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Ungarn: Löst die EU 2023 das Orban-Problem?

Ungarn erlebt die schwerste wirtschaftliche Krise seit langem und ist außenpolitisch isoliert. Kann sich Orban noch halten? Die DW befragt ungarische Experten nach ihrer Prognose für 2023.

Ungarns Premier hat schon so manche Krise, die seine Macht bedrohte, überstanden – innen- wie außenpolitisch, wirtschaftlich wie sozial. Doch nun steht Viktor Orban vor der größten Herausforderung der bislang dreizehn Jahre seiner Herrschaft. 2023 könnte deshalb zu einem Entscheidungs- und Schicksalsjahr für jenen Politiker werden, dessen Name mit dem Aufstieg des Illiberalismus in Europa verknüpft ist.

Ungarn erlebt derzeit die schwerste wirtschaftliche Krise seit dem Beinahe-Bankrott des Landes während der internationalen Finanzkrise 2008/2009. Die Landeswährung Forint hat in den vergangenen Monaten stark an Wert verloren, die hohe Inflation von über 20 Prozent stürzt immer mehr Menschen im Land in existentielle Not. Preisdeckelungen für Lebensmittel und Benzin halfen bisher nur wenig und hatten erstmals seit dem Ende des Realsozialismus Warenengpässe zur Folge.

Ungarns Premier hat schon so manche Krise, die seine Macht bedrohte, überstanden – innen- wie außenpolitisch, wirtschaftlich wie sozial. Doch nun steht Viktor Orban vor der größten Herausforderung der bislang dreizehn Jahre seiner Herrschaft. 2023 könnte deshalb zu einem Entscheidungs- und Schicksalsjahr für jenen Politiker werden, dessen Name mit dem Aufstieg des Illiberalismus in Europa verknüpft ist.

Ausgerechnet in dieser schwierigen sozialökonomischen Situation hat die EU Ungarn wegen Rechtsstaatsmängeln einen großen Teil der Fördermilliarden gestrichen. Und weitere Kürzungen drohen – bis hin zur vollständigen Streichung der gesamten Brüsseler Zahlungen. Hinzu kommt: Orbans Regierung ist außenpolitisch wegen ihrer nach wie vor russlandfreundlichen Haltung in Europa so isoliert wie nie zuvor. Als einziges EU-Land lehnt Ungarn Sanktionen gegen Russland ab, Waffenlieferungen an die Ukraine über sein Territorium hat es verboten, und nur widerwillig stimmte es für die Milliardenhilfen der EU an Kiew. Orban hat sich mit dieser Haltung innerhalb der EU in die Position eines notgedrungen geduldeten Übels manövriert.

Schuld auf andere abwälzen

“Tatsächlich war die Orban-Regierung noch nie in einer so schwierigen Situation wie jetzt”, sagt der Politologe Peter Kreko vom linksliberalen Budapester Institut Political Capital der DW. “Man kann das auch an Meinungsumfragen ablesen, denen zufolge die Unzufriedenheit größer wird, oder an den Protesten von Lehrern und Pädagogen, die nun schon seit Monaten andauern.”

Allerdings schränkt Kreko ein: “Orban und seine Regierung sind nach wie vor sehr erfolgreich darin, die Schuld für jegliche Krisen auf äußere Akteure abzuwälzen, also beispielsweise die EU oder den Börsenmilliardär George Soros. Orban und seine Partei Fidesz besitzen ein sehr stabiles Wählerlager und haben zudem das zentralisierteste politische System der EU errichtet. All das heißt: Die Chancen stehen gut, dass die ungarische Regierung auch diese Krisensituation überleben könnte.”

Der konservative Ökonom Laszlo Csaba, der einst zu einem informellen Kreis von Orban-Beratern gehörte und an der Central European University (Budapest/Wien) lehrt, sieht die gegenwärtige Krise Ungarns vor allem als “Krise des Orban-Modells”. “Hinter diesem Modell steht eine Politik des billigen Geldes, der lockeren Geldpolitik und der großzügigen Ausgaben. Das ist jetzt nicht mehr aufrecht zu erhalten”, sagt Csaba der DW. “Insgesamt ist die Situation der Regierung zwar schwierig, allerdings nicht katastrophal. Ungarn steht vor einer Rezession, aber nicht am Abgrund wie vor 15 Jahren während der Finanzkrise.”

Viel wird für Ungarn in den kommenden Monaten davon abhängen, ob die EU Fördergelder an Ungarn auszahlt oder nicht. Das Land ist nach Polen der zweitgrößte Nettoempfänger von EU-Zahlungen. Sie machten in den vergangenen Jahren im Schnitt drei bis vier Prozent des ungarischen Bruttosozialproduktes aus – was in etwa dem jährlichen Wirtschaftswachstum des Landes entsprach.

Mitte Dezember 2022 hatte die EU-Kommission nach monatelangem Hin und Her zunächst die Auszahlung von 6,3 Milliarden Euro an Ungarn gestoppt – der Grund waren Rechtsstaatsmängel und Korruptionsvorwürfe. Ende Dezember drohte Brüssel sogar an, die im Haushalt bis 2027 vorgesehene Gesamtsumme für Ungarn – immerhin 22 Milliarden Euro – einzufrieren. Damit könnte die EU Ungarn in eine sehr schwere Wirtschaftskrise treiben.

Dass es so weit kommt, glaubt in Ungarn jedoch kaum jemand. “Die EU hat in der Vergangenheit gegenüber Ungarn immer starke Worte verwendet, sie aber in der Praxis nicht umgesetzt”, sagt der Ökonom Laszlo Csaba. “Daher denke ich, dass ein Teil der EU-Fördergelder dennoch fließen wird. Wenn nichts mehr ausgezahlt werden würde, verlöre die EU auch ihren Einfluss auf Ungarn, und das ist nicht im Interesse Brüssels. Daher wird sich der Verhandlungsprozess nun ein wenig wie auf einem balkanischen Basar gestalten, und am Ende wird ein Kompromiss stehen.”

Der Politologe Peter Kreko warnt jedoch davor, sich Illusionen über Orbans Kompromissbereitschaft in puncto Rechtsstaatlichkeit zu machen. “Wir können von einem Löwen nicht erwarten, dass er von einem auf den anderen Moment ein Vegetarier wird”, sagt Kreko. “Es liegt nicht im Interesse Orbans, den Nepotismus und die Korruption, die für seine Regierung charakteristisch sind, einfach so abzuschaffen. Denn das würde bedeuten, dass enge Mitarbeiter von ihm oder Familienmitglieder vielleicht sogar ins Gefängnis kommen würden. Es ist auch nicht charakteristisch für illiberale Systeme, vor allem nicht in wirtschaftlich schwierigen Situationen, dass sie sich öffnen. Sie verschließen sich eher noch mehr.”

Beide Experten gehen davon aus, dass Orban versuchen wird, sich durch die Krise “hindurchzulavieren” – politisch wie wirtschaftlich. Der Ökonom Csaba sieht ein Anzeichen dafür in der “Matolcsy-Affäre”. Ungarns Nationalbankchef György Matolcsy, ein langjähriger Vertrauter Orbans, hatte die ungarische Wirtschaftspolitik Anfang Dezember in ungewöhnlich offenen Worten kritisiert und indirekt Sparmaßnahmen gefordert. In Ungarn hatte die Kritik Matolcsys eine Debatte darüber ausgelöst, wie stabil Orbans Herrschaft noch sei.

Csaba glaubt, dass Ungarns Premier die Situation kontrolliert. “Orban hat für jede Aufgabe zwei Leute”, sagt er. “Die einen sind eher Realisten wie Matolcsy, die anderen Optimisten. Wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt, wird er zu einschneidenden realistischen Maßnahmen greifen, während man gleichzeitig die gewohnten großen Töne von ihm hören wird.”

Eine ähnliche zweigleisige Strategie konstatiert der Politologe Kreko derzeit in der ungarischen Außenpolitik. Ungarn hat sich wegen Orbans Positionen zum Krieg Russlands gegen die Ukraine sogar mit seinem engsten Verbündeten Polen offen überworfen – im Dezember ging der ungarische Premier sogar so weit, den USA die Schuld am Krieg zuzuschieben. Zugleich schickte er die Staatspräsidentin Katalin Novak zu einem Besuch nach Kiew, in regierungsnahen Medien, die bislang übelste prorussische Propaganda verbreiteten, ist nun öfter von “Russlands Aggression” die Rede.

Dass Orban mit dieser Art von Politik gut durch die Krise komme, seine außenpolitische Isolation beenden könne und den Konflikt mit der EU löse, bezweifelt Kreko. “Man kann das, wie Orban derzeit agiert, einfach so zusammenfassen”, sagt der Politologe, “er macht zu wenig und zu spät.”

Symbolbild I Spritpreise I Benzin I Tankstelle in Ungarn
Ungarn | Proteste in Budapest
Belgien | Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EU im Gebäude des Europäischen Rates in Brüssel

Ungarns Premier hat schon so manche Krise, die seine Macht bedrohte, überstanden – innen- wie außenpolitisch, wirtschaftlich wie sozial. Doch nun steht Viktor Orban vor der größten Herausforderung der bislang dreizehn Jahre seiner Herrschaft. 2023 könnte deshalb zu einem Entscheidungs- und Schicksalsjahr für jenen Politiker werden, dessen Name mit dem Aufstieg des Illiberalismus in Europa verknüpft ist.

Ungarn erlebt derzeit die schwerste wirtschaftliche Krise seit dem Beinahe-Bankrott des Landes während der internationalen Finanzkrise 2008/2009. Die Landeswährung Forint hat in den vergangenen Monaten stark an Wert verloren, die hohe Inflation von über 20 Prozent stürzt immer mehr Menschen im Land in existentielle Not. Preisdeckelungen für Lebensmittel und Benzin halfen bisher nur wenig und hatten erstmals seit dem Ende des Realsozialismus Warenengpässe zur Folge.

Schuld auf andere abwälzen

Ausgerechnet in dieser schwierigen sozialökonomischen Situation hat die EU Ungarn wegen Rechtsstaatsmängeln einen großen Teil der Fördermilliarden gestrichen. Und weitere Kürzungen drohen – bis hin zur vollständigen Streichung der gesamten Brüsseler Zahlungen. Hinzu kommt: Orbans Regierung ist außenpolitisch wegen ihrer nach wie vor russlandfreundlichen Haltung in Europa so isoliert wie nie zuvor. Als einziges EU-Land lehnt Ungarn Sanktionen gegen Russland ab, Waffenlieferungen an die Ukraine über sein Territorium hat es verboten, und nur widerwillig stimmte es für die Milliardenhilfen der EU an Kiew. Orban hat sich mit dieser Haltung innerhalb der EU in die Position eines notgedrungen geduldeten Übels manövriert.

“Tatsächlich war die Orban-Regierung noch nie in einer so schwierigen Situation wie jetzt”, sagt der Politologe Peter Kreko vom linksliberalen Budapester Institut Political Capital der DW. “Man kann das auch an Meinungsumfragen ablesen, denen zufolge die Unzufriedenheit größer wird, oder an den Protesten von Lehrern und Pädagogen, die nun schon seit Monaten andauern.”

Allerdings schränkt Kreko ein: “Orban und seine Regierung sind nach wie vor sehr erfolgreich darin, die Schuld für jegliche Krisen auf äußere Akteure abzuwälzen, also beispielsweise die EU oder den Börsenmilliardär George Soros. Orban und seine Partei Fidesz besitzen ein sehr stabiles Wählerlager und haben zudem das zentralisierteste politische System der EU errichtet. All das heißt: Die Chancen stehen gut, dass die ungarische Regierung auch diese Krisensituation überleben könnte.”

Der konservative Ökonom Laszlo Csaba, der einst zu einem informellen Kreis von Orban-Beratern gehörte und an der Central European University (Budapest/Wien) lehrt, sieht die gegenwärtige Krise Ungarns vor allem als “Krise des Orban-Modells”. “Hinter diesem Modell steht eine Politik des billigen Geldes, der lockeren Geldpolitik und der großzügigen Ausgaben. Das ist jetzt nicht mehr aufrecht zu erhalten”, sagt Csaba der DW. “Insgesamt ist die Situation der Regierung zwar schwierig, allerdings nicht katastrophal. Ungarn steht vor einer Rezession, aber nicht am Abgrund wie vor 15 Jahren während der Finanzkrise.”

Schwierig, aber nicht am Abgrund

Viel wird für Ungarn in den kommenden Monaten davon abhängen, ob die EU Fördergelder an Ungarn auszahlt oder nicht. Das Land ist nach Polen der zweitgrößte Nettoempfänger von EU-Zahlungen. Sie machten in den vergangenen Jahren im Schnitt drei bis vier Prozent des ungarischen Bruttosozialproduktes aus – was in etwa dem jährlichen Wirtschaftswachstum des Landes entsprach.

Balkanischer Basar

Mitte Dezember 2022 hatte die EU-Kommission nach monatelangem Hin und Her zunächst die Auszahlung von 6,3 Milliarden Euro an Ungarn gestoppt – der Grund waren Rechtsstaatsmängel und Korruptionsvorwürfe. Ende Dezember drohte Brüssel sogar an, die im Haushalt bis 2027 vorgesehene Gesamtsumme für Ungarn – immerhin 22 Milliarden Euro – einzufrieren. Damit könnte die EU Ungarn in eine sehr schwere Wirtschaftskrise treiben.

Dass es so weit kommt, glaubt in Ungarn jedoch kaum jemand. “Die EU hat in der Vergangenheit gegenüber Ungarn immer starke Worte verwendet, sie aber in der Praxis nicht umgesetzt”, sagt der Ökonom Laszlo Csaba. “Daher denke ich, dass ein Teil der EU-Fördergelder dennoch fließen wird. Wenn nichts mehr ausgezahlt werden würde, verlöre die EU auch ihren Einfluss auf Ungarn, und das ist nicht im Interesse Brüssels. Daher wird sich der Verhandlungsprozess nun ein wenig wie auf einem balkanischen Basar gestalten, und am Ende wird ein Kompromiss stehen.”

Der Politologe Peter Kreko warnt jedoch davor, sich Illusionen über Orbans Kompromissbereitschaft in puncto Rechtsstaatlichkeit zu machen. “Wir können von einem Löwen nicht erwarten, dass er von einem auf den anderen Moment ein Vegetarier wird”, sagt Kreko. “Es liegt nicht im Interesse Orbans, den Nepotismus und die Korruption, die für seine Regierung charakteristisch sind, einfach so abzuschaffen. Denn das würde bedeuten, dass enge Mitarbeiter von ihm oder Familienmitglieder vielleicht sogar ins Gefängnis kommen würden. Es ist auch nicht charakteristisch für illiberale Systeme, vor allem nicht in wirtschaftlich schwierigen Situationen, dass sie sich öffnen. Sie verschließen sich eher noch mehr.”

Hindurchlavieren

Beide Experten gehen davon aus, dass Orban versuchen wird, sich durch die Krise “hindurchzulavieren” – politisch wie wirtschaftlich. Der Ökonom Csaba sieht ein Anzeichen dafür in der “Matolcsy-Affäre”. Ungarns Nationalbankchef György Matolcsy, ein langjähriger Vertrauter Orbans, hatte die ungarische Wirtschaftspolitik Anfang Dezember in ungewöhnlich offenen Worten kritisiert und indirekt Sparmaßnahmen gefordert. In Ungarn hatte die Kritik Matolcsys eine Debatte darüber ausgelöst, wie stabil Orbans Herrschaft noch sei.

Csaba glaubt, dass Ungarns Premier die Situation kontrolliert. “Orban hat für jede Aufgabe zwei Leute”, sagt er. “Die einen sind eher Realisten wie Matolcsy, die anderen Optimisten. Wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt, wird er zu einschneidenden realistischen Maßnahmen greifen, während man gleichzeitig die gewohnten großen Töne von ihm hören wird.”

Zu wenig, zu spät

Eine ähnliche zweigleisige Strategie konstatiert der Politologe Kreko derzeit in der ungarischen Außenpolitik. Ungarn hat sich wegen Orbans Positionen zum Krieg Russlands gegen die Ukraine sogar mit seinem engsten Verbündeten Polen offen überworfen – im Dezember ging der ungarische Premier sogar so weit, den USA die Schuld am Krieg zuzuschieben. Zugleich schickte er die Staatspräsidentin Katalin Novak zu einem Besuch nach Kiew, in regierungsnahen Medien, die bislang übelste prorussische Propaganda verbreiteten, ist nun öfter von “Russlands Aggression” die Rede.

Dass Orban mit dieser Art von Politik gut durch die Krise komme, seine außenpolitische Isolation beenden könne und den Konflikt mit der EU löse, bezweifelt Kreko. “Man kann das, wie Orban derzeit agiert, einfach so zusammenfassen”, sagt der Politologe, “er macht zu wenig und zu spät.”

György Matolcsy

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