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Dynamik in der EU-Erweiterungsfrage: Baerbock auf dem Balkan

Die deutsche Außenministerin besucht den Westbalkan. Eine besondere Mission: Der Frieden in Bosnien ist brüchig und Russland nimmt Einfluss. Im Schatten des Ukrainekriegs wird der “Hinterhof” der EU zur Priorität.

Jetzt also doch! “Gemeinsam und intensiver”, müsse an der EU-Beitrittsperspektive Bosniens gearbeitet werden, so die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock am Abend des Donnerstag (10.3.2022) nach einem Gespräch mit ihrer bosnischen Amtskollegin Bisera Turkovic. “Wir wollen gemeinsam im europäischen Haus zusammenleben”, formulierte Baerbock noch etwas unscharf den seit langem auf Eis liegenden Wunsch Sarajevos, Mitglied in der EU-Familie zu werden.

Es ist der Krieg in der Ukraine, der plötzlich Tempo in die EU-Erweiterungsfrage bringt. Die Länder des Westbalkans werden seit langem vertröstet. Vorneweg der zerbrechlichste Staat der Region, Bosnien und Herzegowina.

Jetzt also doch! “Gemeinsam und intensiver”, müsse an der EU-Beitrittsperspektive Bosniens gearbeitet werden, so die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock am Abend des Donnerstag (10.3.2022) nach einem Gespräch mit ihrer bosnischen Amtskollegin Bisera Turkovic. “Wir wollen gemeinsam im europäischen Haus zusammenleben”, formulierte Baerbock noch etwas unscharf den seit langem auf Eis liegenden Wunsch Sarajevos, Mitglied in der EU-Familie zu werden.

Die neue Entschlossenheit Deutschlands in der Außenpolitik scheint schon Wirkung zu zeigen. Ausgerechnet Milorad Dodik, Mitglied im dreiköpfigen Staatspräsidium und starker Mann der “Republika Srpska” (RS), erklärte nach einem Treffen mit Baerbock, er habe sie nach den Bedingungen für einen bosnischen EU-Beitritt gefragt. Konkret, ob es nun „Erleichterungen” geben könnte. 

Plötzlich auch Bosniens Serben an EU-Beitritt interessiert

Tatsächlich hat Dodik bislang an der Abspaltung seiner RS aus dem bosnischen Staat gearbeitet – mit offener Unterstützung aus Moskau und aus der Hauptstadt des benachbarten Serbiens, Belgrad. In Etappen sollten Justiz, Armee, Polizei und die Steuerbehörden aus dem fragilen Gesamtstaat Bosnien herausgelöst werden. Baerbock gegenüber wies er jedoch nun jegliche Sezessionsbestrebungen von sich. “Wir haben solche Pläne nicht”, erklärte Dodik.

Schon vor ihrem Abflug nach Sarajevo hatte die deutsche Außenministerin eindeutige Signale an die beitrittswilligen, aber seit Jahren vertrösteten Westbalkanstaaten gerichtet. “Wir müssen offen sagen, dass wir viele dieser Länder in den letzten Jahren enttäuscht und vernachlässigt haben.”

Diese Haltung vertreten schon seit langem die beiden ehemaligen Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina, Valentin Inzko und Christian Schwarz-Schilling.

Beide warnen energisch vor Krieg und forderten vor wenigen Tagen in einer gemeinsamen Erklärung den sofortigen EU-Beitritt Bosniens und anderer Westbalkanländer. Und: Serbien solle wegen seiner Weigerung, Sanktionen gegen Russland zu verhängen, der Status eines EU-Beitrittskandidaten entzogen werden.

Baerbocks zweite Station heißt Pristina, die Hauptstadt des Kosovo, bevor sie am Freitag in Belgrad erwartet wird. Dabei ist die Reihenfolge der Besuchsziele kein Zufall. Die grüne deutsche Außenministerin, gerade mal drei Monate im Amt, hat Sarajevo als Auftaktstation ihrer mehrtägigen Mission gewählt – nicht Belgrad. Die serbische Hauptstadt, normalerweise die erste Adresse, wenn es um diplomatische Aktivitäten Deutschlands und der EU in der Region geht, steht am Ende ihrer Westbalkan-Tournee. Dahinter steckt mehr als nur Symbolik: Der Krieg um die Ukraine hat auch die deutsche Westbalkan-Politik auf Trapp gebracht. Putins Tabubruch lässt die Bundesrepublik nun auch um den Frieden auf dem Balkan fürchten. Die Außenpolitik Berlins will sich offenbar nicht mehr länger vorrangig von Belgrad beeinflussen lassen.

Bosnien spielt auf dem Westbalkan eine besondere Rolle. Der Friede dort sei zwar “nicht perfekt”, so Baerbock, “aber kostbar”. Tatsächlich schwappen die Schockwellen des Ukrainekrieges bedrohlich in eine Region, die zwar europäisch, nicht aber EU-europäisch ist. Die für viele nicht für möglich gehaltene Aggression Russlands gegen die Ukraine schürt alte Ängste, dass die Konstruktion des Dayton-Friedensvertrages im Windschatten der Putin-Politik zerbrechen könnte.

Baerbocks Besuche vor allem in Bosnien und Kosovo stehen in einem direkten Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine. Beide befinden sich in ähnlicher Lage wie die Ukraine. Es gibt Begehrlichkeiten Serbiens unterschiedlicher Art. Kosovo, mehrheitlich albanisch besiedelt, wird zwar von vielen Ländern als unabhängiger Staat anerkannt, doch Belgrad will seine ehemalige Autonome Provinz noch nicht komplett aufgeben – und findet dafür Unterstützung in Moskau.

Die neue und plötzliche Wichtigkeit des europäischen Südostens für die Bundesregierung lässt sich auch an einer Personalie ablesen. Erstmals hat das deutsche Außenministerium einen Beauftragten für den Westbalkan benannt. Manuel Sarrazin ist keiner aus dem Behörden-Apparat, er ist ein profunder Kenner der Region, der zur richtigen Zeit sein Amt übernimmt, um direkte Verbindungen zwischen den Ländern und dem Außenministerium herzustellen.

Am Abend des 10. März (Donnerstag) traf die Außenministerin in Pristina ein. Auf der Tagesordnung stehen Gespräche mit Präsidentin Vjosa Osmani, Ministerpräsident Albin Kurti und Vertretern der NATO-Schutztruppe in Kosovo. An diesem Freitag wird Baerbock mit Serbiens Präsident Aleksandar Vucic zusammenkommen. Ein pikanter Besuch. Mehrheitlich sympathisieren die orthodoxen Serben mit dem großen Slawenbruder in Moskau. NATO-Bomben auf Belgrad während des Kosovokrieges 1999 haben das historische und politische Bündnis nur noch verstärkt. Dennoch hegt auch Vucic EU-Ambitionen, die allerdings für Experten undurchsichtig sind. Die geteilten Ziele – in Treue fest zu Moskau und dennoch mit am großen EU-Tisch in Brüssel sitzen zu wollen – erinnern derzeit noch an einen Spagat.

Vor dem 24.2.2022, dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine, fristeten die Westbalkanländer ein Schattendasein in der deutschen und EU-Außenpolitik. Der Schlüssel zu Lösungen für die Region liege in Belgrad, hieß es gebetsmühlenartig. Jetzt hat Brüssel den Schlüssel in der Hand.

Die beiden ehemaligen Hohen Repräsentanten Valentin Inzko (l) und Christian Schwarz Schilling am Tag der Unabhängigkeit Bosniens am 1.3.2022 im bosnischen Generalskonsulat in Frankfurt
Manuel Sarrazin - Sondergesandter der Bundesregierung für die Länder des westlichen Balkans

Jetzt also doch! “Gemeinsam und intensiver”, müsse an der EU-Beitrittsperspektive Bosniens gearbeitet werden, so die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock am Abend des Donnerstag (10.3.2022) nach einem Gespräch mit ihrer bosnischen Amtskollegin Bisera Turkovic. “Wir wollen gemeinsam im europäischen Haus zusammenleben”, formulierte Baerbock noch etwas unscharf den seit langem auf Eis liegenden Wunsch Sarajevos, Mitglied in der EU-Familie zu werden.

Es ist der Krieg in der Ukraine, der plötzlich Tempo in die EU-Erweiterungsfrage bringt. Die Länder des Westbalkans werden seit langem vertröstet. Vorneweg der zerbrechlichste Staat der Region, Bosnien und Herzegowina.

Plötzlich auch Bosniens Serben an EU-Beitritt interessiert

Die neue Entschlossenheit Deutschlands in der Außenpolitik scheint schon Wirkung zu zeigen. Ausgerechnet Milorad Dodik, Mitglied im dreiköpfigen Staatspräsidium und starker Mann der “Republika Srpska” (RS), erklärte nach einem Treffen mit Baerbock, er habe sie nach den Bedingungen für einen bosnischen EU-Beitritt gefragt. Konkret, ob es nun „Erleichterungen” geben könnte. 

Tatsächlich hat Dodik bislang an der Abspaltung seiner RS aus dem bosnischen Staat gearbeitet – mit offener Unterstützung aus Moskau und aus der Hauptstadt des benachbarten Serbiens, Belgrad. In Etappen sollten Justiz, Armee, Polizei und die Steuerbehörden aus dem fragilen Gesamtstaat Bosnien herausgelöst werden. Baerbock gegenüber wies er jedoch nun jegliche Sezessionsbestrebungen von sich. “Wir haben solche Pläne nicht”, erklärte Dodik.

Schon vor ihrem Abflug nach Sarajevo hatte die deutsche Außenministerin eindeutige Signale an die beitrittswilligen, aber seit Jahren vertrösteten Westbalkanstaaten gerichtet. “Wir müssen offen sagen, dass wir viele dieser Länder in den letzten Jahren enttäuscht und vernachlässigt haben.”

Diese Haltung vertreten schon seit langem die beiden ehemaligen Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina, Valentin Inzko und Christian Schwarz-Schilling.

“Dieses Land gehört zu Europa!”

Beide warnen energisch vor Krieg und forderten vor wenigen Tagen in einer gemeinsamen Erklärung den sofortigen EU-Beitritt Bosniens und anderer Westbalkanländer. Und: Serbien solle wegen seiner Weigerung, Sanktionen gegen Russland zu verhängen, der Status eines EU-Beitrittskandidaten entzogen werden.

Mehr als ein Symbol: Erst Sarajevo, dann Belgrad

Baerbocks zweite Station heißt Pristina, die Hauptstadt des Kosovo, bevor sie am Freitag in Belgrad erwartet wird. Dabei ist die Reihenfolge der Besuchsziele kein Zufall. Die grüne deutsche Außenministerin, gerade mal drei Monate im Amt, hat Sarajevo als Auftaktstation ihrer mehrtägigen Mission gewählt – nicht Belgrad. Die serbische Hauptstadt, normalerweise die erste Adresse, wenn es um diplomatische Aktivitäten Deutschlands und der EU in der Region geht, steht am Ende ihrer Westbalkan-Tournee. Dahinter steckt mehr als nur Symbolik: Der Krieg um die Ukraine hat auch die deutsche Westbalkan-Politik auf Trapp gebracht. Putins Tabubruch lässt die Bundesrepublik nun auch um den Frieden auf dem Balkan fürchten. Die Außenpolitik Berlins will sich offenbar nicht mehr länger vorrangig von Belgrad beeinflussen lassen.

Bosnien spielt auf dem Westbalkan eine besondere Rolle. Der Friede dort sei zwar “nicht perfekt”, so Baerbock, “aber kostbar”. Tatsächlich schwappen die Schockwellen des Ukrainekrieges bedrohlich in eine Region, die zwar europäisch, nicht aber EU-europäisch ist. Die für viele nicht für möglich gehaltene Aggression Russlands gegen die Ukraine schürt alte Ängste, dass die Konstruktion des Dayton-Friedensvertrages im Windschatten der Putin-Politik zerbrechen könnte.

Baerbocks Besuche vor allem in Bosnien und Kosovo stehen in einem direkten Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine. Beide befinden sich in ähnlicher Lage wie die Ukraine. Es gibt Begehrlichkeiten Serbiens unterschiedlicher Art. Kosovo, mehrheitlich albanisch besiedelt, wird zwar von vielen Ländern als unabhängiger Staat anerkannt, doch Belgrad will seine ehemalige Autonome Provinz noch nicht komplett aufgeben – und findet dafür Unterstützung in Moskau.

“Nicht perfekt, aber kostbar”

Die neue und plötzliche Wichtigkeit des europäischen Südostens für die Bundesregierung lässt sich auch an einer Personalie ablesen. Erstmals hat das deutsche Außenministerium einen Beauftragten für den Westbalkan benannt. Manuel Sarrazin ist keiner aus dem Behörden-Apparat, er ist ein profunder Kenner der Region, der zur richtigen Zeit sein Amt übernimmt, um direkte Verbindungen zwischen den Ländern und dem Außenministerium herzustellen.

Am Abend des 10. März (Donnerstag) traf die Außenministerin in Pristina ein. Auf der Tagesordnung stehen Gespräche mit Präsidentin Vjosa Osmani, Ministerpräsident Albin Kurti und Vertretern der NATO-Schutztruppe in Kosovo. An diesem Freitag wird Baerbock mit Serbiens Präsident Aleksandar Vucic zusammenkommen. Ein pikanter Besuch. Mehrheitlich sympathisieren die orthodoxen Serben mit dem großen Slawenbruder in Moskau. NATO-Bomben auf Belgrad während des Kosovokrieges 1999 haben das historische und politische Bündnis nur noch verstärkt. Dennoch hegt auch Vucic EU-Ambitionen, die allerdings für Experten undurchsichtig sind. Die geteilten Ziele – in Treue fest zu Moskau und dennoch mit am großen EU-Tisch in Brüssel sitzen zu wollen – erinnern derzeit noch an einen Spagat.

Pristina, Belgrad und die Kosovofrage

Vor dem 24.2.2022, dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine, fristeten die Westbalkanländer ein Schattendasein in der deutschen und EU-Außenpolitik. Der Schlüssel zu Lösungen für die Region liege in Belgrad, hieß es gebetsmühlenartig. Jetzt hat Brüssel den Schlüssel in der Hand.

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