Doomscrolling: Schluss mit schlechten Nachrichten!
Wir scrollen durch unsere Feeds und lesen überall schlechte Nachrichten. Pandemie, Krieg, Klimakrise – wir saugen alles auf. Doch warum nur und wie finden wir das richtige Maß?
Hier eine Notification, da eine Eilmeldung, ein kurzes Nachrichtensignal. Der direkte Griff zum Handy ist dann fast schon ein Automatismus. Oder wir möchten uns eine kleine Pause am Smartphone gönnen. Kurz mal abschalten, doch ehe wir uns versehen, finden wir uns in einer Spirale schlechter Nachrichten wieder: Pandemie, Krieg, die omnipräsente Klimakrise.
Wir scrollen durch die Feeds, durch unterschiedliche Portale, überall die gleichen deprimierenden Themen. Hören wir auf? Natürlich nicht! Wir scrollen und konsumieren weiter.
Hier eine Notification, da eine Eilmeldung, ein kurzes Nachrichtensignal. Der direkte Griff zum Handy ist dann fast schon ein Automatismus. Oder wir möchten uns eine kleine Pause am Smartphone gönnen. Kurz mal abschalten, doch ehe wir uns versehen, finden wir uns in einer Spirale schlechter Nachrichten wieder: Pandemie, Krieg, die omnipräsente Klimakrise.
Genau das ist Doomscrolling. Eine Wortbildung aus den englischen Begriffen “doom” (Untergang, Verderben) und dem eingedeutschten “Scrollen”. Es beschreibt das schier endlose Konsumieren schlechter Nachrichten, auch wenn wir wissen, dass unser wahnsinniges Surfen kein Happy End findet. Spätestens seit der Coronapandemie hat sich das Doomscrollen einen Namen gemacht.
Was ist Doomscrolling?
Das Phänomen klingt paradox, und irgendwie ist es das auch. Hier schlägt der sogenannte “Negativity Bias” zu oder die Negativitätsverzerrung. Wir Menschen haben einen natürlichen Hang zur Negativität – kurzum: Schwarzmalerei. Kritik hat beispielsweise einen stärkeren Einfluss auf unser Verhalten und unsere Kognition als Lob. Gleiches gilt für schlechte Nachrichten.
“Unser Gehirn verarbeitet die negativen Wörter schneller, besser und intensiver, und das sorgt eben dafür, dass wir sie auch besser behalten”, so Neurowissenschaftlerin Maren Urner.
Das macht sogar Sinn – zumindest aus evolutionsbiologischer Sicht. “Zu Zeiten des Säbelzahntigers oder Mammuts war eine verpasste negative Nachricht vielleicht die letzte Sache, die wir wahrgenommen haben”, merkt Maren Urner an.
Unser Urzeithirn versucht heute also immer noch, mithilfe von systematischer Informationsbeschaffung gegen die Ungewissheit anzukämpfen. Wir möchten vorbereitet sein, auf die Bedrohung, die uns erwartet. Je mehr schlechte Nachrichten wir lesen bzw. Informationen wir darüber einholen, desto besser fühlen wir uns gewappnet.
Ein Trugschluss. Gegen Mammut und Co. mag diese Methode erfolgsversprechender gewesen sein als gegen Apps und Nachrichtenfeeds.
Denn Apps sind genau darauf programmiert, dass wir dranbleiben. Dafür nutzen sie allerlei psychologische Tricks. Das endlose Scrollen wird vom “Inifite Scroll” befeuert. “Nur mal schnell durch die Timeline”, ist leichter gesagt als getan, denn viele Apps bieten endlos viel Inhalt. Es ist wie mit Chips – wir können nicht aufhören. Nur ist die Tüte Chips in der Regel irgendwann leer.
Das “Bottomless Soup Bowl Experiment” des US-amerikanischen Ernährungsforschers Brian Wansink liegt einige Jahre zurück, aber es zeigte damals schon, wie unreflektiert unser Konsum sein kann. In seinem Fall ging es um Suppe.
Wansink hatte Testpersonen präparierte Schüsseln mit Suppe vorgesetzt, die sich unbemerkt von selbst wieder auffüllten. Die Probanden mit den bottomless – also bodenlosen – Schüsseln aßen 73 Prozent mehr Suppe als diejenigen, deren Portionen festgelegt waren. Noch dazu glaubten die Probanden nicht einmal, dass sie mehr gegessen hatten, noch empfanden sie sich satter als die Kontrollgruppe.
Ein Versuch, dessen Ergebnis sich wohl auch auf unsere heutige Maßlosigkeit übertragen lässt, sowohl bei Kartoffelchips als auch App-Feeds.
Ein anderer Trick der App-Designer ist der “Pull-to-Refresh”-Mechanismus – abgeschaut von der Glücksspiel-Szene. Wenn wir in einer App nach unten ziehen, um unsere Timeline zu aktualisieren, wissen wir nicht, was uns erwartet. Vergleichbar mit dem Betätigen des Arms eines einarmigen Banditen. Wir möchten wissen, welche Belohnung auf uns wartet, deshalb ziehen wir wieder und wieder am Hebel. Das setzt das Glückshormon Dopamin in unserem Gehirn frei. Wir fühlen uns fantastisch und möchten mehr davon.
Das Anschauen oder Lesen belastender Nachrichten kann dagegen unseren Serotinspiegel negativ beeinflussen. Die Folge können Erschöpfung, innere Anspannung, Reizbarkeit, gedrückte Stimmung und Schlafstörungen sein.
Hier kommt auch das Stresshormon Cortisol ins Spiel, das uns in besonders fordernden und stressigen Situationen kurzfristig leistungsfähig macht. Ein dauerhaft erhöhter Cortisolspiegel kann jedoch schädlich sein, wir stehen quasi unter Dauerstress.
Das Ausmaß und die Auswirkungen des Doomscrollings fallen individuell unterschiedlich aus, doch Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen dem Konsum von schlechten Nachrichten und einem höheren Maß an Angst, Depression, Stress und sogar ähnlichen Symptomen wie bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung.
Eine von Psychologen in Zusammenarbeit mit der Huffington Post durchgeführte Studie ergab, dass Teilnehmende, die morgens drei Minuten lang negative Nachrichten sahen, dann sechs bis acht Stunden später mit 27 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit von einem schlechten Tag berichteten. Die Gruppe, die lösungsorientierte Nachrichten sah, berichtete zu 88 Prozent von einem guten Tag.
Die Rolle der Medien selbst in diesem Kontext thematisiert auch Neurowissenschaftlerin Maren Urner. Denn auch diese machen sich den Effekt zunutze, da sich mit schlechten Nachrichten schlichtweg mehr Klicks generieren und mehr Auflagen verkaufen lassen. Das Sprichwort “if it bleeds, it leeds” scheint immer noch aktuell. Studien bestätigen, dass Leserinnen und Leser eher bei negativen als bei guten Nachrichten hängenbleiben.
Doch die Fülle an negativen Nachrichten sorgt dafür, dass wir alle zu negative Erwartungen haben. “Weil wir mit einem Weltbild durchs Leben laufen, wo wir einfach davon ausgehen, dass die Welt schlechter ist als sie eigentlich ist”, so Urner. Das kann chronischen Stress fördern – was wiederum Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Depressionen zur Folge haben kann.
Was können und sollten die Medien also besser machen? “In erster Linie sollten sich die Journalisten und Journalistinnen immer fragen ‘Was jetzt?'”, rät Maren Urner. Das “Wie kann es weitergehen?” sollte schon bei der Recherche mitgedacht werden. Die Problembeschreibung sei sehr wichtig, gleichzeitig sollten aber auch Lösungsansätze geboten werden. “Wie können wir ein bestimmtes Problem beheben und welche Gegenmaßnahmen könnte es geben”, schlägt die Neurowissenschaftlerin vor. Stichwort: konstruktiver, lösungsorientierter Journalismus.
Hier eine Notification, da eine Eilmeldung, ein kurzes Nachrichtensignal. Der direkte Griff zum Handy ist dann fast schon ein Automatismus. Oder wir möchten uns eine kleine Pause am Smartphone gönnen. Kurz mal abschalten, doch ehe wir uns versehen, finden wir uns in einer Spirale schlechter Nachrichten wieder: Pandemie, Krieg, die omnipräsente Klimakrise.
Wir scrollen durch die Feeds, durch unterschiedliche Portale, überall die gleichen deprimierenden Themen. Hören wir auf? Natürlich nicht! Wir scrollen und konsumieren weiter.
Was ist Doomscrolling?
Genau das ist Doomscrolling. Eine Wortbildung aus den englischen Begriffen “doom” (Untergang, Verderben) und dem eingedeutschten “Scrollen”. Es beschreibt das schier endlose Konsumieren schlechter Nachrichten, auch wenn wir wissen, dass unser wahnsinniges Surfen kein Happy End findet. Spätestens seit der Coronapandemie hat sich das Doomscrollen einen Namen gemacht.
Das Phänomen klingt paradox, und irgendwie ist es das auch. Hier schlägt der sogenannte “Negativity Bias” zu oder die Negativitätsverzerrung. Wir Menschen haben einen natürlichen Hang zur Negativität – kurzum: Schwarzmalerei. Kritik hat beispielsweise einen stärkeren Einfluss auf unser Verhalten und unsere Kognition als Lob. Gleiches gilt für schlechte Nachrichten.
“Unser Gehirn verarbeitet die negativen Wörter schneller, besser und intensiver, und das sorgt eben dafür, dass wir sie auch besser behalten”, so Neurowissenschaftlerin Maren Urner.
Das macht sogar Sinn – zumindest aus evolutionsbiologischer Sicht. “Zu Zeiten des Säbelzahntigers oder Mammuts war eine verpasste negative Nachricht vielleicht die letzte Sache, die wir wahrgenommen haben”, merkt Maren Urner an.
Ein Steinzeit-Relikt
Unser Urzeithirn versucht heute also immer noch, mithilfe von systematischer Informationsbeschaffung gegen die Ungewissheit anzukämpfen. Wir möchten vorbereitet sein, auf die Bedrohung, die uns erwartet. Je mehr schlechte Nachrichten wir lesen bzw. Informationen wir darüber einholen, desto besser fühlen wir uns gewappnet.
App-Design: Wie eine Tüte Chips
Ein Trugschluss. Gegen Mammut und Co. mag diese Methode erfolgsversprechender gewesen sein als gegen Apps und Nachrichtenfeeds.
Denn Apps sind genau darauf programmiert, dass wir dranbleiben. Dafür nutzen sie allerlei psychologische Tricks. Das endlose Scrollen wird vom “Inifite Scroll” befeuert. “Nur mal schnell durch die Timeline”, ist leichter gesagt als getan, denn viele Apps bieten endlos viel Inhalt. Es ist wie mit Chips – wir können nicht aufhören. Nur ist die Tüte Chips in der Regel irgendwann leer.
Das “Bottomless Soup Bowl Experiment” des US-amerikanischen Ernährungsforschers Brian Wansink liegt einige Jahre zurück, aber es zeigte damals schon, wie unreflektiert unser Konsum sein kann. In seinem Fall ging es um Suppe.
Dauerstress im Gehirn
Wansink hatte Testpersonen präparierte Schüsseln mit Suppe vorgesetzt, die sich unbemerkt von selbst wieder auffüllten. Die Probanden mit den bottomless – also bodenlosen – Schüsseln aßen 73 Prozent mehr Suppe als diejenigen, deren Portionen festgelegt waren. Noch dazu glaubten die Probanden nicht einmal, dass sie mehr gegessen hatten, noch empfanden sie sich satter als die Kontrollgruppe.
Ein Versuch, dessen Ergebnis sich wohl auch auf unsere heutige Maßlosigkeit übertragen lässt, sowohl bei Kartoffelchips als auch App-Feeds.
In eigener Sache
Ein anderer Trick der App-Designer ist der “Pull-to-Refresh”-Mechanismus – abgeschaut von der Glücksspiel-Szene. Wenn wir in einer App nach unten ziehen, um unsere Timeline zu aktualisieren, wissen wir nicht, was uns erwartet. Vergleichbar mit dem Betätigen des Arms eines einarmigen Banditen. Wir möchten wissen, welche Belohnung auf uns wartet, deshalb ziehen wir wieder und wieder am Hebel. Das setzt das Glückshormon Dopamin in unserem Gehirn frei. Wir fühlen uns fantastisch und möchten mehr davon.
Nachrichtenkonsum: Das richtige Maß finden
Das Anschauen oder Lesen belastender Nachrichten kann dagegen unseren Serotinspiegel negativ beeinflussen. Die Folge können Erschöpfung, innere Anspannung, Reizbarkeit, gedrückte Stimmung und Schlafstörungen sein.
Hier kommt auch das Stresshormon Cortisol ins Spiel, das uns in besonders fordernden und stressigen Situationen kurzfristig leistungsfähig macht. Ein dauerhaft erhöhter Cortisolspiegel kann jedoch schädlich sein, wir stehen quasi unter Dauerstress.
Das Ausmaß und die Auswirkungen des Doomscrollings fallen individuell unterschiedlich aus, doch Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen dem Konsum von schlechten Nachrichten und einem höheren Maß an Angst, Depression, Stress und sogar ähnlichen Symptomen wie bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung.
Eine von Psychologen in Zusammenarbeit mit der Huffington Post durchgeführte Studie ergab, dass Teilnehmende, die morgens drei Minuten lang negative Nachrichten sahen, dann sechs bis acht Stunden später mit 27 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit von einem schlechten Tag berichteten. Die Gruppe, die lösungsorientierte Nachrichten sah, berichtete zu 88 Prozent von einem guten Tag.
Die Rolle der Medien selbst in diesem Kontext thematisiert auch Neurowissenschaftlerin Maren Urner. Denn auch diese machen sich den Effekt zunutze, da sich mit schlechten Nachrichten schlichtweg mehr Klicks generieren und mehr Auflagen verkaufen lassen. Das Sprichwort “if it bleeds, it leeds” scheint immer noch aktuell. Studien bestätigen, dass Leserinnen und Leser eher bei negativen als bei guten Nachrichten hängenbleiben.
Doch die Fülle an negativen Nachrichten sorgt dafür, dass wir alle zu negative Erwartungen haben. “Weil wir mit einem Weltbild durchs Leben laufen, wo wir einfach davon ausgehen, dass die Welt schlechter ist als sie eigentlich ist”, so Urner. Das kann chronischen Stress fördern – was wiederum Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Depressionen zur Folge haben kann.
Was können und sollten die Medien also besser machen? “In erster Linie sollten sich die Journalisten und Journalistinnen immer fragen ‘Was jetzt?'”, rät Maren Urner. Das “Wie kann es weitergehen?” sollte schon bei der Recherche mitgedacht werden. Die Problembeschreibung sei sehr wichtig, gleichzeitig sollten aber auch Lösungsansätze geboten werden. “Wie können wir ein bestimmtes Problem beheben und welche Gegenmaßnahmen könnte es geben”, schlägt die Neurowissenschaftlerin vor. Stichwort: konstruktiver, lösungsorientierter Journalismus.
Keine Frage, es ist wichtig, auf dem Laufenden zu bleiben und zu wissen, was in der Welt passiert, aber muss es denn 24/7 sein? Nein!
Ein besserer Start in den Tag wäre, “dass wir nicht direkt nach dem Aufstehen zum Handy greifen, das Radio anmachen, den Fernseher laufen lassen und gefühlt direkt fünf oder sechs Geräte gleichzeitig mit Informationen auf uns einprasseln”, sagt Maren Urner. Da sollten wir reflektierter rangehen.
Ein besserer Start in den Tag wäre, “dass wir nicht direkt nach dem Aufstehen zum Handy greifen, das Radio anmachen, den Fernseher laufen lassen und gefühlt direkt fünf oder sechs Geräte gleichzeitig mit Informationen auf uns einprasseln”, sagt Maren Urner. Da sollten wir reflektierter rangehen.