Russland verlässt den Europarat
Kurz vor dem drohenden Ausschluss geht Russland freiwillig und sieht sich damit auch nicht mehr an die Menschenrechtskonvention gebunden. Der Angriff auf die Ukraine markiert den Endpunkt einer konfliktreichen Beziehung.
Moskau wirft NATO und EU vor, den Europarat zu einem Instrument im Dienst “ihrer militärisch-politischen und wirtschaftlichen Expansion im Osten” gemacht zu haben. Die Institutionen des Europarats seien “systematisch dazu benutzt worden, Druck auf Russland auszuüben und sich in seine inneren Angelegenheiten einzumischen”.
Henning Hoff von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sieht in dem Schritt vor allem eine “symbolische Bedeutung. Er zeigt überdeutlich, dass Wladimir Putins Russland sich von dem verabschiedet hat, was Europa nach Ende des Zweiten Weltkriegs bzw. nach dem Mauerfall verbindet, allem voran den Schutz der Menschenrechte und demokratische Prinzipien.” Der Kreml ziehe sich “immer mehr aus den Institutionen heraus, die Russland mit dem Rest des Kontinents verbinden”.
Moskau wirft NATO und EU vor, den Europarat zu einem Instrument im Dienst “ihrer militärisch-politischen und wirtschaftlichen Expansion im Osten” gemacht zu haben. Die Institutionen des Europarats seien “systematisch dazu benutzt worden, Druck auf Russland auszuüben und sich in seine inneren Angelegenheiten einzumischen”.
Trotz des russischen Austritts hat auch das Ministerkomitee der übrigen Staaten des Europarats Russland nach 26 Jahren Mitgliedschaft vor die Tür gesetzt. Die russische Flagge vor dem Gebäude des Europarats in Straßburg wurde am Mittwoch eingeholt.
“Nie dagewesener Bruch der Friedensordnung”
Am 25. Februar, einen Tag nach Beginn des russischen Großangriffs auf die Ukraine, hatte der Europarat die russische Mitgliedschaft bereits suspendiert. Die Beratungen der Gremien fanden seitdem ohne den russischen Vertreter statt. Gegen diese Entscheidung hatte außer Russland nur Armenien gestimmt. Die Türkei enthielt sich, Aserbaidschan nahm nicht an der Abstimmung teil.
In der Begründung hieß es, die Aggression gegen die Ukraine als souveränen Staat stelle einen seit Bestehen des Europarats noch nie dagewesenen Bruch der Friedensordnung dar. Russland sei “verantwortlich für das immense Leiden der ukrainischen Bevölkerung”. Insbesondere beklagten die Vertreter Angriffe auf schutzlose Zivilisten und die Bombardierung einer Kinderklinik in Mariupol. Die Verantwortlichen müssten dafür vor Gericht gebracht werden.
Bei der Gründung des Europarates am 5. Mai 1949 war das Ziel, das “gemeinsame europäische Erbe zu bewahren” und Frieden, Demokratie und Stabilität in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg wiederherzustellen. In der Satzung ist die Aufgabe verankert, einen “engeren Zusammenschluss unter seinen Mitgliedern zu verwirklichen”. Als wichtigstes Bestreben heute gilt die Überwachung der Menschenrechte. Dazu haben die Mitgliedsstaaten 1959 den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegründet, der Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention prüft und gegebenenfalls ahndet.
Bis zum Austritt Russlands hatte der Rat mit Sitz in Straßburg 47 Mitglieder. Nur drei Staaten im geographischen Europa sind keine vollwertigen Mitglieder: Der Vatikan hat nur Beobachterstatus; Belarus ist seit 1993 Beitrittskandidat, sein Status wurde aber 1997 aufgrund von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt; beim Kosovo ist der völkerrechtliche Status noch nicht geklärt.
Seit seinem Beitritt 1996 hatte Russland bereits mehrfach für große Unruhe gesorgt. Schon 2014, nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim, hatte der Rat Moskau das Stimmrecht entzogen. Im Gegenzug stellte Russland 2017 die Zahlungen seiner Mitgliedsbeiträge von gut 30 Millionen Euro jährlich ein. Das sorgte für Finanzprobleme. 2019 wurde nach einer Abstimmung im Plenum das Stimmrecht wiederhergestellt. Kritikern zufolge gab man dabei einem russischen Erpressungsversuch nach und kompromittierte sich damit.
Doch wenn der Europarat als gemeinsames europäisches Forum wegfällt, wie können die übrigen Europäer mit diesem riesigen und hochgerüsteten Land im Gespräch bleiben? “Selbst die OSZE, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die Moskau mitgeschaffen hat, scheint nicht mehr in das nationalistische, konfrontative Weltbild von Wladimir Putin zu passen”, glaubt Henning Hoff.
An Gesprächskanälen und Verhandlungsformaten habe es nie gemangelt, am guten Willen in Moskau aber schon. Hoff kommt zu dem Schluss: “Das Grundproblem ist: Putin will in eine Welt der Großmächte und Einflusszonen zurück und wieder eine dominierende Position in Europa einnehmen. Der Rest des Kontinents will das aus sehr guten Gründen nicht.”
Eine bittere Konsequenz des Austritts betrifft russische Bürger. Sie haben jetzt keine Möglichkeit mehr, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen, wenn sie sich durch die russische Justiz ungerecht behandelt fühlen. Ihre Fälle machten nach Angaben des Gerichts vom Januar 24 Prozent der rund 70.000 anhängigen Verfahren aus. Oft bekamen sie Recht und wurden entschädigt.
Und noch eine Konsequenz könnte der Austritt haben. Wer Mitglied im Europarat ist, muss auf die Todesstrafe verzichten. Das hatte auch Russland bei seinem Beitritt 1996 getan. Der frühere Ministerpräsident und heutige Vize-Chef des nationalen Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew, hat bereits davon gesprochen, die Todesstrafe wieder einzuführen, wenn sein Land den Europarat verlasse.
Moskau wirft NATO und EU vor, den Europarat zu einem Instrument im Dienst “ihrer militärisch-politischen und wirtschaftlichen Expansion im Osten” gemacht zu haben. Die Institutionen des Europarats seien “systematisch dazu benutzt worden, Druck auf Russland auszuüben und sich in seine inneren Angelegenheiten einzumischen”.
Henning Hoff von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sieht in dem Schritt vor allem eine “symbolische Bedeutung. Er zeigt überdeutlich, dass Wladimir Putins Russland sich von dem verabschiedet hat, was Europa nach Ende des Zweiten Weltkriegs bzw. nach dem Mauerfall verbindet, allem voran den Schutz der Menschenrechte und demokratische Prinzipien.” Der Kreml ziehe sich “immer mehr aus den Institutionen heraus, die Russland mit dem Rest des Kontinents verbinden”.
“Nie dagewesener Bruch der Friedensordnung”
Trotz des russischen Austritts hat auch das Ministerkomitee der übrigen Staaten des Europarats Russland nach 26 Jahren Mitgliedschaft vor die Tür gesetzt. Die russische Flagge vor dem Gebäude des Europarats in Straßburg wurde am Mittwoch eingeholt.
Am 25. Februar, einen Tag nach Beginn des russischen Großangriffs auf die Ukraine, hatte der Europarat die russische Mitgliedschaft bereits suspendiert. Die Beratungen der Gremien fanden seitdem ohne den russischen Vertreter statt. Gegen diese Entscheidung hatte außer Russland nur Armenien gestimmt. Die Türkei enthielt sich, Aserbaidschan nahm nicht an der Abstimmung teil.
In der Begründung hieß es, die Aggression gegen die Ukraine als souveränen Staat stelle einen seit Bestehen des Europarats noch nie dagewesenen Bruch der Friedensordnung dar. Russland sei “verantwortlich für das immense Leiden der ukrainischen Bevölkerung”. Insbesondere beklagten die Vertreter Angriffe auf schutzlose Zivilisten und die Bombardierung einer Kinderklinik in Mariupol. Die Verantwortlichen müssten dafür vor Gericht gebracht werden.
Bei der Gründung des Europarates am 5. Mai 1949 war das Ziel, das “gemeinsame europäische Erbe zu bewahren” und Frieden, Demokratie und Stabilität in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg wiederherzustellen. In der Satzung ist die Aufgabe verankert, einen “engeren Zusammenschluss unter seinen Mitgliedern zu verwirklichen”. Als wichtigstes Bestreben heute gilt die Überwachung der Menschenrechte. Dazu haben die Mitgliedsstaaten 1959 den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegründet, der Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention prüft und gegebenenfalls ahndet.
Der Europarat ist ein einzigartiges Forum
Bis zum Austritt Russlands hatte der Rat mit Sitz in Straßburg 47 Mitglieder. Nur drei Staaten im geographischen Europa sind keine vollwertigen Mitglieder: Der Vatikan hat nur Beobachterstatus; Belarus ist seit 1993 Beitrittskandidat, sein Status wurde aber 1997 aufgrund von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt; beim Kosovo ist der völkerrechtliche Status noch nicht geklärt.
Russische Bürger verlieren eine Berufungsinstanz
Seit seinem Beitritt 1996 hatte Russland bereits mehrfach für große Unruhe gesorgt. Schon 2014, nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim, hatte der Rat Moskau das Stimmrecht entzogen. Im Gegenzug stellte Russland 2017 die Zahlungen seiner Mitgliedsbeiträge von gut 30 Millionen Euro jährlich ein. Das sorgte für Finanzprobleme. 2019 wurde nach einer Abstimmung im Plenum das Stimmrecht wiederhergestellt. Kritikern zufolge gab man dabei einem russischen Erpressungsversuch nach und kompromittierte sich damit.
Doch wenn der Europarat als gemeinsames europäisches Forum wegfällt, wie können die übrigen Europäer mit diesem riesigen und hochgerüsteten Land im Gespräch bleiben? “Selbst die OSZE, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die Moskau mitgeschaffen hat, scheint nicht mehr in das nationalistische, konfrontative Weltbild von Wladimir Putin zu passen”, glaubt Henning Hoff.
An Gesprächskanälen und Verhandlungsformaten habe es nie gemangelt, am guten Willen in Moskau aber schon. Hoff kommt zu dem Schluss: “Das Grundproblem ist: Putin will in eine Welt der Großmächte und Einflusszonen zurück und wieder eine dominierende Position in Europa einnehmen. Der Rest des Kontinents will das aus sehr guten Gründen nicht.”
Eine bittere Konsequenz des Austritts betrifft russische Bürger. Sie haben jetzt keine Möglichkeit mehr, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen, wenn sie sich durch die russische Justiz ungerecht behandelt fühlen. Ihre Fälle machten nach Angaben des Gerichts vom Januar 24 Prozent der rund 70.000 anhängigen Verfahren aus. Oft bekamen sie Recht und wurden entschädigt.
Und noch eine Konsequenz könnte der Austritt haben. Wer Mitglied im Europarat ist, muss auf die Todesstrafe verzichten. Das hatte auch Russland bei seinem Beitritt 1996 getan. Der frühere Ministerpräsident und heutige Vize-Chef des nationalen Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew, hat bereits davon gesprochen, die Todesstrafe wieder einzuführen, wenn sein Land den Europarat verlasse.