Polen meistert ersten Flüchtlingsansturm aus der Ukraine
Tausende Menschen fliehen jeden Tag aus der Ukraine nach Polen. Die Regierung will jeden aufnehmen. An den Grenzübergängen helfen Tausende Freiwillige. Monika Sieradzka aus Przemysl.
Der Markt von Medyka im Südosten Polens mit seinem großen Discountladen und vielen kleinen Geschäften war jahrzehntelang ein Ort, an dem die Polen günstig Zigaretten, Vodka oder Benzin aus der Ukraine eingekauft haben. Die Kunden aus dem Osten schätzten den hiesigen Discountladen für preiswerte Waren guter Qualität, die man später auf den Märkten in Lwiw verkaufen konnte. Innerhalb weniger Stunden hat sich der populäre Markt zu einem Ort verwandelt, an dem sich Geschichte ereignet.
Medyka ist einer der acht Grenzübergänge zwischen Polen und der Ukraine, an denen seit Donnerstag Tausende Menschen vor Putins Bomben fliehen. Jetzt dürfen sie nicht nur den schmalen Fußgängerkorridor benutzen, sondern auch einige Autospuren, die für den Straßenverkehr gesperrt sind. So gehe es nämlich viele schneller, erklärt Piotr Zakielarz, Pressesprecher des regionalen Grenzschutzes. “An allen Grenzübergängen zur Ukraine wurden alle Durchgänge geöffnet. Auch Menschen, die ungültige oder gar keine ID-Dokumente haben, werden jetzt durchgelassen”, sagt er.
Der Markt von Medyka im Südosten Polens mit seinem großen Discountladen und vielen kleinen Geschäften war jahrzehntelang ein Ort, an dem die Polen günstig Zigaretten, Vodka oder Benzin aus der Ukraine eingekauft haben. Die Kunden aus dem Osten schätzten den hiesigen Discountladen für preiswerte Waren guter Qualität, die man später auf den Märkten in Lwiw verkaufen konnte. Innerhalb weniger Stunden hat sich der populäre Markt zu einem Ort verwandelt, an dem sich Geschichte ereignet.
Dass die Flüchtlinge insgesamt sehr lange an der Grenze warten, liege an der ukrainischen Seite, wo es oft zu Ausfällen von Computersystemen komme; auf der polnischen Seite dauere die Kontrolle nur wenige Minuten, versichert Zakielarz: “Bei uns sind jetzt alle an Bord, keiner geht in Urlaub. Noch nie hatte der polnische Grenzschutz mit einer so massiven Migrationswelle zu tun.” Wenn gerade Zeit dazu ist, helfen Zakielarz und andere Grenzbeamte Ukrainerinnen, ihre schweren Reisekoffer zu tragen.
Ein langer Weg nach Polen
Es sind fast ausschließlich Frauen und Kinder, die über die Grenze kommen. Ukrainische Männer zwischen 18 und 60 dürfen ihr Land wegen der Generalmobilmachung nicht verlassen.
Oxana Dubovenko ist mit ihrer Familie am Donnerstagvormittag von Zhytomyr aufgebrochen. Vor ihnen lagen 500 Kilometer bis zum Grenzübergang Medyka. “Das war eine schnelle, spontane Entscheidung. Wir haben ein paar Koffer gepackt und sind mit dem Auto in Richtung Grenze gefahren. Mein Mann lebt in Düsseldorf, er kommt uns hier abholen, dann fahren wir alle nach Deutschland”, sagt die 40-Jährige.
Neben ihr auf einer Betonbank sitzt ihr neunjähriger Sohn, vor Müdigkeit fast eingeschlafen, und zwei verwandte Mädchen, 13 und 17 Jahre alt, die sich auf ihren Smartphones mit Freunden in der Ukraine austauschen. Auf einem der Koffer sitzt die Ehefrau von Oxanas zurückgebliebenem Bruder. Sie soll in vier Monaten das gemeinsame Kind zur Welt bringen. Sie weint, wenn sie mit ihm per Handy telefoniert.
Auch Oxana kann ihre Tränen nicht stoppen, wenn sie von ihren Eltern erzählt, die zu Hause geblieben sind und sich bei jeder Alarmsirene in einem Luftschutzbunker verstecken müssen. “Mein Vater ist über 60, aber er will für sein Land kämpfen. Außerdem wollten meine Eltern den Hund nicht allein lassen. Niemand von uns hat je daran gedacht, aus der Ukraine auszuwandern”, sagt sie. Sie ist bei einer Bank in Zhytomyr in der Personalabteilung als Managerin angestellt und hat jetzt Urlaub genommen. Noch hoffe sie, bald zurückgehen zu können. Dieser Krieg komme ihr nicht real vor. Sie habe sich auch nie Gedanken gemacht, was sie in einem fremden Land machen könnte, sagt Oxana.
Ania, die 17-jährige Tochter aus erster Ehe, steht noch unter Schock nach dem schwierigen Weg zur Grenze. “Irgendwann mussten wir aussteigen und mehrere Kilometer zu Fuß laufen. Und dann über zehn Stunden in der Schlange stehen. Viele haben sich vorgedrängelt und ich hatte Angst, dass die Menschen mich zerdrücken, zertrampeln”, sagt sie. Die Schlange sei sicher über 20 Kilometer lang.
Auch in Polen gibt es eine Schlange, aber eine viel kleinere. Hier warten hunderte Menschen auf Freunde und Verwandte, die in EU-Ländern leben. Allein 1,6 Millionen Ukrainer leben in Polen. Die meisten Flüchtlinge, die in den ersten Stunden und Tagen des Krieges das Land verließen, wussten ganz genau, wer sie abholt und wohin sie weiterfahren würden. Doch mit der Zeit tauchen immer mehr Menschen ohne konkretes Reiseziel auf.
Für sie hat die polnische Regierung entlang der 535 Kilometer langen Grenze zur Ukraine neun Aufnahmezentren eingerichtet. Im Grenzdorf Medyka stehen in der Sporthalle Betten mit Decken, es gibt Rettungssanitäter und die Frauen aus dem Dorf liefern ständig warmes Essen. Wegen zahlreicher privater Hilfsinitiativen war die Nachfrage anfangs nicht groß, die meisten Aufenthalte sind nur kurz. Doch das könnte sich bald ändern.
Am Bahnhof von Przemysl, der nächstgelegenen Stadt, kommen jeden Tag mehrere Züge aus der Ukraine an. Die Verspätungszeiten wachsen und werden selten aktualisiert; niemand weiß, wann welcher Zug ankommt. Trotz der Kälte bieten viele kostenlosen Transport an, auch in der Nacht: “Krakow, Tarnow, 3 Plätze, kostenlos” kann man auf dem Zettel von Paulina und Emilian lesen, beide sind Anfang 20: “Wir konnten nicht einfach zu Hause sitzen und zuschauen. Wir mussten etwas tun”, sagt Emilian. Paulina habe auf Facebook eine spontan entstandene Hilfsgruppe gefunden, die Unterkünfte biete.
In den Bahnhofshallen von Przemysl werden Kleider, Essen, Wasser und Spielzeuge gesammelt. Der Andrang der Hilfswilligen ist so groß, dass einige Durchgänge für ihre Arbeit reserviert wurden. Auf Bitten einer Hilfsorganisation wurden innerhalb von zwei Stunden 80 Kindersitze für den Transport der Flüchtlingskinder gesammelt. Aus vielen Städten sind LKWs mit Hilfstransporten nach Przemysl gekommen.
Am Sonntag früh bat Bürgermeister Wojciech Bakun, die Hilfstransporte nach Przemysl zu stoppen: “Ihr habt eine so große Hilfe organisiert, dass unsere Lager voll sind. Wir sind nicht in der Lage, weitere Transporte zu entnehmen”, schrieb er auf seinem Facebook-Profil.
Polens Regierung hat von einer Million Flüchtlinge gesprochen, die nach Polen kommen könnten und mehrmals erklärt, die Hilfsbedürftigen aufzunehmen. Bislang scheinen, vor allem dank der privaten Initiativen, die Flüchtlinge in Polen gut versorgt zu sein.
Seit Sonntag organisiert das polnische Przemysl nun auch zusammen mit der ukrainischen Grenzstadt Mostyska Hilfslieferungen für die Menschen, die auf der ukrainischen Seite in der langen Schlange stehen.
Der Markt von Medyka im Südosten Polens mit seinem großen Discountladen und vielen kleinen Geschäften war jahrzehntelang ein Ort, an dem die Polen günstig Zigaretten, Vodka oder Benzin aus der Ukraine eingekauft haben. Die Kunden aus dem Osten schätzten den hiesigen Discountladen für preiswerte Waren guter Qualität, die man später auf den Märkten in Lwiw verkaufen konnte. Innerhalb weniger Stunden hat sich der populäre Markt zu einem Ort verwandelt, an dem sich Geschichte ereignet.
Medyka ist einer der acht Grenzübergänge zwischen Polen und der Ukraine, an denen seit Donnerstag Tausende Menschen vor Putins Bomben fliehen. Jetzt dürfen sie nicht nur den schmalen Fußgängerkorridor benutzen, sondern auch einige Autospuren, die für den Straßenverkehr gesperrt sind. So gehe es nämlich viele schneller, erklärt Piotr Zakielarz, Pressesprecher des regionalen Grenzschutzes. “An allen Grenzübergängen zur Ukraine wurden alle Durchgänge geöffnet. Auch Menschen, die ungültige oder gar keine ID-Dokumente haben, werden jetzt durchgelassen”, sagt er.
Ein langer Weg nach Polen
Dass die Flüchtlinge insgesamt sehr lange an der Grenze warten, liege an der ukrainischen Seite, wo es oft zu Ausfällen von Computersystemen komme; auf der polnischen Seite dauere die Kontrolle nur wenige Minuten, versichert Zakielarz: “Bei uns sind jetzt alle an Bord, keiner geht in Urlaub. Noch nie hatte der polnische Grenzschutz mit einer so massiven Migrationswelle zu tun.” Wenn gerade Zeit dazu ist, helfen Zakielarz und andere Grenzbeamte Ukrainerinnen, ihre schweren Reisekoffer zu tragen.
Es sind fast ausschließlich Frauen und Kinder, die über die Grenze kommen. Ukrainische Männer zwischen 18 und 60 dürfen ihr Land wegen der Generalmobilmachung nicht verlassen.
Oxana Dubovenko ist mit ihrer Familie am Donnerstagvormittag von Zhytomyr aufgebrochen. Vor ihnen lagen 500 Kilometer bis zum Grenzübergang Medyka. “Das war eine schnelle, spontane Entscheidung. Wir haben ein paar Koffer gepackt und sind mit dem Auto in Richtung Grenze gefahren. Mein Mann lebt in Düsseldorf, er kommt uns hier abholen, dann fahren wir alle nach Deutschland”, sagt die 40-Jährige.
Neben ihr auf einer Betonbank sitzt ihr neunjähriger Sohn, vor Müdigkeit fast eingeschlafen, und zwei verwandte Mädchen, 13 und 17 Jahre alt, die sich auf ihren Smartphones mit Freunden in der Ukraine austauschen. Auf einem der Koffer sitzt die Ehefrau von Oxanas zurückgebliebenem Bruder. Sie soll in vier Monaten das gemeinsame Kind zur Welt bringen. Sie weint, wenn sie mit ihm per Handy telefoniert.
Die Ukrainer in Polen
Auch Oxana kann ihre Tränen nicht stoppen, wenn sie von ihren Eltern erzählt, die zu Hause geblieben sind und sich bei jeder Alarmsirene in einem Luftschutzbunker verstecken müssen. “Mein Vater ist über 60, aber er will für sein Land kämpfen. Außerdem wollten meine Eltern den Hund nicht allein lassen. Niemand von uns hat je daran gedacht, aus der Ukraine auszuwandern”, sagt sie. Sie ist bei einer Bank in Zhytomyr in der Personalabteilung als Managerin angestellt und hat jetzt Urlaub genommen. Noch hoffe sie, bald zurückgehen zu können. Dieser Krieg komme ihr nicht real vor. Sie habe sich auch nie Gedanken gemacht, was sie in einem fremden Land machen könnte, sagt Oxana.
Große Hilfsbereitschaft
Ania, die 17-jährige Tochter aus erster Ehe, steht noch unter Schock nach dem schwierigen Weg zur Grenze. “Irgendwann mussten wir aussteigen und mehrere Kilometer zu Fuß laufen. Und dann über zehn Stunden in der Schlange stehen. Viele haben sich vorgedrängelt und ich hatte Angst, dass die Menschen mich zerdrücken, zertrampeln”, sagt sie. Die Schlange sei sicher über 20 Kilometer lang.
Auch in Polen gibt es eine Schlange, aber eine viel kleinere. Hier warten hunderte Menschen auf Freunde und Verwandte, die in EU-Ländern leben. Allein 1,6 Millionen Ukrainer leben in Polen. Die meisten Flüchtlinge, die in den ersten Stunden und Tagen des Krieges das Land verließen, wussten ganz genau, wer sie abholt und wohin sie weiterfahren würden. Doch mit der Zeit tauchen immer mehr Menschen ohne konkretes Reiseziel auf.
Für sie hat die polnische Regierung entlang der 535 Kilometer langen Grenze zur Ukraine neun Aufnahmezentren eingerichtet. Im Grenzdorf Medyka stehen in der Sporthalle Betten mit Decken, es gibt Rettungssanitäter und die Frauen aus dem Dorf liefern ständig warmes Essen. Wegen zahlreicher privater Hilfsinitiativen war die Nachfrage anfangs nicht groß, die meisten Aufenthalte sind nur kurz. Doch das könnte sich bald ändern.
Ukrainische Seite benötigt Hilfe
Am Bahnhof von Przemysl, der nächstgelegenen Stadt, kommen jeden Tag mehrere Züge aus der Ukraine an. Die Verspätungszeiten wachsen und werden selten aktualisiert; niemand weiß, wann welcher Zug ankommt. Trotz der Kälte bieten viele kostenlosen Transport an, auch in der Nacht: “Krakow, Tarnow, 3 Plätze, kostenlos” kann man auf dem Zettel von Paulina und Emilian lesen, beide sind Anfang 20: “Wir konnten nicht einfach zu Hause sitzen und zuschauen. Wir mussten etwas tun”, sagt Emilian. Paulina habe auf Facebook eine spontan entstandene Hilfsgruppe gefunden, die Unterkünfte biete.
In den Bahnhofshallen von Przemysl werden Kleider, Essen, Wasser und Spielzeuge gesammelt. Der Andrang der Hilfswilligen ist so groß, dass einige Durchgänge für ihre Arbeit reserviert wurden. Auf Bitten einer Hilfsorganisation wurden innerhalb von zwei Stunden 80 Kindersitze für den Transport der Flüchtlingskinder gesammelt. Aus vielen Städten sind LKWs mit Hilfstransporten nach Przemysl gekommen.
Am Sonntag früh bat Bürgermeister Wojciech Bakun, die Hilfstransporte nach Przemysl zu stoppen: “Ihr habt eine so große Hilfe organisiert, dass unsere Lager voll sind. Wir sind nicht in der Lage, weitere Transporte zu entnehmen”, schrieb er auf seinem Facebook-Profil.
Polens Regierung hat von einer Million Flüchtlinge gesprochen, die nach Polen kommen könnten und mehrmals erklärt, die Hilfsbedürftigen aufzunehmen. Bislang scheinen, vor allem dank der privaten Initiativen, die Flüchtlinge in Polen gut versorgt zu sein.
Seit Sonntag organisiert das polnische Przemysl nun auch zusammen mit der ukrainischen Grenzstadt Mostyska Hilfslieferungen für die Menschen, die auf der ukrainischen Seite in der langen Schlange stehen.