Billiges Gas und Nationalismus: Die NATO in Südosteuropa zwischen Verweigerung und Bündnistreue
Der Westen streitet über den Umgang mit Russland. Dabei spielen die NATO-Mitgliedsstaaten von Kroatien bis zur Türkei eine ungewohnt zentrale Rolle. Doch von dort kommen mitunter schrille Töne.
Angesichts des sich zuspitzenden Konflikts um die Ukraine ist die NATO über den Umgang mit Russland uneins wie selten. “Die USA und das Vereinigte Königreich sind für eine harte Gangart und Abschreckung; Deutschland, Frankreich und Italien betonen daneben den Dialog und eine dritte Gruppe um Bulgarien, Ungarn oder die Slowakei möchte sich aus dem Konflikt und Truppenstationierungen heraushalten”, sagt Stefan Meister, langjähriger Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), der DW. Normalerweise gebe Deutschland das moderate Bindeglied zwischen diesen Gruppen – doch das fehle im Moment aus Führungsschwäche.
“Hinzu kommt eine Schwächung durch Populismus, Trump und Brexit. Russlands Präsident Wladimir Putin versucht das zu nutzen, um eine neue Sicherheitsordnung in Europa auszuhandeln – ohne die USA”, so der Osteuropa-Experte des deutschen Außenpolitik-Think-Tanks weiter. In dieser Situation spielten die NATO-Staaten Südosteuropas eine ungewohnt zentrale Rolle.
Angesichts des sich zuspitzenden Konflikts um die Ukraine ist die NATO über den Umgang mit Russland uneins wie selten. “Die USA und das Vereinigte Königreich sind für eine harte Gangart und Abschreckung; Deutschland, Frankreich und Italien betonen daneben den Dialog und eine dritte Gruppe um Bulgarien, Ungarn oder die Slowakei möchte sich aus dem Konflikt und Truppenstationierungen heraushalten”, sagt Stefan Meister, langjähriger Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), der DW. Normalerweise gebe Deutschland das moderate Bindeglied zwischen diesen Gruppen – doch das fehle im Moment aus Führungsschwäche.
Doch von dort kommen mitunter schrille Töne. Kroatiens Staatspräsident Zoran Milanovic etwa sorgte Ende Januar 2022 nicht nur zu Hause für Irritationen, als er einen Rückzug seines Landes im Konfliktfall in der Ukraine verkündete: “Wenn es zu einer Eskalation kommt, ziehen wir uns bis zum letzten kroatischen Soldaten zurück”, so Milanovic in der kroatischen Hauptstadt Zagreb – ohne jedoch zu präzisieren, was er genau meinte, denn in der Ukraine sind gar keine kroatischen Soldaten stationiert. Die Regierung des EU- und NATO-Mitgliedslandes konterte umgehend: “Der Präsident spricht nicht für Kroatien, sondern für sich selbst. Wir sind und bleiben ein loyales Mitglied der NATO”, so Außenminister Gordan Grlic Radman.
Kroatien: “Bei Eskalation Rückzug?”
Das Wunderlichste an der Drohung des kroatischen Präsidenten aber war, dass weder die NATO noch die USA oder die Ukraine ein militärisches Engagement von Kroatien gefordert hatten. “Milanovics Aussagen dienen innenpolitischen Zwecken, sie müssen vor dem Hintergrund seines Dauerkonflikts mit Premierminister Andrej Plenkovic gesehen werden”, erklärt Filip Milacic von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Wien im Gespräch mit der DW. “Dabei scheint der Präsident neuerdings auf die nationalistische Karte zu setzen, nennt Milorad Dodik, den Anführer der bosnischen Serben, einen ‘Partner’ und will sich kroatischen Nationalisten mit ihren Träumen von Grenzneuziehungen in Bosnien mit russischer Unterstützung andienen.”
Bei einem Auftritt im bulgarischen Fernsehen BTV machte die russische Botschafterin Eleonora Mitrofanowa am 1. Februar 2022 glasklar, was Russland letztlich von der NATO fordert: einen Rückzug hinter die Grenzen ihrer Mitgliedsstaaten von 1997, das heißt, auch den Abzug aller NATO-Truppen und Stützpunkte aus Ländern wie Rumänien und Bulgarien. Formell könnten diese, so Mitrofanowa, NATO-Mitglieder bleiben. Aber eben nur formell.
Bulgariens Verteidigungsminister Stefan Janew kann sich mit der Idee offenbar anfreunden. Schon im Dezember 2021 musste er durch Premierminister Kiril Petkow öffentlich gemaßregelt werden, nachdem er sich auf Facebook gegen eine Verlegung von NATO-Truppen nach Bulgarien ausgesprochen hatte. Während einer Parlamentsanhörung im Januar 2022 forderte Janew: “Wir sollten aufhören, die ausländische Presse zu lesen und zu spekulieren. Wir sollten bulgarophil sein und im Sinne der bulgarischen nationalen Interessen denken.” Wenn schon NATO-Truppen in Bulgarien stationiert würden, dann sollten es ausschließlich bulgarische sein, so Janew.
Die Betonung der “nationalen Interessen” hat auch in Sofia einen innenpolitischen Hintergrund: Seit ihrem Einzug ins Parlament im Dezember 2021 treiben die Nationalisten der Partei Wiedergeburt die Regierung vor sich her. Auch Botschafterin Mitrofanowa weiß um die traditionell pro-russische Position bulgarischer Nationalisten: “Russland hat einen Einfluss in Bulgarien: unsere gemeinsame Geschichte. Das ist der wichtigste Lobbyist, der wichtigste Influencer in unseren Beziehungen.”
Ganz anders in Rumänien, neben Deutschland und Polen einer der Staaten, in die bereits jetzt zusätzliche US- und NATO-Truppen verlegt werden. Laut einer Umfrage des Institutes INSCOP Research genießt die NATO bei den Rumänen im Vergleich mit ausgewählten Ländern (u.a. USA, Russland, China, Deutschland) und internationalen Organisationen (u.a. EU) das höchste Vertrauen. “Zusätzliche NATO-Truppen sind nicht nur willkommen, sondern auch ein politisches Kapital für die Regierung”, sagt Sorin Ionita, Politologe des Think Tanks Expert Group in Bukarest, der DW. “Nicht einmal die Nationalisten wagen es, sich dagegen auszusprechen.”
Im Fokus von NATO-Truppenverlegungen steht auch Ungarn, das ebenso wie Rumänien eine gemeinsame Grenze mit der Ukraine hat. Premierminister Viktor Orban unterhält seit Jahren eine “special relationship” zu Russland. Seine öffentliche Bewunderung für Präsident Putin und die Ablehnung von Sanktionen gegen dessen Regime brachten ihm den Spitznamen “Putins Pinscher” ein.
Anfang Februar 2022 reiste Orban nach Moskau, auf eine “Friedensmission”, wie er sich ausdrückte. Dabei ging es jedoch vor allem um russische Gaslieferungen, die Ungarn weit unter Marktwert bezieht, und ein russische Beteiligung am Ausbau des Atomkraftwerks Paks. Diskussionen über ein größeres NATO-Engagement Ungarns vermeidet Budapest daher.
Ein besonders komplexes Verhältnis zu Russland hat das strategisch wichtige NATO-Mitglied Türkei: Im syrischen Bürgerkrieg kooperieren Putin und Präsident Recep Tayyip Erdogan, in Libyen unterstützen sie unterschiedliche Gruppen. Erst brüskierte Erdogan seine NATO-Partner durch den Kauf russischer S-400-Luftabwehrraketen, dann belieferte Ankara die Ukraine mit Militärdrohnen. Und: Ähnlich wie Deutschland, Ungarn oder Bulgarien ist auch die Türkei abhängig von russischem Gas und Öl.
“Es ist ein delikater Balanceakt für Ankara: Erdogan hat eine spezielle Verbindung zur Ukraine und wird sie und die NATO unterstützen; andererseits darf er Putin nicht so verärgern, dass der das Gas abdreht oder Revanche in Syrien sucht”, sagt Asli Aydintasbas vom European Council on Foreign Relations der DW.
“Anders als der Westen weiß Russland ganz genau, was es in Osteuropa will: Die Macht und Einflusssphären wiederherstellen, die es seit 1991 verloren hat”, kommentiert der britische Osteuropa-Experte Timothy Garton Ash im Guardian. Um dies zu erreichen, benutze der Kreml in Südosteuropa vor allem billiges Gas und Nationalismus. Filip Milacic fügt im Gespräch mit der DW hinzu: “Den nationalistischen Eliten auf dem Westbalkan bietet Russland zudem etwas an, das der Westen nicht bietet und nicht anbieten sollte: das Versprechen, die Grenzen in der Region neu zu ziehen.”
Doch billiges Gas, Nationalismus und Uneinigkeit werden nicht reichen, um die NATO im Konfliktfall zu spalten, bilanziert Stefan Meister: “Die USA als Führungsmacht können sich derzeit durchsetzen, die NATO ist sich doch relativ einig in der Abschreckung, und auch wenn kleinere Staaten ausscheren, werden sie im Zweifelsfall nicht die Bündnistreue in Frage stellen. Es werden Waffen geliefert, Truppen verstärkt – und Russland gegenüber wird Zeit gewonnen.”
Angesichts des sich zuspitzenden Konflikts um die Ukraine ist die NATO über den Umgang mit Russland uneins wie selten. “Die USA und das Vereinigte Königreich sind für eine harte Gangart und Abschreckung; Deutschland, Frankreich und Italien betonen daneben den Dialog und eine dritte Gruppe um Bulgarien, Ungarn oder die Slowakei möchte sich aus dem Konflikt und Truppenstationierungen heraushalten”, sagt Stefan Meister, langjähriger Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), der DW. Normalerweise gebe Deutschland das moderate Bindeglied zwischen diesen Gruppen – doch das fehle im Moment aus Führungsschwäche.
“Hinzu kommt eine Schwächung durch Populismus, Trump und Brexit. Russlands Präsident Wladimir Putin versucht das zu nutzen, um eine neue Sicherheitsordnung in Europa auszuhandeln – ohne die USA”, so der Osteuropa-Experte des deutschen Außenpolitik-Think-Tanks weiter. In dieser Situation spielten die NATO-Staaten Südosteuropas eine ungewohnt zentrale Rolle.
Kroatien: “Bei Eskalation Rückzug?”
Doch von dort kommen mitunter schrille Töne. Kroatiens Staatspräsident Zoran Milanovic etwa sorgte Ende Januar 2022 nicht nur zu Hause für Irritationen, als er einen Rückzug seines Landes im Konfliktfall in der Ukraine verkündete: “Wenn es zu einer Eskalation kommt, ziehen wir uns bis zum letzten kroatischen Soldaten zurück”, so Milanovic in der kroatischen Hauptstadt Zagreb – ohne jedoch zu präzisieren, was er genau meinte, denn in der Ukraine sind gar keine kroatischen Soldaten stationiert. Die Regierung des EU- und NATO-Mitgliedslandes konterte umgehend: “Der Präsident spricht nicht für Kroatien, sondern für sich selbst. Wir sind und bleiben ein loyales Mitglied der NATO”, so Außenminister Gordan Grlic Radman.
Das Wunderlichste an der Drohung des kroatischen Präsidenten aber war, dass weder die NATO noch die USA oder die Ukraine ein militärisches Engagement von Kroatien gefordert hatten. “Milanovics Aussagen dienen innenpolitischen Zwecken, sie müssen vor dem Hintergrund seines Dauerkonflikts mit Premierminister Andrej Plenkovic gesehen werden”, erklärt Filip Milacic von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Wien im Gespräch mit der DW. “Dabei scheint der Präsident neuerdings auf die nationalistische Karte zu setzen, nennt Milorad Dodik, den Anführer der bosnischen Serben, einen ‘Partner’ und will sich kroatischen Nationalisten mit ihren Träumen von Grenzneuziehungen in Bosnien mit russischer Unterstützung andienen.”
Bei einem Auftritt im bulgarischen Fernsehen BTV machte die russische Botschafterin Eleonora Mitrofanowa am 1. Februar 2022 glasklar, was Russland letztlich von der NATO fordert: einen Rückzug hinter die Grenzen ihrer Mitgliedsstaaten von 1997, das heißt, auch den Abzug aller NATO-Truppen und Stützpunkte aus Ländern wie Rumänien und Bulgarien. Formell könnten diese, so Mitrofanowa, NATO-Mitglieder bleiben. Aber eben nur formell.
Bulgariens Verteidigungsminister Stefan Janew kann sich mit der Idee offenbar anfreunden. Schon im Dezember 2021 musste er durch Premierminister Kiril Petkow öffentlich gemaßregelt werden, nachdem er sich auf Facebook gegen eine Verlegung von NATO-Truppen nach Bulgarien ausgesprochen hatte. Während einer Parlamentsanhörung im Januar 2022 forderte Janew: “Wir sollten aufhören, die ausländische Presse zu lesen und zu spekulieren. Wir sollten bulgarophil sein und im Sinne der bulgarischen nationalen Interessen denken.” Wenn schon NATO-Truppen in Bulgarien stationiert würden, dann sollten es ausschließlich bulgarische sein, so Janew.
Geschichte als russischer “Lobbyist” in Bulgarien
Die Betonung der “nationalen Interessen” hat auch in Sofia einen innenpolitischen Hintergrund: Seit ihrem Einzug ins Parlament im Dezember 2021 treiben die Nationalisten der Partei Wiedergeburt die Regierung vor sich her. Auch Botschafterin Mitrofanowa weiß um die traditionell pro-russische Position bulgarischer Nationalisten: “Russland hat einen Einfluss in Bulgarien: unsere gemeinsame Geschichte. Das ist der wichtigste Lobbyist, der wichtigste Influencer in unseren Beziehungen.”
60 Prozent Zustimmung in Rumänien
Ganz anders in Rumänien, neben Deutschland und Polen einer der Staaten, in die bereits jetzt zusätzliche US- und NATO-Truppen verlegt werden. Laut einer Umfrage des Institutes INSCOP Research genießt die NATO bei den Rumänen im Vergleich mit ausgewählten Ländern (u.a. USA, Russland, China, Deutschland) und internationalen Organisationen (u.a. EU) das höchste Vertrauen. “Zusätzliche NATO-Truppen sind nicht nur willkommen, sondern auch ein politisches Kapital für die Regierung”, sagt Sorin Ionita, Politologe des Think Tanks Expert Group in Bukarest, der DW. “Nicht einmal die Nationalisten wagen es, sich dagegen auszusprechen.”
Im Fokus von NATO-Truppenverlegungen steht auch Ungarn, das ebenso wie Rumänien eine gemeinsame Grenze mit der Ukraine hat. Premierminister Viktor Orban unterhält seit Jahren eine “special relationship” zu Russland. Seine öffentliche Bewunderung für Präsident Putin und die Ablehnung von Sanktionen gegen dessen Regime brachten ihm den Spitznamen “Putins Pinscher” ein.
Anfang Februar 2022 reiste Orban nach Moskau, auf eine “Friedensmission”, wie er sich ausdrückte. Dabei ging es jedoch vor allem um russische Gaslieferungen, die Ungarn weit unter Marktwert bezieht, und ein russische Beteiligung am Ausbau des Atomkraftwerks Paks. Diskussionen über ein größeres NATO-Engagement Ungarns vermeidet Budapest daher.
“Putins Pinscher” in Budapest
Ein besonders komplexes Verhältnis zu Russland hat das strategisch wichtige NATO-Mitglied Türkei: Im syrischen Bürgerkrieg kooperieren Putin und Präsident Recep Tayyip Erdogan, in Libyen unterstützen sie unterschiedliche Gruppen. Erst brüskierte Erdogan seine NATO-Partner durch den Kauf russischer S-400-Luftabwehrraketen, dann belieferte Ankara die Ukraine mit Militärdrohnen. Und: Ähnlich wie Deutschland, Ungarn oder Bulgarien ist auch die Türkei abhängig von russischem Gas und Öl.
“Es ist ein delikater Balanceakt für Ankara: Erdogan hat eine spezielle Verbindung zur Ukraine und wird sie und die NATO unterstützen; andererseits darf er Putin nicht so verärgern, dass der das Gas abdreht oder Revanche in Syrien sucht”, sagt Asli Aydintasbas vom European Council on Foreign Relations der DW.
“Delikater Balanceakt” am Bosporus
“Anders als der Westen weiß Russland ganz genau, was es in Osteuropa will: Die Macht und Einflusssphären wiederherstellen, die es seit 1991 verloren hat”, kommentiert der britische Osteuropa-Experte Timothy Garton Ash im Guardian. Um dies zu erreichen, benutze der Kreml in Südosteuropa vor allem billiges Gas und Nationalismus. Filip Milacic fügt im Gespräch mit der DW hinzu: “Den nationalistischen Eliten auf dem Westbalkan bietet Russland zudem etwas an, das der Westen nicht bietet und nicht anbieten sollte: das Versprechen, die Grenzen in der Region neu zu ziehen.”
Putins Angebot an die Eliten des Westbalkans
Doch billiges Gas, Nationalismus und Uneinigkeit werden nicht reichen, um die NATO im Konfliktfall zu spalten, bilanziert Stefan Meister: “Die USA als Führungsmacht können sich derzeit durchsetzen, die NATO ist sich doch relativ einig in der Abschreckung, und auch wenn kleinere Staaten ausscheren, werden sie im Zweifelsfall nicht die Bündnistreue in Frage stellen. Es werden Waffen geliefert, Truppen verstärkt – und Russland gegenüber wird Zeit gewonnen.”