Kultur

Karl-Markus Gauß erhält Leipziger Buchpreis

Karl-Markus Gauß ist ein Beobachter Europas, seiner Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Dafür erhält er in diesem Jahr den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung.

Wohl kein anderer Schriftsteller in Europa habe sich häufiger und intensiver mit dem unergründlichen Raum westlich von Russland auseinandergesetzt, lobte die Jury des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung den österreichischen Schriftsteller, Essayisten und Herausgeber Karl-Markus Gauß.

Die Auszeichnung, die am 16. März verliehen wurde, würdigt Gauß’ Porträts verschiedener europäischer Minderheiten in seinem jüngsten Buch “Die unaufhörliche Wanderung: Reportagen”.

Wohl kein anderer Schriftsteller in Europa habe sich häufiger und intensiver mit dem unergründlichen Raum westlich von Russland auseinandergesetzt, lobte die Jury des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung den österreichischen Schriftsteller, Essayisten und Herausgeber Karl-Markus Gauß.

Wie der Name des Buches andeutet, nimmt der Autor den Leser mit auf eine Reise in europäische Städte – aber nicht aus der Perspektive des Standard-Reiseberichts über das europäische Alltagsleben. Vielmehr will Gauß beobachten und berichten; die Polaritäten ergeben sich von selbst. “Ich erfinde keine Widersprüche, aber sie fallen mir auf”, sagt Karl-Markus Gauß im Gespräch mit der DW.

Auszeichnung für “Die unaufhörliche Wanderung”

Diese Widersprüche sind in seinem Buch auffällig. Im ersten Kapitel geht es zum Beispiel um einen muslimischen Restaurantbesitzer namens Isuf in Berat, einer Bergstadt im Südwesten Albaniens, und seine Vorliebe für Weinproben.

Gauß’ Geschichte über seine Heimatstadt Salzburg beginnt mit der Beschreibung einer Kreuzung, die von den Einwohnern “Bäcker-Bacher-Kreuzung” genannt wurde. Sie erhielt ihren Namen von der Bäckerei Bacher, die für ihr frisches Brot und ihre Köstlichkeiten bekannt war – und von deren strengen Besitzern, die von den Kindern, die auf ihrem Schulweg an der Bäckerei vorbeikamen und unbedingt eine Leckerei haben wollten, keinen Pfennig weniger annehmen wollten.

Aber abgesehen von den Kindheitserinnerungen ist die Kreuzung auch bedeutend, weil sie “vier Welten in vier Richtungen trennt”, schreibt Gauß in seinem Buch. Jede Seite der Kreuzung werde von einer anderen Gruppe von Menschen bewohnt.

In einem Viertel lebten Kriegsflüchtlinge aus den Sudeten in der ehemaligen Tschechoslowakei, in einem anderen Flüchtlinge aus Südtirol, die den Diktaturen Hitlers und Mussolinis entkommen wollten. Das dritte Viertel war für Mönche und Kirchenbeamte bestimmt, während das letzte Viertel von hochrangigen Beamten bewohnt wurde.

Gauß, der auch Ethnograf ist, hat bereits mehrere Bücher über Europa geschrieben, darunter “Die unbekannten Europäer” (2002), “Der Alltag der Welt. Zwei Jahre, und viele mehr” (2015) und “Zwanzig Lewa oder Tot” (2017).

Für Gauß gehört zum Verständnis der europäischen Städte und Länder auch ein Verständnis des Begriffs Europa. In einem Kapitel mit dem Titel “Der Westen, der Osten” beschreibt er, wie sich der Kontinent in den letzten Jahrzehnten verändert hat, auch in seiner Selbstwahrnehmung.

Der 67-Jährige skizziert, wie das westliche Europa mit seinen Vorstellungen von Demokratie, Wohlfahrtsstaat und Freiheit dazu übergegangen ist, sich mit ganz Europa zu identifizieren und den Rest des Kontinents in einer väterlichen Weise zu betrachten. “Europa schafft sich selbst, indem es gleichzeitig ein Anti-Europa schafft”, schreibt Gauß in seinem Buch.

Durch den Krieg gegen die Ukraine verkörpere Russland nun wieder dieses Anti-Europa. Russland verhalte sich nur “extrem feindselig” gegen die Ukraine, sondern “auch gegen das, was man halt den Westen nennt”, sagte Gauß.

Allerdings definiere sich Europa auch als Reaktion auf den Krieg neu, so Gauß und nennt den Fall Polens, das “wir über Jahre hindurch als absoluten Bremser und auch von jeder vernünftigen Flüchtlingspolitik und Verteilung von Flüchtlingen irgendwie misstrauisch betrachtet haben”. Durch die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge werte das Land seine Position in der EU auf.

Dennoch sei schwer vorherzusagen, ob diese Einigkeit in Europa von Dauer sein werde, so Gauß weiter. Sobald die Bedrohung vorbei sei, werde erkennbar, was verbindet: Werte? Traditionen?

Mit seinen ungewöhnlichen Darstellungen von Orten wie Berat und Salzburg will Gauß die europäische Vielfalt aufzeigen. Er versuche dabei nicht, Vielfalt ständig neu zu erfinden, sondern suche nach einer Realität, die so noch nicht wahrgenommen worden sei.

Gauß’ Porträts der verschiedenen Ecken Europas werden durch seine Beobachtungen über die Herkunftsorte und die Sprache der Bevölkerung, aber auch über historische und soziale Aspekte wie ihre Berufe bereichert. Er vermeidet auch eine einschränkende Definition seiner Arbeit als Schriftsteller: “Ich möchte kein ideologischer Autor sein, der alles in ein festes Begriff bringt.”

Er sei vielmehr “ein Anhänger von dem, was man Zufall nennt”. Er treffe häufig auf Menschen an Orten, an die sie nicht gehörten, wenn man die Grenzen fein säuberlich abstecke. Am besten laufe es, “wenn der Zufall mein Komplize wird und mir etwas über die Welt erzählt, was ich nicht wusste”.

Adaption aus dem Englischen: Torsten Landsberg

Buchcover l Karl-Markus Gauß, Die unaufhörliche Wanderung
Der Schriftsteller Karl-Markus Gauß sitzt auf einem Sofa.

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Die Kehrseite der Russlandsanktionen

Wohl kein anderer Schriftsteller in Europa habe sich häufiger und intensiver mit dem unergründlichen Raum westlich von Russland auseinandergesetzt, lobte die Jury des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung den österreichischen Schriftsteller, Essayisten und Herausgeber Karl-Markus Gauß.

Die Auszeichnung, die am 16. März verliehen wurde, würdigt Gauß’ Porträts verschiedener europäischer Minderheiten in seinem jüngsten Buch “Die unaufhörliche Wanderung: Reportagen”.

Auszeichnung für “Die unaufhörliche Wanderung”

Wie der Name des Buches andeutet, nimmt der Autor den Leser mit auf eine Reise in europäische Städte – aber nicht aus der Perspektive des Standard-Reiseberichts über das europäische Alltagsleben. Vielmehr will Gauß beobachten und berichten; die Polaritäten ergeben sich von selbst. “Ich erfinde keine Widersprüche, aber sie fallen mir auf”, sagt Karl-Markus Gauß im Gespräch mit der DW.

Diese Widersprüche sind in seinem Buch auffällig. Im ersten Kapitel geht es zum Beispiel um einen muslimischen Restaurantbesitzer namens Isuf in Berat, einer Bergstadt im Südwesten Albaniens, und seine Vorliebe für Weinproben.

Gauß’ Geschichte über seine Heimatstadt Salzburg beginnt mit der Beschreibung einer Kreuzung, die von den Einwohnern “Bäcker-Bacher-Kreuzung” genannt wurde. Sie erhielt ihren Namen von der Bäckerei Bacher, die für ihr frisches Brot und ihre Köstlichkeiten bekannt war – und von deren strengen Besitzern, die von den Kindern, die auf ihrem Schulweg an der Bäckerei vorbeikamen und unbedingt eine Leckerei haben wollten, keinen Pfennig weniger annehmen wollten.

Aber abgesehen von den Kindheitserinnerungen ist die Kreuzung auch bedeutend, weil sie “vier Welten in vier Richtungen trennt”, schreibt Gauß in seinem Buch. Jede Seite der Kreuzung werde von einer anderen Gruppe von Menschen bewohnt.

Westen und Osten verändern sich

In einem Viertel lebten Kriegsflüchtlinge aus den Sudeten in der ehemaligen Tschechoslowakei, in einem anderen Flüchtlinge aus Südtirol, die den Diktaturen Hitlers und Mussolinis entkommen wollten. Das dritte Viertel war für Mönche und Kirchenbeamte bestimmt, während das letzte Viertel von hochrangigen Beamten bewohnt wurde.

Anhänger des Zufalls

Gauß, der auch Ethnograf ist, hat bereits mehrere Bücher über Europa geschrieben, darunter “Die unbekannten Europäer” (2002), “Der Alltag der Welt. Zwei Jahre, und viele mehr” (2015) und “Zwanzig Lewa oder Tot” (2017).

Für Gauß gehört zum Verständnis der europäischen Städte und Länder auch ein Verständnis des Begriffs Europa. In einem Kapitel mit dem Titel “Der Westen, der Osten” beschreibt er, wie sich der Kontinent in den letzten Jahrzehnten verändert hat, auch in seiner Selbstwahrnehmung.

Der 67-Jährige skizziert, wie das westliche Europa mit seinen Vorstellungen von Demokratie, Wohlfahrtsstaat und Freiheit dazu übergegangen ist, sich mit ganz Europa zu identifizieren und den Rest des Kontinents in einer väterlichen Weise zu betrachten. “Europa schafft sich selbst, indem es gleichzeitig ein Anti-Europa schafft”, schreibt Gauß in seinem Buch.

Durch den Krieg gegen die Ukraine verkörpere Russland nun wieder dieses Anti-Europa. Russland verhalte sich nur “extrem feindselig” gegen die Ukraine, sondern “auch gegen das, was man halt den Westen nennt”, sagte Gauß.

Allerdings definiere sich Europa auch als Reaktion auf den Krieg neu, so Gauß und nennt den Fall Polens, das “wir über Jahre hindurch als absoluten Bremser und auch von jeder vernünftigen Flüchtlingspolitik und Verteilung von Flüchtlingen irgendwie misstrauisch betrachtet haben”. Durch die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge werte das Land seine Position in der EU auf.

Dennoch sei schwer vorherzusagen, ob diese Einigkeit in Europa von Dauer sein werde, so Gauß weiter. Sobald die Bedrohung vorbei sei, werde erkennbar, was verbindet: Werte? Traditionen?

Mit seinen ungewöhnlichen Darstellungen von Orten wie Berat und Salzburg will Gauß die europäische Vielfalt aufzeigen. Er versuche dabei nicht, Vielfalt ständig neu zu erfinden, sondern suche nach einer Realität, die so noch nicht wahrgenommen worden sei.

Gauß’ Porträts der verschiedenen Ecken Europas werden durch seine Beobachtungen über die Herkunftsorte und die Sprache der Bevölkerung, aber auch über historische und soziale Aspekte wie ihre Berufe bereichert. Er vermeidet auch eine einschränkende Definition seiner Arbeit als Schriftsteller: “Ich möchte kein ideologischer Autor sein, der alles in ein festes Begriff bringt.”

Er sei vielmehr “ein Anhänger von dem, was man Zufall nennt”. Er treffe häufig auf Menschen an Orten, an die sie nicht gehörten, wenn man die Grenzen fein säuberlich abstecke. Am besten laufe es, “wenn der Zufall mein Komplize wird und mir etwas über die Welt erzählt, was ich nicht wusste”.

Adaption aus dem Englischen: Torsten Landsberg

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