Krisendiplomatie: Olaf Scholz sucht seine Rolle
Washington, Berlin, Kiew, Moskau – der Bundeskanzler geht in die diplomatische Offensive. Einfach ist das nicht. Scholz ist neu im Amt und in der SPD gibt es jede Menge “Russland-Versteher”, die ihm im Nacken sitzen.
Nüchtern, pragmatisch – und möglichst leise, so macht Olaf Scholz Politik. In den vergangenen Wochen vielleicht etwas zu leise. Innenpolitisch hat der Kanzler in Umfragen deutlich verloren, international musste er sich in der Ukraine-Krise den Vorwurf gefallen lassen, abgetaucht zu sein und keine klare Stellung zu beziehen.
Kritik gibt es vor allem wegen der deutschen Weigerung, Waffen an die Ukraine zu liefern. Schon unter Bundeskanzlerin Angela Merkel stieß diese Haltung international auf wenig Gegenliebe. Schließlich machen deutsche Waffenschmieden seit Jahren gute Geschäfte unter anderem mit Ägypten, Israel oder den Kurden. Wo liegt der Unterschied?
Nüchtern, pragmatisch – und möglichst leise, so macht Olaf Scholz Politik. In den vergangenen Wochen vielleicht etwas zu leise. Innenpolitisch hat der Kanzler in Umfragen deutlich verloren, international musste er sich in der Ukraine-Krise den Vorwurf gefallen lassen, abgetaucht zu sein und keine klare Stellung zu beziehen.
Mit Befremden wurde auch registriert, wie die Bundesregierung lange versuchte, die noch nicht in Betrieb gegangene Gaspipeline Nord Stream 2 aus der Liste der möglichen Sanktionen herauszuhalten. Die durch die Ostsee von Russland nach Deutschland laufende Pipeline sei ein “privatwirtschaftliches Vorhaben” und der Genehmigungsprozess “ganz unpolitisch”, sagte Olaf Scholz noch im Dezember.
Genervter Kanzler
Vor allem aus den USA kam die Frage, ob Deutschland noch ein verlässlicher Verbündeter sei. “Nonsense” sei das, sagte Scholz am Montag in Washington nach seinem Gespräch mit US-Präsident Joe Biden gegenüber dem US-Nachrichtensender CNN, und klang dabei ungewohnt ruppig. Der Kanzler ist sichtlich genervt darüber, dass die öffentliche Wahrnehmung so sehr davon abweicht, wie er und seine Berater die Lage sehen und geplant hatten.
Aus dem Kanzleramt heißt es, hinter den Kulissen werde seit Wochen hart daran gearbeitet, eine friedliche Lösung für die Ukraine-Krise zu finden. Zudem stimme man sich laufend mit den europäischen und transatlantischen Partnern ab, was im Fall einer weiteren Eskalation passieren soll. “Wir haben uns intensiv darauf vorbereitet, dass wir die notwendigen Sanktionen konkret ergreifen können, falls es zu einer militärischen Aggression gegen die Ukraine kommt”, sagte der Kanzler in Washington.
Fehlt die öffentliche Sichtbarkeit? Ist es ein Fehler in der Kommunikation? “Diese Bundesregierung hat das Pech, dass sie gerade mal ins Amt gekommen ist, als diese Krise politisch explodierte und sich zu einer transatlantischen, euro-atlantischen Großkrise entwickelte”, sagt der Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger.
Noch vor ein paar Tagen hatte auch Ischinger die neue Bundesregierung wegen ihrer Ukraine-Politik kritisiert. Jetzt nimmt er sie in Schutz. “Man sollte auch respektieren, dass ein Bundeskanzler Scholz, der noch nie eine persönliche Begegnung als Kanzler etwa mit Wladimir Putin oder mit Joe Biden vorher hatte, dass der jetzt nicht so wie Emmanuel Macron einfach den Hörer abnimmt und sagt, ‘Wladimir, wir müssen jetzt mal über dies und jenes reden’.”
Fünf Stunden verhandelte der französische Präsident am Montag mit dem russischen Präsidenten in Moskau, flog anschließend nach Kiew zum ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und dann weiter nach Berlin. Am Dienstagabend tauschte er sich im Kanzleramt mit Olaf Scholz und dem polnischen Staatspräsidenten Andrzej Duda aus. Weimarer Dreieck heißt das Gesprächsformat der drei Länder, das seit 30 Jahren existiert und das der Kanzler in der Ukraine-Krise nach Berlin einberufen hatte.
Es ist nicht weniger als eine diplomatische Offensive, mit der Olaf Scholz aus der Defensive kommen will. Nach seinem Flug nach Washington sind für den 14. und 15. Februar Besuche in Kiew und Moskau geplant. Dazwischen geben sich in Berlin die Gäste die Klinke in die Hand. Nach dem Weimarer Dreieck wird am Mittwoch die dänische Regierungschefin erwartet und am Donnerstag die Regierungschefs von Estland, Litauen und Lettland. Die Balten sind mit Blick auf den russischen Truppenaufmarsch auf einer Linie mit Polen. “Wir befinden uns in der schwierigsten Lage seit 1989”, sagte Andrzej Duda am Dienstagabend in Berlin.
Bei den Osteuropäern steigt angesichts der, wie Duda sagt, “beispiellosen” russischen Truppenaufmärsche die Nervosität. Sie wünschen sich mehr Härte gegenüber Moskau und mehr Druck. “Wir brauchen Geschlossenheit und Solidarität und dürfen keinen Schritt zurück machen und ich glaube, dass wir die notwendigen Instrumente haben.”
Ein Instrument ist, auch in den Augen der Polen, Nord Stream. Die doppelte Gaspipeline verbindet Russland durch die Ostsee mit Deutschland. Nord Stream 2 ist fertig gebaut, aber noch nicht in Betrieb. “Wenn Russland zum Beispiel mit Panzern und Truppen die Grenze zur Ukraine überquert, wird es Nord Stream 2 nicht mehr geben”, sagte US-Präsident Biden am Montag mit Nachdruck. Der neben ihm stehende Bundeskanzler hingegen wand sich. “Nord Stream 2” – diesen Namen will Olaf Scholz noch nicht einmal aussprechen.
Die Zurückhaltung kommt nicht von ungefähr. Scholz muss Rücksicht auf Stimmungen in seiner Partei nehmen. In der SPD gibt es traditionell ein weit verbreitetes Verständnis für Russland. Im linken Parteiflügel sehen sich Friedenspolitiker in der Tradition der früheren Ostpolitik der SPD und der damit verbundenen Annäherung an Russland. SPD-Politiker aus den ostdeutschen Bundesländern verfolgen eher wirtschaftspolitische Interessen, die auf alte Verbindungen aus der Zeit der DDR zurückgehen.
Nord Stream 2 endet in Mecklenburg-Vorpommern. Die SPD-Ministerpräsidentin des nordöstlichen Bundeslandes, Manuela Schwesig, tut seit Jahren alles dafür, um den Bau der Pipeline zu sichern und zieht dabei mit ihrem Parteigenossen und Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, einem persönlichen Freund von Wladimir Putin, an einem Strang.
Schröder wechselte unmittelbar nach der verlorenen Bundestagswahl 2005 ins russische Gasgeschäft. Er ist Vorsitzender des Gesellschafterausschusses der Nord Stream AG und Präsident des Verwaltungsrats bei der Nord Stream 2 AG. Außerdem Aufsichtsratschef beim staatlichen russischen Energiekonzern Rosneft. Kürzlich wurde Schröder noch für den Aufsichtsrat der russischen Gazprom nominiert.
Der Unions-Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, Roderich Kiesewetter (CDU), vermutet Kalkül des Kremls hinter der Nominierung Schröders. Sie sei “als Schachzug Russlands zu sehen, die deutsche Regierung in ihrer Haltung zum Stopp von Nord Stream 2 als potenzielles Sanktionsmittel zu spalten und somit Deutschland insgesamt zu diskreditieren”.
Bundeskanzler Olaf Scholz widerspricht solchen Vorwürfen vehement. In Washington sagte er gegenüber CNN: “Er spricht nicht für die Regierung. Er arbeitet nicht für die Regierung. Er ist nicht die Regierung. Ich bin jetzt der Bundeskanzler und die politischen Strategien Deutschlands sind jene, die Sie von mir hören.”
Beim Thema Sanktionen bleiben diese Strategien allerdings weiter im Ungefähren. Der Bundeskanzler will sich partout nicht festlegen, ob Deutschland Nord Stream 2 im Ernstfall aufgeben wird oder nicht. Er begründet das damit, dass Deutschland seine Vermittlerrolle nicht beschädigen will und, so Scholz, man nicht “alles auf den Tisch legen” wolle, “weil es notwendig ist, dass auch vonseiten Russlands verstanden wird: Da könnte noch viel mehr passieren, als sie sich vielleicht selber ausrechnen”.
Nüchtern, pragmatisch – und möglichst leise, so macht Olaf Scholz Politik. In den vergangenen Wochen vielleicht etwas zu leise. Innenpolitisch hat der Kanzler in Umfragen deutlich verloren, international musste er sich in der Ukraine-Krise den Vorwurf gefallen lassen, abgetaucht zu sein und keine klare Stellung zu beziehen.
Kritik gibt es vor allem wegen der deutschen Weigerung, Waffen an die Ukraine zu liefern. Schon unter Bundeskanzlerin Angela Merkel stieß diese Haltung international auf wenig Gegenliebe. Schließlich machen deutsche Waffenschmieden seit Jahren gute Geschäfte unter anderem mit Ägypten, Israel oder den Kurden. Wo liegt der Unterschied?
Genervter Kanzler
Mit Befremden wurde auch registriert, wie die Bundesregierung lange versuchte, die noch nicht in Betrieb gegangene Gaspipeline Nord Stream 2 aus der Liste der möglichen Sanktionen herauszuhalten. Die durch die Ostsee von Russland nach Deutschland laufende Pipeline sei ein “privatwirtschaftliches Vorhaben” und der Genehmigungsprozess “ganz unpolitisch”, sagte Olaf Scholz noch im Dezember.
Vor allem aus den USA kam die Frage, ob Deutschland noch ein verlässlicher Verbündeter sei. “Nonsense” sei das, sagte Scholz am Montag in Washington nach seinem Gespräch mit US-Präsident Joe Biden gegenüber dem US-Nachrichtensender CNN, und klang dabei ungewohnt ruppig. Der Kanzler ist sichtlich genervt darüber, dass die öffentliche Wahrnehmung so sehr davon abweicht, wie er und seine Berater die Lage sehen und geplant hatten.
Aus dem Kanzleramt heißt es, hinter den Kulissen werde seit Wochen hart daran gearbeitet, eine friedliche Lösung für die Ukraine-Krise zu finden. Zudem stimme man sich laufend mit den europäischen und transatlantischen Partnern ab, was im Fall einer weiteren Eskalation passieren soll. “Wir haben uns intensiv darauf vorbereitet, dass wir die notwendigen Sanktionen konkret ergreifen können, falls es zu einer militärischen Aggression gegen die Ukraine kommt”, sagte der Kanzler in Washington.
Fehlt die öffentliche Sichtbarkeit? Ist es ein Fehler in der Kommunikation? “Diese Bundesregierung hat das Pech, dass sie gerade mal ins Amt gekommen ist, als diese Krise politisch explodierte und sich zu einer transatlantischen, euro-atlantischen Großkrise entwickelte”, sagt der Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger.
Wladimir, wir müssen reden!
Noch vor ein paar Tagen hatte auch Ischinger die neue Bundesregierung wegen ihrer Ukraine-Politik kritisiert. Jetzt nimmt er sie in Schutz. “Man sollte auch respektieren, dass ein Bundeskanzler Scholz, der noch nie eine persönliche Begegnung als Kanzler etwa mit Wladimir Putin oder mit Joe Biden vorher hatte, dass der jetzt nicht so wie Emmanuel Macron einfach den Hörer abnimmt und sagt, ‘Wladimir, wir müssen jetzt mal über dies und jenes reden’.”
Woche der Diplomatie
Fünf Stunden verhandelte der französische Präsident am Montag mit dem russischen Präsidenten in Moskau, flog anschließend nach Kiew zum ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und dann weiter nach Berlin. Am Dienstagabend tauschte er sich im Kanzleramt mit Olaf Scholz und dem polnischen Staatspräsidenten Andrzej Duda aus. Weimarer Dreieck heißt das Gesprächsformat der drei Länder, das seit 30 Jahren existiert und das der Kanzler in der Ukraine-Krise nach Berlin einberufen hatte.
Es ist nicht weniger als eine diplomatische Offensive, mit der Olaf Scholz aus der Defensive kommen will. Nach seinem Flug nach Washington sind für den 14. und 15. Februar Besuche in Kiew und Moskau geplant. Dazwischen geben sich in Berlin die Gäste die Klinke in die Hand. Nach dem Weimarer Dreieck wird am Mittwoch die dänische Regierungschefin erwartet und am Donnerstag die Regierungschefs von Estland, Litauen und Lettland. Die Balten sind mit Blick auf den russischen Truppenaufmarsch auf einer Linie mit Polen. “Wir befinden uns in der schwierigsten Lage seit 1989”, sagte Andrzej Duda am Dienstagabend in Berlin.
Bei den Osteuropäern steigt angesichts der, wie Duda sagt, “beispiellosen” russischen Truppenaufmärsche die Nervosität. Sie wünschen sich mehr Härte gegenüber Moskau und mehr Druck. “Wir brauchen Geschlossenheit und Solidarität und dürfen keinen Schritt zurück machen und ich glaube, dass wir die notwendigen Instrumente haben.”
Was wird aus Nord Stream 2?
Ein Instrument ist, auch in den Augen der Polen, Nord Stream. Die doppelte Gaspipeline verbindet Russland durch die Ostsee mit Deutschland. Nord Stream 2 ist fertig gebaut, aber noch nicht in Betrieb. “Wenn Russland zum Beispiel mit Panzern und Truppen die Grenze zur Ukraine überquert, wird es Nord Stream 2 nicht mehr geben”, sagte US-Präsident Biden am Montag mit Nachdruck. Der neben ihm stehende Bundeskanzler hingegen wand sich. “Nord Stream 2” – diesen Namen will Olaf Scholz noch nicht einmal aussprechen.
Die Zurückhaltung kommt nicht von ungefähr. Scholz muss Rücksicht auf Stimmungen in seiner Partei nehmen. In der SPD gibt es traditionell ein weit verbreitetes Verständnis für Russland. Im linken Parteiflügel sehen sich Friedenspolitiker in der Tradition der früheren Ostpolitik der SPD und der damit verbundenen Annäherung an Russland. SPD-Politiker aus den ostdeutschen Bundesländern verfolgen eher wirtschaftspolitische Interessen, die auf alte Verbindungen aus der Zeit der DDR zurückgehen.
Viele Russland-Versteher in der SPD
Nord Stream 2 endet in Mecklenburg-Vorpommern. Die SPD-Ministerpräsidentin des nordöstlichen Bundeslandes, Manuela Schwesig, tut seit Jahren alles dafür, um den Bau der Pipeline zu sichern und zieht dabei mit ihrem Parteigenossen und Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, einem persönlichen Freund von Wladimir Putin, an einem Strang.
Altkanzler im Gasgeschäft
Schröder wechselte unmittelbar nach der verlorenen Bundestagswahl 2005 ins russische Gasgeschäft. Er ist Vorsitzender des Gesellschafterausschusses der Nord Stream AG und Präsident des Verwaltungsrats bei der Nord Stream 2 AG. Außerdem Aufsichtsratschef beim staatlichen russischen Energiekonzern Rosneft. Kürzlich wurde Schröder noch für den Aufsichtsrat der russischen Gazprom nominiert.
Der Unions-Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, Roderich Kiesewetter (CDU), vermutet Kalkül des Kremls hinter der Nominierung Schröders. Sie sei “als Schachzug Russlands zu sehen, die deutsche Regierung in ihrer Haltung zum Stopp von Nord Stream 2 als potenzielles Sanktionsmittel zu spalten und somit Deutschland insgesamt zu diskreditieren”.
Bundeskanzler Olaf Scholz widerspricht solchen Vorwürfen vehement. In Washington sagte er gegenüber CNN: “Er spricht nicht für die Regierung. Er arbeitet nicht für die Regierung. Er ist nicht die Regierung. Ich bin jetzt der Bundeskanzler und die politischen Strategien Deutschlands sind jene, die Sie von mir hören.”
Beim Thema Sanktionen bleiben diese Strategien allerdings weiter im Ungefähren. Der Bundeskanzler will sich partout nicht festlegen, ob Deutschland Nord Stream 2 im Ernstfall aufgeben wird oder nicht. Er begründet das damit, dass Deutschland seine Vermittlerrolle nicht beschädigen will und, so Scholz, man nicht “alles auf den Tisch legen” wolle, “weil es notwendig ist, dass auch vonseiten Russlands verstanden wird: Da könnte noch viel mehr passieren, als sie sich vielleicht selber ausrechnen”.