Wirtschaft

Wie mit dem Öl der Wilde Westen in die Heide kam

Deutschland versucht, unabhängig von russischem Öl und Gas zu werden. Welche Rolle können unsere eigenen Ressourcen dabei spielen? Spurensuche in einem Dorf, in dem zufällig die deutsche Erdölindustrie geboren wurde.

An vielen Stellen ist Gras über die Vergangenheit gewachsen, wortwörtlich. Museumsleiter Stephan Lütgert schabt mit dem Schuh einen Flecken Grün zur Seite und ein metallenes Rohr kommt zum Vorschein, ein paar Schritte weiter überwuchert das Gras einen Haufen Ölsand, der zu einer schwarz-teerigen Asphaltdecke zusammengeschmolzen ist. “Unser Museum steht mitten auf den Resten eines Ölfelds”, sagt Lütgert stolz.

Wer das Deutsche Erdölmuseum besucht, findet zwischen Pferdekopfpumpen und verlassenen Bohrtürmen allerdings nicht nur die Spuren eines Ölfelds – sondern entdeckt bei genauem Hinsehen, dass er sich am Geburtsort der deutschen Erdölindustrie befindet. Ausgerechnet hier, im ansonsten recht unscheinbaren Dorf Wietze im Süden der Lüneburger Heide, erzählt Museumsleiter Lütgert, fand 1858/59 die weltweit erste Erdölbohrung statt – sogar noch bevor in den USA nach Öl gegraben wurde. Später bescherte das schwarze Gold dem kleinen Heidedorf eine mittelschwere Ölmanie. 

An vielen Stellen ist Gras über die Vergangenheit gewachsen, wortwörtlich. Museumsleiter Stephan Lütgert schabt mit dem Schuh einen Flecken Grün zur Seite und ein metallenes Rohr kommt zum Vorschein, ein paar Schritte weiter überwuchert das Gras einen Haufen Ölsand, der zu einer schwarz-teerigen Asphaltdecke zusammengeschmolzen ist. “Unser Museum steht mitten auf den Resten eines Ölfelds”, sagt Lütgert stolz.

Heute importiert Deutschland etwa 70 Prozent seiner Energie. Bei Erdöl deckt die eigene Produktion gerade einmal zwei, bei Erdgas sechs Prozent des Bedarfs. Die Förderfelder sind zunehmend erschöpft, neue Felder werden kaum noch erschlossen. Das war früher einmal anders. Zu seiner Hochzeit steuerte Wietze 80 Prozent zur inländischen Ölproduktion bei. Während Deutschland nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine mit seiner Energie-Abhängigkeit ringt, mit Gas- und Öl-Lieferungen, die nun einen Krieg mitfinanzieren, erinnert das Museum an Zeiten, in denen Deutschland zwar nicht unabhängig von Energieimporten war, aber beim Öl sehr viel selbstbewusster dastand. 

Wietze: Ein Dorf im Öl-Fieber 

Seit der russischen Invasion reduziert Deutschland seinen Verbrauch von russischem Öl und Gas. Statt ein Drittel seines Öls bezieht Deutschland inzwischen nur noch ein Viertel aus Russland. Wenn Deutschland noch mehr Öl aus anderen Ländern importiert, wäre schon bis zum Ende des Jahres eine vollständige Abkehr von russischem Öl möglich, glaubt die Bundesregierung. Deutlich schwerer fällt es Deutschland, sich von russischem Gas zu lösen. Zwar bezieht Deutschland nur noch 40 Prozent seines Gases aus Russland statt wie vor dem Krieg 55 Prozent. Doch eine komplette Abkehr, glaubt die Bundesregierung, ist erst im Sommer 2024 möglich – und das auch nur, wenn weniger Energie verbraucht wird. 

Aber gäbe es nicht einen viel einfacheren Weg raus aus der Energiemisere: Die Förderung von mehr eigenem Gas und Erdöl in Deutschland? So, wie es in Wietze einmal der Fall war? Ein Blick in den Mikrokosmos Wietze zeigt, was der Energiehunger mit so einem Dorf macht.

Es fängt ganz unspektakulär an: Seine Begeisterung hält sich in Grenzen, als Konrad Hunäus bei seiner Probebohrung 1858 in der Lüneburger Heide auf Öl stößt – Hunäus hatte eher auf Kohle gehofft. Öl wird zu diesem Zeitpunkt als Wagenschmiere benutzt, als Arzneimittel – an Wert gewann es erst später, als Petroleum in Lampen und Brennstoff für Motoren. Als dann aber vier Jahrzehnte später wieder eine Bohrung in Wietze auf Öl stößt, passt der Zeitpunkt – ein Ölrausch erfasst das Dorf.

Museumleiter Lütgert erklimmt einen metallenen Bohrturm am Rande des Museums und deutet mit einer ausschweifenden Geste auf die Heidewiesen vor ihm und die Bauerngehöfte in der Ferne. “Hier standen früher überall die Bohrtürme”, sagt er. Innerhalb kürzester Zeit sprießen in Wietze nach dem Fund Verwaltungsgebäude aus dem Boden, Direktorenvillen, ein Bahnhof, eine Raffinerie. Bald überzieht die Heidewiesen ein Geflecht aus Pumpen, Rohren und mehr als 2000 Bohrlöchern; ein Netz aus Kilometern neuverlegter Bahnschienen zerfurcht die Landschaft. Es sind die Dehnungsstreifen einer Stadt, die mit ihrem eigenen Wachstum kaum mithalten kann. 

Es ist die Zeit, in der in das Heidedorf der “Wilde Westen” einbricht, wie Museumsleiter Lütgert es nennt. Mit dem Öl kommen die Fremden. Zwischenzeitlich leben 800 bis 1000 Gastarbeiter im Dorf. Es sind vor allem junge, kräftige Männer, die auch nach Feierabend noch viel Energie übrighaben. Es kommt zu Schlägereien, Messerstechereien, Schießereien.

Für einige der alteingesessenen Heidebauern wird der Ölrausch zum Segen. Wer über ein gut gelegenes Grundstück verfügt, den macht das Öl zum Millionär. Noch heute zeugen die teils prächtigen Bauerngehöfte vom Reichtum, den das Öl nach Wietze brachte. 

Anfang des 20. Jahrhunderts tauchen in den Plänen der Erdölfirmen neben Wietze andere Ortsnamen auf, locken anderswo größere, erfolgreichere Ölfelder. “Die Erdölvorkommen sind endlich, das kriegt man in Wietze im kleinen Maßstab noch einmal vor Augen geführt”, sagt Museumsleiter Lütgert. Als in Wietze kaum noch Öl aus den Bohrungen sprudelt, wird der Abbau noch einige Jahrzehnte lang in den Boden verlegt, wo Bergarbeiter in einem fast 100 Kilometern langen Stollennetz Ölsand aus der Erde holen. Doch spätestens als in den 60er-Jahren die Schutzzölle fallen, ist die Förderung von Wietzer Erdöl nicht mehr wirtschaftlich. Öl aus dem Ausland ist billiger. 

Zur Hochzeit des Erdölbooms in Wietze 1909 wurden 113.000 Tonnen Erdöl gefördert – lächerlich geringe Mengen, wenn man sich den heutigen, auf ein Vielfaches angewachsenen deutschen Erdölhunger anschaut. Deutschland verbrauchte 2020 knapp 95 Millionen Tonnen Erdöl, davon stammten laut Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie rund 1,8 Millionen Tonnen Erdöl aus heimischer Produktion, die restlichen 98 Prozent wurden aus dem Ausland importiert, vor allem aus Russland. Beim Erdgas produzierte Deutschland 5,2 Milliarden Kubikmeter bei einem Verbrauch von 87 Milliarden Kubikmetern und musste damit etwa 94 Prozent aus dem Ausland einführen.

“Wir waren spätestens seit der Nachkriegszeit immer importabhängig”, sagt Andreas Seeliger, Professor für Energiewirtschaft an der Hochschule Niederrhein. Kein anderes Land in Europa verbraucht mehr Öl und Gas. Dieser Energiebedarf lässt sich in einem rohstoffarmen Land wie Deutschland auch bei gutem Willen nicht komplett mit heimischer Produktion ersetzen, stellen Erdöl- und Erdgasförderer klar. 

“Niemand erwartet, dass die einheimische Produktion die Lücke füllen kann, die sich öffnet. Aber jedes Barrel, jedes Molekül zählt”, sagt Robert Frimpong, Geschäftsführer von Wintershall Dea Germany, dem größten Erdölproduzenten in Deutschland – der im Übrigen auch am Pipeline-Projekt Nordstream 2 beteiligt war. 

Am erfolgversprechendsten, um kurzfristig die heimischen Öl- und Gasfördermengen zu steigern, sei nicht die Erschließung von neuen Gas- und Ölfeldern in Deutschland, sondern die Optimierung der bereits vorhandenen Felder, sagt Frimpong. “Gerade schauen wir uns nicht nach neuen Förderstellen um, sondern versuchen vor allem, höhere Anteile aus unseren bereits existierenden Feldern zu gewinnen.” Bis heute verbleiben etwa 40 Prozent der Ressourcen im Boden – diesen Anteil versuchen die Unternehmen weiter zu minimieren. 

Wintershall Dea Germany betreibt verschiedene Erdöl- und Gas-Förderstellen, darunter die größte Offshore-Bohr- und Förderplattform, die Mittelplate A, im gleichnamigen Ölfeld im nordwestdeutschen Wattenmeer. Die Mittelplate ist das mit Abstand ertragreichste Ölfeld in Deutschland. Bislang hat die Plattform etwa 40 Millionen Tonnen Öl gefördert, jährlich sind es zwischen eins und zwei Millionen Tonnen. 

Wintershall Dea plant, den südlichen Teil von Mittelplate weiter auszubauen. “Wenn die Genehmigungsverfahren schnell durchlaufen werden, könnte die Ölproduktion schon 2025 beginnen”, stellt Frimpong in Aussicht. 

Längere Laufzeiten für Atomkraftwerke, der erstmalige Bau von Flüssiggasterminals, ein späterer Kohleausstieg: Russlands Invasion der Ukraine hat viel von dem, was energiepolitisch längst als abgehakt galt, zurück in die Debatte gebracht. Bei der Suche nach mehr Fördermöglichkeiten für inländische Ressourcen zuletzt auch: Fracking

Beim Fracking wird Gestein durch eine Sand-Wasser-Chemikalien-Mischung aufgebrochen, um Gas und Öl zu lösen. Sogenanntes “konventionelles” Fracking mit relativ porösem Sandstein ist in Deutschland erlaubt. “Unkonventionelles” Fracking in Schiefer-, Ton- oder Kohleflözgestein, das deutlich stärker gefrackt werden müsste und näher am Grundwasser liegt, ist dagegen seit 2017 verboten – zu groß ist die Befürchtung, dass die Umwelt langfristig Schaden nimmt und das Grundwasser verunreinigt wird.

Anfang April schlug Bayerns Ministerpräsident Markus Söder trotzdem vor, die Möglichkeiten für unkonventionelles Fracking in Deutschland noch einmal zu überprüfen. Das dürfte sein Bundesland unter dem Strich weniger treffen, denn die größten frackbaren Gasreserven liegen im Norden Deutschlands. Wirtschaftsminister Robert Habeck lehnte Fracking aber wiederholt ab. In einem Interview mit der Funke Mediengruppe sagte er zuletzt, dass Fracking “schwer möglich” sei. 

Laut Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie lassen sich aus deutschem Schiefergestein bis zu 2,3 Billionen, in Kohleflözen 450 Milliarden Kubikmeter Erdgas durch Fracking erschließen. Energiewirtschaftsforscher Seeliger geht davon aus, dass zum Beispiel das Schiefergas optimistisch geschätzt ein Jahrzehnt lang Gasimporte vollständig ersetzen könnte – allerdings langfristig und nicht schon im nächsten Winter. Gefracktes deutsches Gas und Öl, sagt Seeliger, würde die Versorgungssicherheit stärken, die Transportkosten wären geringer und Deutschland hätte schon durch die theoretische Verfügbarkeit ein Ass bei Preisverhandlungen im Ärmel. 

Stephan Lütgert, Leiter des Deutschen Erdölmuseums.
Deustchland, Wietze | Deutsches Erdölmuseum in Wietze bei Celle

An vielen Stellen ist Gras über die Vergangenheit gewachsen, wortwörtlich. Museumsleiter Stephan Lütgert schabt mit dem Schuh einen Flecken Grün zur Seite und ein metallenes Rohr kommt zum Vorschein, ein paar Schritte weiter überwuchert das Gras einen Haufen Ölsand, der zu einer schwarz-teerigen Asphaltdecke zusammengeschmolzen ist. “Unser Museum steht mitten auf den Resten eines Ölfelds”, sagt Lütgert stolz.

Wer das Deutsche Erdölmuseum besucht, findet zwischen Pferdekopfpumpen und verlassenen Bohrtürmen allerdings nicht nur die Spuren eines Ölfelds – sondern entdeckt bei genauem Hinsehen, dass er sich am Geburtsort der deutschen Erdölindustrie befindet. Ausgerechnet hier, im ansonsten recht unscheinbaren Dorf Wietze im Süden der Lüneburger Heide, erzählt Museumsleiter Lütgert, fand 1858/59 die weltweit erste Erdölbohrung statt – sogar noch bevor in den USA nach Öl gegraben wurde. Später bescherte das schwarze Gold dem kleinen Heidedorf eine mittelschwere Ölmanie. 

Wietze: Ein Dorf im Öl-Fieber 

Heute importiert Deutschland etwa 70 Prozent seiner Energie. Bei Erdöl deckt die eigene Produktion gerade einmal zwei, bei Erdgas sechs Prozent des Bedarfs. Die Förderfelder sind zunehmend erschöpft, neue Felder werden kaum noch erschlossen. Das war früher einmal anders. Zu seiner Hochzeit steuerte Wietze 80 Prozent zur inländischen Ölproduktion bei. Während Deutschland nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine mit seiner Energie-Abhängigkeit ringt, mit Gas- und Öl-Lieferungen, die nun einen Krieg mitfinanzieren, erinnert das Museum an Zeiten, in denen Deutschland zwar nicht unabhängig von Energieimporten war, aber beim Öl sehr viel selbstbewusster dastand. 

Seit der russischen Invasion reduziert Deutschland seinen Verbrauch von russischem Öl und Gas. Statt ein Drittel seines Öls bezieht Deutschland inzwischen nur noch ein Viertel aus Russland. Wenn Deutschland noch mehr Öl aus anderen Ländern importiert, wäre schon bis zum Ende des Jahres eine vollständige Abkehr von russischem Öl möglich, glaubt die Bundesregierung. Deutlich schwerer fällt es Deutschland, sich von russischem Gas zu lösen. Zwar bezieht Deutschland nur noch 40 Prozent seines Gases aus Russland statt wie vor dem Krieg 55 Prozent. Doch eine komplette Abkehr, glaubt die Bundesregierung, ist erst im Sommer 2024 möglich – und das auch nur, wenn weniger Energie verbraucht wird. 

Aber gäbe es nicht einen viel einfacheren Weg raus aus der Energiemisere: Die Förderung von mehr eigenem Gas und Erdöl in Deutschland? So, wie es in Wietze einmal der Fall war? Ein Blick in den Mikrokosmos Wietze zeigt, was der Energiehunger mit so einem Dorf macht.

Es fängt ganz unspektakulär an: Seine Begeisterung hält sich in Grenzen, als Konrad Hunäus bei seiner Probebohrung 1858 in der Lüneburger Heide auf Öl stößt – Hunäus hatte eher auf Kohle gehofft. Öl wird zu diesem Zeitpunkt als Wagenschmiere benutzt, als Arzneimittel – an Wert gewann es erst später, als Petroleum in Lampen und Brennstoff für Motoren. Als dann aber vier Jahrzehnte später wieder eine Bohrung in Wietze auf Öl stößt, passt der Zeitpunkt – ein Ölrausch erfasst das Dorf.

Erdöl und Erdgas: Fast vollständig abhängig von Importen

Museumleiter Lütgert erklimmt einen metallenen Bohrturm am Rande des Museums und deutet mit einer ausschweifenden Geste auf die Heidewiesen vor ihm und die Bauerngehöfte in der Ferne. “Hier standen früher überall die Bohrtürme”, sagt er. Innerhalb kürzester Zeit sprießen in Wietze nach dem Fund Verwaltungsgebäude aus dem Boden, Direktorenvillen, ein Bahnhof, eine Raffinerie. Bald überzieht die Heidewiesen ein Geflecht aus Pumpen, Rohren und mehr als 2000 Bohrlöchern; ein Netz aus Kilometern neuverlegter Bahnschienen zerfurcht die Landschaft. Es sind die Dehnungsstreifen einer Stadt, die mit ihrem eigenen Wachstum kaum mithalten kann. 

Ressourcen in Deutschland: Fracking for Future?

Es ist die Zeit, in der in das Heidedorf der “Wilde Westen” einbricht, wie Museumsleiter Lütgert es nennt. Mit dem Öl kommen die Fremden. Zwischenzeitlich leben 800 bis 1000 Gastarbeiter im Dorf. Es sind vor allem junge, kräftige Männer, die auch nach Feierabend noch viel Energie übrighaben. Es kommt zu Schlägereien, Messerstechereien, Schießereien.

Für einige der alteingesessenen Heidebauern wird der Ölrausch zum Segen. Wer über ein gut gelegenes Grundstück verfügt, den macht das Öl zum Millionär. Noch heute zeugen die teils prächtigen Bauerngehöfte vom Reichtum, den das Öl nach Wietze brachte. 

Anfang des 20. Jahrhunderts tauchen in den Plänen der Erdölfirmen neben Wietze andere Ortsnamen auf, locken anderswo größere, erfolgreichere Ölfelder. “Die Erdölvorkommen sind endlich, das kriegt man in Wietze im kleinen Maßstab noch einmal vor Augen geführt”, sagt Museumsleiter Lütgert. Als in Wietze kaum noch Öl aus den Bohrungen sprudelt, wird der Abbau noch einige Jahrzehnte lang in den Boden verlegt, wo Bergarbeiter in einem fast 100 Kilometern langen Stollennetz Ölsand aus der Erde holen. Doch spätestens als in den 60er-Jahren die Schutzzölle fallen, ist die Förderung von Wietzer Erdöl nicht mehr wirtschaftlich. Öl aus dem Ausland ist billiger. 

Technisch möglich, politisch undenkbar

Zur Hochzeit des Erdölbooms in Wietze 1909 wurden 113.000 Tonnen Erdöl gefördert – lächerlich geringe Mengen, wenn man sich den heutigen, auf ein Vielfaches angewachsenen deutschen Erdölhunger anschaut. Deutschland verbrauchte 2020 knapp 95 Millionen Tonnen Erdöl, davon stammten laut Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie rund 1,8 Millionen Tonnen Erdöl aus heimischer Produktion, die restlichen 98 Prozent wurden aus dem Ausland importiert, vor allem aus Russland. Beim Erdgas produzierte Deutschland 5,2 Milliarden Kubikmeter bei einem Verbrauch von 87 Milliarden Kubikmetern und musste damit etwa 94 Prozent aus dem Ausland einführen.

“Wir waren spätestens seit der Nachkriegszeit immer importabhängig”, sagt Andreas Seeliger, Professor für Energiewirtschaft an der Hochschule Niederrhein. Kein anderes Land in Europa verbraucht mehr Öl und Gas. Dieser Energiebedarf lässt sich in einem rohstoffarmen Land wie Deutschland auch bei gutem Willen nicht komplett mit heimischer Produktion ersetzen, stellen Erdöl- und Erdgasförderer klar. 

“Niemand erwartet, dass die einheimische Produktion die Lücke füllen kann, die sich öffnet. Aber jedes Barrel, jedes Molekül zählt”, sagt Robert Frimpong, Geschäftsführer von Wintershall Dea Germany, dem größten Erdölproduzenten in Deutschland – der im Übrigen auch am Pipeline-Projekt Nordstream 2 beteiligt war. 

Am erfolgversprechendsten, um kurzfristig die heimischen Öl- und Gasfördermengen zu steigern, sei nicht die Erschließung von neuen Gas- und Ölfeldern in Deutschland, sondern die Optimierung der bereits vorhandenen Felder, sagt Frimpong. “Gerade schauen wir uns nicht nach neuen Förderstellen um, sondern versuchen vor allem, höhere Anteile aus unseren bereits existierenden Feldern zu gewinnen.” Bis heute verbleiben etwa 40 Prozent der Ressourcen im Boden – diesen Anteil versuchen die Unternehmen weiter zu minimieren. 

Deustchland, Wietze | Deutsches Erdölmuseum in Wietze bei Celle

Wintershall Dea Germany betreibt verschiedene Erdöl- und Gas-Förderstellen, darunter die größte Offshore-Bohr- und Förderplattform, die Mittelplate A, im gleichnamigen Ölfeld im nordwestdeutschen Wattenmeer. Die Mittelplate ist das mit Abstand ertragreichste Ölfeld in Deutschland. Bislang hat die Plattform etwa 40 Millionen Tonnen Öl gefördert, jährlich sind es zwischen eins und zwei Millionen Tonnen. 

Wintershall Dea plant, den südlichen Teil von Mittelplate weiter auszubauen. “Wenn die Genehmigungsverfahren schnell durchlaufen werden, könnte die Ölproduktion schon 2025 beginnen”, stellt Frimpong in Aussicht. 

Längere Laufzeiten für Atomkraftwerke, der erstmalige Bau von Flüssiggasterminals, ein späterer Kohleausstieg: Russlands Invasion der Ukraine hat viel von dem, was energiepolitisch längst als abgehakt galt, zurück in die Debatte gebracht. Bei der Suche nach mehr Fördermöglichkeiten für inländische Ressourcen zuletzt auch: Fracking

Beim Fracking wird Gestein durch eine Sand-Wasser-Chemikalien-Mischung aufgebrochen, um Gas und Öl zu lösen. Sogenanntes “konventionelles” Fracking mit relativ porösem Sandstein ist in Deutschland erlaubt. “Unkonventionelles” Fracking in Schiefer-, Ton- oder Kohleflözgestein, das deutlich stärker gefrackt werden müsste und näher am Grundwasser liegt, ist dagegen seit 2017 verboten – zu groß ist die Befürchtung, dass die Umwelt langfristig Schaden nimmt und das Grundwasser verunreinigt wird.

Anfang April schlug Bayerns Ministerpräsident Markus Söder trotzdem vor, die Möglichkeiten für unkonventionelles Fracking in Deutschland noch einmal zu überprüfen. Das dürfte sein Bundesland unter dem Strich weniger treffen, denn die größten frackbaren Gasreserven liegen im Norden Deutschlands. Wirtschaftsminister Robert Habeck lehnte Fracking aber wiederholt ab. In einem Interview mit der Funke Mediengruppe sagte er zuletzt, dass Fracking “schwer möglich” sei. 

Laut Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie lassen sich aus deutschem Schiefergestein bis zu 2,3 Billionen, in Kohleflözen 450 Milliarden Kubikmeter Erdgas durch Fracking erschließen. Energiewirtschaftsforscher Seeliger geht davon aus, dass zum Beispiel das Schiefergas optimistisch geschätzt ein Jahrzehnt lang Gasimporte vollständig ersetzen könnte – allerdings langfristig und nicht schon im nächsten Winter. Gefracktes deutsches Gas und Öl, sagt Seeliger, würde die Versorgungssicherheit stärken, die Transportkosten wären geringer und Deutschland hätte schon durch die theoretische Verfügbarkeit ein Ass bei Preisverhandlungen im Ärmel. 

Trotzdem glaubt Seeliger, dass die Zeit für solche Argumente vorbei ist: Ein Großteil der Deutschen sei klar gegen Fracking, zumindest in Deutschland. Auch wenn die derzeitige Energiekrise mit Russland den Wunsch nach unabhängiger, eigener Gasversorgung gestärkt habe, glaubt Seeliger nicht, dass das Momentum trägt: “Realistisch ist, dass wir durch unkonventionelles Fracking ein paar Milliarden Kubikmeter rausholen – und ich glaube, für den Beitrag will da keiner dieses heiße Eisen anfassen.”

Wintershall Dea Germany Chef Frimpong hält sich zurück: “Es ist technisch möglich, aber wir beobachten, dass die derzeitige politische und öffentliche Meinung das nicht stützen.”

Wintershall Dea Germany Chef Frimpong hält sich zurück: “Es ist technisch möglich, aber wir beobachten, dass die derzeitige politische und öffentliche Meinung das nicht stützen.”

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