Kultur

Berlinale: Doku blickt hinter die Kulissen der AfD

Mit seiner Doku “Eine deutsche Partei” will Simon Brückner eine Innenansicht der gespaltenen AfD liefern. Radikale Positionen kommen dabei aber kaum vor.

Der Anfang ist exemplarisch für die folgenden zwei Stunden. Die Parteifreunde sind uneins. Soll die Kamera dabei sein oder nicht? Die rechtspopulistische AfD, deren Vertreter auf kritische Berichterstattung gerne mit dem Vorwurf der “Lügenpresse” und “Fake News” reagieren, öffnet einem Filmemacher – wenigstens in Teilen – ihre Pforten.

Für seinen Film “Eine deutsche Partei”, der bei den 72. Internationalen Filmfestspielen Berlin in der Sektion Berlinale Special läuft, erhielt der Dokumentarfilmer Simon Brückner Zugang zu Fraktionssitzungen, Arbeitstreffen und Gremien und begleitete zwei Mitglieder der Jungen Alternative, der Jugendorganisation der AfD.

Der Anfang ist exemplarisch für die folgenden zwei Stunden. Die Parteifreunde sind uneins. Soll die Kamera dabei sein oder nicht? Die rechtspopulistische AfD, deren Vertreter auf kritische Berichterstattung gerne mit dem Vorwurf der “Lügenpresse” und “Fake News” reagieren, öffnet einem Filmemacher – wenigstens in Teilen – ihre Pforten.

“Der Verdacht mir gegenüber saß tief”, sagt Simon Brückner im DW-Gespräch. Eineinhalb Jahre Vorbereitung und viel Fingerspitzengefühl seien nötig gewesen, ehe er mit dem Dreh beginnen konnte. Ein Bekannter, der in die Partei eingetreten war, habe den Kontakt zu einem Bezirksverband hergestellt, erzählt Brückner. Von dort habe er sich weiterreichen lassen. Irgendwann habe es einen Kipp-Punkt gegeben, “da haben sich Parteimitglieder gesagt: ‘Wenn die mitmachen, müssen wir da jetzt auch auftauchen.'”

Wissenschaft kostet Listenplatz

Eitelkeit blieb nicht das einzige Motiv, sich von einem Außenstehenden filmen zu lassen. “Die Partei besteht aus Menschen, die sich chronisch missverstanden fühlen”, sagt Brückner. Es herrsche zwar eine “enorme Heterogenität”, aber auch das Gemeinschaftsgefühl, allein die Wahrheit zu kennen. “Es gibt das Bedürfnis, gesehen zu werden.”

Brückner dokumentiert, wie in der Partei übereinander geredet wird. Der damalige AfD-Fraktionsvorsitzende im Berliner Abgeordnetenhaus, Georg Pazderski, meint, die ostdeutschen Landesverbände würden den Verfassungsschutz mit der Stasi verwechseln. Die Junge Alternative (JA) verstehe die Beobachtung durch den Verfassungsschutz gar als Auszeichnung: “Da ist der Zug schon abgefahren.”

Seit 2019 stufen das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Verfassungsschutzbehörden mehrerer Bundesländer die JA als Verdachtsfall ein. In einer Szene des Films bedankt sich Anna Leisten, Landesvorsitzende der JA Brandenburg, im Wahlkampfbüro dafür, dass die Jugendorganisation in Brandenburg so nah dran sein dürfe an der Partei. Das sei in anderen Landesverbänden ganz anders.

Am Tisch sitzt auch der ehemalige Brandenburger Landesvorsitzende Andreas Kalbitz, der inzwischen aus der AfD ausgeschlossen wurde, unter anderem wegen einer früheren Mitgliedschaft bei der neonazistischen Organisation “Heimattreue Deutsche Jugend”.

Gemäßigte und radikale Positionen treffen auch innerhalb von Verbänden und Fraktionen aufeinander. Auf einer Sitzung der Berliner AfD-Fraktion behauptet der Abgeordnete Carsten Ubbelohde in einer Diskussion über die Corona-Pandemie, 80 Prozent der PCR-Testergebnisse seien falsch. Sein Nebenmann, der junge Abgeordnete Herbert Mohr, schüttelt vehement den Kopf. Auch Dieter Neuendorf, im Hauptberuf Arzt, widerspricht.

Vor der Abgeordnetenhauswahl 2021 verliert Mohr seinen Listenplatz, dem neuen Abgeordnetenhaus gehört er nicht an.

Über die individuelle Motivation und Politisierung der Akteure erfährt der Zuschauer wenig. Brückner führt im Film keine Interviews, das Material steht unkommentiert für sich. Im Doku-Genre des Direct Cinema geht es um die pure Beobachtung, eine filmische Variante, Mäuschen zu spielen. Offen bleibt, ob sich die Protagonisten vor der Kamera nicht anders geben, als sie es ohne Beobachter tun würden; ob sie vor potenziellem Publikum nicht zurückhaltender formulieren, moderater auftreten.

Das JA-Mitglied Aaron Kimmig fängt Simon Brückner ein, als der nach seiner ersten Rede auf einer eigentlich sehr kleinen Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen etwas abseits steht, vollgepumpt mit Adrenalin.

In einer anderen Szene reist Kimmig mit Parteifreunden nach Bosnien-Herzegowina, um Geflüchtete aufzusuchen, die es nach Deutschland dränge. Er unterhält sich mit einem jungen Afghanen auf Englisch und scheint beeindruckt, dass der seit Jahren zu Fuß auf der Flucht ist.

Doch mit Empathie ist es nicht weit her. Die nächste Asylwelle nach Deutschland stehe schon an der EU-Grenze, sagen die Rechtspopulisten für Videos auf ihren Social-Media-Kanälen in ihre Handy-Kameras. Danach geht’s noch schnell zum Friseur, kostet ja nur fünf Euro hier.

Immer wieder habe er sich vor Drehs neu erklären müssen, um Vorbehalte auszuräumen, sagt Simon Brückner. Nicht immer war er damit erfolgreich. Brückner begleitete auch den Bundestagsabgeordneten Steffen Kotré. Bei einem Arbeitstreffen, in dem es um die Ausrichtung der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Partei geht, sitzt Kotré neben dem Bundessprecher Tino Chrupalla.

Irgendwann will der nicht länger vor der Kamera diskutieren. Kotré entgegnet, die Zuschauer müssten sehen, wie intern debattiert werde. Chrupalla fragt: “Wem nützt es?” In der nächsten Einstellung steht die Kamera vor der verschlossenen Tür des Sitzungssaals.

Simon Brückner hat seine Protagonisten zwischen 2019 und 2021 begleitet. Aus 500 Stunden Rohmaterial ist ein zweistündiger Film entstanden, unterteilt in sechs Kapitel, die den Zuschauer etwas ratlos zurücklassen.

Das Problem ist nicht, dass sich das Publikum ein eigenes Urteil bilden muss, sondern dass nicht das gesamte Spektrum der Partei abgebildet wird. Stramme Rechtsextremisten geben sich vor der Kamera nicht als solche zu erkennen oder treten gar nicht erst auf. Der Zugang zu bekannten Figuren wie dem rechtsextremen thüringischen Landesvorsitzenden Björn Höcke bleibt verschlossen.

Gezeigt werden Vertreter der zweiten oder dritten Reihe, bei denen die Form des Direct Cinema eine Einordnung verhindert und folglich auslässt, welche Positionen die Protagonisten vertreten, wie sie zu Verschwörungsmythen, der Querdenker-Szene oder Kampfbegriffen wie “Umvolkung” stehen, ob sie eine Nähe zur Identitären Bewegung oder anderen rechtsextremen Vereinigungen haben.

Welche Aussagekraft haben dann etwa die Bilder des im Film zwar stramm rechtskonservativ, aber verbal zurückhaltend auftretenden Steffen Kotré? Der beschäftigte nach “Zeit”-Recherchen im Bundestag eine Mitarbeiterin mit “eindeutig rechtsradikalem bis rechtsextremem Hintergrund”; er unterzeichnete die Resolution zur Gründung des inzwischen aufgelösten, völkisch-nationalen Flügels; behauptete im Bundestag, die Corona-Schutzimpfung greife in die Gene des Menschen ein.

Zur Reisegruppe ins bosnische Grenzgebiet gehörte Andreas Wild, der nach ausländerfeindlichen und rassistischen Reden 2017 aus der Berliner AfD-Fraktion und 2021 aus der Partei ausgeschlossen wurde. Im Landesparlament und sogar zum Gedenken am 80. Jahrestag der Pogromnacht am Holocaust-Mahnmal erschien Wild 2018 mit einer blauen Kornblume am Revers – zwischen 1933 und 1938 in Österreich ein Erkennungszeichen der damals dort verbotenen Nationalsozialisten.

Der AfD-Politiker Georg Pazderski steht im Anzug vor einem großen Gemälde. Szene aus dem Dokumentarfilm Eine deutsche Partei.
Regisseur Simon Brückner
Aaron Kimmig hält auf einer Demonstration eine Rede.

Der Anfang ist exemplarisch für die folgenden zwei Stunden. Die Parteifreunde sind uneins. Soll die Kamera dabei sein oder nicht? Die rechtspopulistische AfD, deren Vertreter auf kritische Berichterstattung gerne mit dem Vorwurf der “Lügenpresse” und “Fake News” reagieren, öffnet einem Filmemacher – wenigstens in Teilen – ihre Pforten.

Für seinen Film “Eine deutsche Partei”, der bei den 72. Internationalen Filmfestspielen Berlin in der Sektion Berlinale Special läuft, erhielt der Dokumentarfilmer Simon Brückner Zugang zu Fraktionssitzungen, Arbeitstreffen und Gremien und begleitete zwei Mitglieder der Jungen Alternative, der Jugendorganisation der AfD.

Wissenschaft kostet Listenplatz

“Der Verdacht mir gegenüber saß tief”, sagt Simon Brückner im DW-Gespräch. Eineinhalb Jahre Vorbereitung und viel Fingerspitzengefühl seien nötig gewesen, ehe er mit dem Dreh beginnen konnte. Ein Bekannter, der in die Partei eingetreten war, habe den Kontakt zu einem Bezirksverband hergestellt, erzählt Brückner. Von dort habe er sich weiterreichen lassen. Irgendwann habe es einen Kipp-Punkt gegeben, “da haben sich Parteimitglieder gesagt: ‘Wenn die mitmachen, müssen wir da jetzt auch auftauchen.'”

Eitelkeit blieb nicht das einzige Motiv, sich von einem Außenstehenden filmen zu lassen. “Die Partei besteht aus Menschen, die sich chronisch missverstanden fühlen”, sagt Brückner. Es herrsche zwar eine “enorme Heterogenität”, aber auch das Gemeinschaftsgefühl, allein die Wahrheit zu kennen. “Es gibt das Bedürfnis, gesehen zu werden.”

Brückner dokumentiert, wie in der Partei übereinander geredet wird. Der damalige AfD-Fraktionsvorsitzende im Berliner Abgeordnetenhaus, Georg Pazderski, meint, die ostdeutschen Landesverbände würden den Verfassungsschutz mit der Stasi verwechseln. Die Junge Alternative (JA) verstehe die Beobachtung durch den Verfassungsschutz gar als Auszeichnung: “Da ist der Zug schon abgefahren.”

Seit 2019 stufen das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Verfassungsschutzbehörden mehrerer Bundesländer die JA als Verdachtsfall ein. In einer Szene des Films bedankt sich Anna Leisten, Landesvorsitzende der JA Brandenburg, im Wahlkampfbüro dafür, dass die Jugendorganisation in Brandenburg so nah dran sein dürfe an der Partei. Das sei in anderen Landesverbänden ganz anders.

Vollgepumpt mit Adrenalin

Am Tisch sitzt auch der ehemalige Brandenburger Landesvorsitzende Andreas Kalbitz, der inzwischen aus der AfD ausgeschlossen wurde, unter anderem wegen einer früheren Mitgliedschaft bei der neonazistischen Organisation “Heimattreue Deutsche Jugend”.

Kein Film über die Gesamtpartei

Gemäßigte und radikale Positionen treffen auch innerhalb von Verbänden und Fraktionen aufeinander. Auf einer Sitzung der Berliner AfD-Fraktion behauptet der Abgeordnete Carsten Ubbelohde in einer Diskussion über die Corona-Pandemie, 80 Prozent der PCR-Testergebnisse seien falsch. Sein Nebenmann, der junge Abgeordnete Herbert Mohr, schüttelt vehement den Kopf. Auch Dieter Neuendorf, im Hauptberuf Arzt, widerspricht.

Vor der Abgeordnetenhauswahl 2021 verliert Mohr seinen Listenplatz, dem neuen Abgeordnetenhaus gehört er nicht an.

Über die individuelle Motivation und Politisierung der Akteure erfährt der Zuschauer wenig. Brückner führt im Film keine Interviews, das Material steht unkommentiert für sich. Im Doku-Genre des Direct Cinema geht es um die pure Beobachtung, eine filmische Variante, Mäuschen zu spielen. Offen bleibt, ob sich die Protagonisten vor der Kamera nicht anders geben, als sie es ohne Beobachter tun würden; ob sie vor potenziellem Publikum nicht zurückhaltender formulieren, moderater auftreten.

Wölfe im Schafspelz

Das JA-Mitglied Aaron Kimmig fängt Simon Brückner ein, als der nach seiner ersten Rede auf einer eigentlich sehr kleinen Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen etwas abseits steht, vollgepumpt mit Adrenalin.

In einer anderen Szene reist Kimmig mit Parteifreunden nach Bosnien-Herzegowina, um Geflüchtete aufzusuchen, die es nach Deutschland dränge. Er unterhält sich mit einem jungen Afghanen auf Englisch und scheint beeindruckt, dass der seit Jahren zu Fuß auf der Flucht ist.

Doch mit Empathie ist es nicht weit her. Die nächste Asylwelle nach Deutschland stehe schon an der EU-Grenze, sagen die Rechtspopulisten für Videos auf ihren Social-Media-Kanälen in ihre Handy-Kameras. Danach geht’s noch schnell zum Friseur, kostet ja nur fünf Euro hier.

Immer wieder habe er sich vor Drehs neu erklären müssen, um Vorbehalte auszuräumen, sagt Simon Brückner. Nicht immer war er damit erfolgreich. Brückner begleitete auch den Bundestagsabgeordneten Steffen Kotré. Bei einem Arbeitstreffen, in dem es um die Ausrichtung der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Partei geht, sitzt Kotré neben dem Bundessprecher Tino Chrupalla.

Eine Szene der Dokumentation Eine deutsche Partei zeigt das ehemaliges AfD-Mitglied Andreas Wild auf einer Demonstration.

Irgendwann will der nicht länger vor der Kamera diskutieren. Kotré entgegnet, die Zuschauer müssten sehen, wie intern debattiert werde. Chrupalla fragt: “Wem nützt es?” In der nächsten Einstellung steht die Kamera vor der verschlossenen Tür des Sitzungssaals.

Simon Brückner hat seine Protagonisten zwischen 2019 und 2021 begleitet. Aus 500 Stunden Rohmaterial ist ein zweistündiger Film entstanden, unterteilt in sechs Kapitel, die den Zuschauer etwas ratlos zurücklassen.

Das Problem ist nicht, dass sich das Publikum ein eigenes Urteil bilden muss, sondern dass nicht das gesamte Spektrum der Partei abgebildet wird. Stramme Rechtsextremisten geben sich vor der Kamera nicht als solche zu erkennen oder treten gar nicht erst auf. Der Zugang zu bekannten Figuren wie dem rechtsextremen thüringischen Landesvorsitzenden Björn Höcke bleibt verschlossen.

Gezeigt werden Vertreter der zweiten oder dritten Reihe, bei denen die Form des Direct Cinema eine Einordnung verhindert und folglich auslässt, welche Positionen die Protagonisten vertreten, wie sie zu Verschwörungsmythen, der Querdenker-Szene oder Kampfbegriffen wie “Umvolkung” stehen, ob sie eine Nähe zur Identitären Bewegung oder anderen rechtsextremen Vereinigungen haben.

Welche Aussagekraft haben dann etwa die Bilder des im Film zwar stramm rechtskonservativ, aber verbal zurückhaltend auftretenden Steffen Kotré? Der beschäftigte nach “Zeit”-Recherchen im Bundestag eine Mitarbeiterin mit “eindeutig rechtsradikalem bis rechtsextremem Hintergrund”; er unterzeichnete die Resolution zur Gründung des inzwischen aufgelösten, völkisch-nationalen Flügels; behauptete im Bundestag, die Corona-Schutzimpfung greife in die Gene des Menschen ein.

Zur Reisegruppe ins bosnische Grenzgebiet gehörte Andreas Wild, der nach ausländerfeindlichen und rassistischen Reden 2017 aus der Berliner AfD-Fraktion und 2021 aus der Partei ausgeschlossen wurde. Im Landesparlament und sogar zum Gedenken am 80. Jahrestag der Pogromnacht am Holocaust-Mahnmal erschien Wild 2018 mit einer blauen Kornblume am Revers – zwischen 1933 und 1938 in Österreich ein Erkennungszeichen der damals dort verbotenen Nationalsozialisten.

Auch hier fehlt für das Publikum jede Einordnung, mit wem es konfrontiert wird. An vielen Stellen hätte ein Gegenschnitt mit Archivmaterial und Aussagen der Akteure geholfen, ihren Hintergrund abzubilden. Im gewählten Format aber können sich Wölfe im Schafspelz präsentieren, die Positionen vertreten, die auch am rechten Rand von CDU oder FDP auftauchen. Stellt “Eine deutsche Partei” die AfD zu harmlos dar?

Er sei nicht moralisch an die Arbeit gegangen, sagt Simon Brückner. Er habe als Privatperson eine Meinung zur AfD, seinen Film habe er aber “nicht als Bürger oder Aktivist” gedreht. Es gehe um die “Erfahrung einer sonst verschlossenen Welt”.

Er sei nicht moralisch an die Arbeit gegangen, sagt Simon Brückner. Er habe als Privatperson eine Meinung zur AfD, seinen Film habe er aber “nicht als Bürger oder Aktivist” gedreht. Es gehe um die “Erfahrung einer sonst verschlossenen Welt”.

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