Flucht aus der Hölle: Was Menschen aus dem belagerten Mariupol erzählen
Mariupol ist zu einem Symbol des militärischen Widerstands und der humanitären Katastrophe im russischen Krieg gegen die Ukraine geworden. Geflüchtete schildern, was sie erlebt haben.
Kaum eine andere ukrainische Stadt wird seit Beginn von Russlands Krieg gegen die Ukraine so oft von Medien und Politikern in aller Welt erwähnt wie Mariupol. Die Hafenstadt am Asowschen Meer, die ständig unter Beschuss steht, ist zu einem Symbol des militärischen Widerstands gegen das russische Militär und einer humanitären Katastrophe geworden. Die Zerstörung einer Entbindungsklinik, wo sich Schwangere befanden, und die Bombardierung des Theaters, in dem Zivilisten Unterschlupf suchten, schockierte die ganze Welt. Die EU hat das Vorgehen der russischen Truppen als schwerstes Kriegsverbrechen bezeichnet.
Die DW hat mit Menschen gesprochen, denen es gelungen ist, aus der Stadt in das von der Ukraine kontrollierte Staatsgebiet zu entkommen.
Kaum eine andere ukrainische Stadt wird seit Beginn von Russlands Krieg gegen die Ukraine so oft von Medien und Politikern in aller Welt erwähnt wie Mariupol. Die Hafenstadt am Asowschen Meer, die ständig unter Beschuss steht, ist zu einem Symbol des militärischen Widerstands gegen das russische Militär und einer humanitären Katastrophe geworden. Die Zerstörung einer Entbindungsklinik, wo sich Schwangere befanden, und die Bombardierung des Theaters, in dem Zivilisten Unterschlupf suchten, schockierte die ganze Welt. Die EU hat das Vorgehen der russischen Truppen als schwerstes Kriegsverbrechen bezeichnet.
Mykola Osytschenko, Chef des Fernsehens von Mariupol, konnte die Stadt mit seiner Familie und seinen Nachbarn verlassen. Sein Haus befand sich in der Nähe der am 9. März zerstörten Geburtsklinik.
“Überall in der Stadt lagen Leichen”
Die Klinik liegt 500 Meter von meinem Wohnhaus entfernt. Als das Flugzeug die Bombe abwarf, dachten wir, sie hätte unser Haus getroffen, so stark war die Explosion. Doch es war die Kinderklinik, mit einer Entbindungsstation im dritten Stock. Am Tag vor dem Angriff wurde mein verletzter Nachbar, ein 60-jähriger Mann, aus dieser Klinik entlassen. Er landete in dem Kinderkrankenhaus, weil woanders kein Platz mehr war. Russische Medien berichteten, dort seien weder Kinder noch Frauen gewesen, sondern es sei das Hauptquartier eines Bataillons. Aber in Wirklichkeit waren dort viele Frauen und Kinder.
Die Temperatur in unserem Wohnblock war die gleiche wie draußen: minus sechs, minus sieben Grad. Wir haben alle im Keller in einem separaten Raum geschlafen. Er war der wärmste, weil man ihn gut verschließen konnte. Auf dem Boden lagen Matratzen und Kissen. Darauf legten wir die Kinder. Sie schliefen und verbrachten dort all die Tage. Zu den Kleinsten legten sich die Mütter, die Großeltern schliefen sitzend auf Stühlen an der Wand. Und wir, mittleren Alters, schliefen einfach auf der Treppe.
Bevor wir aus Mariupol losfuhren, verteilten wir noch unsere Wasservorräte an diejenigen, die schon in ihren Autos saßen, und an die Menschen, die in unserem Wohnblock zurückblieben. Wir überließen ihnen auch die Lebensmittel, die wir noch hatten, weil man dort nirgends mehr an welche herankommt. Die Lagerhäuser sind zerstört und geplündert, die Geschäfte auch.
Zuvor hatten wir uns das Essen vor dem Wohnblock über einer Feuerstelle gekocht, aber gleichzeitig fehlte es an trockenem Holz. Die Leute machten aus Fensterrahmen und Baumaterial zerbombter Schulen Brennholz. Doch dies war gefährlich, weil jederzeit eine Bombe einschlagen konnte, was auch passierte. Die Menschen wurden in Stücke gerissen.
Anfangs versuchten die Menschen, aus Brunnen Wasser zu holen, die es mancherorts noch gibt. Aber auch dorthin muss man unter Beschuss erst hinkommen und dann auch noch in einer Schlange anstehen. Die Menschen nutzten auch Wasser aus Heizungen zerstörter Wohnhäuser, obwohl man es eigentlich nicht trinken darf. Aber die Menschen kochten es ab und tranken es. Eines Nachts schneite es. Wir freuten uns darüber wie Kinder. Alle Bewohner unseres Wohnblocks sammelten solange es ruhig war den Schnee in Eimern. So legten wir einen Vorrat an Schmelzwasser an.
Auf dem Weg aus der Stadt sahen wir kein einziges intaktes Gebäude – überall zerborstene Fenster und zerstörte Wände zwischen Wohnungen. Bei manchen fehlte die ganze oberste Etage. Überall lagen Leichen von Frauen, Männern und Kindern. Wir versuchten, unsere Kinder im Auto abzulenken, damit sie nicht dort hinsehen. Es ist einfach schrecklich!
Die medizinische Angestellte Natalia Korjagina verließ Mariupol am 14. März.
Ich habe mich vom linken Ufer des Flusses Kalmius in Mariupol mit einem Rucksack in ein Haus im Zentrum der Stadt begeben, weil dort zu dem Zeitpunkt weniger Beschuss war. Meine Mutter, die 79 Jahre alt ist, wollte nicht mitkommen. Weder meine Tränen noch Warnungen konnten sie umstimmen. Nur eine Stunde, nachdem ich unser gemeinsames Haus verlassen hatte, wurde eine Schule und zwei nahe gelegene Häuser getroffen. Bei unseren Nachbarn zerbrachen alle Fenster, die bei meiner Mutter blieben ganz. Aber später wurden Strom und Wasser abgeschaltet und ich sagte meiner Mutter, ich würde sie am nächsten Morgen holen kommen, womit sie sich einverstanden zeigte.
In jenem Haus in Zentrum der Stadt waren bereits meine Kollegen mit ihren Familien untergekommen, deren Wohnungen ebenfalls in gefährlichen Stadtteilen liegen. Wir waren 16 Personen, davon sechs Kinder. Schlafplätze richteten wir im Keller ein, mit Matten und Luftmatratzen. Es gab oft Luftalarm und wir verbrachten den größten Teil des Tages im Keller. Am nächsten Tag konnte ich nicht mehr das linke Ufer der Stadt erreichen. Wir versuchten mehr als vier Stunden lang, ein Taxi zu rufen. Die Antwort lautete: “Es gibt kein Benzin, niemand fährt rüber zum linken Ufer.” Ich bettelte und bot viel Geld, aber vergeblich. Auch keiner meiner Bekannten konnte helfen, meine Mutter zu holen. Dann rief ich sie an. Meine Mutter beruhigte mich. Sie sagte, sie habe Wasser und Lebensmittel, und außerdem werde der Krieg nicht ewig dauern. Sie werde schon durchhalten. Das war das letzte Mal, als ich von ihr gehört habe.
Mein Mann ist in der Armee und verteidigt unser Land. In den ersten Tagen hatte ich keinen Kontakt zu ihm. Mein Sohn ist in Charkiw. Mein Herz ist sozusagen in drei Teile zerbrochen. Aber das Leben muss weitergehen. Als der Belagerungsring um unsere Stadt immer enger gezogen wurde, wurde auch bei uns Strom, Wasser und Gas abgeschaltet. Einen gewissen Vorrat an Lebensmitteln konnten wir auf dem Markt kaufen, denn alle Geschäfte waren längst geschlossen, ohne Stromversorgung und nach Beschuss schnell geplündert. Essen mussten wir über einer Feuerstelle kochen. Das Brennholz wurden im ganzen Bezirk gesammelt, auch während des Beschusses.
Schließlich wurde auch unsere Unterkunft von allen Seiten beschossen. Alle Fenster und das Dach wurden zerstört. Das Haus bebte so sehr, dass wir dachten, es werde in sich zusammenstürzen. Aber der Keller hielt stand. Im Erdgeschoss des Hauses betrug die Temperatur ein bis zwei Grad, im Keller vier bis fünf. Das Schlimmste ist der Wassermangel. Aber es schneite zweimal und wir konnten zwei Badewannen mit Schnee füllen, das war unser Glück.
Mobilfunkempfang hatten wir direkt im Haus keinen, nur in 900 Meter Entfernung. So erfuhren wir von dem Korridor für Privatautos und entschieden, wegzufahren. Während wir unsere Autos beluden, knallte es immer wieder und es flogen Metallsplitter direkt gegen unseren Zaun. Um 12 Uhr verließen wir Mariupol, wir sahen überall Ruinen und Brände. Gegen 21 Uhr erreichten wir Berdjansk, wo wir in einer Schule übernachteten. Am Morgen ging es weiter. In vielen Autos des Konvois waren Kinder. Alle fuhren sehr vorsichtig, denn überall lagen Blindgänger herum. An allen Ein- und Ausfallstraßen der Ortschaften sahen wir Kontrollpunkte des Aggressors, über 30 an der Zahl. Vor einer gesprengten Brücke nahe Saporischschja gab es einen riesigen Stau. Der Umweg führt dort über eine schmale Straße. Wir konnten durchfahren, aber eine Stunde später wurde eine andere Kolonne beschossen, es gab Opfer zu beklagen. Um 19 Uhr trafen wir in der Stadt Dnipro ein.
Oleksandr Skorobohatko, Mitarbeiter einer internationalen humanitären Organisation, verließ Mariupol am 15. März.
Anfang März wurde klar, dass der ganzen Stadt eine humanitäre Katastrophe droht. Als keine Lebensmittel und Medikamente mehr ankamen, gerieten die Menschen in Panik. Früher habe ich nur theoretisch von humanitären Katastrophen gehört. Ich habe nie in Auslandsmissionen gearbeitet und war nie mit solchen Problemen konfrontiert.
Meine Schwester und ich kamen bei Verwandten unter. Wir schliefen auf dem Boden im Flur, dort fühlten wir uns sicherer. Irgendwie stellten wir uns auf den Beschuss ein, auf den Mangel an Nahrung. Das Nachbarhaus war schon zerstört. Wir verbrachten viel Zeit mit den Nachbarn und kochten auf Feuerstellen.
Der humanitäre Korridor ließ sehr lange auf sich warten. Die Menschen hatten kaum Hoffnung und redeten sich gegenseitig ein, es sei sicherer, in der Stadt zu bleiben. Als wir im Radio hörten, dass 500 Autos Saporischschja erreicht hätten, wollten wir das erst gar nicht glauben. Aber am nächsten Tag kam ein Bekannter und sagte, dass es eine weitere Autokolonne geben werde. Wir machten uns sofort auf zum Auto. Intuitiv nahmen wir Nebenstraßen und nach fünf bis zehn Kilometern von der Stadt entfernt war endlich Stille.
Überall gab es diese Checkpoints, Kontrollen, endlose Warteschlangen. Erst als wir in Saporischschja ankamen, wurde uns bewusst, dass wir es endlich geschafft hatten, Mariupol zu verlassen. Ich fühlte mich irgendwie schuldig, dass ich es nicht geschafft hatte, Freunde und Verwandte mit ihren Kindern vorzuwarnen. Ich beschloss, sie zu holen.
Kaum eine andere ukrainische Stadt wird seit Beginn von Russlands Krieg gegen die Ukraine so oft von Medien und Politikern in aller Welt erwähnt wie Mariupol. Die Hafenstadt am Asowschen Meer, die ständig unter Beschuss steht, ist zu einem Symbol des militärischen Widerstands gegen das russische Militär und einer humanitären Katastrophe geworden. Die Zerstörung einer Entbindungsklinik, wo sich Schwangere befanden, und die Bombardierung des Theaters, in dem Zivilisten Unterschlupf suchten, schockierte die ganze Welt. Die EU hat das Vorgehen der russischen Truppen als schwerstes Kriegsverbrechen bezeichnet.
Die DW hat mit Menschen gesprochen, denen es gelungen ist, aus der Stadt in das von der Ukraine kontrollierte Staatsgebiet zu entkommen.
“Überall in der Stadt lagen Leichen”
Mykola Osytschenko, Chef des Fernsehens von Mariupol, konnte die Stadt mit seiner Familie und seinen Nachbarn verlassen. Sein Haus befand sich in der Nähe der am 9. März zerstörten Geburtsklinik.
Die Klinik liegt 500 Meter von meinem Wohnhaus entfernt. Als das Flugzeug die Bombe abwarf, dachten wir, sie hätte unser Haus getroffen, so stark war die Explosion. Doch es war die Kinderklinik, mit einer Entbindungsstation im dritten Stock. Am Tag vor dem Angriff wurde mein verletzter Nachbar, ein 60-jähriger Mann, aus dieser Klinik entlassen. Er landete in dem Kinderkrankenhaus, weil woanders kein Platz mehr war. Russische Medien berichteten, dort seien weder Kinder noch Frauen gewesen, sondern es sei das Hauptquartier eines Bataillons. Aber in Wirklichkeit waren dort viele Frauen und Kinder.
Die Temperatur in unserem Wohnblock war die gleiche wie draußen: minus sechs, minus sieben Grad. Wir haben alle im Keller in einem separaten Raum geschlafen. Er war der wärmste, weil man ihn gut verschließen konnte. Auf dem Boden lagen Matratzen und Kissen. Darauf legten wir die Kinder. Sie schliefen und verbrachten dort all die Tage. Zu den Kleinsten legten sich die Mütter, die Großeltern schliefen sitzend auf Stühlen an der Wand. Und wir, mittleren Alters, schliefen einfach auf der Treppe.
Bevor wir aus Mariupol losfuhren, verteilten wir noch unsere Wasservorräte an diejenigen, die schon in ihren Autos saßen, und an die Menschen, die in unserem Wohnblock zurückblieben. Wir überließen ihnen auch die Lebensmittel, die wir noch hatten, weil man dort nirgends mehr an welche herankommt. Die Lagerhäuser sind zerstört und geplündert, die Geschäfte auch.
“Mein Herz ist in drei Teile zerbrochen”
Zuvor hatten wir uns das Essen vor dem Wohnblock über einer Feuerstelle gekocht, aber gleichzeitig fehlte es an trockenem Holz. Die Leute machten aus Fensterrahmen und Baumaterial zerbombter Schulen Brennholz. Doch dies war gefährlich, weil jederzeit eine Bombe einschlagen konnte, was auch passierte. Die Menschen wurden in Stücke gerissen.
“Es ist einfach die Hölle!”
Anfangs versuchten die Menschen, aus Brunnen Wasser zu holen, die es mancherorts noch gibt. Aber auch dorthin muss man unter Beschuss erst hinkommen und dann auch noch in einer Schlange anstehen. Die Menschen nutzten auch Wasser aus Heizungen zerstörter Wohnhäuser, obwohl man es eigentlich nicht trinken darf. Aber die Menschen kochten es ab und tranken es. Eines Nachts schneite es. Wir freuten uns darüber wie Kinder. Alle Bewohner unseres Wohnblocks sammelten solange es ruhig war den Schnee in Eimern. So legten wir einen Vorrat an Schmelzwasser an.
Auf dem Weg aus der Stadt sahen wir kein einziges intaktes Gebäude – überall zerborstene Fenster und zerstörte Wände zwischen Wohnungen. Bei manchen fehlte die ganze oberste Etage. Überall lagen Leichen von Frauen, Männern und Kindern. Wir versuchten, unsere Kinder im Auto abzulenken, damit sie nicht dort hinsehen. Es ist einfach schrecklich!
Die medizinische Angestellte Natalia Korjagina verließ Mariupol am 14. März.
Ich habe mich vom linken Ufer des Flusses Kalmius in Mariupol mit einem Rucksack in ein Haus im Zentrum der Stadt begeben, weil dort zu dem Zeitpunkt weniger Beschuss war. Meine Mutter, die 79 Jahre alt ist, wollte nicht mitkommen. Weder meine Tränen noch Warnungen konnten sie umstimmen. Nur eine Stunde, nachdem ich unser gemeinsames Haus verlassen hatte, wurde eine Schule und zwei nahe gelegene Häuser getroffen. Bei unseren Nachbarn zerbrachen alle Fenster, die bei meiner Mutter blieben ganz. Aber später wurden Strom und Wasser abgeschaltet und ich sagte meiner Mutter, ich würde sie am nächsten Morgen holen kommen, womit sie sich einverstanden zeigte.
In jenem Haus in Zentrum der Stadt waren bereits meine Kollegen mit ihren Familien untergekommen, deren Wohnungen ebenfalls in gefährlichen Stadtteilen liegen. Wir waren 16 Personen, davon sechs Kinder. Schlafplätze richteten wir im Keller ein, mit Matten und Luftmatratzen. Es gab oft Luftalarm und wir verbrachten den größten Teil des Tages im Keller. Am nächsten Tag konnte ich nicht mehr das linke Ufer der Stadt erreichen. Wir versuchten mehr als vier Stunden lang, ein Taxi zu rufen. Die Antwort lautete: “Es gibt kein Benzin, niemand fährt rüber zum linken Ufer.” Ich bettelte und bot viel Geld, aber vergeblich. Auch keiner meiner Bekannten konnte helfen, meine Mutter zu holen. Dann rief ich sie an. Meine Mutter beruhigte mich. Sie sagte, sie habe Wasser und Lebensmittel, und außerdem werde der Krieg nicht ewig dauern. Sie werde schon durchhalten. Das war das letzte Mal, als ich von ihr gehört habe.
Mein Mann ist in der Armee und verteidigt unser Land. In den ersten Tagen hatte ich keinen Kontakt zu ihm. Mein Sohn ist in Charkiw. Mein Herz ist sozusagen in drei Teile zerbrochen. Aber das Leben muss weitergehen. Als der Belagerungsring um unsere Stadt immer enger gezogen wurde, wurde auch bei uns Strom, Wasser und Gas abgeschaltet. Einen gewissen Vorrat an Lebensmitteln konnten wir auf dem Markt kaufen, denn alle Geschäfte waren längst geschlossen, ohne Stromversorgung und nach Beschuss schnell geplündert. Essen mussten wir über einer Feuerstelle kochen. Das Brennholz wurden im ganzen Bezirk gesammelt, auch während des Beschusses.
Schließlich wurde auch unsere Unterkunft von allen Seiten beschossen. Alle Fenster und das Dach wurden zerstört. Das Haus bebte so sehr, dass wir dachten, es werde in sich zusammenstürzen. Aber der Keller hielt stand. Im Erdgeschoss des Hauses betrug die Temperatur ein bis zwei Grad, im Keller vier bis fünf. Das Schlimmste ist der Wassermangel. Aber es schneite zweimal und wir konnten zwei Badewannen mit Schnee füllen, das war unser Glück.
Mobilfunkempfang hatten wir direkt im Haus keinen, nur in 900 Meter Entfernung. So erfuhren wir von dem Korridor für Privatautos und entschieden, wegzufahren. Während wir unsere Autos beluden, knallte es immer wieder und es flogen Metallsplitter direkt gegen unseren Zaun. Um 12 Uhr verließen wir Mariupol, wir sahen überall Ruinen und Brände. Gegen 21 Uhr erreichten wir Berdjansk, wo wir in einer Schule übernachteten. Am Morgen ging es weiter. In vielen Autos des Konvois waren Kinder. Alle fuhren sehr vorsichtig, denn überall lagen Blindgänger herum. An allen Ein- und Ausfallstraßen der Ortschaften sahen wir Kontrollpunkte des Aggressors, über 30 an der Zahl. Vor einer gesprengten Brücke nahe Saporischschja gab es einen riesigen Stau. Der Umweg führt dort über eine schmale Straße. Wir konnten durchfahren, aber eine Stunde später wurde eine andere Kolonne beschossen, es gab Opfer zu beklagen. Um 19 Uhr trafen wir in der Stadt Dnipro ein.
Oleksandr Skorobohatko, Mitarbeiter einer internationalen humanitären Organisation, verließ Mariupol am 15. März.
Anfang März wurde klar, dass der ganzen Stadt eine humanitäre Katastrophe droht. Als keine Lebensmittel und Medikamente mehr ankamen, gerieten die Menschen in Panik. Früher habe ich nur theoretisch von humanitären Katastrophen gehört. Ich habe nie in Auslandsmissionen gearbeitet und war nie mit solchen Problemen konfrontiert.
Meine Schwester und ich kamen bei Verwandten unter. Wir schliefen auf dem Boden im Flur, dort fühlten wir uns sicherer. Irgendwie stellten wir uns auf den Beschuss ein, auf den Mangel an Nahrung. Das Nachbarhaus war schon zerstört. Wir verbrachten viel Zeit mit den Nachbarn und kochten auf Feuerstellen.
Der humanitäre Korridor ließ sehr lange auf sich warten. Die Menschen hatten kaum Hoffnung und redeten sich gegenseitig ein, es sei sicherer, in der Stadt zu bleiben. Als wir im Radio hörten, dass 500 Autos Saporischschja erreicht hätten, wollten wir das erst gar nicht glauben. Aber am nächsten Tag kam ein Bekannter und sagte, dass es eine weitere Autokolonne geben werde. Wir machten uns sofort auf zum Auto. Intuitiv nahmen wir Nebenstraßen und nach fünf bis zehn Kilometern von der Stadt entfernt war endlich Stille.
Überall gab es diese Checkpoints, Kontrollen, endlose Warteschlangen. Erst als wir in Saporischschja ankamen, wurde uns bewusst, dass wir es endlich geschafft hatten, Mariupol zu verlassen. Ich fühlte mich irgendwie schuldig, dass ich es nicht geschafft hatte, Freunde und Verwandte mit ihren Kindern vorzuwarnen. Ich beschloss, sie zu holen.
Es ging wieder durch alle Kontrollpunkte. Am letzten vor Mariupol nahmen mir die sogenannten Soldaten der “Volksrepublik Donezk” das Auto einfach weg. Ich musste den Rückweg zu Fuß antreten. Im nächsten Dorf konnte ich übernachten und essen. Am Morgen nahmen mich gute Menschen mit nach Saporischschja. All dies wird für immer mein Leben begleiten, auch all die Toten.
Viele Freiwillige schaffen es derzeit irgendwie nach Mariupol. Wir tauschen Erfahrungen aus. Aber Sicherheit kann niemand garantieren, im Gegenteil, sie warnen, es könnte passieren, dass man nicht mehr lebend zurückkommt. Dennoch suche ich weiterhin nach Möglichkeiten, wie ich meine Verwandten zumindest in die nächstgelegenen sicheren Dörfer bringen kann. Es ist einfach die Hölle!
Viele Freiwillige schaffen es derzeit irgendwie nach Mariupol. Wir tauschen Erfahrungen aus. Aber Sicherheit kann niemand garantieren, im Gegenteil, sie warnen, es könnte passieren, dass man nicht mehr lebend zurückkommt. Dennoch suche ich weiterhin nach Möglichkeiten, wie ich meine Verwandten zumindest in die nächstgelegenen sicheren Dörfer bringen kann. Es ist einfach die Hölle!