Konkurrierende Hilfen für die Ukraine und den Rest der Welt
Da sich die Internationale Gemeinschaft auf die Ukraine konzentriert, gibt es Bedenken, dass die Hilfe für andere Krisen auf der ganzen Welt leidet.
“Ich weiß nicht, ob die Welt dem Leben von Schwarzen und Weißen wirklich die gleiche Aufmerksamkeit schenkt”, sagte Tedros Adhanom Ghebreyesus, Leiter der Weltgesundheitsorganisation, letzte Woche auf einer Pressekonferenz.
Es sei zwar wichtig, den Krieg in der Ukraine genau im Blick zu halten, doch Tedros betonte auch, dass den Krisen in Tigray, Jemen, Afghanistan oder Syrien “nicht einmal ein Bruchteil” dieser Aufmerksamkeit geschenkt werde.
“Ich weiß nicht, ob die Welt dem Leben von Schwarzen und Weißen wirklich die gleiche Aufmerksamkeit schenkt”, sagte Tedros Adhanom Ghebreyesus, Leiter der Weltgesundheitsorganisation, letzte Woche auf einer Pressekonferenz.
Seine Bedenken werden auch von anderen Experten für humanitäre Hilfe geteilt. Sie befürchten, dass die Hilfe für die Ukraine die Probleme in anderen Teilen der Welt verschärfen könnten. Jeroen Kwakkenbos, Berater für Entwicklungspolitik bei Oxfam, nennt im Gespräch mit der DW ebenfalls den Krieg im Jemen, aber auch die Hungerkrise am Horn von Afrika.
Hilfen weltweit
“Es ist verständlich, dass viele europäische Länder auf den Ukraine-Krieg so reagieren, wie sie es getan haben. Er ist nah. Sie können die Auswirkungen sehen. Aber das Problem ist, dass es zu Lasten der Menschen in anderen ausgedehnten Krisengebieten geht”, warnte er.
Nachdem die Taliban vergangenes Jahr die Kontrolle in Afghanistan übernommen hatten, verhängten Staaten auf der ganzen Welt Sanktionen und stellten die Hilfe ein, was zu einer ernsthaften Nahrungsmittelknappheit im Land führte. Die anhaltenden Bürgerkriege im Jemen, in Äthiopien und Myanmar haben in den letzten Jahren ebenfalls zu akuter Nahrungsmittelknappheit geführt und Millionen von Menschen zu Flüchtlingen gemacht.
Seit Russland Ende Februar in die Ukraine einmarschiert ist, ist die Lücke zwischen den notwendigen Mitteln, um die vielen Krisen zu bewältigen, und den tatsächlich aufgebrachten Beiträgen, deutlich größer geworden.
Nach Angaben des Büros der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) konnten nach einem Blitzaufruf der Vereinten Nationen für humanitäre Hilfe in der Ukraine im Jahr 2022 bereits 68,2 Prozent der angekündigten 1,14 Milliarden US-Dollar abgerufen werden.
Unterdessen wurden für den Jemen nur 2,1 Prozent des humanitären Hilfsplans der UN umgesetzt, im Fall Afghanistans waren es 13,5 Prozent. Im Jahr davor – also vor der russischen Invasion in der Ukraine, wurden im Jemen noch 61,5 Prozent des humanitären Hilfsplans umgesetzt, während in Afghanistan sogar 104,4 Prozent des Finanzierungsbedarfs gedeckt wurden.
Die Vereinigten Staaten, Deutschland, Großbritannien, Japan und andere EU-Länder wie Dänemark und Schweden gehören laut Kwakkenbos von Oxfam zu den Hauptgeldgebern von OCHA. Der Krieg in der Ukraine habe dazu geführt, dass mehrere europäische Länder ihre Budgets umgeschichtet hätten. “Einige europäische Länder haben Budgets aus anderen humanitären Hilfsprojekten umverteilt und in die Ukraine umgeleitet.”
Doch eine Unterfinanzierung dieser anderen Krisen “kann zu mehr Instabilität führen, was am Ende sogar mehr Mittel, eine größere Reaktion und mehr Investitionen in die Aufnahme von Flüchtlingen erfordern könnte”, sagt Bram Frouws, der Leiter des Mixed Migration Center, der DW. “Und ein Teil dieser Rechnung werden auch internationale Geldgeber bezahlen müssen”, warnte er. Jutta Urpilainen, die EU-Kommissarin für internationale Partnerschaften, betonte allerdings auf einer Pressekonferenz in Genf im vergangenen Monat, “dass wir den Rest der Welt nicht vergessen haben”.
Die meisten Länder legen ihre Hilfsbudgets normalerweise zu Jahresbeginn fest. “Es gibt bestehende internationale Vereinbarungen, wie die 0,7-Verpflichtung. Dabei haben sich die meisten reichen Länder der Welt dazu bekannt, 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens (BNE) für die Entwicklungszusammenarbeit zu spenden”, erklärt Kwakkenbos.
Wohin genau das Geld fließt, wird jedoch von mehreren Faktoren beeinflusst. Einige westliche Länder haben beispielsweise Verbindungen zu ehemaligen Kolonien, denen sie sich verbunden fühlen. Dann bestehen außenpolitische Interessen. Und schließlich gibt es die tatsächlichen Bedürfnisse in verschiedenen Krisenregionen. Letztendlich muss eine kohärente Entwicklungspolitik all diese verschiedenen Faktoren in Einklang bringen, um zu entscheiden, welchen Krisen wie geholfen werden soll.
“Auch die Narrative der Medien diktieren, wie die Welt auf Krisen reagiert”, erklärt Kwakkenbos. Sie seien in der Lage, die Dringlichkeit und Bedeutung von Krisen, die weiter vom Zuhause eines Lesers oder Zuschauers entfernt sind, herunterzuschreiben. “Derzeit liegt der globale Medienfokus sehr stark auf der russischen Invasion in der Ukraine, und wir haben Finanzierungskampagnen gesehen, die von Schauspielern oder Prominenten unterstützt wurden, um Geld zu sammeln. Sogar Privatpersonen auf der ganzen Welt haben ihre eigenen Spendenaktionen gestartet, um die Ukraine zu unterstützen. Andere Teile der Welt benötigen aber ebenfalls dringend internationale Hilfe, erhalten jedoch nicht diese Art von Aufmerksamkeit.”
Lösungen für Krisen zu finden, denen die Aufmerksamkeit fehlt, die der Ukraine derzeit zu Teil wird, ist schwierig. Anfang dieses Jahres betonte Brüssel noch auf dem EU-Afrika-Gipfel, dass die Finanzierung des humanitären Bedarfs in Afrika Priorität habe.
“Der Krieg in der Ukraine hat das geändert”, sagte Kwakkenbos. Er misstraut zudem dem neuen Konzept der EU – weg von der klassischen Entwicklungshilfe hin zu einer gleichberechtigteren Partnerschaft zwischen reichen westlichen Geberländern und ärmeren Ländern, die Hilfe benötigen.
“Das ist Unsinn. Solange die eine Seite das Geld hat und die andere nach dem Geld verlangt, wird es immer eine ungleiche Partnerschaft zwischen den Ländern geben.” Aber er stimmt zu, dass grundsätzlich “eine Verschiebung von der Nächstenliebe zu einem Gerechtigkeitsbegriff” ein wichtiger Schritt wäre. Aber wie das realistisch aussehen kann, ist schwer zu sagen.
Für die kommenden Monate fordert Bram Frouws die NGOs zunächst auf, Personal und Ressourcen nicht zu schnell in die Ukraine zu verlagern und sie aus anderen Regionen abzuziehen. “Die Umschichtung von Personal könnte eine gute Sache sein, um die Notfallmaßnahmen vorübergehend zu verstärken, aber die Behörden sollten darauf achten, die besten Mitarbeiter nicht von anderen Orten wegzunehmen, an denen sie möglicherweise auch benötigt werden.”
Adaptiert aus dem Englischen von Sabine Faber.
“Ich weiß nicht, ob die Welt dem Leben von Schwarzen und Weißen wirklich die gleiche Aufmerksamkeit schenkt”, sagte Tedros Adhanom Ghebreyesus, Leiter der Weltgesundheitsorganisation, letzte Woche auf einer Pressekonferenz.
Es sei zwar wichtig, den Krieg in der Ukraine genau im Blick zu halten, doch Tedros betonte auch, dass den Krisen in Tigray, Jemen, Afghanistan oder Syrien “nicht einmal ein Bruchteil” dieser Aufmerksamkeit geschenkt werde.
Hilfen weltweit
Seine Bedenken werden auch von anderen Experten für humanitäre Hilfe geteilt. Sie befürchten, dass die Hilfe für die Ukraine die Probleme in anderen Teilen der Welt verschärfen könnten. Jeroen Kwakkenbos, Berater für Entwicklungspolitik bei Oxfam, nennt im Gespräch mit der DW ebenfalls den Krieg im Jemen, aber auch die Hungerkrise am Horn von Afrika.
“Es ist verständlich, dass viele europäische Länder auf den Ukraine-Krieg so reagieren, wie sie es getan haben. Er ist nah. Sie können die Auswirkungen sehen. Aber das Problem ist, dass es zu Lasten der Menschen in anderen ausgedehnten Krisengebieten geht”, warnte er.
Nachdem die Taliban vergangenes Jahr die Kontrolle in Afghanistan übernommen hatten, verhängten Staaten auf der ganzen Welt Sanktionen und stellten die Hilfe ein, was zu einer ernsthaften Nahrungsmittelknappheit im Land führte. Die anhaltenden Bürgerkriege im Jemen, in Äthiopien und Myanmar haben in den letzten Jahren ebenfalls zu akuter Nahrungsmittelknappheit geführt und Millionen von Menschen zu Flüchtlingen gemacht.
Seit Russland Ende Februar in die Ukraine einmarschiert ist, ist die Lücke zwischen den notwendigen Mitteln, um die vielen Krisen zu bewältigen, und den tatsächlich aufgebrachten Beiträgen, deutlich größer geworden.
Umschichtungen zugunsten der Ukraine
Nach Angaben des Büros der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) konnten nach einem Blitzaufruf der Vereinten Nationen für humanitäre Hilfe in der Ukraine im Jahr 2022 bereits 68,2 Prozent der angekündigten 1,14 Milliarden US-Dollar abgerufen werden.
Faktoren für Entwicklungshilfebudgets?
Unterdessen wurden für den Jemen nur 2,1 Prozent des humanitären Hilfsplans der UN umgesetzt, im Fall Afghanistans waren es 13,5 Prozent. Im Jahr davor – also vor der russischen Invasion in der Ukraine, wurden im Jemen noch 61,5 Prozent des humanitären Hilfsplans umgesetzt, während in Afghanistan sogar 104,4 Prozent des Finanzierungsbedarfs gedeckt wurden.
Die Vereinigten Staaten, Deutschland, Großbritannien, Japan und andere EU-Länder wie Dänemark und Schweden gehören laut Kwakkenbos von Oxfam zu den Hauptgeldgebern von OCHA. Der Krieg in der Ukraine habe dazu geführt, dass mehrere europäische Länder ihre Budgets umgeschichtet hätten. “Einige europäische Länder haben Budgets aus anderen humanitären Hilfsprojekten umverteilt und in die Ukraine umgeleitet.”
Doch eine Unterfinanzierung dieser anderen Krisen “kann zu mehr Instabilität führen, was am Ende sogar mehr Mittel, eine größere Reaktion und mehr Investitionen in die Aufnahme von Flüchtlingen erfordern könnte”, sagt Bram Frouws, der Leiter des Mixed Migration Center, der DW. “Und ein Teil dieser Rechnung werden auch internationale Geldgeber bezahlen müssen”, warnte er. Jutta Urpilainen, die EU-Kommissarin für internationale Partnerschaften, betonte allerdings auf einer Pressekonferenz in Genf im vergangenen Monat, “dass wir den Rest der Welt nicht vergessen haben”.
Was kann man also tun?
Die meisten Länder legen ihre Hilfsbudgets normalerweise zu Jahresbeginn fest. “Es gibt bestehende internationale Vereinbarungen, wie die 0,7-Verpflichtung. Dabei haben sich die meisten reichen Länder der Welt dazu bekannt, 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens (BNE) für die Entwicklungszusammenarbeit zu spenden”, erklärt Kwakkenbos.
Wohin genau das Geld fließt, wird jedoch von mehreren Faktoren beeinflusst. Einige westliche Länder haben beispielsweise Verbindungen zu ehemaligen Kolonien, denen sie sich verbunden fühlen. Dann bestehen außenpolitische Interessen. Und schließlich gibt es die tatsächlichen Bedürfnisse in verschiedenen Krisenregionen. Letztendlich muss eine kohärente Entwicklungspolitik all diese verschiedenen Faktoren in Einklang bringen, um zu entscheiden, welchen Krisen wie geholfen werden soll.
“Auch die Narrative der Medien diktieren, wie die Welt auf Krisen reagiert”, erklärt Kwakkenbos. Sie seien in der Lage, die Dringlichkeit und Bedeutung von Krisen, die weiter vom Zuhause eines Lesers oder Zuschauers entfernt sind, herunterzuschreiben. “Derzeit liegt der globale Medienfokus sehr stark auf der russischen Invasion in der Ukraine, und wir haben Finanzierungskampagnen gesehen, die von Schauspielern oder Prominenten unterstützt wurden, um Geld zu sammeln. Sogar Privatpersonen auf der ganzen Welt haben ihre eigenen Spendenaktionen gestartet, um die Ukraine zu unterstützen. Andere Teile der Welt benötigen aber ebenfalls dringend internationale Hilfe, erhalten jedoch nicht diese Art von Aufmerksamkeit.”
Lösungen für Krisen zu finden, denen die Aufmerksamkeit fehlt, die der Ukraine derzeit zu Teil wird, ist schwierig. Anfang dieses Jahres betonte Brüssel noch auf dem EU-Afrika-Gipfel, dass die Finanzierung des humanitären Bedarfs in Afrika Priorität habe.
“Der Krieg in der Ukraine hat das geändert”, sagte Kwakkenbos. Er misstraut zudem dem neuen Konzept der EU – weg von der klassischen Entwicklungshilfe hin zu einer gleichberechtigteren Partnerschaft zwischen reichen westlichen Geberländern und ärmeren Ländern, die Hilfe benötigen.
“Das ist Unsinn. Solange die eine Seite das Geld hat und die andere nach dem Geld verlangt, wird es immer eine ungleiche Partnerschaft zwischen den Ländern geben.” Aber er stimmt zu, dass grundsätzlich “eine Verschiebung von der Nächstenliebe zu einem Gerechtigkeitsbegriff” ein wichtiger Schritt wäre. Aber wie das realistisch aussehen kann, ist schwer zu sagen.
Für die kommenden Monate fordert Bram Frouws die NGOs zunächst auf, Personal und Ressourcen nicht zu schnell in die Ukraine zu verlagern und sie aus anderen Regionen abzuziehen. “Die Umschichtung von Personal könnte eine gute Sache sein, um die Notfallmaßnahmen vorübergehend zu verstärken, aber die Behörden sollten darauf achten, die besten Mitarbeiter nicht von anderen Orten wegzunehmen, an denen sie möglicherweise auch benötigt werden.”
Adaptiert aus dem Englischen von Sabine Faber.