Wirtschaft

Deutschlands riskante Abhängigkeit von Putins Gas

Deutschland steckt in der Ukraine-Krise in der Zwickmühle: Es bezieht die Hälfte seines Erdgases aus Russland. Die Weichen für die Abhängigkeit von Putins Energiemacht wurden aber schon vor langer Zeit gestellt.

“Die Krise in der Ukraine hat zu einer deutlichen Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen geführt.” Mit diesem Satz beginnen Matthias Basedau und Kim Schultze ihre Untersuchung mit dem Titel: “Abhängigkeit von Energieimporten: Risiko für Deutschland und Europa?”. In der Studie heißt es: “Deutschland und Europa sind im erheblichen Ausmaß von Energieimporten aus Russland abhängig. Das betrifft vor allem Erdgas, Erdöl und Steinkohle. Angesichts verschlechterter Beziehungen zu Russland werden Warnungen lauter, dass die russische Regierung mögliche Lieferstopps als politische Waffe im großen Stil einsetzen könnte.”

Bemerkenswert dabei: Das Papier entstand 2014 als Untersuchung des GIGA German Institute of Global and Area Studies – Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien in Hamburg.

“Die Krise in der Ukraine hat zu einer deutlichen Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen geführt.” Mit diesem Satz beginnen Matthias Basedau und Kim Schultze ihre Untersuchung mit dem Titel: “Abhängigkeit von Energieimporten: Risiko für Deutschland und Europa?”. In der Studie heißt es: “Deutschland und Europa sind im erheblichen Ausmaß von Energieimporten aus Russland abhängig. Das betrifft vor allem Erdgas, Erdöl und Steinkohle. Angesichts verschlechterter Beziehungen zu Russland werden Warnungen lauter, dass die russische Regierung mögliche Lieferstopps als politische Waffe im großen Stil einsetzen könnte.”

An der geopolitischen Analyse hat sich seitdem nichts geändert – im Gegenteil: Seitdem hat Wladimir Putin in seiner Außen- und Energiepolitik noch mehrere Gänge höher geschaltet. Der russische Staatschef hat die Streitkräfte seines Landes grundlegend modernisiert und setzt seine Nachbarländer und Teile der EU mit militärischen Drohgebärden immer stärker unter Druck.

Anhängigkeit wider besseren Wissens

Das Fatale dabei ist, dass Deutschlands Abhängigkeit von russischen Energieimporten in den vergangenen zehn Jahren noch einmal erheblich zugenommen hat. Seit 2012 ist allein der Anteil russischer Erdgaslieferungen von 40 auf 55 Prozent in die Höhe geklettert – eine Steigerung von deutlich mehr als einem Drittel. Selbst bei den Erdöleinfuhren stieg der Anteil Russlands im selben Zeitraum um zehn Prozent: von 38 auf 42 Prozent.

Mittlerweile wird in Deutschland jede zweite Wohnung mit Gas beheizt und die Heizperiode kann je nach Wetterlage noch bis weit in den März hineinreichen. Trotzdem müssen sich die Menschen keine Sorgen machen, dass ihre Wohnungen kalt bleiben, wenn der Ukraine-Konflikt eskaliert, sind Experten überzeugt.

“Wenn es nur nach dem weltweiten Angebot ginge, könnten wir russisches Erdgas morgen ersetzen”, zitierte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) Andreas Goldthau, Energie-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) Ende Januar. “Die Frage ist: Wie viel wollen wir dafür zahlen?” Im Fall eines Lieferstopps hätte Europa drei Möglichkeiten: mehr Erdgas aus anderen Lieferländern über Pipelines beziehen, mehr verflüssigtes Erdgas (Liquefied Natural Gas – LNG) mit Tankschiffen importieren oder die Gasspeicher anzapfen.

Den LNG-Import nach oben zu schrauben, ist der EU mittlerweile gelungen und die Lage hat sich nach Angaben der EU-Kommission deutlich entspannt. Die Brüsseler Behörde versicherte, man sei jetzt – in der letzten Februarwoche – gut gerüstet, für den Fall, dass Russland die Gasversorgung einstelle. Zahlreiche Schiffe mit Flüssiggas (LNG) seien nach Europa umgeleitet worden, sagte eine Kommissions-Sprecherin. Allein im Januar hätten 120 Schiffe insgesamt zehn Milliarden Kubikmeter LNG auf den Kontinent gebracht. Damit sei die Energieversorgung abgesichert. Noch vor Wochen sei die LNG-Versorgung weit unsicherer gewesen.

Nach Angaben des Brüsseler Thinktanks Breugel hat sich der Import von Flüssiggas in die EU allein in den ersten Wochen des Jahres im Vergleich zu 2021 mehr als verdoppelt. Die Breugel-Experten gehen sogar davon aus, das selbst bei kälterem Wetter im März die EU-Mitgliedsländer komplett ohne russisches Gas auskommen könnten. 

Das hilft der Industrie, mit rund 35 Prozent der größte Erdgas-Verbraucher in Deutschland, aber nur bedingt weiter, weil sie schon seit Monaten mit den hohen Gaspreisen zu kämpfen hat. Und für besonders energieintensive Branchen wie die Aluminium-, Düngemittel- oder Keramik-Industrie rechnet sich die Produktion ab einem bestimmten Preis-Niveau für Erdgas nicht mehr.     

Doch der Zugriff auf die Gasspeicher ist nicht so ohne weiteres möglich. Denn die Füllmengen in den vor allem in Norddeutschland liegenden Speichern sind seit Monaten rekordverdächtig niedrig.

Das bestätigte Sebastian Bleschke von der Initiative Energien Speichern e.V. (INES) Ende Januar im Gespräch mit der DW. “Deutschland hat die weltweit viertgrößten Speicherkapazitäten für Erdgas, das ist sicherlich einer der Gründe, warum viele, besonders im EU-Binnenmarkt, jetzt auf die deutschen Speicher schauen. Sie sind momentan zu knapp 42 Prozent gefüllt. So niedrig waren die Füllstände zum jetzigen Zeitpunkt noch nie”, sagt der Geschäftsführer des Branchenvereins der Betreiber deutscher Gas- und Wasserstoffspeicher. Mittlerweile (Stand: 20.02.) beträgt der Füllstand historisch niedrige 31 Prozent.

Pikantes Detail: Zehn Prozent der deutschen Gasspeicher betreiben Töchter des Kreml-nahen Gazprom-Konzerns. Die waren, wie Sebastian Bleschke bestätigte, vor einem Monat gerade einmal zu siebzehn Prozent mit Gas gefüllt, im Gegensatz zu 50 Prozent in den übrigen Speichern. Besonders interessant: Der Speicher in Rehden (Niedersachsen) ist nur noch zu 3,6 Prozent gefüllt. Rehden ist der größte Gasspeicher Westeuropas und gehört der Gazprom-Tochter Aurora.  

Europäische Förderländer wie Norwegen, die Niederlande oder Großbritannien können das Gas aus Russland nicht ersetzen. In Norwegen wird nach Angaben der Regierung in Oslo gefördert, was möglich ist und auch die Niederlande können ihre Lieferungen nicht weiter erhöhen. Und Großbritannien leidet selbst unter der Erdgasknappheit und den Rekordpreisen, die bereits eine ganze Reihe kleinerer Gas-Anbieter in die Pleite getrieben haben.

In den vergangenen Wochen sind erheblich mehr LNG-Tankschiffe mit verflüssigtem Erdgas aus den USA in Europa eingetroffen. Deutschland ist dabei allerdings nur Zuschauer, denn anders als Nachbarländer wie die Niederlande besitzt es kein einziges LNG-Terminal an seinen Küsten. Und eine Inbetriebnahme der schon mit russischem Gas befüllten Nord Stream 2-Pipeline ist in weite Ferne gerückt. Bei kaum einem anderen Projekt wie bei Nord Stream 2 wurde der deutsche Eiertanz um die Energie-Abhängigkeit von Russland so deutlich: Immer wieder wurde sie von Außenministerin Annalena Baerbock als Drohpotential für Sanktionen gegen Russland ins Spiel gebracht, von Kanzler Olaf Scholz dagegen bis zur Eskalation der Ukraine-Krise als rein privatwirtschaftliches Projekt relativiert. Dann hatte der Kanzler seine Meinung geändert und ein Aus für die Pipeline im Falle einer russischen Invasion ins Spiel gebracht.

Am 22. Februar, nach der russischen Anerkennung der ostukrainischen Separatistengebiete Donezk und Luhansk als “unabhängige Volksrepubliken”, gab Scholz schließlich bekannt, dass das Genehmigungsverfahren der umstrittenen Gaspipeline zwischen Russland und Deutschland bis auf weiteres gestoppt wird. Ohne diese Zertifizierung
könne Nord Stream 2 nicht in Betrieb gehen, betonte Scholz.   

Dass Russland seine Gaslieferung an den Westen komplett einstellt, glauben Branchen-Insider allerdings nicht. So verweist der Chef des Stromerzeugers Uniper, Klaus-Dieter Maubach, darauf, dass Russland selbst im Kalten Krieg und nach der Annexion der Krim seine langfristigen Lieferverpflichtungen eingehalten hat. Er schätzt den Anteil russischen Erdgases am deutschen Bedarf auf 50 Prozent. Die Quote schwankt allerdings, besonders in letzter Zeit. Dem Datenanbieter ICIS zufolge lieferte Russland im vergangenen Dezember gerade einmal 32 Prozent des in Deutschland verbrauchten Erdgases. Norwegen steuerte 20 Prozent bei, die Niederlande zwölf Prozent. Lediglich fünf Prozent des deutschen Erdgas-Bedarfs wird aus heimischer Förderung gedeckt. Etwa 22 Prozent stammten aus Speicherkavernen und der Rest aus anderen Quellen.

Doch auch mit deutlich weniger als 50 Prozent Importanteil ist für Uniper-Chef Maubach klar: “Russland kann als Lieferant in den kommenden Jahren nicht ersetzt werden.” Außerdem sieht die Energiewende das Abschalten der drei noch aktiven deutschen Atomkraftwerke und den Ausstieg aus der Kohleverstromung vor. Um die dadurch gerissenen Energie-Lücken zu schließen, bleibt Erdgas für Deutschland die zentrale fossile Energiequelle. 

Europäische Versorger und Importeure besitzen seit Jahrzehnten Lieferverträge für russisches Pipeline-Gas mit Laufzeiten von bis zu 30 Jahren. Einer der Gründe für die extreme Verteuerung von Erdgas ist, dass viele Versorger Gas kurzfristig am so genannten Spot-Markt kaufen. Dort haben sich die Preise im vergangenen Jahr vervielfacht – und die Anbieter wurden nun auf dem falschen Fuß erwischt.  

Energie-Profis sind sich jedenfalls einig darüber: Mit teuren LNG-Lieferungen per Schiff können mögliche Lieferausfälle durch Russland nur – wie jetzt – vorübergehend kompensiert werden. Wäre die Eskalation in der Ukraine schon im Dezember eingetreten, wäre es deutlich enger geworden.

In der aktuellen Krise arbeite die Zeit für Deutschland und die EU, die insgesamt rund 40 Prozent ihres Gasbedarfs aus Russland bezieht, war Sebastian Blaschke schon im Januar überzeugt. “Mit dem Fortschreiten des Winters haben wir doch eher eine Entspannung bei den Temperaturen zu erwarten, aktuell ist das Wetter ja recht mild.” Und je länger das eher milde Wetter auch im meteorologischen Frühling anhält, desto weniger ist die EU auf Putins Gas angewiesen. 

Erdgasspeicher Rehden
Erdgasspeicher Jemgum

“Die Krise in der Ukraine hat zu einer deutlichen Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen geführt.” Mit diesem Satz beginnen Matthias Basedau und Kim Schultze ihre Untersuchung mit dem Titel: “Abhängigkeit von Energieimporten: Risiko für Deutschland und Europa?”. In der Studie heißt es: “Deutschland und Europa sind im erheblichen Ausmaß von Energieimporten aus Russland abhängig. Das betrifft vor allem Erdgas, Erdöl und Steinkohle. Angesichts verschlechterter Beziehungen zu Russland werden Warnungen lauter, dass die russische Regierung mögliche Lieferstopps als politische Waffe im großen Stil einsetzen könnte.”

Bemerkenswert dabei: Das Papier entstand 2014 als Untersuchung des GIGA German Institute of Global and Area Studies – Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien in Hamburg.

Anhängigkeit wider besseren Wissens

An der geopolitischen Analyse hat sich seitdem nichts geändert – im Gegenteil: Seitdem hat Wladimir Putin in seiner Außen- und Energiepolitik noch mehrere Gänge höher geschaltet. Der russische Staatschef hat die Streitkräfte seines Landes grundlegend modernisiert und setzt seine Nachbarländer und Teile der EU mit militärischen Drohgebärden immer stärker unter Druck.

Das Fatale dabei ist, dass Deutschlands Abhängigkeit von russischen Energieimporten in den vergangenen zehn Jahren noch einmal erheblich zugenommen hat. Seit 2012 ist allein der Anteil russischer Erdgaslieferungen von 40 auf 55 Prozent in die Höhe geklettert – eine Steigerung von deutlich mehr als einem Drittel. Selbst bei den Erdöleinfuhren stieg der Anteil Russlands im selben Zeitraum um zehn Prozent: von 38 auf 42 Prozent.

Mittlerweile wird in Deutschland jede zweite Wohnung mit Gas beheizt und die Heizperiode kann je nach Wetterlage noch bis weit in den März hineinreichen. Trotzdem müssen sich die Menschen keine Sorgen machen, dass ihre Wohnungen kalt bleiben, wenn der Ukraine-Konflikt eskaliert, sind Experten überzeugt.

“Wenn es nur nach dem weltweiten Angebot ginge, könnten wir russisches Erdgas morgen ersetzen”, zitierte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) Andreas Goldthau, Energie-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) Ende Januar. “Die Frage ist: Wie viel wollen wir dafür zahlen?” Im Fall eines Lieferstopps hätte Europa drei Möglichkeiten: mehr Erdgas aus anderen Lieferländern über Pipelines beziehen, mehr verflüssigtes Erdgas (Liquefied Natural Gas – LNG) mit Tankschiffen importieren oder die Gasspeicher anzapfen.

Keine Angst vor kalten Wohnungen

Den LNG-Import nach oben zu schrauben, ist der EU mittlerweile gelungen und die Lage hat sich nach Angaben der EU-Kommission deutlich entspannt. Die Brüsseler Behörde versicherte, man sei jetzt – in der letzten Februarwoche – gut gerüstet, für den Fall, dass Russland die Gasversorgung einstelle. Zahlreiche Schiffe mit Flüssiggas (LNG) seien nach Europa umgeleitet worden, sagte eine Kommissions-Sprecherin. Allein im Januar hätten 120 Schiffe insgesamt zehn Milliarden Kubikmeter LNG auf den Kontinent gebracht. Damit sei die Energieversorgung abgesichert. Noch vor Wochen sei die LNG-Versorgung weit unsicherer gewesen.

LNG-Importoffensive

Nach Angaben des Brüsseler Thinktanks Breugel hat sich der Import von Flüssiggas in die EU allein in den ersten Wochen des Jahres im Vergleich zu 2021 mehr als verdoppelt. Die Breugel-Experten gehen sogar davon aus, das selbst bei kälterem Wetter im März die EU-Mitgliedsländer komplett ohne russisches Gas auskommen könnten. 

Das hilft der Industrie, mit rund 35 Prozent der größte Erdgas-Verbraucher in Deutschland, aber nur bedingt weiter, weil sie schon seit Monaten mit den hohen Gaspreisen zu kämpfen hat. Und für besonders energieintensive Branchen wie die Aluminium-, Düngemittel- oder Keramik-Industrie rechnet sich die Produktion ab einem bestimmten Preis-Niveau für Erdgas nicht mehr.     

Doch der Zugriff auf die Gasspeicher ist nicht so ohne weiteres möglich. Denn die Füllmengen in den vor allem in Norddeutschland liegenden Speichern sind seit Monaten rekordverdächtig niedrig.

Ebbe in Deutschlands Gasspeichern

Das bestätigte Sebastian Bleschke von der Initiative Energien Speichern e.V. (INES) Ende Januar im Gespräch mit der DW. “Deutschland hat die weltweit viertgrößten Speicherkapazitäten für Erdgas, das ist sicherlich einer der Gründe, warum viele, besonders im EU-Binnenmarkt, jetzt auf die deutschen Speicher schauen. Sie sind momentan zu knapp 42 Prozent gefüllt. So niedrig waren die Füllstände zum jetzigen Zeitpunkt noch nie”, sagt der Geschäftsführer des Branchenvereins der Betreiber deutscher Gas- und Wasserstoffspeicher. Mittlerweile (Stand: 20.02.) beträgt der Füllstand historisch niedrige 31 Prozent.

Pikantes Detail: Zehn Prozent der deutschen Gasspeicher betreiben Töchter des Kreml-nahen Gazprom-Konzerns. Die waren, wie Sebastian Bleschke bestätigte, vor einem Monat gerade einmal zu siebzehn Prozent mit Gas gefüllt, im Gegensatz zu 50 Prozent in den übrigen Speichern. Besonders interessant: Der Speicher in Rehden (Niedersachsen) ist nur noch zu 3,6 Prozent gefüllt. Rehden ist der größte Gasspeicher Westeuropas und gehört der Gazprom-Tochter Aurora.  

Norwegen und die Niederlande produzieren am Anschlag

Europäische Förderländer wie Norwegen, die Niederlande oder Großbritannien können das Gas aus Russland nicht ersetzen. In Norwegen wird nach Angaben der Regierung in Oslo gefördert, was möglich ist und auch die Niederlande können ihre Lieferungen nicht weiter erhöhen. Und Großbritannien leidet selbst unter der Erdgasknappheit und den Rekordpreisen, die bereits eine ganze Reihe kleinerer Gas-Anbieter in die Pleite getrieben haben.

LNG (noch) keine Konkurrenz für Pipeline-Gas

In den vergangenen Wochen sind erheblich mehr LNG-Tankschiffe mit verflüssigtem Erdgas aus den USA in Europa eingetroffen. Deutschland ist dabei allerdings nur Zuschauer, denn anders als Nachbarländer wie die Niederlande besitzt es kein einziges LNG-Terminal an seinen Küsten. Und eine Inbetriebnahme der schon mit russischem Gas befüllten Nord Stream 2-Pipeline ist in weite Ferne gerückt. Bei kaum einem anderen Projekt wie bei Nord Stream 2 wurde der deutsche Eiertanz um die Energie-Abhängigkeit von Russland so deutlich: Immer wieder wurde sie von Außenministerin Annalena Baerbock als Drohpotential für Sanktionen gegen Russland ins Spiel gebracht, von Kanzler Olaf Scholz dagegen bis zur Eskalation der Ukraine-Krise als rein privatwirtschaftliches Projekt relativiert. Dann hatte der Kanzler seine Meinung geändert und ein Aus für die Pipeline im Falle einer russischen Invasion ins Spiel gebracht.

Am 22. Februar, nach der russischen Anerkennung der ostukrainischen Separatistengebiete Donezk und Luhansk als “unabhängige Volksrepubliken”, gab Scholz schließlich bekannt, dass das Genehmigungsverfahren der umstrittenen Gaspipeline zwischen Russland und Deutschland bis auf weiteres gestoppt wird. Ohne diese Zertifizierung
könne Nord Stream 2 nicht in Betrieb gehen, betonte Scholz.   

Dass Russland seine Gaslieferung an den Westen komplett einstellt, glauben Branchen-Insider allerdings nicht. So verweist der Chef des Stromerzeugers Uniper, Klaus-Dieter Maubach, darauf, dass Russland selbst im Kalten Krieg und nach der Annexion der Krim seine langfristigen Lieferverpflichtungen eingehalten hat. Er schätzt den Anteil russischen Erdgases am deutschen Bedarf auf 50 Prozent. Die Quote schwankt allerdings, besonders in letzter Zeit. Dem Datenanbieter ICIS zufolge lieferte Russland im vergangenen Dezember gerade einmal 32 Prozent des in Deutschland verbrauchten Erdgases. Norwegen steuerte 20 Prozent bei, die Niederlande zwölf Prozent. Lediglich fünf Prozent des deutschen Erdgas-Bedarfs wird aus heimischer Förderung gedeckt. Etwa 22 Prozent stammten aus Speicherkavernen und der Rest aus anderen Quellen.

Doch auch mit deutlich weniger als 50 Prozent Importanteil ist für Uniper-Chef Maubach klar: “Russland kann als Lieferant in den kommenden Jahren nicht ersetzt werden.” Außerdem sieht die Energiewende das Abschalten der drei noch aktiven deutschen Atomkraftwerke und den Ausstieg aus der Kohleverstromung vor. Um die dadurch gerissenen Energie-Lücken zu schließen, bleibt Erdgas für Deutschland die zentrale fossile Energiequelle. 

Europäische Versorger und Importeure besitzen seit Jahrzehnten Lieferverträge für russisches Pipeline-Gas mit Laufzeiten von bis zu 30 Jahren. Einer der Gründe für die extreme Verteuerung von Erdgas ist, dass viele Versorger Gas kurzfristig am so genannten Spot-Markt kaufen. Dort haben sich die Preise im vergangenen Jahr vervielfacht – und die Anbieter wurden nun auf dem falschen Fuß erwischt.  

Energie-Profis sind sich jedenfalls einig darüber: Mit teuren LNG-Lieferungen per Schiff können mögliche Lieferausfälle durch Russland nur – wie jetzt – vorübergehend kompensiert werden. Wäre die Eskalation in der Ukraine schon im Dezember eingetreten, wäre es deutlich enger geworden.

In der aktuellen Krise arbeite die Zeit für Deutschland und die EU, die insgesamt rund 40 Prozent ihres Gasbedarfs aus Russland bezieht, war Sebastian Blaschke schon im Januar überzeugt. “Mit dem Fortschreiten des Winters haben wir doch eher eine Entspannung bei den Temperaturen zu erwarten, aktuell ist das Wetter ja recht mild.” Und je länger das eher milde Wetter auch im meteorologischen Frühling anhält, desto weniger ist die EU auf Putins Gas angewiesen. 

Erdgas wird trotzdem weiter teuer bleiben, solange Russlands Präsident Putin auf Eskalationskurs bleibt. Bleibt zu hoffen, dass sich die EU in diesem Jahr mit – demnächst gesetzlich vorgeschriebenen – höheren Füllmengen der Erdgasspeicher besser auf den nächsten Winter vorbereitet.

Der Artikel wurde am 25.01.2022 erstmals veröffentlicht und am 22.02.2022 aktualisiert.

Der Artikel wurde am 25.01.2022 erstmals veröffentlicht und am 22.02.2022 aktualisiert.

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