Lithium, Geld, Politik: Ein Dorf in Serbien kämpft gegen ein Bergwerk
In einem Dorf in Westserbien sollte das größte europäische Lithium-Bergwerk entstehen. Dann stoppten Bewohner und Umweltaktivisten die Pläne – vorläufig. Der echte Kampf wird erst noch erwartet.
Slavisa Rosic geht täglich auf Patrouille. Er sieht, wie Fremde durch das Dorf ziehen. Mal entnehmen sie Bodenproben, mal werden Bäume gefällt. Der Landwirt Rosic und seine Nachbarn aus Gornje Nedeljice befinden sich seit Monaten in einem ermüdenden Nervenkrieg gegen den britisch-australischen Bergbaukonzern Rio Tinto, der mitten im Dorf Lithium abbauen möchte.
“Jemand wird mit seinem Kopf bezahlen, sollten sie weitermachen”, sagt Rosic und zeigt, wo das Bergwerk und die Anlage für die Verarbeitung entstehen sollen. Dort sind jetzt noch Felder und Häuser, die orthodoxe Kirche ist auch nicht weit. So solle es auch bleiben, meint Rosic. “Wenn die Maschinen kommen, wird es hässlich. Wir sind für alles bereit.”
Slavisa Rosic geht täglich auf Patrouille. Er sieht, wie Fremde durch das Dorf ziehen. Mal entnehmen sie Bodenproben, mal werden Bäume gefällt. Der Landwirt Rosic und seine Nachbarn aus Gornje Nedeljice befinden sich seit Monaten in einem ermüdenden Nervenkrieg gegen den britisch-australischen Bergbaukonzern Rio Tinto, der mitten im Dorf Lithium abbauen möchte.
Es ist nur eine leichte Übertreibung zu sagen, dass nicht nur der serbische Präsident Aleksandar Vucic, sondern auch die Europäische Union wegen Rosic und seinen Mitstreitern verzweifelt. Lithium aus dem Jadar-Tal in Westserbien gilt als große Hoffnung für eine europäische Unabhängigkeit bei diesem kritischen Rohstoff. Unter Weiden und Maisfeldern in Gornje Nedeljice liegen rund 200 Millionen Tonnen Jadarit – so wird das hiesige Mineral genannt. Es soll für die Batterien von einer Million E-Autos jährlich reichen – mehrere Jahrzehnte lang.
Landesweite Proteste
Vucic und regierungstreue serbische Medien versprachen eine jährliche Wirtschaftsleistung von wenigstens einer Milliarde Euro durch das Bergbauprojekt. Es könnten sogar zwanzig Milliarden sein, hatte Vucic für den Fall vorgerechnet, dass in Serbien eine Batteriefabrik und eine Produktionsstätte für E-Autos entstünden.
Doch im Januar verkündete die Regierung überraschend das Aus für das Projekt des Konzerns Rio Tinto. Vorausgegangen waren dem beispiellose Umweltproteste: Monatelang hatten zehntausende Menschen landesweit immer wieder Straßen und Autobahnen lahmgelegt und für saubere Luft, Wasser und Böden und mehr Umweltschutz demonstriert.
Der Politikwissenschaftler Vujo Ilic vermutet hinter dem Aus für das Projekt ein Wahlkampfmanöver von Vucic. In Serbien finden Anfang April 2022 Superwahlen statt – ein neues Parlament, der Präsident sowie die Lokalregierung in der Hauptstadt Belgrad werden gewählt. Nach einem Wahlboykott im Juni 2020 rechnet sich die zersplitterte Opposition nun Chancen gegen Vucic aus, der das Westbalkanland seit zehn Jahren zunehmend autoritär regiert.
“Die Proteste waren nicht nur radikal – sie haben teils auch die Wähler der regierenden Serbischen Fortschrittspartei angesprochen”, sagt Ilic der DW. “Der Aufstand gegen Rio Tinto hatte neben der links-ökologischen auch eine starke konservative Seite. Er bewegte die städtische wie die ländliche Bevölkerung und bediente auch das Narrativ über den fremdländischen Konzern, der unsere Ressourcen ausrauben möchte.”
Die Europäische Batterieallianz (EBA) – mitgegründet von der EU – spricht nun von einem “ernsthaften Rückschlag” für europäische Pläne zur Verkehrswende. Schon 2024 werde Lithium Mangelware sein, 2030 könne gar die Hälfte des Bedarfs ungestillt bleiben, teilt die EBA auf Anfrage der DW mit.
Doch dass sich die Machthaber in Belgrad tatsächlich vom Lithium-Abbau verabschieden, möchte in Serbien keiner so richtig glauben. Weder Aktivisten und Opposition noch Wissenschaftler und Dorfbewohner.
Ilic glaubt ebenfalls, dass das Projekt nach den Wahlen wieder ins Leben gerufen werde. “Die Haupterzählung der Regierenden war immer, dass Serbien auf Wachstum, Modernisierung und Infrastrukturentwicklung setzt”, sagt der Politologe. Deswegen werde Vucic auf ein Großprojekt wie das von Rio Tinto nicht verzichten.
Savo Manojlovic ist in den letzten Wochen viel auf der Straße. Der junge Mann von der Nichtregierungsorganisation Kreni-Promeni (Losgehen-Veränderung) gilt als Kopf der Proteste gegen den Bergbau. “Wir sind kein Stamm und Vucic ist kein Häuptling, der mit Kolonisatoren über unser Land verhandeln soll”, sagt Manojlovic der DW.
Von der Regierung wird er als “ausländischer Agent” bezeichnet, weil seine Organisation Mittel aus westlichen Fonds bekommt, unter anderem von der Rockefeller-Stiftung. Dass gerade der EU, also “dem Westen”, am Lithium gelegen ist, macht für die Propaganda in Serbien keinen Unterschied.
Davon unbeeindruckt fordern Manojlovic und die Demonstranten ein gesetzliches Verbot des Abbaus von Lithium und Bor. Bisher vergeblich. Landesweit gibt es noch Dutzende Stellen, an denen nach diesen Rohstoffen gesucht wird. “Ich befürchte, dass Lithium für Serbien dasselbe Unglück bringt wie Diamanten für den Kongo”, sagt er.
Während Rio Tinto eine Interviewanfrage ignoriert, schickt die serbische Ministerin für Bergbau und Energie, Zorana Mihajlovic, immerhin schriftliche Antworten. “Die Forderung nach einem Bergbauverbot ist rein politisch und gefährdet somit nicht nur den Bergbau, sondern die Gesamtwirtschaft”, heißt es darin.
Mihajlovic kritisiert, dass die Demonstranten ein vorzeitiges Ende des Projekts Jadar durchgesetzt hätten, ohne die offizielle Umweltverträglichkeitsstudie abzuwarten. Diese würde zeigen, dass der Bergbau in Westserbien nicht schädlich für die Umwelt sei.
Doch ein vertrauliches Dokument von Rio Tinto, das der DW vorliegt, spricht eine andere Sprache. In dem 80-seitigen Entwurf für eine Umweltstudie zum Projekt räumt der Bergbaukonzern selbst verschiedene Risiken ein. Genannt werden unter anderem eine Belastung des Grundwassers und der Flüsse, schlechte Luftqualität, sowie Zerstörung von Fauna und Flora.
Zurück in Gornje Nedeljice zeigt Slavisa Rosic, was er “psychologische Kriegsführung” nennt. Von 52 Häusern, die Rio Tinto für das Bergwerk zerstören muss, kaufte der Konzern bereits 49 auf. Menschen wurden finanziell stimuliert, Dächer, Türen und Fenster selbst abzumontieren. Nackte Häuser reihen sich auf, vor jedem ein Schild: “Privateigentum: Betreten für Unbefugte verboten!”
Das Dorf, so der Landwirt, soll zur Ruine gemacht werden. Die Häuser der Bewohner braucht Rio Tinto nicht, ihre Felder schon. Doch Rosic will keinesfalls verkaufen, auch wenn die Firma das Drei- oder Vierfache des Marktpreises anbietet.
“Was soll ich dann meinem Großvater sagen, wenn ich eines Tages zu ihm in den Himmel gehe?”, fragt der Bauer. Unweit seines Dorfes, auf dem Berg Cer, besiegte die serbische Armee im Ersten Weltkrieg Österreich-Ungarn. “Für dieses Land sind so viele gefallen. Jetzt soll ich also der Klügste sein und alles verkaufen?”
Bei ihm und anderen, die im Dorf geblieben sind, gelten Nachbarn, die an Rio Tinto verkauft haben, als “Verräter”. Radomir Filipovic weiß das. Er hatte lange überlegt, bevor er sein Haus an den Bergbaukonzern verkaufte. Die Summe möchte er nicht nennen. Doch sie reichte, soviel verrät er, um ein Haus im Nachbardorf zu bauen und viel Land sowie eine Wohnung für seine Kinder in einer nahegelegenen Stadt zu kaufen.
Slavisa Rosic geht täglich auf Patrouille. Er sieht, wie Fremde durch das Dorf ziehen. Mal entnehmen sie Bodenproben, mal werden Bäume gefällt. Der Landwirt Rosic und seine Nachbarn aus Gornje Nedeljice befinden sich seit Monaten in einem ermüdenden Nervenkrieg gegen den britisch-australischen Bergbaukonzern Rio Tinto, der mitten im Dorf Lithium abbauen möchte.
“Jemand wird mit seinem Kopf bezahlen, sollten sie weitermachen”, sagt Rosic und zeigt, wo das Bergwerk und die Anlage für die Verarbeitung entstehen sollen. Dort sind jetzt noch Felder und Häuser, die orthodoxe Kirche ist auch nicht weit. So solle es auch bleiben, meint Rosic. “Wenn die Maschinen kommen, wird es hässlich. Wir sind für alles bereit.”
Landesweite Proteste
Es ist nur eine leichte Übertreibung zu sagen, dass nicht nur der serbische Präsident Aleksandar Vucic, sondern auch die Europäische Union wegen Rosic und seinen Mitstreitern verzweifelt. Lithium aus dem Jadar-Tal in Westserbien gilt als große Hoffnung für eine europäische Unabhängigkeit bei diesem kritischen Rohstoff. Unter Weiden und Maisfeldern in Gornje Nedeljice liegen rund 200 Millionen Tonnen Jadarit – so wird das hiesige Mineral genannt. Es soll für die Batterien von einer Million E-Autos jährlich reichen – mehrere Jahrzehnte lang.
Vucic und regierungstreue serbische Medien versprachen eine jährliche Wirtschaftsleistung von wenigstens einer Milliarde Euro durch das Bergbauprojekt. Es könnten sogar zwanzig Milliarden sein, hatte Vucic für den Fall vorgerechnet, dass in Serbien eine Batteriefabrik und eine Produktionsstätte für E-Autos entstünden.
Doch im Januar verkündete die Regierung überraschend das Aus für das Projekt des Konzerns Rio Tinto. Vorausgegangen waren dem beispiellose Umweltproteste: Monatelang hatten zehntausende Menschen landesweit immer wieder Straßen und Autobahnen lahmgelegt und für saubere Luft, Wasser und Böden und mehr Umweltschutz demonstriert.
Der Politikwissenschaftler Vujo Ilic vermutet hinter dem Aus für das Projekt ein Wahlkampfmanöver von Vucic. In Serbien finden Anfang April 2022 Superwahlen statt – ein neues Parlament, der Präsident sowie die Lokalregierung in der Hauptstadt Belgrad werden gewählt. Nach einem Wahlboykott im Juni 2020 rechnet sich die zersplitterte Opposition nun Chancen gegen Vucic aus, der das Westbalkanland seit zehn Jahren zunehmend autoritär regiert.
Projektstop als Wahlkampfmanöver?
“Die Proteste waren nicht nur radikal – sie haben teils auch die Wähler der regierenden Serbischen Fortschrittspartei angesprochen”, sagt Ilic der DW. “Der Aufstand gegen Rio Tinto hatte neben der links-ökologischen auch eine starke konservative Seite. Er bewegte die städtische wie die ländliche Bevölkerung und bediente auch das Narrativ über den fremdländischen Konzern, der unsere Ressourcen ausrauben möchte.”
Doch kein Verzicht auf das Projekt?
Die Europäische Batterieallianz (EBA) – mitgegründet von der EU – spricht nun von einem “ernsthaften Rückschlag” für europäische Pläne zur Verkehrswende. Schon 2024 werde Lithium Mangelware sein, 2030 könne gar die Hälfte des Bedarfs ungestillt bleiben, teilt die EBA auf Anfrage der DW mit.
Doch dass sich die Machthaber in Belgrad tatsächlich vom Lithium-Abbau verabschieden, möchte in Serbien keiner so richtig glauben. Weder Aktivisten und Opposition noch Wissenschaftler und Dorfbewohner.
Ilic glaubt ebenfalls, dass das Projekt nach den Wahlen wieder ins Leben gerufen werde. “Die Haupterzählung der Regierenden war immer, dass Serbien auf Wachstum, Modernisierung und Infrastrukturentwicklung setzt”, sagt der Politologe. Deswegen werde Vucic auf ein Großprojekt wie das von Rio Tinto nicht verzichten.
“Ausländischer Agent”
Savo Manojlovic ist in den letzten Wochen viel auf der Straße. Der junge Mann von der Nichtregierungsorganisation Kreni-Promeni (Losgehen-Veränderung) gilt als Kopf der Proteste gegen den Bergbau. “Wir sind kein Stamm und Vucic ist kein Häuptling, der mit Kolonisatoren über unser Land verhandeln soll”, sagt Manojlovic der DW.
Von der Regierung wird er als “ausländischer Agent” bezeichnet, weil seine Organisation Mittel aus westlichen Fonds bekommt, unter anderem von der Rockefeller-Stiftung. Dass gerade der EU, also “dem Westen”, am Lithium gelegen ist, macht für die Propaganda in Serbien keinen Unterschied.
Vertrauliches Dokument zu Risiken
Davon unbeeindruckt fordern Manojlovic und die Demonstranten ein gesetzliches Verbot des Abbaus von Lithium und Bor. Bisher vergeblich. Landesweit gibt es noch Dutzende Stellen, an denen nach diesen Rohstoffen gesucht wird. “Ich befürchte, dass Lithium für Serbien dasselbe Unglück bringt wie Diamanten für den Kongo”, sagt er.
Dorf voller Ruinen
Während Rio Tinto eine Interviewanfrage ignoriert, schickt die serbische Ministerin für Bergbau und Energie, Zorana Mihajlovic, immerhin schriftliche Antworten. “Die Forderung nach einem Bergbauverbot ist rein politisch und gefährdet somit nicht nur den Bergbau, sondern die Gesamtwirtschaft”, heißt es darin.
Mihajlovic kritisiert, dass die Demonstranten ein vorzeitiges Ende des Projekts Jadar durchgesetzt hätten, ohne die offizielle Umweltverträglichkeitsstudie abzuwarten. Diese würde zeigen, dass der Bergbau in Westserbien nicht schädlich für die Umwelt sei.
Doch ein vertrauliches Dokument von Rio Tinto, das der DW vorliegt, spricht eine andere Sprache. In dem 80-seitigen Entwurf für eine Umweltstudie zum Projekt räumt der Bergbaukonzern selbst verschiedene Risiken ein. Genannt werden unter anderem eine Belastung des Grundwassers und der Flüsse, schlechte Luftqualität, sowie Zerstörung von Fauna und Flora.
Zurück in Gornje Nedeljice zeigt Slavisa Rosic, was er “psychologische Kriegsführung” nennt. Von 52 Häusern, die Rio Tinto für das Bergwerk zerstören muss, kaufte der Konzern bereits 49 auf. Menschen wurden finanziell stimuliert, Dächer, Türen und Fenster selbst abzumontieren. Nackte Häuser reihen sich auf, vor jedem ein Schild: “Privateigentum: Betreten für Unbefugte verboten!”
Das Dorf, so der Landwirt, soll zur Ruine gemacht werden. Die Häuser der Bewohner braucht Rio Tinto nicht, ihre Felder schon. Doch Rosic will keinesfalls verkaufen, auch wenn die Firma das Drei- oder Vierfache des Marktpreises anbietet.
“Was soll ich dann meinem Großvater sagen, wenn ich eines Tages zu ihm in den Himmel gehe?”, fragt der Bauer. Unweit seines Dorfes, auf dem Berg Cer, besiegte die serbische Armee im Ersten Weltkrieg Österreich-Ungarn. “Für dieses Land sind so viele gefallen. Jetzt soll ich also der Klügste sein und alles verkaufen?”
Bei ihm und anderen, die im Dorf geblieben sind, gelten Nachbarn, die an Rio Tinto verkauft haben, als “Verräter”. Radomir Filipovic weiß das. Er hatte lange überlegt, bevor er sein Haus an den Bergbaukonzern verkaufte. Die Summe möchte er nicht nennen. Doch sie reichte, soviel verrät er, um ein Haus im Nachbardorf zu bauen und viel Land sowie eine Wohnung für seine Kinder in einer nahegelegenen Stadt zu kaufen.
“Meine ehemaligen Nachbarn sagen, sie würden für die Zukunft ihrer Kinder kämpfen. Aus demselben Grund habe ich meine Entscheidung so getroffen”, sagt Filipovic der DW. Die Bewohner, die gegen den Bergbau protestieren, seien ja nicht “in Versuchung geraten”, denn ihre Häuser habe Rio Tinto nicht gebraucht und ihnen deshalb kein Kaufangebot vorgelegt.
“Für uns im Raum des künftigen Bergwerks hingegen war die mögliche Enteignung ein Damokles-Schwert”, meint Filipovic. “Der Instinkt sagte uns, dass wir das Geld jetzt besser nehmen und wegziehen.”
“Für uns im Raum des künftigen Bergwerks hingegen war die mögliche Enteignung ein Damokles-Schwert”, meint Filipovic. “Der Instinkt sagte uns, dass wir das Geld jetzt besser nehmen und wegziehen.”