Ukraine-Krieg: Zahnloser UN-Sicherheitsrat
Russland kann als ständiges Mitglied im Weltsicherheitsrat jede Resolution verhindern, die sein Vorgehen in der Ukraine verurteilt. Was ist der Rat dann wert, fragt der ukrainische Präsident Selenskyj.
Vor dem Weltsicherheitsrat in New York wurde vergangene Woche ein Video aus dem Krieg in der Ukraine abgespielt. Es zeigte “furchtbare Bilder”, so die britische UNO-Vertreterin Barbara Woodward, von zivilen Todesopfern in Butscha, einem Vorort von Kiew. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj machte in einer Rede an die Mitglieder des Sicherheitsrates Russland für “Kriegsverbrechen” verantwortlich.
Doch egal, wie der Vorwurf lautet, er hat für Russland in diesem einflussreichsten UN-Gremium mit seinen fünf ständigen und weiteren zehn nichtständigen Mitgliedern keinerlei Konsequenzen. Der Grund: Russland hat als eines der ständigen Mitglieder ein Vetorecht. Das heißt, wenn nur einer dieser Staaten – die USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich – sein Veto einlegt, kann er jeden Beschluss verhindern. Das hatte Russland bereits einen Tag nach dem Überfall auf die Ukraine am 24. Februar getan: Der Rat hatte eine Resolution zur Diskussion gestellt, die den russischen Angriff unverzüglich beenden sollte. Russland wehrte die Resolution mit seinem Veto ab.
Vor dem Weltsicherheitsrat in New York wurde vergangene Woche ein Video aus dem Krieg in der Ukraine abgespielt. Es zeigte “furchtbare Bilder”, so die britische UNO-Vertreterin Barbara Woodward, von zivilen Todesopfern in Butscha, einem Vorort von Kiew. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj machte in einer Rede an die Mitglieder des Sicherheitsrates Russland für “Kriegsverbrechen” verantwortlich.
Nach Artikel 24 der Charta der Vereinten Nationen sollen die UN-Mitgliedsstaaten – derzeit sind es 193 – dem Rat “die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit” übertragen. Doch was ist, wenn eines der ständigen Mitglieder selbst einen Angriffskrieg führt?
Der Rat trägt “die Hauptverantwortung” für den Weltfrieden
“Wo ist denn die Sicherheit, für die der Sicherheitsrat sorgen soll?”, fragte der ukrainische Präsident Selenskyj rhetorisch in die Runde. Die Vertreter des Rates sollten dafür sorgen, “Russland als Aggressor und Kriegsauslöser zu entfernen, damit es nicht länger Entscheidungen über seine eigene Aggression blockieren kann”. Ohne tiefgreifende Reformen könne sich der Sicherheitsrat auch gleich “selbst auflösen” und die Vereinten Nationen könnten “dichtgemacht” werden.
Während ein Rauswurf Russlands aus dem Sicherheitsrat praktisch unmöglich ist, wurde Russland aus anderen internationalen Gremien tatsächlich entfernt oder trat selbst aus: Wie zuvor beim Europarat, wurde die russische Mitgliedschaft im UN-Menschenrechtsrat vor wenigen Tagen ausgesetzt. Allerdings war das Meinungsbild keineswegs eindeutig: 93 Mitglieder stimmten dafür, aber auch 24 dagegen, unter anderem Algerien, Bolivien, China, Kuba, Nordkorea, Eritrea, Äthiopien, der Iran und Syrien – Länder, in denen Russland Einfluss besitzt oder die, wie China, aus strategischen Gründen Russland gewähren lassen.
Dass eine Abwesenheit im Menschenrechtsrat keine russische Spezialität ist, haben die USA unter Donald Trump gezeigt: 2018 setzten sie die Mitgliedschaft aus, kehrten 2021 unter Trumps Nachfolger Joe Biden aber wieder zurück.
Doch der Menschenrechtsrat zählt im Kreml nicht besonders. “Wir scheren uns nicht allzu sehr um dieses Gremium”, sagte der frühere stellvertretende russische Außenminister Andrej Fjodorow vergangene Woche der DW. “Für uns ist natürlich der Sicherheitsrat das wichtigste und unsere Fähigkeit, dort weiterhin präsent zu sein und unsere Ansichten einzubringen”, so Fjodorow. Er räumte allerdings ein: “Die Gefahr einer wachsenden Isolation Russlands besteht, da stimme ich zu.”
“Der Sicherheitsrat ist zur Bedeutungslosigkeit verdammt, wenn ein Vetostaat die Regeln verletzt”, meint der Politikwissenschaftler Johannes Varwick von der Universität Halle. “Ich erwarte eine jahrelange Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrates und damit auch einen Bedeutungsverlust der Vereinten Nationen.” Doch das sei nichts Neues. Bis zum Ende des Ost-West-Konflikts 1989/90 “hatten wir die gleiche Situation: wechselseitige Vetos oder Vetodrohungen der ein oder anderen Seite und damit eine komplette Lähmung”.
Selenskyj verlangte in seiner Brandrede eine tiefgreifende Reform. Zum Beispiel müssten “alle Regionen der Welt” im Sicherheitsrat “fair repräsentiert” sein. Seine Forderung ist so alt wie der Sicherheitsrat selbst. Zwar werden die zehn wechselnden, nichtständigen Mitglieder nach regionalen Gruppen ausgesucht; die ständigen dagegen, wie der Name schon sagt, bleiben immer dieselben. Und das, verbunden mit ihrem Vetorecht, gibt ihnen einen ungeheuren Einfluss.
Die Zusammensetzung dieses inneren Zirkels spiegelt die geopolitische Situation von vor fast 80 Jahren wider: hier sind die wichtigsten siegreichen Staaten des Zweiten Weltkrieges versammelt. Damals befanden sich viele Staaten der Welt, zum Beispiel fast ganz Afrika, noch in kolonialer Abhängigkeit.
Immer wieder hat es Versuche gegeben, den Weltsicherheitsrat zu reformieren. Unter anderem Brasilien, Indien, Japan und Deutschland erklärten 2004, sich gegenseitig für je einen ständigen Sitz unterstützen zu wollen. Auch die Idee, dass die Europäische Union einen Sitz bekommt, wird immer wieder geäußert. Ein weiterer Vorschlag ist, das Vetorecht abzuschaffen. Doch bisher ist nie etwas daraus geworden.
“Eine Reform des Sicherheitsrates ist ein aussichtsloses Unterfangen”, glaubt Johannes Varwick. “Dies betrifft sowohl die Abschaffung des Vetorechtes als auch eine Neuzusammensetzung der Mitgliedschaft, also die Aufnahme neuer Staaten, sei es mit oder ohne Vetorecht. Es gibt schlichtweg keine Formel, mit der alle fünf Vetomächte einverstanden wären und die dann noch die notwendige Zweidrittelmehrheit in der Generalversammlung finden würde.”
Doch ganz abschreiben will Varwick den Rat nicht. Es sei ihm “immer wieder gelungen, in Fragen, wo die Interessen übereinstimmten, eine Rolle zu spielen; dies wird vermutlich auch irgendwann nach dem Ukraine-Krieg wieder der Fall sein”. Denkbar sei auch “die Gründung einer Art ‘Allianz der Demokratien'”, wie sie die USA immer wieder gefordert hätten, “die dann so etwas wie eine Gegenveranstaltung zu den Vereinten Nationen sein dürfte. Ob das Erfolg haben würde, ist aber sehr fraglich.”
Für den Krieg in der Ukraine spielen aber alle Reformüberlegungen keine Rolle, und Präsident Selenskyjs Klagen über einen unglaubwürdigen Sicherheitsrat werden nichts daran ändern, dass Russland jede Resolution gegen sich selbst blockieren kann.
Vor dem Weltsicherheitsrat in New York wurde vergangene Woche ein Video aus dem Krieg in der Ukraine abgespielt. Es zeigte “furchtbare Bilder”, so die britische UNO-Vertreterin Barbara Woodward, von zivilen Todesopfern in Butscha, einem Vorort von Kiew. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj machte in einer Rede an die Mitglieder des Sicherheitsrates Russland für “Kriegsverbrechen” verantwortlich.
Doch egal, wie der Vorwurf lautet, er hat für Russland in diesem einflussreichsten UN-Gremium mit seinen fünf ständigen und weiteren zehn nichtständigen Mitgliedern keinerlei Konsequenzen. Der Grund: Russland hat als eines der ständigen Mitglieder ein Vetorecht. Das heißt, wenn nur einer dieser Staaten – die USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich – sein Veto einlegt, kann er jeden Beschluss verhindern. Das hatte Russland bereits einen Tag nach dem Überfall auf die Ukraine am 24. Februar getan: Der Rat hatte eine Resolution zur Diskussion gestellt, die den russischen Angriff unverzüglich beenden sollte. Russland wehrte die Resolution mit seinem Veto ab.
Der Rat trägt “die Hauptverantwortung” für den Weltfrieden
Nach Artikel 24 der Charta der Vereinten Nationen sollen die UN-Mitgliedsstaaten – derzeit sind es 193 – dem Rat “die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit” übertragen. Doch was ist, wenn eines der ständigen Mitglieder selbst einen Angriffskrieg führt?
“Wo ist denn die Sicherheit, für die der Sicherheitsrat sorgen soll?”, fragte der ukrainische Präsident Selenskyj rhetorisch in die Runde. Die Vertreter des Rates sollten dafür sorgen, “Russland als Aggressor und Kriegsauslöser zu entfernen, damit es nicht länger Entscheidungen über seine eigene Aggression blockieren kann”. Ohne tiefgreifende Reformen könne sich der Sicherheitsrat auch gleich “selbst auflösen” und die Vereinten Nationen könnten “dichtgemacht” werden.
Während ein Rauswurf Russlands aus dem Sicherheitsrat praktisch unmöglich ist, wurde Russland aus anderen internationalen Gremien tatsächlich entfernt oder trat selbst aus: Wie zuvor beim Europarat, wurde die russische Mitgliedschaft im UN-Menschenrechtsrat vor wenigen Tagen ausgesetzt. Allerdings war das Meinungsbild keineswegs eindeutig: 93 Mitglieder stimmten dafür, aber auch 24 dagegen, unter anderem Algerien, Bolivien, China, Kuba, Nordkorea, Eritrea, Äthiopien, der Iran und Syrien – Länder, in denen Russland Einfluss besitzt oder die, wie China, aus strategischen Gründen Russland gewähren lassen.
Dass eine Abwesenheit im Menschenrechtsrat keine russische Spezialität ist, haben die USA unter Donald Trump gezeigt: 2018 setzten sie die Mitgliedschaft aus, kehrten 2021 unter Trumps Nachfolger Joe Biden aber wieder zurück.
Russland ist nicht mehr im Menschenrechtsrat – wie zeitweise die USA
Doch der Menschenrechtsrat zählt im Kreml nicht besonders. “Wir scheren uns nicht allzu sehr um dieses Gremium”, sagte der frühere stellvertretende russische Außenminister Andrej Fjodorow vergangene Woche der DW. “Für uns ist natürlich der Sicherheitsrat das wichtigste und unsere Fähigkeit, dort weiterhin präsent zu sein und unsere Ansichten einzubringen”, so Fjodorow. Er räumte allerdings ein: “Die Gefahr einer wachsenden Isolation Russlands besteht, da stimme ich zu.”
Der Rat spiegelt die Welt von 1945
“Der Sicherheitsrat ist zur Bedeutungslosigkeit verdammt, wenn ein Vetostaat die Regeln verletzt”, meint der Politikwissenschaftler Johannes Varwick von der Universität Halle. “Ich erwarte eine jahrelange Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrates und damit auch einen Bedeutungsverlust der Vereinten Nationen.” Doch das sei nichts Neues. Bis zum Ende des Ost-West-Konflikts 1989/90 “hatten wir die gleiche Situation: wechselseitige Vetos oder Vetodrohungen der ein oder anderen Seite und damit eine komplette Lähmung”.
Selenskyj verlangte in seiner Brandrede eine tiefgreifende Reform. Zum Beispiel müssten “alle Regionen der Welt” im Sicherheitsrat “fair repräsentiert” sein. Seine Forderung ist so alt wie der Sicherheitsrat selbst. Zwar werden die zehn wechselnden, nichtständigen Mitglieder nach regionalen Gruppen ausgesucht; die ständigen dagegen, wie der Name schon sagt, bleiben immer dieselben. Und das, verbunden mit ihrem Vetorecht, gibt ihnen einen ungeheuren Einfluss.
Die Zusammensetzung dieses inneren Zirkels spiegelt die geopolitische Situation von vor fast 80 Jahren wider: hier sind die wichtigsten siegreichen Staaten des Zweiten Weltkrieges versammelt. Damals befanden sich viele Staaten der Welt, zum Beispiel fast ganz Afrika, noch in kolonialer Abhängigkeit.
Alle Reformbemühungen sind gescheitert
Immer wieder hat es Versuche gegeben, den Weltsicherheitsrat zu reformieren. Unter anderem Brasilien, Indien, Japan und Deutschland erklärten 2004, sich gegenseitig für je einen ständigen Sitz unterstützen zu wollen. Auch die Idee, dass die Europäische Union einen Sitz bekommt, wird immer wieder geäußert. Ein weiterer Vorschlag ist, das Vetorecht abzuschaffen. Doch bisher ist nie etwas daraus geworden.
“Eine Reform des Sicherheitsrates ist ein aussichtsloses Unterfangen”, glaubt Johannes Varwick. “Dies betrifft sowohl die Abschaffung des Vetorechtes als auch eine Neuzusammensetzung der Mitgliedschaft, also die Aufnahme neuer Staaten, sei es mit oder ohne Vetorecht. Es gibt schlichtweg keine Formel, mit der alle fünf Vetomächte einverstanden wären und die dann noch die notwendige Zweidrittelmehrheit in der Generalversammlung finden würde.”
Doch ganz abschreiben will Varwick den Rat nicht. Es sei ihm “immer wieder gelungen, in Fragen, wo die Interessen übereinstimmten, eine Rolle zu spielen; dies wird vermutlich auch irgendwann nach dem Ukraine-Krieg wieder der Fall sein”. Denkbar sei auch “die Gründung einer Art ‘Allianz der Demokratien'”, wie sie die USA immer wieder gefordert hätten, “die dann so etwas wie eine Gegenveranstaltung zu den Vereinten Nationen sein dürfte. Ob das Erfolg haben würde, ist aber sehr fraglich.”
Für den Krieg in der Ukraine spielen aber alle Reformüberlegungen keine Rolle, und Präsident Selenskyjs Klagen über einen unglaubwürdigen Sicherheitsrat werden nichts daran ändern, dass Russland jede Resolution gegen sich selbst blockieren kann.