Was Provenienzforscher zu Detektiven macht
Am Beispiel der berühmten Benin-Bronzen zeigt sich, wie wichtig es ist, die Herkunft von Objekten zu kennen – an vielen Stücken klebt nachweislich Blut.
Wer in Deutschland Provenienzforscher werden möchte, dem stehen mittlerweile mehrere spezialisierte Studiengänge offen. Das ist nicht überall so: In Frankreich und der Schweiz etwa gibt es jeweils genau einen. Und das es überhaupt Angebote gibt, ist auch noch nicht lange so. Denn die Provenienzforschung wurde über Jahrzehnte hinweg nicht als eigener Fachbereich gehandhabt.
“Die Provenienzforschung war immer Teil anderer Bereiche, wie zum Beispiel der Kunsthistorik oder der Archäologie”, erklärt Felicity Bodenstein, Dozentin an der Pariser Universität Sorbonne. “Wir Forscher haben immer schon auch die Herkunft von Objekten untersucht. Dass Stellen – wenn auch wenige – in diesem Bereich geschaffen wurden, ist eine Entwicklung der letzten fünf bis sechs Jahre.”
Wer in Deutschland Provenienzforscher werden möchte, dem stehen mittlerweile mehrere spezialisierte Studiengänge offen. Das ist nicht überall so: In Frankreich und der Schweiz etwa gibt es jeweils genau einen. Und das es überhaupt Angebote gibt, ist auch noch nicht lange so. Denn die Provenienzforschung wurde über Jahrzehnte hinweg nicht als eigener Fachbereich gehandhabt.
Dass dieser Forschungsbereich vor allem in Deutschland ausgebaut wurde, dazu hat unter anderem der “Fall Gurlitt” beigetragen: Hildebrand Gurlitt war im Zweiten Weltkrieg Adolf Hitlers Hauptkunsteinkäufer. 2013 entdeckte die Polizei in der Münchner Wohnung seines Sohnes und Erben – und später auch in einem Haus in Salzburg – rund 1500 Werke, bei denen es sich zum Teil, aber nachweislich um NS-Raubkunst handelte. Um den Fall aufzuklären, gründete man damals eine Task-Force und schaltete die Online-Datenbank “Lost Art” frei, über die jeder weltweit nach verschollenen Kunstwerken suchen kann.
Der “Fall Gurlitt”
Die Suche nach enteigneter und “verfolgungsbedingt entzogener” Kunst während des Dritten Reichs ist seit Jahrzehnten ein wichtiges Anliegen nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen Ländern Europas und in den USA: 1998 unterzeichneten 45 Staaten die “Washingtoner Prinzipien”, die festlegen, wie mit Nazi-Raubkunst verfahren werden sollte.
Laut eines Sprechers von Kulturstaatsministerin Claudia Roth sind im Haushalt der deutschen Bundesregierung in diesem Jahr mehr als 13 Millionen Euro für die Provenienzforschung vorgesehen. Der Schwerpunkt des Engagement liege weiterhin im Bereich der Aufarbeitung des NS-Kulturgutraubes.
Mittlerweile konzentriere man sich nicht mehr nur auf einen vornehmlich europäischen Kontext, so Felicitiy Bodenstein, sondern auch auf “Objekte, die als ethnographisch oder außereuropäisch bezeichnet werden.” Das prominenteste Beispiel in diesem Zusammenhang sind die Benin-Bronzen aus dem heutigen Nigeria. Die deutsche Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat die zweitgrößte Sammlung dieser unbezahlbaren Kultgegenstände, die im Jahre 1897 von britischen Soldaten aus dem Königspalast in Benin City geraubt und anschließend auf dem europäischen Kunstmarkt verkauft wurden.
Anfang 2021 hat sich Deutschland bereit erklärt, ab diesem Jahr bedeutende Stücke aus seiner Sammlung an Nigeria zu restituieren. Doch bis dahin war es ein langer Weg. Bereits in den 1970er-Jahren standen Rückgabeforderungen seitens Nigeria im Raum. Unter anderem die Kontroverse um das im September 2021 eröffnete Berliner Humboldtforum, in dem auch Benin-Bronzen ausgestellt werden, entfachte die Debatte erneut.
Felicity Bodenstein ist Teil der Arbeitsgruppe “Digital Benin”, die die Herkunft der Bronzen erforscht und herausfinden will, wer die rechtmäßigen Eigentümer sind: “Es geht darum, die Daten aller 1897 in Benin City erbeuteten Objekte an einem einzigen digitalen Ort zu sammeln”, so die Forscherin im Interview mit der DW. “Bei der Zusammenarbeit mit unseren nigerianischen Partnern wurde deutlich, dass es Bedarf gab, einen einfacheren Zugang zu Informationen im Zusammenhang mit diesen Objekten zu schaffen.”
Gerade im Hinblick auf Kulturgegenstände aus kolonialem Kontext existieren oftmals wenig oder keine Archivnotizen. “Die britischen Truppen haben natürlich keine Listen darüber geführt, was sie mitgenommen haben. Viele Gegenstände wurden auch als persönliche Kriegsbeute von einzelnen Militärangehörigen mitgenommen.” Und die hätten noch weniger Buch darüber geführt, denn ihre unrechtes Handeln sei ihnen durchaus bewusst gewesen, so Bodenstein weiter. Die Zusammenarbeit mit Partnern aus den jeweiligen Ländern sei daher unabdingbar, um die Werke überhaupt erst einmal zu identifizieren. Und das funktioniert in der Datenbank zum Teil mit Hilfe von Fotos.
Die Frage der Restitution ist dann wieder ein ganz andere Frage. Zwar ist Deutschland mittlerweile willens, die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte voranzutreiben und kolonial belastetes Sammlungsgut möglichst zurückzugeben. Ein verpflichtendes Restitutionsgesetz gibt es in Deutschland, anders als in Österreich, aber bislang nicht.
Der Tag der Provenienzforschung wird seit 2019 jährlich begangen. In diesem Jahr nehmen mehr als 95 Kultureinrichtungen in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Österreich, der Schweiz und den USA teil. Es ist der Versuch, mehr Aufmerksamkeit auf die Herkunft von Objekten zu lenken und bei der Öffentlichkeit ein Bewusstsein dafür zu schaffen, auf welchen Wegen die Werke in die Museen gelangten.
Wer in Deutschland Provenienzforscher werden möchte, dem stehen mittlerweile mehrere spezialisierte Studiengänge offen. Das ist nicht überall so: In Frankreich und der Schweiz etwa gibt es jeweils genau einen. Und das es überhaupt Angebote gibt, ist auch noch nicht lange so. Denn die Provenienzforschung wurde über Jahrzehnte hinweg nicht als eigener Fachbereich gehandhabt.
“Die Provenienzforschung war immer Teil anderer Bereiche, wie zum Beispiel der Kunsthistorik oder der Archäologie”, erklärt Felicity Bodenstein, Dozentin an der Pariser Universität Sorbonne. “Wir Forscher haben immer schon auch die Herkunft von Objekten untersucht. Dass Stellen – wenn auch wenige – in diesem Bereich geschaffen wurden, ist eine Entwicklung der letzten fünf bis sechs Jahre.”
Der “Fall Gurlitt”
Dass dieser Forschungsbereich vor allem in Deutschland ausgebaut wurde, dazu hat unter anderem der “Fall Gurlitt” beigetragen: Hildebrand Gurlitt war im Zweiten Weltkrieg Adolf Hitlers Hauptkunsteinkäufer. 2013 entdeckte die Polizei in der Münchner Wohnung seines Sohnes und Erben – und später auch in einem Haus in Salzburg – rund 1500 Werke, bei denen es sich zum Teil, aber nachweislich um NS-Raubkunst handelte. Um den Fall aufzuklären, gründete man damals eine Task-Force und schaltete die Online-Datenbank “Lost Art” frei, über die jeder weltweit nach verschollenen Kunstwerken suchen kann.
Die Suche nach enteigneter und “verfolgungsbedingt entzogener” Kunst während des Dritten Reichs ist seit Jahrzehnten ein wichtiges Anliegen nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen Ländern Europas und in den USA: 1998 unterzeichneten 45 Staaten die “Washingtoner Prinzipien”, die festlegen, wie mit Nazi-Raubkunst verfahren werden sollte.
Laut eines Sprechers von Kulturstaatsministerin Claudia Roth sind im Haushalt der deutschen Bundesregierung in diesem Jahr mehr als 13 Millionen Euro für die Provenienzforschung vorgesehen. Der Schwerpunkt des Engagement liege weiterhin im Bereich der Aufarbeitung des NS-Kulturgutraubes.
Mittlerweile konzentriere man sich nicht mehr nur auf einen vornehmlich europäischen Kontext, so Felicitiy Bodenstein, sondern auch auf “Objekte, die als ethnographisch oder außereuropäisch bezeichnet werden.” Das prominenteste Beispiel in diesem Zusammenhang sind die Benin-Bronzen aus dem heutigen Nigeria. Die deutsche Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat die zweitgrößte Sammlung dieser unbezahlbaren Kultgegenstände, die im Jahre 1897 von britischen Soldaten aus dem Königspalast in Benin City geraubt und anschließend auf dem europäischen Kunstmarkt verkauft wurden.
Der “Wendepunkt” hin zu Kolonialer Raubkunst
Anfang 2021 hat sich Deutschland bereit erklärt, ab diesem Jahr bedeutende Stücke aus seiner Sammlung an Nigeria zu restituieren. Doch bis dahin war es ein langer Weg. Bereits in den 1970er-Jahren standen Rückgabeforderungen seitens Nigeria im Raum. Unter anderem die Kontroverse um das im September 2021 eröffnete Berliner Humboldtforum, in dem auch Benin-Bronzen ausgestellt werden, entfachte die Debatte erneut.
Felicity Bodenstein ist Teil der Arbeitsgruppe “Digital Benin”, die die Herkunft der Bronzen erforscht und herausfinden will, wer die rechtmäßigen Eigentümer sind: “Es geht darum, die Daten aller 1897 in Benin City erbeuteten Objekte an einem einzigen digitalen Ort zu sammeln”, so die Forscherin im Interview mit der DW. “Bei der Zusammenarbeit mit unseren nigerianischen Partnern wurde deutlich, dass es Bedarf gab, einen einfacheren Zugang zu Informationen im Zusammenhang mit diesen Objekten zu schaffen.”
Gerade im Hinblick auf Kulturgegenstände aus kolonialem Kontext existieren oftmals wenig oder keine Archivnotizen. “Die britischen Truppen haben natürlich keine Listen darüber geführt, was sie mitgenommen haben. Viele Gegenstände wurden auch als persönliche Kriegsbeute von einzelnen Militärangehörigen mitgenommen.” Und die hätten noch weniger Buch darüber geführt, denn ihre unrechtes Handeln sei ihnen durchaus bewusst gewesen, so Bodenstein weiter. Die Zusammenarbeit mit Partnern aus den jeweiligen Ländern sei daher unabdingbar, um die Werke überhaupt erst einmal zu identifizieren. Und das funktioniert in der Datenbank zum Teil mit Hilfe von Fotos.
Die Frage der Restitution ist dann wieder ein ganz andere Frage. Zwar ist Deutschland mittlerweile willens, die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte voranzutreiben und kolonial belastetes Sammlungsgut möglichst zurückzugeben. Ein verpflichtendes Restitutionsgesetz gibt es in Deutschland, anders als in Österreich, aber bislang nicht.
Der Tag der Provenienzforschung wird seit 2019 jährlich begangen. In diesem Jahr nehmen mehr als 95 Kultureinrichtungen in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Österreich, der Schweiz und den USA teil. Es ist der Versuch, mehr Aufmerksamkeit auf die Herkunft von Objekten zu lenken und bei der Öffentlichkeit ein Bewusstsein dafür zu schaffen, auf welchen Wegen die Werke in die Museen gelangten.