Die geretteten ukrainischen Kinder
Blondie, ein rumänischer Verein, der schwerkranken, bedürftigen Kindern bei Behandlungen im Ausland hilft, hat eintausend Heimkinder aus der Ukraine vor dem Krieg gerettet und in die Türkei gebracht.
Sie tollen umher, kreischen und klatschen in die Hände. Die meisten von ihnen sind noch nie geflogen. Viele haben ihre Städte oder Dörfer noch nie verlassen. Und sie wären auch jetzt gar nicht weg, hätte dieser unglückselige Krieg sie nicht vertrieben.
Vor ein paar Tagen waren Flugzeuge für sie noch Monster, die hässliche Geräusche machten, Alarme auslösten, Menschen in Keller trieben und Bomben abwarfen. Nun hat jemand diese Monster gezähmt. Sie sind hier auf dem Flugplatz und heben gleich ab. Sie werden irgendwohin fliegen, wo es, so hat man den Kindern versprochen, wie ein Urlaub sein wird.
Sie tollen umher, kreischen und klatschen in die Hände. Die meisten von ihnen sind noch nie geflogen. Viele haben ihre Städte oder Dörfer noch nie verlassen. Und sie wären auch jetzt gar nicht weg, hätte dieser unglückselige Krieg sie nicht vertrieben.
Und deshalb tollen, kreischen und klatschen sie nun. Sie sind aufgeregt und freuen sich, sie staunen über alles, was um sie herum geschieht und sind gespannt auf jeden nächsten Augenblick. Sie sitzen in einem Flugzeug, das vom Boden abhebt, in einer Stadt, an deren Namen sie sich bald vielleicht gar nicht mehr erinnern werden.
Flucht vor Kriegsgräueln
Der Flughafen von Baia Mare, einer nordrumänischen Großstadt, nur 40 Kilometer Luftlinie von der ukrainischen Grenze entfernt: Die etwa 160 Kinder, die an diesem Tag in einem Flugzeug in Richtung der türkischen Stadt Antalya sitzen, kommen aus Pflegefamilien, vor allem aus der Region Dnipropetrowsk. Sie wurden vor den Kriegsgräueln aus der Ukraine gerettet und zunächst nach Rumänien gebracht.
Herausgeholt aus der Ukraine hat sie der rumänische Verein Blondie, der normalerweise schwerkranken Kindern hilft, die aus bedürftigen Familien kommen oder Waisen sind. Für sie organisiert der Verein kostspielige, oft lebensrettende Behandlungen, häufig im Ausland. Doch seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hilft Blondie ukrainischen Kindern bei der Flucht vor dem Krieg.
In weniger als einem Monat haben Blondie und seine Partnerorganisationen rund eintausend Kinder aus der Ukraine herausgeholt. Die meisten warteten in behelfsmäßigen Unterkünften auf die Öffnung der humanitären Evakuierungskorridore und reisten dann tagelang in Bussen und Zügen, bis sie die Grenze im nordrumänischen Ort Halmeu überqueren konnten. Es sind Kinder aller Altersstufen, von Kleinkindern, die noch kaum richtig aufrecht sitzen können, bis zu Jugendlichen, die vielleicht schon eine Vorstellung davon haben, wie ihre Zukunft aussehen könnte – wenn die Kriegsgegenwart nicht alles durcheinander gebracht hätte.
Es hätte auch anders kommen können für diese Kinder. Auch für die am Flughafen von Baia Mare. Auf ihrem Weg nach Rumänien, auf der Flucht vor dem Krieg, machten einige dieser Kinder Station am Bahnhof von Kramatorsk, der am 8. April 2022 Ziel eines russischen Raketenangriffs wurde. Mehrere Kinder starben dort. Dort und auch in Mariupol und in vielen anderen großen und kleinen Städten, in denen Moskaus Bomben wahllos auf Wohngebiete, auf die Häuser der Menschen und auf zivile Unterkünfte mit der Aufschrift “Kinder” fielen. Auf eine der Raketen, die in Kramatorsk einschlugen, hatte ein russischer Soldat zynisch geschrieben: “Für die Kinder”.
Einige der nun von Blondie geretteten Kinder haben ihre Eltern nie gekannt oder sie verloren. Andere sind sogenannte “Sozialwaisen”, deren Familien nicht in der Lage waren, sie aufzuziehen. Deshalb kamen sie in die Obhut des ukrainischen Staates, ihre Eltern sahen sie nur noch an Wochenenden und in den Ferien. Einige der Kinder haben verschiedene Formen von Behinderungen, für sie gab es in der Ukraine bisher keine Möglichkeit, sich in normale Schulen zu integrieren. Außerdem gibt es missbrauchte Kinder und solche, die das Justiz- und Jugendschutzsystem aus einem schädlichen Familienumfeld herausgeholt hat. Sie reisen in Begleitung ihrer Betreuerinnen, die manchmal selbst Mütter sind und ihre eigenen Kinder mitgenommen haben.
Zu der Gruppe, die nach Antalya fliegt, haben sich auch einige Mütter aus benachteiligten Verhältnissen gesellt, die Hilfe brauchten, um ihre Kinder in Sicherheit zu bringen. Sogar eine ganze Familie ist dabei, denn die Behörden in Kiew haben beschlossen, wehrpflichtigen Vätern die Ausreise zu gestatten, wenn ein Paar kinderreich ist. Wie lange die Gruppe im türkischen Exil zusammenbleiben wird, ist schwer zu sagen. Sicher ist nur: Alle Kinder werden zusammenbleiben – damit sie ihre Sprache nicht vergessen und ihre Identität bewahren können.
Nach Angaben der UNESCO leben in der Ukraine rund 100.000 Heimkinder. Ihnen fehlen nicht nur familiäre Bindungen: Sie sind derzeit, mitten im Krieg, auch noch stärker allen Arten von Missbrauch, Menschenhandel und anderen Formen der Ausbeutung ausgesetzt. Zudem haben viele Heime auch keine Strom- und Wasserversorgung und keine Lebensmittel mehr.
Der Verein Blondie ist es gewohnt, dort zu intervenieren, wo die meisten die Hoffnung aufgeben. In den ersten hundert Tagen des Jahres 2022 hat der von der ehemaligen Bankerin und Journalistin Adelina Toncean gegründete Verein mehr als 30 Flüge für Kinder organisiert – einige der Kinder waren Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, andere stammten aus Rumänien und brauchten besondere medizinische Behandlungen.
Am Montag waren zwei Flugzeuge gleichzeitig an den Aktionen von Blondie beteiligt. Eines brachte ukrainische Waisenkinder in die Türkei, ein anderes transportierte ein ukrainisches Kind in eine Klinik nach Deutschland: Arina aus Odessa, gerade einmal fünf Monate alt, schwer krank geboren und nur durch künstliche Beatmung lebensfähig. Ihre Mutter ist Ukrainerin, ihr Vater Russe. Die Mutter konnte kurz nach Kriegsbeginn mit drei der vier Kinder der Familie nach Deutschland ausreisen. Der Vater blieb bei Arina, die in einem Krankenhaus in Odessa lag.
Adelina Toncean hatte von der kleinen Arina zufällig erfahren – durch einen ukrainischen Flüchtling in Bukarest. Als die militärische Bedrohung der Schwarzmeer-Stadt durch russische Angriffe Anfang April zunahm, organisierte Adelina einen komplizierten Transport für das kleine Mädchen: zunächst über den Landweg in die moldauische Hauptstadt Chisinau, von dort aus per Spezialflugzeug nach Bukarest und dann weiter in eine Klinik nach Dortmund. Dort wartet Arina nun auf eine Operation. Ihre Mutter Daryja und ihre drei älteren Geschwister sind bereits in Dortmund.
In Kürze wird wohl auch der Vater Dmitro nachkommen – zusammen mit den drei Katzen der Familie. “Zum Teufel mit Putin, zum Teufel mit dem Krieg”, flucht er, während er in Bukarest auf einen Weiterflug nach Deutschland wartet.
Sie tollen umher, kreischen und klatschen in die Hände. Die meisten von ihnen sind noch nie geflogen. Viele haben ihre Städte oder Dörfer noch nie verlassen. Und sie wären auch jetzt gar nicht weg, hätte dieser unglückselige Krieg sie nicht vertrieben.
Vor ein paar Tagen waren Flugzeuge für sie noch Monster, die hässliche Geräusche machten, Alarme auslösten, Menschen in Keller trieben und Bomben abwarfen. Nun hat jemand diese Monster gezähmt. Sie sind hier auf dem Flugplatz und heben gleich ab. Sie werden irgendwohin fliegen, wo es, so hat man den Kindern versprochen, wie ein Urlaub sein wird.
Flucht vor Kriegsgräueln
Und deshalb tollen, kreischen und klatschen sie nun. Sie sind aufgeregt und freuen sich, sie staunen über alles, was um sie herum geschieht und sind gespannt auf jeden nächsten Augenblick. Sie sitzen in einem Flugzeug, das vom Boden abhebt, in einer Stadt, an deren Namen sie sich bald vielleicht gar nicht mehr erinnern werden.
Der Flughafen von Baia Mare, einer nordrumänischen Großstadt, nur 40 Kilometer Luftlinie von der ukrainischen Grenze entfernt: Die etwa 160 Kinder, die an diesem Tag in einem Flugzeug in Richtung der türkischen Stadt Antalya sitzen, kommen aus Pflegefamilien, vor allem aus der Region Dnipropetrowsk. Sie wurden vor den Kriegsgräueln aus der Ukraine gerettet und zunächst nach Rumänien gebracht.
Herausgeholt aus der Ukraine hat sie der rumänische Verein Blondie, der normalerweise schwerkranken Kindern hilft, die aus bedürftigen Familien kommen oder Waisen sind. Für sie organisiert der Verein kostspielige, oft lebensrettende Behandlungen, häufig im Ausland. Doch seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hilft Blondie ukrainischen Kindern bei der Flucht vor dem Krieg.
In weniger als einem Monat haben Blondie und seine Partnerorganisationen rund eintausend Kinder aus der Ukraine herausgeholt. Die meisten warteten in behelfsmäßigen Unterkünften auf die Öffnung der humanitären Evakuierungskorridore und reisten dann tagelang in Bussen und Zügen, bis sie die Grenze im nordrumänischen Ort Halmeu überqueren konnten. Es sind Kinder aller Altersstufen, von Kleinkindern, die noch kaum richtig aufrecht sitzen können, bis zu Jugendlichen, die vielleicht schon eine Vorstellung davon haben, wie ihre Zukunft aussehen könnte – wenn die Kriegsgegenwart nicht alles durcheinander gebracht hätte.
Rakete mit der Aufschrift: “Für die Kinder”
Es hätte auch anders kommen können für diese Kinder. Auch für die am Flughafen von Baia Mare. Auf ihrem Weg nach Rumänien, auf der Flucht vor dem Krieg, machten einige dieser Kinder Station am Bahnhof von Kramatorsk, der am 8. April 2022 Ziel eines russischen Raketenangriffs wurde. Mehrere Kinder starben dort. Dort und auch in Mariupol und in vielen anderen großen und kleinen Städten, in denen Moskaus Bomben wahllos auf Wohngebiete, auf die Häuser der Menschen und auf zivile Unterkünfte mit der Aufschrift “Kinder” fielen. Auf eine der Raketen, die in Kramatorsk einschlugen, hatte ein russischer Soldat zynisch geschrieben: “Für die Kinder”.
Die ukrainische Identität bewahren
Einige der nun von Blondie geretteten Kinder haben ihre Eltern nie gekannt oder sie verloren. Andere sind sogenannte “Sozialwaisen”, deren Familien nicht in der Lage waren, sie aufzuziehen. Deshalb kamen sie in die Obhut des ukrainischen Staates, ihre Eltern sahen sie nur noch an Wochenenden und in den Ferien. Einige der Kinder haben verschiedene Formen von Behinderungen, für sie gab es in der Ukraine bisher keine Möglichkeit, sich in normale Schulen zu integrieren. Außerdem gibt es missbrauchte Kinder und solche, die das Justiz- und Jugendschutzsystem aus einem schädlichen Familienumfeld herausgeholt hat. Sie reisen in Begleitung ihrer Betreuerinnen, die manchmal selbst Mütter sind und ihre eigenen Kinder mitgenommen haben.
Zu der Gruppe, die nach Antalya fliegt, haben sich auch einige Mütter aus benachteiligten Verhältnissen gesellt, die Hilfe brauchten, um ihre Kinder in Sicherheit zu bringen. Sogar eine ganze Familie ist dabei, denn die Behörden in Kiew haben beschlossen, wehrpflichtigen Vätern die Ausreise zu gestatten, wenn ein Paar kinderreich ist. Wie lange die Gruppe im türkischen Exil zusammenbleiben wird, ist schwer zu sagen. Sicher ist nur: Alle Kinder werden zusammenbleiben – damit sie ihre Sprache nicht vergessen und ihre Identität bewahren können.
Nach Angaben der UNESCO leben in der Ukraine rund 100.000 Heimkinder. Ihnen fehlen nicht nur familiäre Bindungen: Sie sind derzeit, mitten im Krieg, auch noch stärker allen Arten von Missbrauch, Menschenhandel und anderen Formen der Ausbeutung ausgesetzt. Zudem haben viele Heime auch keine Strom- und Wasserversorgung und keine Lebensmittel mehr.
Intervenieren, wo andere die Hoffnung aufgeben
Der Verein Blondie ist es gewohnt, dort zu intervenieren, wo die meisten die Hoffnung aufgeben. In den ersten hundert Tagen des Jahres 2022 hat der von der ehemaligen Bankerin und Journalistin Adelina Toncean gegründete Verein mehr als 30 Flüge für Kinder organisiert – einige der Kinder waren Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, andere stammten aus Rumänien und brauchten besondere medizinische Behandlungen.
Am Montag waren zwei Flugzeuge gleichzeitig an den Aktionen von Blondie beteiligt. Eines brachte ukrainische Waisenkinder in die Türkei, ein anderes transportierte ein ukrainisches Kind in eine Klinik nach Deutschland: Arina aus Odessa, gerade einmal fünf Monate alt, schwer krank geboren und nur durch künstliche Beatmung lebensfähig. Ihre Mutter ist Ukrainerin, ihr Vater Russe. Die Mutter konnte kurz nach Kriegsbeginn mit drei der vier Kinder der Familie nach Deutschland ausreisen. Der Vater blieb bei Arina, die in einem Krankenhaus in Odessa lag.
Von Odessa nach Dortmund
Adelina Toncean hatte von der kleinen Arina zufällig erfahren – durch einen ukrainischen Flüchtling in Bukarest. Als die militärische Bedrohung der Schwarzmeer-Stadt durch russische Angriffe Anfang April zunahm, organisierte Adelina einen komplizierten Transport für das kleine Mädchen: zunächst über den Landweg in die moldauische Hauptstadt Chisinau, von dort aus per Spezialflugzeug nach Bukarest und dann weiter in eine Klinik nach Dortmund. Dort wartet Arina nun auf eine Operation. Ihre Mutter Daryja und ihre drei älteren Geschwister sind bereits in Dortmund.
In Kürze wird wohl auch der Vater Dmitro nachkommen – zusammen mit den drei Katzen der Familie. “Zum Teufel mit Putin, zum Teufel mit dem Krieg”, flucht er, während er in Bukarest auf einen Weiterflug nach Deutschland wartet.