Kultur

Dirigent Sir Simon Rattle erhält Bundesverdienstkreuz

Sir Simon Rattle ist mit einer der höchsten Auszeichnungen Deutschlands geehrt worden. Für sein Engagement in der Jugendarbeit erhielt der Dirigent das Große Verdienstkreuz mit Stern.

Klassische Musik vom Nimbus des Exklusiven und Elitären zu befreien und einem breiten Publikum zugänglich zu machen – das war stets das Anliegen Sir Simon Rattles; vor allem während seiner 16 Jahre als Musikdirektor und Chefdirigent der Berliner Philharmoniker. In dieser Zeit schuf er auch das “Education Program”, mit dem er Kinder und Jugendliche, die bis dahin keinen Bezug zu klassischer Musik hatten, an diese heranführte.

Für sein Engagement wurde der gebürtige Brite nun von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ausgezeichnet. An diesem Dienstag hat Sir Simon Rattle das Große Verdienstkreuz mit Stern im Berliner Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten, erhalten. Es freue ihn, “nicht nur einen hochverdienten Künstler auszuzeichnen, sondern auch einen so überaus sympathischen Repräsentanten des Musiklebens”, sagte Steinmeier bei der Verleihung. Rattle sei eine “in Person leibhaftige Werbung für die Musik”, die er mit seinen Orchestern  lebendig werden lasse. 

Klassische Musik vom Nimbus des Exklusiven und Elitären zu befreien und einem breiten Publikum zugänglich zu machen – das war stets das Anliegen Sir Simon Rattles; vor allem während seiner 16 Jahre als Musikdirektor und Chefdirigent der Berliner Philharmoniker. In dieser Zeit schuf er auch das “Education Program”, mit dem er Kinder und Jugendliche, die bis dahin keinen Bezug zu klassischer Musik hatten, an diese heranführte.

Simon Rattle wurde am 19. Januar 1955 in der englischen Stadt Liverpool geboren. Im Alter von 16 Jahren begann er sein Studium an der Royal Academy of Music. Seine Fächer: Klavier, Schlagzeug und Orchesterleitung. Nach dem Studienabschluss 1974 gewann er den John-Player-Dirigentenwettbewerb, durfte daraufhin beim Bournemouth Symphony Orchestra assistieren, später beim BBC Scottish Symphony Orchestra und beim Royal Liverpool Philharmonic Orchestra.

Liverpool, Birmingham, Berlin

1980 war es dann mit den Assistenzposten vorbei: Der 25-Jährige wurde Erster Dirigent des City of Birmingham Symphony Orchestra – und führte in den folgenden 18 Jahren den provinziellen Klangkörper bis an die Weltspitze. Eiserne Disziplin, unbändige Neugierde und ein Mix aus klassischem und modernem Repertoire waren sein Erfolgsrezept – gepaart mit einer schier grenzenlosen Energie und sehr viel Enthusiasmus. “Ich bin geradezu manisch optimistisch”, bestätigte Rattle 2004 in einem Interview des Bayerischen Rundfunks.

In den 1980er Jahren arbeitete Rattle mit dem Dirigenten Nikolaus Harnoncourt zusammen. Für Rattle ein Meilenstein: “Ich habe erkannt, dass es eine ganze Welt gab, die ich noch erkunden musste”, sagte Rattle 2004 in einem Interview mit der DW. “Harnoncourt öffnete mir die Augen. Ich habe die Bedeutung der historischen Aufführungspraxis erkannt und musste mich zurückziehen: Ich las, spielte Cembalo und lernte Barockgeige.”

Der Erfolg des City of Birmingham Symphony Orchestra wurde indessen auch im Königshaus registriert: 1994 erhob Königin Elisabeth II. Simon Rattle in den Adelsstand. Fünf Jahre später wählten die Mitglieder der Berliner Philharmoniker Sir Simon zu ihrem neuen Chef. 2002 trat er die Nachfolge von Claudio Abbado an.

Es war der Beginn einer aufregenden und mitunter auch turbulenten Zeit. Gleich zu Beginn initiierte Rattle das “Education Program” der Berliner Philharmoniker und band Jugendliche aus sozial benachteiligten Teilen Berlins in Musik- und Tanz-Projekte ein – wie der millionenfach gesehene Dokumentarfilm “Rhythm is It!” beeindruckend dokumentierte. Musiker des Orchesters gingen in lokale Schulen, spielten dort und erklärten ihren Beruf.

Außerdem konnten mit der “Digital Concert Hall” nun Aufführungen der Berliner Philharmoniker weltweit gesehen werden. Rattle und die Berliner Philharmoniker gründeten ein eigenes Label und wurden 2004 zum UNICEF-Botschafter ernannt.

In den 16 Jahren seiner Amtszeit absolvierte Rattle 1100 Konzertauftritte mit den Berliner Philharmonikern – und öffnete ihnen ein neues Repertoire. Dazu gehörten englische und nordische Komponisten, die bis dahin auf den Spielzetteln gefehlt hatten, Haydn und Mozart, und auch viel zeitgenössische Musik; der amerikanische Komponist John Adams war einmal “Composer in Residence”. Die deutsche Tageszeitung “Die Welt” titulierte Rattle als “Repertoire-Vielfraß”.

Dafür trat allerdings – zumindest in der Wahrnehmung einiger – das Kernrepertoire der Berliner Philharmoniker, sprich: die deutschen Romantiker, in den Hintergrund. Klagen innerhalb und außerhalb des Orchesters wurden laut: Der einmalige Klang der Berliner Philharmoniker sei nicht mehr einmalig, das Orchester sei, in dem was es spielt und wie es spielt, globalisiert und verwechselbar geworden. Rattle überstand die Kontroversen und bescherte dem Publikum in Berlin und weltweit auf Tournee viele Sternstunden.

“Es ist der schönste Dirigentenjob der Welt – und der schwierigste”, sagte Rattle der Tageszeitung “Die Welt” im Jahr 2015. “Und meistens beides gleichzeitig! Dieses Orchester hat es mir sehr klar gemacht, dass mit ihm keine Probe beginnen kann, ohne ein Konzept für den Klang, den ich erreichen will, im Kopf zu haben.”

2013 kündigte Sir Simon Rattle überraschend an, seinen Vertrag mit den Berliner Philharmonikern nicht verlängern zu wollen und wechselte 2017 zum London Symphony Orchestra. “Die Benennung Rattles ist genau der kreative Schock, den die Klassik hierzulande braucht”, schrieb die Tageszeitung “The Guardian”. Ein Jahr lang pendelte Rattle zwischen beiden Posten, bis Kirill Petrenko im August 2019 seine Nachfolge in Berlin antrat.

Der Wahlberliner und seine dritte Ehefrau, die Mezzosopranistin Magdalena Kozena, gaben ihren Wohnsitz nicht auf, dafür wohnt Rattle jetzt einige Monate im Jahr in London. Durch weitere Projekte mit den Berlinern – aber auch mit dem Bundesjugendorchester, zu dessen Ehrendirigent Rattle benannt wurde – bleibt er dem deutschen Konzertpublikum weiter verbunden. Ansonsten war und ist Rattle viel in den USA unterwegs: zunächst mit dem Los Angeles Philharmonic und dem Boston Symphony Orchestra, später auch mit dem Philadelphia Orchestra. Rattle tritt auch regelmäßig mit den Wiener Philharmonikern auf, mit denen er den Zyklus aller Beethoven-Sinfonien aufnahm, und ist “Principal Artist” des Orchestra of the Age of Enlightenment aus Großbritannien. 

Die Entscheidung für London fiel nur wenige Monate vor dem Brexit-Referendum im Juni 2016. Hätte er den Vertrag unterschrieben, wenn er den Ausgang gekannt hätte? “Gute Frage” war seine lapidare Antwort.

Doch inzwischen ist klar: Sir Simon Rattle wird nach Deutschland zurückkehren. Bis Mitte 2023 bleibt Rattle als Musikdirektor beim London Symphony Orchestra, dann will er zur Konzertsaison 2023/2024 als Chefdirigent des Symphonieorchesters und des Chores des Bayerischen Rundfunks in München starten. Wohnen will er auch dann weiterhin in Berlin. 

Dieser Artikel ist die aktualisierte Fassung eines Porträts zum 65. Geburtstag von Sir Simon Rattle.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender bei der Übergabe an den Dirigenten Simon Rattle mit seiner Ehefrau
Simon Rattle BundesJugendOrchester

Klassische Musik vom Nimbus des Exklusiven und Elitären zu befreien und einem breiten Publikum zugänglich zu machen – das war stets das Anliegen Sir Simon Rattles; vor allem während seiner 16 Jahre als Musikdirektor und Chefdirigent der Berliner Philharmoniker. In dieser Zeit schuf er auch das “Education Program”, mit dem er Kinder und Jugendliche, die bis dahin keinen Bezug zu klassischer Musik hatten, an diese heranführte.

Für sein Engagement wurde der gebürtige Brite nun von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ausgezeichnet. An diesem Dienstag hat Sir Simon Rattle das Große Verdienstkreuz mit Stern im Berliner Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten, erhalten. Es freue ihn, “nicht nur einen hochverdienten Künstler auszuzeichnen, sondern auch einen so überaus sympathischen Repräsentanten des Musiklebens”, sagte Steinmeier bei der Verleihung. Rattle sei eine “in Person leibhaftige Werbung für die Musik”, die er mit seinen Orchestern  lebendig werden lasse. 

Liverpool, Birmingham, Berlin

Simon Rattle wurde am 19. Januar 1955 in der englischen Stadt Liverpool geboren. Im Alter von 16 Jahren begann er sein Studium an der Royal Academy of Music. Seine Fächer: Klavier, Schlagzeug und Orchesterleitung. Nach dem Studienabschluss 1974 gewann er den John-Player-Dirigentenwettbewerb, durfte daraufhin beim Bournemouth Symphony Orchestra assistieren, später beim BBC Scottish Symphony Orchestra und beim Royal Liverpool Philharmonic Orchestra.

1980 war es dann mit den Assistenzposten vorbei: Der 25-Jährige wurde Erster Dirigent des City of Birmingham Symphony Orchestra – und führte in den folgenden 18 Jahren den provinziellen Klangkörper bis an die Weltspitze. Eiserne Disziplin, unbändige Neugierde und ein Mix aus klassischem und modernem Repertoire waren sein Erfolgsrezept – gepaart mit einer schier grenzenlosen Energie und sehr viel Enthusiasmus. “Ich bin geradezu manisch optimistisch”, bestätigte Rattle 2004 in einem Interview des Bayerischen Rundfunks.

In den 1980er Jahren arbeitete Rattle mit dem Dirigenten Nikolaus Harnoncourt zusammen. Für Rattle ein Meilenstein: “Ich habe erkannt, dass es eine ganze Welt gab, die ich noch erkunden musste”, sagte Rattle 2004 in einem Interview mit der DW. “Harnoncourt öffnete mir die Augen. Ich habe die Bedeutung der historischen Aufführungspraxis erkannt und musste mich zurückziehen: Ich las, spielte Cembalo und lernte Barockgeige.”

Der Erfolg des City of Birmingham Symphony Orchestra wurde indessen auch im Königshaus registriert: 1994 erhob Königin Elisabeth II. Simon Rattle in den Adelsstand. Fünf Jahre später wählten die Mitglieder der Berliner Philharmoniker Sir Simon zu ihrem neuen Chef. 2002 trat er die Nachfolge von Claudio Abbado an.

Der schönste Dirigentenjob – und der schwierigste 

Es war der Beginn einer aufregenden und mitunter auch turbulenten Zeit. Gleich zu Beginn initiierte Rattle das “Education Program” der Berliner Philharmoniker und band Jugendliche aus sozial benachteiligten Teilen Berlins in Musik- und Tanz-Projekte ein – wie der millionenfach gesehene Dokumentarfilm “Rhythm is It!” beeindruckend dokumentierte. Musiker des Orchesters gingen in lokale Schulen, spielten dort und erklärten ihren Beruf.

Viel Öffentlichkeitsarbeit, großer Erfolg

Außerdem konnten mit der “Digital Concert Hall” nun Aufführungen der Berliner Philharmoniker weltweit gesehen werden. Rattle und die Berliner Philharmoniker gründeten ein eigenes Label und wurden 2004 zum UNICEF-Botschafter ernannt.

In den 16 Jahren seiner Amtszeit absolvierte Rattle 1100 Konzertauftritte mit den Berliner Philharmonikern – und öffnete ihnen ein neues Repertoire. Dazu gehörten englische und nordische Komponisten, die bis dahin auf den Spielzetteln gefehlt hatten, Haydn und Mozart, und auch viel zeitgenössische Musik; der amerikanische Komponist John Adams war einmal “Composer in Residence”. Die deutsche Tageszeitung “Die Welt” titulierte Rattle als “Repertoire-Vielfraß”.

Dafür trat allerdings – zumindest in der Wahrnehmung einiger – das Kernrepertoire der Berliner Philharmoniker, sprich: die deutschen Romantiker, in den Hintergrund. Klagen innerhalb und außerhalb des Orchesters wurden laut: Der einmalige Klang der Berliner Philharmoniker sei nicht mehr einmalig, das Orchester sei, in dem was es spielt und wie es spielt, globalisiert und verwechselbar geworden. Rattle überstand die Kontroversen und bescherte dem Publikum in Berlin und weltweit auf Tournee viele Sternstunden.

Wechsel zum London Symphony Orchestra

“Es ist der schönste Dirigentenjob der Welt – und der schwierigste”, sagte Rattle der Tageszeitung “Die Welt” im Jahr 2015. “Und meistens beides gleichzeitig! Dieses Orchester hat es mir sehr klar gemacht, dass mit ihm keine Probe beginnen kann, ohne ein Konzept für den Klang, den ich erreichen will, im Kopf zu haben.”

2013 kündigte Sir Simon Rattle überraschend an, seinen Vertrag mit den Berliner Philharmonikern nicht verlängern zu wollen und wechselte 2017 zum London Symphony Orchestra. “Die Benennung Rattles ist genau der kreative Schock, den die Klassik hierzulande braucht”, schrieb die Tageszeitung “The Guardian”. Ein Jahr lang pendelte Rattle zwischen beiden Posten, bis Kirill Petrenko im August 2019 seine Nachfolge in Berlin antrat.

Rattle wird nach Deutschland zurückkehren

Der Wahlberliner und seine dritte Ehefrau, die Mezzosopranistin Magdalena Kozena, gaben ihren Wohnsitz nicht auf, dafür wohnt Rattle jetzt einige Monate im Jahr in London. Durch weitere Projekte mit den Berlinern – aber auch mit dem Bundesjugendorchester, zu dessen Ehrendirigent Rattle benannt wurde – bleibt er dem deutschen Konzertpublikum weiter verbunden. Ansonsten war und ist Rattle viel in den USA unterwegs: zunächst mit dem Los Angeles Philharmonic und dem Boston Symphony Orchestra, später auch mit dem Philadelphia Orchestra. Rattle tritt auch regelmäßig mit den Wiener Philharmonikern auf, mit denen er den Zyklus aller Beethoven-Sinfonien aufnahm, und ist “Principal Artist” des Orchestra of the Age of Enlightenment aus Großbritannien. 

Die Entscheidung für London fiel nur wenige Monate vor dem Brexit-Referendum im Juni 2016. Hätte er den Vertrag unterschrieben, wenn er den Ausgang gekannt hätte? “Gute Frage” war seine lapidare Antwort.

Den Kopf von Simon Rattle von Hinten fotographiert

Doch inzwischen ist klar: Sir Simon Rattle wird nach Deutschland zurückkehren. Bis Mitte 2023 bleibt Rattle als Musikdirektor beim London Symphony Orchestra, dann will er zur Konzertsaison 2023/2024 als Chefdirigent des Symphonieorchesters und des Chores des Bayerischen Rundfunks in München starten. Wohnen will er auch dann weiterhin in Berlin. 

Dieser Artikel ist die aktualisierte Fassung eines Porträts zum 65. Geburtstag von Sir Simon Rattle.

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