Ukrainische Flüchtlinge an der Grenze zur Slowakei: “Der Hauptstrom kommt erst”
In der Grenzstadt Uschhorod an der ukrainisch-slowakischen Grenze bitten Zehntausende Ukrainer um Aufnahme. Viele reisen weiter in die Tschechische Republik, zu der die Grenzregion lange gehörte.
Die kalte Wintersonne geht über dem Bergkamm der Karpaten auf. Ein kilometerlanger Autokonvoi steht bereits vor dem größten ukrainisch-slowakischen Grenzübergang Uschhorod-Vysne Nemecke. Hunderte von Ukrainern stehen bereits auf dem Gipfel des Hügels, wo die Straße zum ukrainischen Zoll hinunter führt. Sie fliehen vor dem Krieg in ihrer Heimat, wollen über die Grenze, sich in Sicherheit bringen. In der Slowakei und damit in der Europäische Union.
Von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind hier ausschließlich Frauen und Kinder versammelt, von Babys über Vorschulkinder bis hin zu Jugendlichen. Die Kleinkinder liegen in Kinderwagen, in Buggys, auf den Armen ihrer Mütter. Fast niemand hat großes Gepäck dabei, meist nur Rucksäcke, große Handtaschen, Einkaufstaschen. Es gibt kaum Männer in der Schlange – und wenn doch, dann sind sie nur hier, um ihre Familien bis zur Grenze zu eskortieren. Vasil Balchuk, ein Ukrainer um die Fünfzig, hat seine Frau und seine Kinder hierher gebracht. “Meine Frau, meine Schwiegertochter und meine Kinder fahren zu Verwandten in die Tschechische Republik, ich diene in der Territorialverteidigung von Uschhorod. Wenn die Russen auch hierher kommen, werde ich kämpfen. Ich habe eine Ausbildung bei der Armee.”
Die kalte Wintersonne geht über dem Bergkamm der Karpaten auf. Ein kilometerlanger Autokonvoi steht bereits vor dem größten ukrainisch-slowakischen Grenzübergang Uschhorod-Vysne Nemecke. Hunderte von Ukrainern stehen bereits auf dem Gipfel des Hügels, wo die Straße zum ukrainischen Zoll hinunter führt. Sie fliehen vor dem Krieg in ihrer Heimat, wollen über die Grenze, sich in Sicherheit bringen. In der Slowakei und damit in der Europäische Union.
Wie viele seiner Landsleute glaubt Balchuk fest daran, dass die russische Armee von der Ukraine besiegt werden kann: “Wir müssen Kiew noch ein paar Tage halten, dann wird Putin gezwungen sein, zu verhandeln. Und eine unabhängige Ukraine wird überleben.” Trotzdem schickt auch er seine Frau und seine Kinder ins sichere Ausland.
Flucht in die Tschechische Republik
Die Wartezeit an der Grenze scheint endlos, stundenlang bewegt sich die Autokolonne gar nicht oder nur im Schritttempo. Das Grenzabfertigungspersonal ist langsam, insbesondere auf ukrainischer Seite. Derweil kommen immer Menschen aus der Ukraine an, die Schlange der Autos wird immer länger. Soldaten des ukrainischen Grenzschutzes versuchen mit Mühe, die Ordnung aufrechtzuerhalten.
Freiwillige Feuerwehr und ehrenamtliche Helfer haben Wasser, Tee und Erfrischungen für die Wartenden vorbereitet. In einem großen Zelt kann man sich auch ein wenig aufwärmen. Doch niemand aus der Warteschlange vor dem Grenzübergang geht dorthin, jeder behält seinen hart erkämpften Platz in der Menge. “Leute, nicht drängeln! Wir können euch nicht reinlassen, solange wir keine Anweisungen bekommen”, ruft der Kommandant der slowakischen Grenzschutzeinheit immer wieder. Ausnahmen werden nicht gemacht, nur Diplomaten-Fahrzeuge haben Vorrang. Tatiana möchte mit ihren vier Kindern die Grenze überqueren. “Wir fahren nach Kolin in Mittelböhmen, um meinen Mann zu besuchen, er arbeitet dort auf einer Baustelle”, erklärt sie in gutem Tschechisch. Es gibt hier viele Menschen mit Bindungen an die Tschechische Republik und die Slowakei, und sie wollen vor allem dorthin.
Die Karpatenukraine, die heutige ukrainische Region Transkarpatien, war zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg der östlichste Teil der damaligen Tschechoslowakei. 1945 wurde sie jedoch von der stalinistischen Sowjetunion annektiert, ein Verstoß gegen das tschechoslowakisch-sowjetische Staatsabkommen von 1943. Tausende Bewohner verließen ihre Heimat und gingen in die Tschechoslowakei. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR kamen andere Karpatenukrainer nach, um auf den Baustellen und in den Fabriken der Nachfolgestaaten der Tschechoslowakei, Tschechien und Slowakei, zu arbeiten.
Heute haben etwa 100.000 Einwanderer aus der Ukraine die tschechische Staatsbürgerschaft, 200.000 wohnen ständig in der Tschechischen Republik. In der Slowakei leben etwa 10.000 Ukrainer, ein guter Teil von ihnen ist nicht zugewandert sondern gehört zur ukrainischen Minderheit, die vor allem in Presov und in der Nähe der ukrainischen Grenze siedelt. Dort sind Orts- und Straßenschilder zweisprachig.
In Uschhorod selbst erinnert nicht nur ein Viertel mit Gebäuden der tschechoslowakischen Regierung aus den 1930er Jahren an die Zeit vor 1945, sondern auch ein Denkmal des ersten tschechoslowakischen Präsidenten Tomas Masaryk. Nach dem ist auch die Brücke über den Fluss Uh benannt sowie eine örtliche Schule. “Masaryks Jubiläumsschule” in tschechischer Sprache auf einem Schild am Eingang des Gebäudes.
Heute hat Uschhorod 100.000 Einwohner. Vor der Pandemie war die malerische gelegene Stadt bei Touristen sehr beliebt. Auch jetzt sind alle Hotels, Pensionen und Herbergen sind ausgebucht – von Flüchtlingen aus der Ukraine. “Ich weiß nicht, wo ich mit der Arbeit anfangen soll”, sagt Natalie vom Hostel Kakadu, “wir sind völlig überlaufen und ständig rufen neue Leute an und fragen nach einer Unterkunft.”
Das Hostel sei jetzt ein Flüchtlingslager, in dem Menschen aus der ganzen Ukraine untergebracht sind, vor allem aber Familien mit Kindern, viele davon mit Haustieren. “Das ist die letzte Katze. Keine Haustiere mehr”, begrüßt Natalia die Neuankömmlinge. Obwohl sie es könnte, hat sie die Preise nicht erhöht. “Am Krieg soll man nicht verdienen”, sagt sie. Das sehen viele andere Einheimische genauso.
Die Menschen in und um Uschhorod glauben, dass der Krieg nicht hierher kommen wird. “Wir sind durch die bis zu 2000 Meter hohen Berge der Karpaten und die Nähe zu NATO-Ländern wie Tschechien oder Slowakei geschützt”, sagte Oleksandr Macucha während einer Diskussion mit Freunden bei einem Bier am frühen Abend. “Wenn die Russen hierher kommen wollen, werden wir in den Bergen auf sie warten. Sie werden nicht durchkommen”, fügt er hinzu. “Bomber und Raketen werden die Berge nicht aufhalten. Sie könnten uns schon morgen angreifen”, meint dagegen der etwas ältere Arseniy.
Sowohl die geografische Nähe zur Slowakei – und damit zum Westen – als auch die historische Verbundenheit der Menschen diesseits und jenseits der ukrainischen Grenze werfen bei den Einheimischen Fragen auf: “Wir haben hier Denkmäler für Masaryk, wir gehörten früher zur Tschechoslowakei. Warum kommt ihr Tschechen, Slowaken und ganz Europa uns nun nicht zu Hilfe?” fragt der Taxifahrer Vasil.
Eine ältere ukrainische Frau am Grenzübergang bittet die slowakische Präsidentin Zuzana Caputova um Hilfe. “Bitte helfen Sie der Ukraine, Frau Präsidentin. Wir wollen nach Europa. Putin greift nicht nur die Ukraine an, sondern auch Sie, Europa. In der Ukraine kämpfen wir für Europa”.
An den Grenzübergängen helfen die Tschechische Republik und die Slowakei den Flüchtenden. In der ersten Woche passierten etwa 70.000 Flüchtlinge die Grenze in die Slowakei. Die meisten von ihnen sind zu ukrainischen Verwandten und Freunden nach Tschechien weitergereist, nur wenige tausend sind bisher in der Slowakei geblieben. “Der Hauptstrom kommt erst. Und er wird viel, viel größer sein”, sagte ein Beamter des slowakischen Präsidentenamtes gegenüber der DW. “Aber wir sind bereit, wir können Zehntausende von Flüchtlingen aus der Ukraine in unserem Land unterbringen.”
Die kalte Wintersonne geht über dem Bergkamm der Karpaten auf. Ein kilometerlanger Autokonvoi steht bereits vor dem größten ukrainisch-slowakischen Grenzübergang Uschhorod-Vysne Nemecke. Hunderte von Ukrainern stehen bereits auf dem Gipfel des Hügels, wo die Straße zum ukrainischen Zoll hinunter führt. Sie fliehen vor dem Krieg in ihrer Heimat, wollen über die Grenze, sich in Sicherheit bringen. In der Slowakei und damit in der Europäische Union.
Von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind hier ausschließlich Frauen und Kinder versammelt, von Babys über Vorschulkinder bis hin zu Jugendlichen. Die Kleinkinder liegen in Kinderwagen, in Buggys, auf den Armen ihrer Mütter. Fast niemand hat großes Gepäck dabei, meist nur Rucksäcke, große Handtaschen, Einkaufstaschen. Es gibt kaum Männer in der Schlange – und wenn doch, dann sind sie nur hier, um ihre Familien bis zur Grenze zu eskortieren. Vasil Balchuk, ein Ukrainer um die Fünfzig, hat seine Frau und seine Kinder hierher gebracht. “Meine Frau, meine Schwiegertochter und meine Kinder fahren zu Verwandten in die Tschechische Republik, ich diene in der Territorialverteidigung von Uschhorod. Wenn die Russen auch hierher kommen, werde ich kämpfen. Ich habe eine Ausbildung bei der Armee.”
Flucht in die Tschechische Republik
Wie viele seiner Landsleute glaubt Balchuk fest daran, dass die russische Armee von der Ukraine besiegt werden kann: “Wir müssen Kiew noch ein paar Tage halten, dann wird Putin gezwungen sein, zu verhandeln. Und eine unabhängige Ukraine wird überleben.” Trotzdem schickt auch er seine Frau und seine Kinder ins sichere Ausland.
Die Wartezeit an der Grenze scheint endlos, stundenlang bewegt sich die Autokolonne gar nicht oder nur im Schritttempo. Das Grenzabfertigungspersonal ist langsam, insbesondere auf ukrainischer Seite. Derweil kommen immer Menschen aus der Ukraine an, die Schlange der Autos wird immer länger. Soldaten des ukrainischen Grenzschutzes versuchen mit Mühe, die Ordnung aufrechtzuerhalten.
Freiwillige Feuerwehr und ehrenamtliche Helfer haben Wasser, Tee und Erfrischungen für die Wartenden vorbereitet. In einem großen Zelt kann man sich auch ein wenig aufwärmen. Doch niemand aus der Warteschlange vor dem Grenzübergang geht dorthin, jeder behält seinen hart erkämpften Platz in der Menge. “Leute, nicht drängeln! Wir können euch nicht reinlassen, solange wir keine Anweisungen bekommen”, ruft der Kommandant der slowakischen Grenzschutzeinheit immer wieder. Ausnahmen werden nicht gemacht, nur Diplomaten-Fahrzeuge haben Vorrang. Tatiana möchte mit ihren vier Kindern die Grenze überqueren. “Wir fahren nach Kolin in Mittelböhmen, um meinen Mann zu besuchen, er arbeitet dort auf einer Baustelle”, erklärt sie in gutem Tschechisch. Es gibt hier viele Menschen mit Bindungen an die Tschechische Republik und die Slowakei, und sie wollen vor allem dorthin.
Die Karpatenukraine, die heutige ukrainische Region Transkarpatien, war zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg der östlichste Teil der damaligen Tschechoslowakei. 1945 wurde sie jedoch von der stalinistischen Sowjetunion annektiert, ein Verstoß gegen das tschechoslowakisch-sowjetische Staatsabkommen von 1943. Tausende Bewohner verließen ihre Heimat und gingen in die Tschechoslowakei. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR kamen andere Karpatenukrainer nach, um auf den Baustellen und in den Fabriken der Nachfolgestaaten der Tschechoslowakei, Tschechien und Slowakei, zu arbeiten.
Ehemaliger Teil der Tschechoslowakei
Heute haben etwa 100.000 Einwanderer aus der Ukraine die tschechische Staatsbürgerschaft, 200.000 wohnen ständig in der Tschechischen Republik. In der Slowakei leben etwa 10.000 Ukrainer, ein guter Teil von ihnen ist nicht zugewandert sondern gehört zur ukrainischen Minderheit, die vor allem in Presov und in der Nähe der ukrainischen Grenze siedelt. Dort sind Orts- und Straßenschilder zweisprachig.
Umschlagplatz für Flüchtlinge
In Uschhorod selbst erinnert nicht nur ein Viertel mit Gebäuden der tschechoslowakischen Regierung aus den 1930er Jahren an die Zeit vor 1945, sondern auch ein Denkmal des ersten tschechoslowakischen Präsidenten Tomas Masaryk. Nach dem ist auch die Brücke über den Fluss Uh benannt sowie eine örtliche Schule. “Masaryks Jubiläumsschule” in tschechischer Sprache auf einem Schild am Eingang des Gebäudes.
Heute hat Uschhorod 100.000 Einwohner. Vor der Pandemie war die malerische gelegene Stadt bei Touristen sehr beliebt. Auch jetzt sind alle Hotels, Pensionen und Herbergen sind ausgebucht – von Flüchtlingen aus der Ukraine. “Ich weiß nicht, wo ich mit der Arbeit anfangen soll”, sagt Natalie vom Hostel Kakadu, “wir sind völlig überlaufen und ständig rufen neue Leute an und fragen nach einer Unterkunft.”
Das Hostel sei jetzt ein Flüchtlingslager, in dem Menschen aus der ganzen Ukraine untergebracht sind, vor allem aber Familien mit Kindern, viele davon mit Haustieren. “Das ist die letzte Katze. Keine Haustiere mehr”, begrüßt Natalia die Neuankömmlinge. Obwohl sie es könnte, hat sie die Preise nicht erhöht. “Am Krieg soll man nicht verdienen”, sagt sie. Das sehen viele andere Einheimische genauso.
“Warum will die NATO uns nicht schützen?”
Die Menschen in und um Uschhorod glauben, dass der Krieg nicht hierher kommen wird. “Wir sind durch die bis zu 2000 Meter hohen Berge der Karpaten und die Nähe zu NATO-Ländern wie Tschechien oder Slowakei geschützt”, sagte Oleksandr Macucha während einer Diskussion mit Freunden bei einem Bier am frühen Abend. “Wenn die Russen hierher kommen wollen, werden wir in den Bergen auf sie warten. Sie werden nicht durchkommen”, fügt er hinzu. “Bomber und Raketen werden die Berge nicht aufhalten. Sie könnten uns schon morgen angreifen”, meint dagegen der etwas ältere Arseniy.
Sowohl die geografische Nähe zur Slowakei – und damit zum Westen – als auch die historische Verbundenheit der Menschen diesseits und jenseits der ukrainischen Grenze werfen bei den Einheimischen Fragen auf: “Wir haben hier Denkmäler für Masaryk, wir gehörten früher zur Tschechoslowakei. Warum kommt ihr Tschechen, Slowaken und ganz Europa uns nun nicht zu Hilfe?” fragt der Taxifahrer Vasil.
Eine ältere ukrainische Frau am Grenzübergang bittet die slowakische Präsidentin Zuzana Caputova um Hilfe. “Bitte helfen Sie der Ukraine, Frau Präsidentin. Wir wollen nach Europa. Putin greift nicht nur die Ukraine an, sondern auch Sie, Europa. In der Ukraine kämpfen wir für Europa”.
An den Grenzübergängen helfen die Tschechische Republik und die Slowakei den Flüchtenden. In der ersten Woche passierten etwa 70.000 Flüchtlinge die Grenze in die Slowakei. Die meisten von ihnen sind zu ukrainischen Verwandten und Freunden nach Tschechien weitergereist, nur wenige tausend sind bisher in der Slowakei geblieben. “Der Hauptstrom kommt erst. Und er wird viel, viel größer sein”, sagte ein Beamter des slowakischen Präsidentenamtes gegenüber der DW. “Aber wir sind bereit, wir können Zehntausende von Flüchtlingen aus der Ukraine in unserem Land unterbringen.”