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Spannende Türkei-Wahl: Kilicdaroglu und die Kurden

Bei der Präsidentenwahl im Mai sind die Stimmen der Kurden bedeutend. Viele sind gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan. Aber werden die Kurden Oppositionskandidat Kemal Kilicdaroglu unterstützen?

Die Türkei steuert auf kritische Präsidenten- und Parlamentswahlen zu. Am 14. Mai tritt der langjährige Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan erneut an. Herausgefordert wird er von Kemal Kilicdaroglu. Der Sozialdemokrat tritt voraussichtlich als der gemeinsame Kandidat von weiten Teilen der Opposition an: Der sogenannte “Sechsertisch”, ein Bündnis aus sechs Parteien, will sich nach ersten Streitigkeiten nun doch geschlossen hinter Kilicdaroglu von der CHP stellen. Gemeinsames Ziel ist es, eine Wiederwahl Erdogans zu verhindern.

Allerdings gehört ausgerechnet die drittgrößte Partei des Landes nicht dem Bündnis an: die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP). Etwa 15 bis 20 Prozent der Wählerschaft in der Türkei sind kurdischer Abstammung. Das macht die Stimmen von Kurden für einen Wahlsieg absolut notwendig.

Die Türkei steuert auf kritische Präsidenten- und Parlamentswahlen zu. Am 14. Mai tritt der langjährige Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan erneut an. Herausgefordert wird er von Kemal Kilicdaroglu. Der Sozialdemokrat tritt voraussichtlich als der gemeinsame Kandidat von weiten Teilen der Opposition an: Der sogenannte “Sechsertisch”, ein Bündnis aus sechs Parteien, will sich nach ersten Streitigkeiten nun doch geschlossen hinter Kilicdaroglu von der CHP stellen. Gemeinsames Ziel ist es, eine Wiederwahl Erdogans zu verhindern.

Aktuell kommen jedoch Signale, wonach auch die HDP Kilicdaroglu unterstützen wird. Das kurdische Wählerverhalten ist von Pragmatismus geprägt und viele Kurden wollen die Erdogan-Regierung loswerden, von der sie seit Jahren zunehmend unterdrückt werden.

Von “distanziert” zu “sympathisch”

Die Unterstützung von Erdogans Partei AKP ist in den kurdisch geprägten Gebieten im Südosten der Türkei tatsächlich im freien Fall. Beispiel Diyarbakir: 2018 bekam die AKP in der kurdisch geprägten Metropole noch etwa 21,5 Prozent der Stimmen. Nun sehen Meinungsforscher die Unterstützung bei aktuell sieben Prozent.

Das Meinungsforschungsinstitut Rawest hat sich auf die politische Lage in den kurdisch geprägten Gebieten spezialisiert. Im Gespräch mit der DW betont der Direktor des Instituts, Roj Girasun, viele Kurden würden Kemal Kilicdaroglu inzwischen sympathisch finden: “Für die kurdischen Wähler ist Kilicdaroglu wählbar. Sie fühlen sich von seiner Politik angesprochen. Wir können sagen, dass Kilicdaroglu jemand ist, den die Kurden mit gutem Gewissen wählen würden.”

In den Augen vieler Kurden gelte die Person Kilicdaroglu als zuverlässiger als dessen Partei, die CHP, betont Girasun. “Wenn sich dieses Vertrauen mit den anderen Bestandteilen des Sechsertisches und der Unterstützung der HDP kombinieren lässt, können wir schlussfolgern, dass Kilicdaroglu von den kurdischen Wählern eine massive Unterstützung bekommen wird.”

Am 14. Mai haben die Wahlberechtigten in der Türkei zwei Stimmen: eine, um den Präsidenten zu wählen, und eine weitere für das Parlament. Bei der Parlamentswahl 2018 bekam die HDP in Diyarbakir etwa 65,5 Prozent aller abgegebenen Stimmen. Experten schätzen, dass die meisten kurdischen Wähler ihre erste Stimme wieder – ganz nach Tradition – der HDP geben werden. Auf dem anderen Wahlzettel, bei dem es um den künftigen Präsidenten geht, wird demnach eine Mehrheit ein Kreuz neben Kilicdaroglus Namen machen.

Wenn man sich in Diyarbakir umhört, scheint die Stimmung vor Ort eindeutig zugunsten für Kilicdaroglu zu sein. Nizam Özbek arbeitet in einer Cafeteria in Diyarbakir. Im Gespräch mit der DW sagt er: “Es hätte niemand besserer sein können als er.”

Özbek ist davon überzeugt, dass die Rechte der Kurden unter einer Präsidentschaft Kilicdaroglus sicher sein werden. Er könne aber in kurzer Zeit nichts Bahnbrechendes erreichen angesichts der politischen und wirtschaftlichen Lage, in der sich die Türkei befindet: “Die Lage in der Türkei ist klar. Kurzfristig erwarte ich nichts von ihm. Aber wenn man ihm ein bisschen Zeit gibt, bin ich davon überzeugt, dass er vieles verbessern und korrigieren wird.”

Auch der Gastronom Nihat Kus sieht Kilicdaroglus Kandidatur positiv. Alle Bürger aus Diyarbakir würden so denken wie er. Politikverdrossenheit herrsche unter ihnen aufgrund der jetzigen Regierung: “Menschen möchten endlich Wohlstand erreichen. Das ist unsere Hoffnung. Menschen kämpfen fürs Brot, nicht für die Politik”, so Kus.

Birgün Demirtas arbeitet im Gesundheitswesen in Diyarbakir. Sie betont, der nächste Präsident müsse unbedingt den Forderungen der Kurden zuhören: “Der Regierung muss bewusst werden, dass die Kurden existieren. Das ist der Wunsch des kurdischen Volks, mehr nicht.”

Der Beamte Cengiz Özbek unterstützt ebenfalls Kilicdaroglu: Das Land brauche Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit. Er verweist auf die Wirtschaftslage, die sich verschlechtert hat. Man solle unter den jetzigen Umständen Kilicdaroglu eine Chance geben, so Özbek: “Lass uns mal sehen, wie er so regiert.”

Der Sozialdemokrat werde ja mit insgesamt sechs Parteien regieren, was für einen Ausgleich sorgen werde – ganz anders als derzeit in Ankara: “Die jetzige Regierung ist eine Person. Es wäre schön, wenn Erdogan sich von den Leuten, die ihn umgeben werden, beraten ließe. Er tut es aber nicht: Stattdessen agiert er allein, weswegen wir wirtschaftliche Schwierigkeiten haben – oder eben auch Probleme wie beim Erdbeben vor einem Monat.”

Auch Diyarbakir wurde vom Erdbeben am 6. Februar getroffen. In der Stadt starben bei der Katastrophe 409 Menschen. Tausende verloren ihr Zuhause, viele mussten ihren Wohnort verlassen. In vielen Städten klagen Einwohner darüber, sie hätten zu spät oder gar keine Hilfe vom Staat bekommen.

Doch es gibt auch in Diyarbakir weiterhin Kurden, die für Recep Tayyip Erdogan sind: zum Beispiel Filiz Karatas. Karatas unterstützt Kilicdaroglu nicht, weil sie davon überzeugt ist, dass er der Türkei mehr Schaden als Nutzen bringen würde: “Erdogan hat der Türkei bis heute so viel gebracht.”

Obwohl nicht definitiv feststeht, ob sich die Mehrheit der kurdischen Wähler tatsächlich für Kemal Kilicdaroglu entscheiden wird, ist relativ sicher, dass Erdogan bei den Kurden nur noch wenige Anhänger findet. Vor allem, weil Erdogans AKP derzeit mit der ultranationalistischen MHP koaliert. Diese bestimmt seit Jahren den aggressiven und diskriminierenden Kurs der türkischen Regierung gegenüber den Kurden.

So läuft seit anderthalb Jahren ein Verbotsverfahren gegen die HDP. Der Generalstaatsanwalt wirft der kurdischen Partei unter anderem Separatismus und Verbindungen zu Terroristen vor. In Folge dieses politisch motivierten Gerichtsverfahrens verlor die HDP im Januar vorübergehend den Zugang zu staatlichen Finanzhilfen. Jetzt stehen der HDP wieder öffentliche Mittel zu, das hat das türkische Verfassungsgericht entschieden.

Weitere Fälle: Nach den Kommunalwahlen 2019 wurden viele demokratisch gewählte Bürgermeister in kurdisch geprägten Städten wegen Terrorismusvorwürfen entlassen und durch Zwangsverwalter ersetzt. Und der ehemalige HDP-Vorsitzender Selahattin Demirtas, der bis heute als einer der einflussreichsten kurdischen Politiker des Landes gilt, sitzt seit Jahren im Gefängnis.

Roj Girasun steht vor dem Logo des Meinungsforschungsinstituts Rawes
Nizam Özbek steht mit einem Tablett voller Teegläser vor seiner Cafeteria in Diyarbakir
Nihat Kus steht hinter einem Tresen in seiner Küche

Die Türkei steuert auf kritische Präsidenten- und Parlamentswahlen zu. Am 14. Mai tritt der langjährige Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan erneut an. Herausgefordert wird er von Kemal Kilicdaroglu. Der Sozialdemokrat tritt voraussichtlich als der gemeinsame Kandidat von weiten Teilen der Opposition an: Der sogenannte “Sechsertisch”, ein Bündnis aus sechs Parteien, will sich nach ersten Streitigkeiten nun doch geschlossen hinter Kilicdaroglu von der CHP stellen. Gemeinsames Ziel ist es, eine Wiederwahl Erdogans zu verhindern.

Allerdings gehört ausgerechnet die drittgrößte Partei des Landes nicht dem Bündnis an: die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP). Etwa 15 bis 20 Prozent der Wählerschaft in der Türkei sind kurdischer Abstammung. Das macht die Stimmen von Kurden für einen Wahlsieg absolut notwendig.

Von “distanziert” zu “sympathisch”

Aktuell kommen jedoch Signale, wonach auch die HDP Kilicdaroglu unterstützen wird. Das kurdische Wählerverhalten ist von Pragmatismus geprägt und viele Kurden wollen die Erdogan-Regierung loswerden, von der sie seit Jahren zunehmend unterdrückt werden.

Die Unterstützung von Erdogans Partei AKP ist in den kurdisch geprägten Gebieten im Südosten der Türkei tatsächlich im freien Fall. Beispiel Diyarbakir: 2018 bekam die AKP in der kurdisch geprägten Metropole noch etwa 21,5 Prozent der Stimmen. Nun sehen Meinungsforscher die Unterstützung bei aktuell sieben Prozent.

Das Meinungsforschungsinstitut Rawest hat sich auf die politische Lage in den kurdisch geprägten Gebieten spezialisiert. Im Gespräch mit der DW betont der Direktor des Instituts, Roj Girasun, viele Kurden würden Kemal Kilicdaroglu inzwischen sympathisch finden: “Für die kurdischen Wähler ist Kilicdaroglu wählbar. Sie fühlen sich von seiner Politik angesprochen. Wir können sagen, dass Kilicdaroglu jemand ist, den die Kurden mit gutem Gewissen wählen würden.”

In den Augen vieler Kurden gelte die Person Kilicdaroglu als zuverlässiger als dessen Partei, die CHP, betont Girasun. “Wenn sich dieses Vertrauen mit den anderen Bestandteilen des Sechsertisches und der Unterstützung der HDP kombinieren lässt, können wir schlussfolgern, dass Kilicdaroglu von den kurdischen Wählern eine massive Unterstützung bekommen wird.”

“Es gibt niemand besseren”

Am 14. Mai haben die Wahlberechtigten in der Türkei zwei Stimmen: eine, um den Präsidenten zu wählen, und eine weitere für das Parlament. Bei der Parlamentswahl 2018 bekam die HDP in Diyarbakir etwa 65,5 Prozent aller abgegebenen Stimmen. Experten schätzen, dass die meisten kurdischen Wähler ihre erste Stimme wieder – ganz nach Tradition – der HDP geben werden. Auf dem anderen Wahlzettel, bei dem es um den künftigen Präsidenten geht, wird demnach eine Mehrheit ein Kreuz neben Kilicdaroglus Namen machen.

“Lasst uns ihm eine Chance geben”

Wenn man sich in Diyarbakir umhört, scheint die Stimmung vor Ort eindeutig zugunsten für Kilicdaroglu zu sein. Nizam Özbek arbeitet in einer Cafeteria in Diyarbakir. Im Gespräch mit der DW sagt er: “Es hätte niemand besserer sein können als er.”

Özbek ist davon überzeugt, dass die Rechte der Kurden unter einer Präsidentschaft Kilicdaroglus sicher sein werden. Er könne aber in kurzer Zeit nichts Bahnbrechendes erreichen angesichts der politischen und wirtschaftlichen Lage, in der sich die Türkei befindet: “Die Lage in der Türkei ist klar. Kurzfristig erwarte ich nichts von ihm. Aber wenn man ihm ein bisschen Zeit gibt, bin ich davon überzeugt, dass er vieles verbessern und korrigieren wird.”

Auch der Gastronom Nihat Kus sieht Kilicdaroglus Kandidatur positiv. Alle Bürger aus Diyarbakir würden so denken wie er. Politikverdrossenheit herrsche unter ihnen aufgrund der jetzigen Regierung: “Menschen möchten endlich Wohlstand erreichen. Das ist unsere Hoffnung. Menschen kämpfen fürs Brot, nicht für die Politik”, so Kus.

Stimmen für Erdogan

Birgün Demirtas arbeitet im Gesundheitswesen in Diyarbakir. Sie betont, der nächste Präsident müsse unbedingt den Forderungen der Kurden zuhören: “Der Regierung muss bewusst werden, dass die Kurden existieren. Das ist der Wunsch des kurdischen Volks, mehr nicht.”

Der Beamte Cengiz Özbek unterstützt ebenfalls Kilicdaroglu: Das Land brauche Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit. Er verweist auf die Wirtschaftslage, die sich verschlechtert hat. Man solle unter den jetzigen Umständen Kilicdaroglu eine Chance geben, so Özbek: “Lass uns mal sehen, wie er so regiert.”

Der Sozialdemokrat werde ja mit insgesamt sechs Parteien regieren, was für einen Ausgleich sorgen werde – ganz anders als derzeit in Ankara: “Die jetzige Regierung ist eine Person. Es wäre schön, wenn Erdogan sich von den Leuten, die ihn umgeben werden, beraten ließe. Er tut es aber nicht: Stattdessen agiert er allein, weswegen wir wirtschaftliche Schwierigkeiten haben – oder eben auch Probleme wie beim Erdbeben vor einem Monat.”

Auch Diyarbakir wurde vom Erdbeben am 6. Februar getroffen. In der Stadt starben bei der Katastrophe 409 Menschen. Tausende verloren ihr Zuhause, viele mussten ihren Wohnort verlassen. In vielen Städten klagen Einwohner darüber, sie hätten zu spät oder gar keine Hilfe vom Staat bekommen.

Die Parteivorsitzenden der sechs Oppositionsparteien stehen zusammen hinter dem Podium. In der Mitte hält Kemal Kilicdaroglu eine Rede

Doch es gibt auch in Diyarbakir weiterhin Kurden, die für Recep Tayyip Erdogan sind: zum Beispiel Filiz Karatas. Karatas unterstützt Kilicdaroglu nicht, weil sie davon überzeugt ist, dass er der Türkei mehr Schaden als Nutzen bringen würde: “Erdogan hat der Türkei bis heute so viel gebracht.”

Obwohl nicht definitiv feststeht, ob sich die Mehrheit der kurdischen Wähler tatsächlich für Kemal Kilicdaroglu entscheiden wird, ist relativ sicher, dass Erdogan bei den Kurden nur noch wenige Anhänger findet. Vor allem, weil Erdogans AKP derzeit mit der ultranationalistischen MHP koaliert. Diese bestimmt seit Jahren den aggressiven und diskriminierenden Kurs der türkischen Regierung gegenüber den Kurden.

So läuft seit anderthalb Jahren ein Verbotsverfahren gegen die HDP. Der Generalstaatsanwalt wirft der kurdischen Partei unter anderem Separatismus und Verbindungen zu Terroristen vor. In Folge dieses politisch motivierten Gerichtsverfahrens verlor die HDP im Januar vorübergehend den Zugang zu staatlichen Finanzhilfen. Jetzt stehen der HDP wieder öffentliche Mittel zu, das hat das türkische Verfassungsgericht entschieden.

Weitere Fälle: Nach den Kommunalwahlen 2019 wurden viele demokratisch gewählte Bürgermeister in kurdisch geprägten Städten wegen Terrorismusvorwürfen entlassen und durch Zwangsverwalter ersetzt. Und der ehemalige HDP-Vorsitzender Selahattin Demirtas, der bis heute als einer der einflussreichsten kurdischen Politiker des Landes gilt, sitzt seit Jahren im Gefängnis.

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