und Soldaten im ständigen Austausch mit höheren Instanzen wie dem slowakischen Luftkontrollzentrum in der nahegelegenen Stadt Zvolen. “Die Bekämpfungsentscheidung liegt letztendlich nicht bei uns, die liegt höher, wir sind auch nur Gäste in diesem Land”, erläutert der Oberfeldwebel. Seit Einsatzbeginn im April 2022 ist es noch zu keinem Zwischenfall gekommen, der eine solche Entscheidung notwendig gemacht hätte.

Erinnerung an den Schutz der Bundesrepublik im Kalten Krieg

Wie schnell sich das ändern könnte, hat der Raketeneinschlag im polnischen Dörfchen Przewodow am 15. November 2022 gezeigt: Unweit der Grenze zur Ukraine ging aus heiterem Himmel ein Geschoss nieder und tötete zwei Zivilisten. Nach Angaben Polens und der USA war die S-300-Rakete von der ukrainischen Flugabwehr abgeschossen worden. Die Regierung in Kiew hat diese Darstellung mehrfach zurückgewiesen.

Oberfeldwebel Patrick war zu diesem Zeitpunkt im Dienst. Es sei klar gewesen, dass man in so einer Situation erst einmal Ruhe bewahrt und die Situation verarbeitet, anstatt zu eskalieren. “Solche Ereignisse führen einem nochmal vor Augen, wie dicht die ganze Sache ist. Das ist nicht weit weg von zu Hause.”

Als Reaktion auf Przewodow hat die Regierung in Bratislava von der NATO gefordert, den Schutz des slowakischen Luftraums aufzustocken. Neben den deutschen Patriot-Staffeln sind in dem kleinen EU-Land beispielsweise Jets aus Tschechien und Polen für das sogenannte “Air Policing”, militärische Kontrollflüge, im Einsatz. Die Bundeswehr stellt sich schon jetzt auf mindestens noch ein weiteres Jahr in der Slowakei ein. Zudem hat Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) auch Polen einen Patriot-Einsatz angeboten.

Zwischen Flugabwehr und Fußball

Oberst Volker Pötzsch, der Kontingentsleiter der Bundeswehr in der Slowakei, erklärt gegenüber der DW die Patriots als kleines Puzzleteil in einer größeren NATO-Struktur: “Wir können in unterschiedlichste Varianten des Bildes eingepasst werden. Und welche gerade gewählt wird – nutzt man nur Flugzeuge, nutzt man ein Flugabwehrraketensystem oder anderes -, das bestimmt die NATO in einer Gesamtschau. Die zentrale Frage dabei ist: Was haben wir an Kräften? Was ist verfügbar? Und was muss gerade akut in welcher Form geschützt werden?”

Die Bundeswehr führt die sogenannten “eVA” – “enhanced Vigilance Activities”, also erweiterte Wachsamkeits-Aktivitäten – der NATO in der Slowakei. Dazu sind in Sliac rund 300 Soldatinnen und Soldaten abgestellt. Ein weiterer Stützpunkt ist das rund eine Autostunde südlich gelegene Lest, hier leitet Tschechien die Battlegroup, der neben Deutschland auch Slowenien und die USA angehören.

Für Oberst Pötzsch ist der deutsche Beitrag zur NATO-Bündnissolidarität auch Gelegenheit, etwas zurückzugeben: “Das ist etwas, was wir aus der eigenen Geschichte des Kalten Krieges ja sehr gut kennen. Alliierte Kräfte, die bei uns im Land im Prinzip das Gleiche getan haben, nämlich die zu uns gekommen sind, um uns im Ernstfall verteidigen zu können.”

Für die Soldatinnen und Soldaten der Patriot-Staffel bedeutet das auch: Während ihrer acht oder zwölf Stunden langen Schichten halten sie sich in der Nähe des Dreigestirns bereit – am anderen Ende des Flugplatzes von Sliac und damit rund zwei Kilometer entfernt von der Container-Siedlung, wo sie schlafen. Oberfeldwebel Patrick zeigt der DW die “Chill-Out-Area”, wie er den garagengroßen Raum nennt, wo die Bundeswehrangehörigen während des Dienstes ihre Pausen machen.

Slowakei Bundeswehr in Sliac

An der mit Tarnnetzen abgehangenen Wand hängt eine Dartscheibe, um eine Beamerfläche herum stehen aus Paletten und Schaumstoffmatten selbstgebaute Sofas. Hier werden auch mal dienstliche Powerpoints gezeigt, sagt Patrick. An den Wänden prangen auch eine Fan-Flagge und ein Spielplan zur Fußball-WM – ein Teil der Patriot-Crew wird also in den nächsten Wochen eifrig Fußball schauen, während ihre Kameraden den Himmel über der Slowakei im Auge behalten.

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