Wirtschaft

Spanien: Carlos San Juan gegen die Banken

Nicht nur alte Menschen, sondern auch Menschen mit Einschränkungen leiden unter der zunehmenden Digitalisierung in Spanien – vor allem im Bankensektor. Ein Rentner bäumt sich dagegen auf.

Carlos San Juan war Arzt und damit gewohnt, “Leid und Schmerzen zu sehen”, wie er sagt. Aber die Pandemie hat den 78-jährigen Spanier aus Valencia gleich zweifach getroffen. Einerseits war der direkte Kontakt zu seiner Tochter und den Enkelkindern nicht mehr möglich. Ähnlich verhielt es sich mit seiner Bank, die nur noch telefonisch oder mit vorheriger Anmeldung und nur für dringende Angelegenheiten für ihn da war.

Jetzt, wo die Isolierung vorbei ist, haben viele Finanzinstitute in Spanien die Gepflogenheiten der Pandemie beigehalten. Vormittags stehen die Mitarbeiter meist nur noch bis 11 Uhr am Schalter zur Verfügung und dann auch nur mit vorheriger Anmeldung. Zudem beklagen sich Rentner wie San Juan, dass es kaum noch Bankfilialen in ihrer Nachbarschaft gibt.

Carlos San Juan war Arzt und damit gewohnt, “Leid und Schmerzen zu sehen”, wie er sagt. Aber die Pandemie hat den 78-jährigen Spanier aus Valencia gleich zweifach getroffen. Einerseits war der direkte Kontakt zu seiner Tochter und den Enkelkindern nicht mehr möglich. Ähnlich verhielt es sich mit seiner Bank, die nur noch telefonisch oder mit vorheriger Anmeldung und nur für dringende Angelegenheiten für ihn da war.

Seit der Finanzkrise 2008 ist Spanien das Land, das am meisten Bank- und Sparkassen-Niederlassungen geschlossen hat, wie Daten der EZB zeigen – insgesamt 23.673. Allerdings gab es vorher auch nirgendwo in der EU eine so hohe Filialdichte. Über 100.000 Jobs gingen seitdem im Bankensektor verloren. Die Pandemie hat den Prozess beschleunigt. Berater wurden zunehmend durch einen Chatbot ersetzt. Kunden werden gezwungen, sich digital zurechtzufinden mit elektronischen Bezahlverfahren und Onlinebanking sowie biometrischen Geldautomaten. Spanien war bei all diesen Prozessen Vorreiter.

Vom frustrierten Rentner zum Medienstar

Aber Carlos San Juan platzte vor ein paar Wochen der Kragen.

Erst startete der 78-Jährige in seinem Freundes- und Bekanntenkreis eine Unterschriftensammlung. Er fordert von den Banken, wieder den ganzen Vormittag ohne Voranmeldung den Schalter für Rentner zu öffnen, wo sie Geld abheben und Rechnungen bezahlen können.

Nachdem er mehr als hundert Unterschriften gesammelt hatte, begann er eine Kampagne auf der Plattform Change.org, die voll ins Schwarze traf. “Ich bin zwar alt, aber kein Idiot”, nannte er sie. Mehr als 600.000 Menschen im Land haben schon unterschrieben. San Juan war plötzlich auf allen Kanälen zu sehen und hören. Das hat auch den spanischen Notenbankchef beeindruckt, der ihn persönlich anrief. Ein Treffen mit der Wirtschaftsministerin und Branchenvertretern ist geplant. An diesem Dienstag überreichte San Juan die Petition symbolisch an Notenbank und Wirtschaftsministerium. 

Es soll sich etwas ändern. San Juan ist jedoch skeptisch: “Sie werden versuchen, die Bedienung der Apparate und Geldmaschinen für uns mit Hilfe von Beratern zu erleichtern. Aber ich bin im Kopf fit. Ich bin nicht blöd. Es ist nur, dass ich Parkinson habe und manchmal auf den falschen Knopf oder die falsche Taste drücke”, sagt er im Gespräch mit der DW. Er habe Angst, dadurch Geld zu verlieren. Mehrmals hatte San Juan bei seiner Hausbank Caixabank schon beobachtet, wie Kunden wie er mit dem Geldautomaten kämpften. Einmal erlebte er dabei sogar, wie eine Frau bestohlen wurde von einem jungen Mann, der vorgab, ihr helfen zu wollen.

Auch im Rest der modernen Welt werden alte, kranke, behinderte und ärmere Menschen ausgeschlossen durch die rasant schnelle Digitalisierung. Aber in Spanien ist das Problem besonders eklatant, da das Land nach Japan die längste Lebenserwartung der Welt hat und gleichzeitig die zweitniedrigste Geburtenrate der EU.

Nach Daten des nationalen Statistikamts leben in Spanien knapp 9,4 Millionen Menschen über 64 Jahre, das ist fast ein Viertel der Bevölkerung. Zudem ist das Land nicht dicht besiedelt. Viele kleine Städte und Dörfer müssen sich bereits seit Jahren aus Kostengründen mit Geldautomaten begnügen; Kunden müssen 30 Kilometer und mehr fahren, um mit einem Bankberater zu sprechen. Nach offiziellen Angaben leben rund 17 Prozent der Bevölkerung in ländlichen Regionen. Die digitale und kulturelle Kluft zwischen Stadt und Land ist enorm. In einer jüngsten Umfrage der spanischen Rentnervereinigung UDP (Unión Democrática de Pensionistas y Jubilados de España) sagten 40 Prozent der befragten älteren Menschen, dass sie noch niemals im Internet gesurft hätten.

San Juan ist seit 51 Jahren bei der Caixabank, die inzwischen 20 Millionen Kunden hat und in den vergangenen Jahren mehrfach internationale Preise für Technologie und Rentabilität einheimste. Es regt ihn auf, dass die Banken während der Finanzkrise mit 40 Milliarden Euro und mehr an Steuergeldern gestützt wurden – aber dann viele Kunden wie ihn und seine Frau im Stich lassen.

Caixabank fusionierte im vergangenen Jahr mit der staatlich geretteten Bankia zum mit Abstand größten Finanzdienstleister des Landes. Sie ist Vorreiter beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz via Chatbot und biometrischem Erkennen am Geldautomaten. Mit der Digitalisierung und dem Stellenabbau konnte der Aktienkurs von Caixabank gerettet werden, aber viele Kunden wie San Juan wurden abgehängt.

Der Abbau der Filialen und die Digitalisierung kam in einer Zeit, wo das Sparbuch vielen alten Menschen kein Nutzen mehr bringt – wegen der niedrigen Zinsen. Doch einfach in Aktien investieren? In der Börsenwelt finden sich erst recht viele Alte nicht zurecht. Er will jetzt vielleicht die Bank wechseln.

Aber egal, was bei dem Treffen des Notenbankchefs mit der Wirtschaftsministerin und den Banken herauskommt, für ihn hat sich die Aktion aus einem anderen Grund bereits gelohnt: “Mich hat kürzlich ein 14-jähriges Mädchen angerufen und gesagt, dass sie so sein will wie ich, wenn sie alt ist. Weil ich mich für Menschen eingesetzt hätte, die keine Stimme haben. Das hat mich enorm gerührt.”

Carlos San Juan kämpft darum, dass ältere Menschen bei der Digitalisierung nicht abgehängt werden

Carlos San Juan war Arzt und damit gewohnt, “Leid und Schmerzen zu sehen”, wie er sagt. Aber die Pandemie hat den 78-jährigen Spanier aus Valencia gleich zweifach getroffen. Einerseits war der direkte Kontakt zu seiner Tochter und den Enkelkindern nicht mehr möglich. Ähnlich verhielt es sich mit seiner Bank, die nur noch telefonisch oder mit vorheriger Anmeldung und nur für dringende Angelegenheiten für ihn da war.

Jetzt, wo die Isolierung vorbei ist, haben viele Finanzinstitute in Spanien die Gepflogenheiten der Pandemie beigehalten. Vormittags stehen die Mitarbeiter meist nur noch bis 11 Uhr am Schalter zur Verfügung und dann auch nur mit vorheriger Anmeldung. Zudem beklagen sich Rentner wie San Juan, dass es kaum noch Bankfilialen in ihrer Nachbarschaft gibt.

Vom frustrierten Rentner zum Medienstar

Seit der Finanzkrise 2008 ist Spanien das Land, das am meisten Bank- und Sparkassen-Niederlassungen geschlossen hat, wie Daten der EZB zeigen – insgesamt 23.673. Allerdings gab es vorher auch nirgendwo in der EU eine so hohe Filialdichte. Über 100.000 Jobs gingen seitdem im Bankensektor verloren. Die Pandemie hat den Prozess beschleunigt. Berater wurden zunehmend durch einen Chatbot ersetzt. Kunden werden gezwungen, sich digital zurechtzufinden mit elektronischen Bezahlverfahren und Onlinebanking sowie biometrischen Geldautomaten. Spanien war bei all diesen Prozessen Vorreiter.

Aber Carlos San Juan platzte vor ein paar Wochen der Kragen.

Erst startete der 78-Jährige in seinem Freundes- und Bekanntenkreis eine Unterschriftensammlung. Er fordert von den Banken, wieder den ganzen Vormittag ohne Voranmeldung den Schalter für Rentner zu öffnen, wo sie Geld abheben und Rechnungen bezahlen können.

Nachdem er mehr als hundert Unterschriften gesammelt hatte, begann er eine Kampagne auf der Plattform Change.org, die voll ins Schwarze traf. “Ich bin zwar alt, aber kein Idiot”, nannte er sie. Mehr als 600.000 Menschen im Land haben schon unterschrieben. San Juan war plötzlich auf allen Kanälen zu sehen und hören. Das hat auch den spanischen Notenbankchef beeindruckt, der ihn persönlich anrief. Ein Treffen mit der Wirtschaftsministerin und Branchenvertretern ist geplant. An diesem Dienstag überreichte San Juan die Petition symbolisch an Notenbank und Wirtschaftsministerium. 

Spanien ist überaltert und leidet unter Landflucht

Es soll sich etwas ändern. San Juan ist jedoch skeptisch: “Sie werden versuchen, die Bedienung der Apparate und Geldmaschinen für uns mit Hilfe von Beratern zu erleichtern. Aber ich bin im Kopf fit. Ich bin nicht blöd. Es ist nur, dass ich Parkinson habe und manchmal auf den falschen Knopf oder die falsche Taste drücke”, sagt er im Gespräch mit der DW. Er habe Angst, dadurch Geld zu verlieren. Mehrmals hatte San Juan bei seiner Hausbank Caixabank schon beobachtet, wie Kunden wie er mit dem Geldautomaten kämpften. Einmal erlebte er dabei sogar, wie eine Frau bestohlen wurde von einem jungen Mann, der vorgab, ihr helfen zu wollen.

Die Digitalisierung ging zu schnell

Auch im Rest der modernen Welt werden alte, kranke, behinderte und ärmere Menschen ausgeschlossen durch die rasant schnelle Digitalisierung. Aber in Spanien ist das Problem besonders eklatant, da das Land nach Japan die längste Lebenserwartung der Welt hat und gleichzeitig die zweitniedrigste Geburtenrate der EU.

Nach Daten des nationalen Statistikamts leben in Spanien knapp 9,4 Millionen Menschen über 64 Jahre, das ist fast ein Viertel der Bevölkerung. Zudem ist das Land nicht dicht besiedelt. Viele kleine Städte und Dörfer müssen sich bereits seit Jahren aus Kostengründen mit Geldautomaten begnügen; Kunden müssen 30 Kilometer und mehr fahren, um mit einem Bankberater zu sprechen. Nach offiziellen Angaben leben rund 17 Prozent der Bevölkerung in ländlichen Regionen. Die digitale und kulturelle Kluft zwischen Stadt und Land ist enorm. In einer jüngsten Umfrage der spanischen Rentnervereinigung UDP (Unión Democrática de Pensionistas y Jubilados de España) sagten 40 Prozent der befragten älteren Menschen, dass sie noch niemals im Internet gesurft hätten.

San Juan ist seit 51 Jahren bei der Caixabank, die inzwischen 20 Millionen Kunden hat und in den vergangenen Jahren mehrfach internationale Preise für Technologie und Rentabilität einheimste. Es regt ihn auf, dass die Banken während der Finanzkrise mit 40 Milliarden Euro und mehr an Steuergeldern gestützt wurden – aber dann viele Kunden wie ihn und seine Frau im Stich lassen.

Caixabank fusionierte im vergangenen Jahr mit der staatlich geretteten Bankia zum mit Abstand größten Finanzdienstleister des Landes. Sie ist Vorreiter beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz via Chatbot und biometrischem Erkennen am Geldautomaten. Mit der Digitalisierung und dem Stellenabbau konnte der Aktienkurs von Caixabank gerettet werden, aber viele Kunden wie San Juan wurden abgehängt.

Der Abbau der Filialen und die Digitalisierung kam in einer Zeit, wo das Sparbuch vielen alten Menschen kein Nutzen mehr bringt – wegen der niedrigen Zinsen. Doch einfach in Aktien investieren? In der Börsenwelt finden sich erst recht viele Alte nicht zurecht. Er will jetzt vielleicht die Bank wechseln.

Aber egal, was bei dem Treffen des Notenbankchefs mit der Wirtschaftsministerin und den Banken herauskommt, für ihn hat sich die Aktion aus einem anderen Grund bereits gelohnt: “Mich hat kürzlich ein 14-jähriges Mädchen angerufen und gesagt, dass sie so sein will wie ich, wenn sie alt ist. Weil ich mich für Menschen eingesetzt hätte, die keine Stimme haben. Das hat mich enorm gerührt.”

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