Hinrichtung von Melissa Lucio in Texas ausgesetzt
Am Mittwoch sollte die 14-fache Mutter mit der Giftspritze hingerichtet werden – wegen Mordes an ihrer Tochter. Nun muss ein Gericht klären, ob der Fall neu aufgerollt wird. An ihrer Schuld gibt es erhebliche Zweifel.
Es sind noch ziemlich genau 48 Stunden, bis Melissa Lucio im Gefängnis von Gatesville, Texas, mit einer Giftspritze hingerichtet werden soll. Für den Mord an ihrer zweijährigen Tochter, den sie mutmaßlich nie begangen hat, in einem Fall, der so ziemlich alles beinhaltet, wenn man sich einen Justizirrtum ausdenken müsste.
Als am Montagnachmittag die erlösende Nachricht kommt, dass ein Berufungsgericht die Hinrichtung aussetzt, damit neue Beweise für Lucios Unschuld geprüft werden können, brechen bei ihrer Familie, ihren Verteidigern und den zahlreichen Unterstützern alle Dämme. Und Melissa Lucio sagt: “Ich bin dem Gericht dankbar, dass es mir die Chance gegeben hat, zu leben und meine Unschuld zu beweisen.”
Es sind noch ziemlich genau 48 Stunden, bis Melissa Lucio im Gefängnis von Gatesville, Texas, mit einer Giftspritze hingerichtet werden soll. Für den Mord an ihrer zweijährigen Tochter, den sie mutmaßlich nie begangen hat, in einem Fall, der so ziemlich alles beinhaltet, wenn man sich einen Justizirrtum ausdenken müsste.
Wer wissen will, wie die heute 53-jährige Mutter von 14 Kindern im Todestrakt von Gatesville landen konnte, ohne Kontakt zu Mitgefangenen, in einer winzigen Einzelzelle, die sie nur zweimal die Woche für eine Stunde verlassen kann und dort noch nicht mal ein Bild aufhängen darf, der muss den Dokumentarfilm “Der Staat Texas gegen Melissa” sehen.
Im Todestrakt unter katastrophalen Haftbedingungen
Die Botschaft der 85 Minuten: Ob Du Gerechtigkeit vor der US-amerikanischen Justiz erfährst, hängt davon ab, ob Du arm oder reich bist, ein tragischer Unfall kann so leicht zum Mord werden. Oder wie es der republikanische Abgeordnete Jeff Leach, lange Zeit ein großer Verfechter der Todesstrafe, der sich später vehement für die Begnadigung Lucios einsetzte, sagt: “Ich habe noch nie einen verstörenderen Fall gesehen als den von Melissa Lucio.”
Melissa Lucio, die in der Haftanstalt nur eine Zahl unter vielen ist und dort “Lucio 999537” genannt wird, wird schon als Sechsjährige von Familienmitgliedern missbraucht, als Teenagerin vergewaltigt. Ihre zwei Partner und Väter ihrer Kinder sind Alkoholiker und Drogendealer. Lucio ist schwanger mit Zwillingen, als 2007 ihre zweijährige körperbehinderte Tochter Mariah die Treppe hinunterstürzt und kurze Zeit später verstirbt.
In der Nacht nach ihrem Tod wird Lucio, noch unter Schock, von den texanischen Ermittlern fünf Stunden lang in die Mangel genommen. Ohne Essen, ohne Wasser, in einem abgeschlossenen Raum, ohne Anwalt. “Es sieht so aus, dass Sie eine kaltblütige Mörderin sind! Also, sind Sie eine kaltblütige Mörderin? Oder sind Sie eine frustrierte Mutter, die es einfach an dem Mädchen ausließ?” wird sie von den bewaffneten Männern angebrüllt, es existiert ein Videomitschnitt des Verhörs.
Lucio beteuert fast einhundert Mal ihre Unschuld, was die Jury der Geschworenen allerdings nie erfahren wird. Es gibt keine DNA-Spuren und auch keine Zeugen. Am Ende sagt die aus Mexiko stammende Frau, die ihren Kindern zufolge niemandem jemals auch nur ein Haar gekrümmt hat, vollkommen eingeschüchtert: “Ich denke, ich habe es getan.”
Allein das erpresste Geständnis reicht als Todesurteil, 2008 kommt Lucio wegen Mordes hinter Gitter. Die Geschworenen bekommen nicht die Sozialarbeiterin zu Gesicht, die bezeugen kann, dass die psychisch und geistig beeinträchtigte Mutter zwar überfordert sei, ihre Kinder aber nie misshandelt habe.
Stattdessen hören sie einen Staatsanwalt, der kurz vor seiner Wiederwahl steht und vehement die Todesstrafe fordert. Es ist mit Armando Villalobos derselbe Jurist, der wegen Bestechung und Erpressung später selbst für 13 Jahre verurteilt wird. Und während Melissa Lucio seit 14 Jahren auf ihre Giftspritze wartet, kommt ihr gewalttätiger Mann mit vier Jahren Haft davon.
800 Seiten dick ist die Akte, die Melissa Lucios Verteidigungsteam als Gnadengesuch vor einem Monat in Texas einreicht. Darin enthalten sind alle Versäumnisse der Justiz, rechtswidrige Praktiken und unterschlagene Informationen, die ihre Unschuld beweisen sollen.
Bisher einzigartig in der Geschichte der USA: Unterstützt wird das Gesuch parteiübergreifend von mehr als 80 Abgeordneten der Demokraten und Republikaner sowie von vier Jurymitgliedern von damals, die sagen, mit dem Wissensstand von heute hätten sie damals komplett anders entschieden. Auch viele Prominente machen sich für Melissa Lucio stark, unter ihnen Schauspielerin Susan Sarandon und Influencerin Kim Kardashian.
“Ich spüre einfach nur große Erleichterung für Melissa und ihre Familie sowie überwältigende Freude, wir sind alle erschöpft, aber sehr dankbar”, sagt Sandra Lynn Babcock kurz nach der Entscheidung des Berufungsgerichtes gegenüber der DW. Die erfahrene Anwältin bei Kapitalverbrechen ist Leiterin des “Cornell Center on the Death Penalty Worldwide” und führt das Verteidigungsteam von Lucio an.
“Melissas Leben zählt, die Entscheidung des Gerichts signalisiert den Willen der Justiz, endlich ihre Sicht der Geschichte zu hören. Wenn das Gericht all die offensichtlichen Details ihrer Unschuld hört, sind wir zuversichtlich, dass sie bald zu ihrer Familie zurückkehren kann”, hofft Babcock.
2022 wurde bislang bei drei Menschen in den USA die Todesstrafe vollstreckt. Josefa “Chipita” Rodriguez war 1863 die erste und bis heute letzte Lateinamerikanerin in den USA, die in Texas mit dem Strick hingerichtet wurde. Auch bei ihr war die Beweislage für einen Mord dünn, Rodriguez beteuerte bis zum Tod ihre Unschuld.
“Das ist lediglich der erste Schritt für einen neuen Prozess für Melissa Lucio, sie verbleibt weiterhin im Todestrakt und darf keinen Kontakt zu ihren Kindern haben”, warnt Sandra Lynn Babcock davor, den Etappensieg überzubewerten, “aber es ist auf alle Fälle ein wegweisendes Urteil in einem Staat wie Texas, wo die Todesstrafe sehr populär ist. Fälle wie die von Melissa Lucio offenbaren die Mängel im US-amerikanischen Justizsystem.”
Es sind noch ziemlich genau 48 Stunden, bis Melissa Lucio im Gefängnis von Gatesville, Texas, mit einer Giftspritze hingerichtet werden soll. Für den Mord an ihrer zweijährigen Tochter, den sie mutmaßlich nie begangen hat, in einem Fall, der so ziemlich alles beinhaltet, wenn man sich einen Justizirrtum ausdenken müsste.
Als am Montagnachmittag die erlösende Nachricht kommt, dass ein Berufungsgericht die Hinrichtung aussetzt, damit neue Beweise für Lucios Unschuld geprüft werden können, brechen bei ihrer Familie, ihren Verteidigern und den zahlreichen Unterstützern alle Dämme. Und Melissa Lucio sagt: “Ich bin dem Gericht dankbar, dass es mir die Chance gegeben hat, zu leben und meine Unschuld zu beweisen.”
Im Todestrakt unter katastrophalen Haftbedingungen
Wer wissen will, wie die heute 53-jährige Mutter von 14 Kindern im Todestrakt von Gatesville landen konnte, ohne Kontakt zu Mitgefangenen, in einer winzigen Einzelzelle, die sie nur zweimal die Woche für eine Stunde verlassen kann und dort noch nicht mal ein Bild aufhängen darf, der muss den Dokumentarfilm “Der Staat Texas gegen Melissa” sehen.
Die Botschaft der 85 Minuten: Ob Du Gerechtigkeit vor der US-amerikanischen Justiz erfährst, hängt davon ab, ob Du arm oder reich bist, ein tragischer Unfall kann so leicht zum Mord werden. Oder wie es der republikanische Abgeordnete Jeff Leach, lange Zeit ein großer Verfechter der Todesstrafe, der sich später vehement für die Begnadigung Lucios einsetzte, sagt: “Ich habe noch nie einen verstörenderen Fall gesehen als den von Melissa Lucio.”
Melissa Lucio, die in der Haftanstalt nur eine Zahl unter vielen ist und dort “Lucio 999537” genannt wird, wird schon als Sechsjährige von Familienmitgliedern missbraucht, als Teenagerin vergewaltigt. Ihre zwei Partner und Väter ihrer Kinder sind Alkoholiker und Drogendealer. Lucio ist schwanger mit Zwillingen, als 2007 ihre zweijährige körperbehinderte Tochter Mariah die Treppe hinunterstürzt und kurze Zeit später verstirbt.
In der Nacht nach ihrem Tod wird Lucio, noch unter Schock, von den texanischen Ermittlern fünf Stunden lang in die Mangel genommen. Ohne Essen, ohne Wasser, in einem abgeschlossenen Raum, ohne Anwalt. “Es sieht so aus, dass Sie eine kaltblütige Mörderin sind! Also, sind Sie eine kaltblütige Mörderin? Oder sind Sie eine frustrierte Mutter, die es einfach an dem Mädchen ausließ?” wird sie von den bewaffneten Männern angebrüllt, es existiert ein Videomitschnitt des Verhörs.
Todesstrafe im Fall Lucio wirft viele Fragen auf
Lucio beteuert fast einhundert Mal ihre Unschuld, was die Jury der Geschworenen allerdings nie erfahren wird. Es gibt keine DNA-Spuren und auch keine Zeugen. Am Ende sagt die aus Mexiko stammende Frau, die ihren Kindern zufolge niemandem jemals auch nur ein Haar gekrümmt hat, vollkommen eingeschüchtert: “Ich denke, ich habe es getan.”
Prozess von Lucio eine Farce
Allein das erpresste Geständnis reicht als Todesurteil, 2008 kommt Lucio wegen Mordes hinter Gitter. Die Geschworenen bekommen nicht die Sozialarbeiterin zu Gesicht, die bezeugen kann, dass die psychisch und geistig beeinträchtigte Mutter zwar überfordert sei, ihre Kinder aber nie misshandelt habe.
Stattdessen hören sie einen Staatsanwalt, der kurz vor seiner Wiederwahl steht und vehement die Todesstrafe fordert. Es ist mit Armando Villalobos derselbe Jurist, der wegen Bestechung und Erpressung später selbst für 13 Jahre verurteilt wird. Und während Melissa Lucio seit 14 Jahren auf ihre Giftspritze wartet, kommt ihr gewalttätiger Mann mit vier Jahren Haft davon.
800 Seiten dick ist die Akte, die Melissa Lucios Verteidigungsteam als Gnadengesuch vor einem Monat in Texas einreicht. Darin enthalten sind alle Versäumnisse der Justiz, rechtswidrige Praktiken und unterschlagene Informationen, die ihre Unschuld beweisen sollen.
Breites Bündnis fordert Gnade
Bisher einzigartig in der Geschichte der USA: Unterstützt wird das Gesuch parteiübergreifend von mehr als 80 Abgeordneten der Demokraten und Republikaner sowie von vier Jurymitgliedern von damals, die sagen, mit dem Wissensstand von heute hätten sie damals komplett anders entschieden. Auch viele Prominente machen sich für Melissa Lucio stark, unter ihnen Schauspielerin Susan Sarandon und Influencerin Kim Kardashian.
“Ich spüre einfach nur große Erleichterung für Melissa und ihre Familie sowie überwältigende Freude, wir sind alle erschöpft, aber sehr dankbar”, sagt Sandra Lynn Babcock kurz nach der Entscheidung des Berufungsgerichtes gegenüber der DW. Die erfahrene Anwältin bei Kapitalverbrechen ist Leiterin des “Cornell Center on the Death Penalty Worldwide” und führt das Verteidigungsteam von Lucio an.
Verteidigerin von Lucio feiert Etappensieg
“Melissas Leben zählt, die Entscheidung des Gerichts signalisiert den Willen der Justiz, endlich ihre Sicht der Geschichte zu hören. Wenn das Gericht all die offensichtlichen Details ihrer Unschuld hört, sind wir zuversichtlich, dass sie bald zu ihrer Familie zurückkehren kann”, hofft Babcock.
Vor 159 Jahren wird die erste Latina in den USA gehängt
2022 wurde bislang bei drei Menschen in den USA die Todesstrafe vollstreckt. Josefa “Chipita” Rodriguez war 1863 die erste und bis heute letzte Lateinamerikanerin in den USA, die in Texas mit dem Strick hingerichtet wurde. Auch bei ihr war die Beweislage für einen Mord dünn, Rodriguez beteuerte bis zum Tod ihre Unschuld.
“Das ist lediglich der erste Schritt für einen neuen Prozess für Melissa Lucio, sie verbleibt weiterhin im Todestrakt und darf keinen Kontakt zu ihren Kindern haben”, warnt Sandra Lynn Babcock davor, den Etappensieg überzubewerten, “aber es ist auf alle Fälle ein wegweisendes Urteil in einem Staat wie Texas, wo die Todesstrafe sehr populär ist. Fälle wie die von Melissa Lucio offenbaren die Mängel im US-amerikanischen Justizsystem.”