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Butscha: Die Massengräber und die Angst der Angehörigen

Nach dem Abzug der russischen Truppen werden in mehreren Kiewer Vororten Minen geräumt und Leichen exhumiert. Jetzt konnten Journalisten die Orte besuchen. Alexander Sawizkij berichtet aus Hostomel und Butscha.

Es ist eine unheimliche Landschaft. Die Straßen des einst so gemütlichen Hostomel, eines der Vororte im Nordwesten Kiews, sind seit dem Rückzug der russischen Truppen menschenleer. Die Kontraste könnten nicht heftiger sein: An den Bäumen sind die ersten Blüten zu sehen und das Frühlingsgezwitscher der Vögel liegt in der Luft, aber es ist auch das Quietschen gebrochener Straßenmasten aus Eisen und das Bellen einsamer Hunde zu hören, die ohne ihre Besitzer herumstreunen. Auf dem Asphalt liegen herabgefallene Stromleitungen und Teile zerschossener Zäune. Unter den Füßen knirschen ununterbrochen Glassplitter.

Überall stehen ausgebrannte Häuser, Garagen und Autos. Viele Gebäude  sind fünfstöckige Wohnhäuser – die meisten von ihnen jetzt ohne Dach. Auch die Fenster sind durch Druckwellen und Schüsse zerborsten. Auf einem erhaltenen Balkon flattert im Wind Wäsche, die angesichts des russischen Angriffskrieges überstürzt zurückgelassen wurde. Während der gesamten Zeit, die unsere Gruppe von Journalisten in Hostomel verbracht hat, haben wir nur einen Mann und eine Frau mittleren Alters gesehen, die voller Hoffnung auf die Busse mit den Medienvertretern blickten.

Es ist eine unheimliche Landschaft. Die Straßen des einst so gemütlichen Hostomel, eines der Vororte im Nordwesten Kiews, sind seit dem Rückzug der russischen Truppen menschenleer. Die Kontraste könnten nicht heftiger sein: An den Bäumen sind die ersten Blüten zu sehen und das Frühlingsgezwitscher der Vögel liegt in der Luft, aber es ist auch das Quietschen gebrochener Straßenmasten aus Eisen und das Bellen einsamer Hunde zu hören, die ohne ihre Besitzer herumstreunen. Auf dem Asphalt liegen herabgefallene Stromleitungen und Teile zerschossener Zäune. Unter den Füßen knirschen ununterbrochen Glassplitter.

Der Flugplatz Hostomel, etwa 20 Kilometer von Kiew entfernt, war das Drehkreuz der Antonov Airlines, die für Frachtmaschinen bekannt ist, darunter das größte Flugzeug der Welt – Antonow An-225 “Mrija”, zu deutsch “Traum”. Die Einfahrt zum Flugplatz wurde durch Beschuss stark beschädigt. Unbeschadet blieb eine Tafel mit dem Porträt des Konstrukteurs Oleh Antonow, nach dem das Unternehmen zum Bau von Fracht- und Verkehrsflugzeugen benannt ist. Auf dem Flugplatz liegt viel ausgebranntes militärisches Gerät der russischen Truppen herum. Zu sehen sind Krater, entstanden durch explodierte Granaten. Die Tore, Wände und Dächer der Hangars sind nach tagelangem Beschuss durchlöchert wie ein Sieb.

Antonov Airlines: Ein Flugzeugtraum wurde zerstört

Von der einzigen An-225 “Mrija” sind nur noch der Bug und die Tragflächen mit Resten von sechs Triebwerken geblieben. In der Mitte des riesigen Flugzeugs klafft das ausgebrannte Innenleben der Maschine. Wir Journalisten dürfen diesen unheimlichen Anblick fotografieren, allerdings ohne uns den Trümmern allzu sehr zu nähern, denn der Boden des Flugplatzes ist noch mit Kugeln aus schweren Maschinengewehren und mit Blindgängern übersät.

“Erst wenn die Räumung abgeschlossen ist, werden Experten das Flugzeug inspizieren können und die Brandursache klären”, sagt der ukrainische Innenminister Denys Monastyrskyj, der die Reporter begleitet.

Ihm zufolge besetzten die russischen Invasoren den Flugplatz schon am ersten Tag ihres Angriffs auf Kiew am 24. Februar. Mehrere Dutzend russische Kampfhubschrauber waren in sehr niedriger Höhe – auf dem Radar unsichtbar – über den Kiewer Stausee geflogen. In Hostomel landeten danach die ersten rund 500 russischen Fallschirmjäger. “Den ukrainischen Verteidigern war es in einer äußerst brutalen Schlacht gelungen, sechs feindliche Hubschrauber abzuschießen”, sagt der Innenminister. Hunderte Fallschirmjäger seien getötet worden. Dann habe das ukrainische Militär mit Raketenwerfern auch noch eine Eliteeinheit des tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow samt Ausrüstung vernichtet. 

Laut Monastyrskyj haben die Russen später so viel Verstärkung geschickt,  dass sie den Flugplatz und die Stadt einnehmen konnten. Hostomel sollte, so der Minister, russischen Militärtransportflugzeugen als Landeplatz dienen, für Kräfte, die Kiew erobern und besetzen sollten. Doch die Ukrainer hätten die Landebahn gesprengt und die Invasoren schließlich nach weiteren heftigen Kämpfen zum Rückzug gezwungen. “Die Gefahr für Kiew ist aber nicht gebannt”, so Monastyrskyj. “Wir bereiten uns auf neue mögliche Angriffe vor.”

Hostomel geht direkt in die Stadt Butscha über, nur ein städtischer Park markiert die Verwaltungsgrenze. Doch der Gegensatz ist erstaunlich. Eine Woche nach der Befreiung von Butscha von der russischen Besatzung ist dort wieder Leben zu spüren. In den Straßen sind Menschen und zivile Autos zu sehen, dort gibt es auch mehr erhaltene Häuser als in Hostomel. Allerdings erinnern auch hier beschädigte Gebäude und zerstörte Supermärkte sowie Straßensperren noch an die Kämpfe.

Doch der friedliche Eindruck trügt. Die Fotos von Leichen auf den Straßen von Butscha sind den Menschen in der Stadt, aber auch in aller Welt noch in frischer Erinnerung. Während die Stadtwerke die Straßen reinigen, werden Gräber exhumiert und es kommen immer mehr Beweise über die Tötung von Zivilisten ans Tageslicht.

Die Busse mit den Journalisten halten an einer orthodoxen Kirche. Neben ihr werden aus einer tiefen Grube Leichen exhumiert. Die Menschen tragen weiße Schutzanzüge, die Toten liegen in schwarzen Plastiksäcken. Der Priester sagt, viele Einwohner von Butscha, die Kontakt zu Familienangehörigen verloren hätten, schauten nun voller Sorge auf die Massengräber. “Sie hoffen, ihre Angehörigen nicht unter den Toten zu finden. Sie hoffen, dass sie vielleicht in Gefangenschaft oder in Krankenhäusern sind, aber eben überlebt haben.” Die Leichensäcke sind noch geöffnet und die Gesichter der Toten zu sehen, von denen die meisten inzwischen schwarz geworden sind.

Andrij Nebytow von der Nationalpolizei der Region Kiew erzählt den Reportern, in dem Grab neben der Kirche seien bisher 40 Personen gefunden worden. Ein Mitarbeiter der Stadtwerke habe sie mit Erlaubnis der russischen Besatzer auf den Straßen der Stadt eingesammelt. “Wir übergeben die Leichen jetzt der Gerichtsmedizin”, so Nebytow. “Viele von ihnen haben Schusswunden am Kopf oder am Körper. Man kann sagen, dass sie direkt mit Maschinengewehren oder Scharfschützengewehren getötet wurden.”

Dem Polizeichef zufolge handelt es sich bei allen Toten um männliche und weibliche Zivilisten unterschiedlichen Alters, mit Ausnahme von zwei Militärangehörigen. “Neben diesen 40 Leichen wurden bereits über 400 aus der ganzen Region Kiew in forensische Einrichtungen gebracht. Davon kommen über 360 aus Butscha, Hostomel und Irpin”, sagt Nebytow. Doch die Suche sei noch nicht abgeschlossen: “Viele Menschen wurden in Gärten beerdigt, weil man sie unter Beschuss nicht auf die Friedhöfe bringen konnte.”

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

Ukraine | Zerstörung und Tote nach Kämpfen in Hostomel in der Ukraine
Ukraine Krieg: mögliches Massengrab an der Kirche in Butscha
Ukraine-Krieg | Eindrücke aus Butscha

Es ist eine unheimliche Landschaft. Die Straßen des einst so gemütlichen Hostomel, eines der Vororte im Nordwesten Kiews, sind seit dem Rückzug der russischen Truppen menschenleer. Die Kontraste könnten nicht heftiger sein: An den Bäumen sind die ersten Blüten zu sehen und das Frühlingsgezwitscher der Vögel liegt in der Luft, aber es ist auch das Quietschen gebrochener Straßenmasten aus Eisen und das Bellen einsamer Hunde zu hören, die ohne ihre Besitzer herumstreunen. Auf dem Asphalt liegen herabgefallene Stromleitungen und Teile zerschossener Zäune. Unter den Füßen knirschen ununterbrochen Glassplitter.

Überall stehen ausgebrannte Häuser, Garagen und Autos. Viele Gebäude  sind fünfstöckige Wohnhäuser – die meisten von ihnen jetzt ohne Dach. Auch die Fenster sind durch Druckwellen und Schüsse zerborsten. Auf einem erhaltenen Balkon flattert im Wind Wäsche, die angesichts des russischen Angriffskrieges überstürzt zurückgelassen wurde. Während der gesamten Zeit, die unsere Gruppe von Journalisten in Hostomel verbracht hat, haben wir nur einen Mann und eine Frau mittleren Alters gesehen, die voller Hoffnung auf die Busse mit den Medienvertretern blickten.

Antonov Airlines: Ein Flugzeugtraum wurde zerstört

Der Flugplatz Hostomel, etwa 20 Kilometer von Kiew entfernt, war das Drehkreuz der Antonov Airlines, die für Frachtmaschinen bekannt ist, darunter das größte Flugzeug der Welt – Antonow An-225 “Mrija”, zu deutsch “Traum”. Die Einfahrt zum Flugplatz wurde durch Beschuss stark beschädigt. Unbeschadet blieb eine Tafel mit dem Porträt des Konstrukteurs Oleh Antonow, nach dem das Unternehmen zum Bau von Fracht- und Verkehrsflugzeugen benannt ist. Auf dem Flugplatz liegt viel ausgebranntes militärisches Gerät der russischen Truppen herum. Zu sehen sind Krater, entstanden durch explodierte Granaten. Die Tore, Wände und Dächer der Hangars sind nach tagelangem Beschuss durchlöchert wie ein Sieb.

Von der einzigen An-225 “Mrija” sind nur noch der Bug und die Tragflächen mit Resten von sechs Triebwerken geblieben. In der Mitte des riesigen Flugzeugs klafft das ausgebrannte Innenleben der Maschine. Wir Journalisten dürfen diesen unheimlichen Anblick fotografieren, allerdings ohne uns den Trümmern allzu sehr zu nähern, denn der Boden des Flugplatzes ist noch mit Kugeln aus schweren Maschinengewehren und mit Blindgängern übersät.

“Erst wenn die Räumung abgeschlossen ist, werden Experten das Flugzeug inspizieren können und die Brandursache klären”, sagt der ukrainische Innenminister Denys Monastyrskyj, der die Reporter begleitet.

Ihm zufolge besetzten die russischen Invasoren den Flugplatz schon am ersten Tag ihres Angriffs auf Kiew am 24. Februar. Mehrere Dutzend russische Kampfhubschrauber waren in sehr niedriger Höhe – auf dem Radar unsichtbar – über den Kiewer Stausee geflogen. In Hostomel landeten danach die ersten rund 500 russischen Fallschirmjäger. “Den ukrainischen Verteidigern war es in einer äußerst brutalen Schlacht gelungen, sechs feindliche Hubschrauber abzuschießen”, sagt der Innenminister. Hunderte Fallschirmjäger seien getötet worden. Dann habe das ukrainische Militär mit Raketenwerfern auch noch eine Eliteeinheit des tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow samt Ausrüstung vernichtet. 

Hostomel: Erfolgreich verteidigt – aber menschenleer

Laut Monastyrskyj haben die Russen später so viel Verstärkung geschickt,  dass sie den Flugplatz und die Stadt einnehmen konnten. Hostomel sollte, so der Minister, russischen Militärtransportflugzeugen als Landeplatz dienen, für Kräfte, die Kiew erobern und besetzen sollten. Doch die Ukrainer hätten die Landebahn gesprengt und die Invasoren schließlich nach weiteren heftigen Kämpfen zum Rückzug gezwungen. “Die Gefahr für Kiew ist aber nicht gebannt”, so Monastyrskyj. “Wir bereiten uns auf neue mögliche Angriffe vor.”

Butscha: Die Leichen müssen jetzt identifiziert werden

Hostomel geht direkt in die Stadt Butscha über, nur ein städtischer Park markiert die Verwaltungsgrenze. Doch der Gegensatz ist erstaunlich. Eine Woche nach der Befreiung von Butscha von der russischen Besatzung ist dort wieder Leben zu spüren. In den Straßen sind Menschen und zivile Autos zu sehen, dort gibt es auch mehr erhaltene Häuser als in Hostomel. Allerdings erinnern auch hier beschädigte Gebäude und zerstörte Supermärkte sowie Straßensperren noch an die Kämpfe.

Doch der friedliche Eindruck trügt. Die Fotos von Leichen auf den Straßen von Butscha sind den Menschen in der Stadt, aber auch in aller Welt noch in frischer Erinnerung. Während die Stadtwerke die Straßen reinigen, werden Gräber exhumiert und es kommen immer mehr Beweise über die Tötung von Zivilisten ans Tageslicht.

Die Busse mit den Journalisten halten an einer orthodoxen Kirche. Neben ihr werden aus einer tiefen Grube Leichen exhumiert. Die Menschen tragen weiße Schutzanzüge, die Toten liegen in schwarzen Plastiksäcken. Der Priester sagt, viele Einwohner von Butscha, die Kontakt zu Familienangehörigen verloren hätten, schauten nun voller Sorge auf die Massengräber. “Sie hoffen, ihre Angehörigen nicht unter den Toten zu finden. Sie hoffen, dass sie vielleicht in Gefangenschaft oder in Krankenhäusern sind, aber eben überlebt haben.” Die Leichensäcke sind noch geöffnet und die Gesichter der Toten zu sehen, von denen die meisten inzwischen schwarz geworden sind.

Andrij Nebytow von der Nationalpolizei der Region Kiew erzählt den Reportern, in dem Grab neben der Kirche seien bisher 40 Personen gefunden worden. Ein Mitarbeiter der Stadtwerke habe sie mit Erlaubnis der russischen Besatzer auf den Straßen der Stadt eingesammelt. “Wir übergeben die Leichen jetzt der Gerichtsmedizin”, so Nebytow. “Viele von ihnen haben Schusswunden am Kopf oder am Körper. Man kann sagen, dass sie direkt mit Maschinengewehren oder Scharfschützengewehren getötet wurden.”

Dem Polizeichef zufolge handelt es sich bei allen Toten um männliche und weibliche Zivilisten unterschiedlichen Alters, mit Ausnahme von zwei Militärangehörigen. “Neben diesen 40 Leichen wurden bereits über 400 aus der ganzen Region Kiew in forensische Einrichtungen gebracht. Davon kommen über 360 aus Butscha, Hostomel und Irpin”, sagt Nebytow. Doch die Suche sei noch nicht abgeschlossen: “Viele Menschen wurden in Gärten beerdigt, weil man sie unter Beschuss nicht auf die Friedhöfe bringen konnte.”

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

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