Kunst im Exil: Sara Nabil kämpft für Frauenrechte
Ihr Werk ist radikal und direkt: Mit ihrer Arbeit prangert die afghanische Künstlerin Sara Nabil die Unterdrückung der Frauen in ihrem Heimatland an. Eine Ausstellung der Kunsthalle Mannheim zeigt nun ihre Werke.
Was Politik ist und was Kunst, lässt sich in Sara Nabils Werken kaum trennen. Die afghanische Künstlerin – heute lebt sie in Deutschland – verarbeitet in ihrem Werk ihre eigenen Erfahrung von Unterdrückung, Flucht und Identitätsfindung. Mittels Fotografien und Performances erzählt sie, wie Frauen in Afghanistan Opfer einer systematischen Unterdrückung werden. Und erprobt Wege, die Kontrolle über ihre Identität zurückzuerobern.
Für die Schau in der Kunsthalle Mannheim entfaltet Sara Nabil eine für sie neue künstlerische Radikalität: In einer Performance vor Ausstellungsbeginn schnitt sich die Künstlerin ihre langen, schwarzen Haare vor den Augen eines Publikums komplett ab. Schnitt um Schnitt, bevor sie sich die letzten Strähnen abrasierte. Mit diesem Kunstprotest will Nabil zeigen, wie der weibliche Körper in Afghanistan immer mehr zu einem Austragungsort politischer Ideologien, kultureller Konflikte und Machtkämpfe geworden ist – noch viel mehr, seitdem die Taliban im Sommer des vergangenen Jahres erneut die Macht ergriffen. Dort ist eine solch öffentliche Inszenierung weiblicher Körperlichkeit ein Tabu.
Was Politik ist und was Kunst, lässt sich in Sara Nabils Werken kaum trennen. Die afghanische Künstlerin – heute lebt sie in Deutschland – verarbeitet in ihrem Werk ihre eigenen Erfahrung von Unterdrückung, Flucht und Identitätsfindung. Mittels Fotografien und Performances erzählt sie, wie Frauen in Afghanistan Opfer einer systematischen Unterdrückung werden. Und erprobt Wege, die Kontrolle über ihre Identität zurückzuerobern.
Für Sara Nabil ist Kunst ein Akt der Selbstbefreiung. “In Afghanistan haben wir eine islamische, patriarchale Gesellschaft. Durch meine Identität als Frau wurde ich immer unterdrückt”, sagt sie im DW-Gespräch. “Dadurch, dass ich mir die Haare abschneide, gewinne ich die Freiheit über meinen Körper zurück. Ich wende mich gegen die Vorschriften, Gesetze und Regelungen, die mir als afghanische Frau von Religion, Gesellschaft und der Regierung auferlegt wurden.” Während der Performancerief sie das Publikum dazu auf, die eigenen Haare zu spenden:als Zeichen der Solidarität mit den Frauen in Afghanistan und denen, die ein gleiches Schicksal erlebt haben.
Feministischer Protest
Für die Kunsthalle Mannheim wurde die Performance von drei verschiedenen Künstlern gefilmt. Die verschiedenen Videos werden Teil der Ausstellung sein – ebenso wie Nabils Haare. Christina Bergemann, die Kuratorin der Ausstellung, sagt gegenüber der DW: “Was wichtig in Sara Nabils Arbeit ist, ist dass es in der Kunst eine Handlungsoption gibt, nämlich die Freiheit über den eigenen Körper zurückzuerobern.”
Sara Nabil wurde 1994 in der afghanischen Hauptstadt Kabul geboren und ging zur Schule, nachdem das Taliban-Regime im Jahr 2001 gestürzt wurde. Bereits als Jugendliche begann sie, sich mit moderner Kunst am Center for Contemporary Arts Afghanistan (CCAA) zu beschäftigen. 2008 nahm sie an einer Ausstellung teil, die auch in Deutschland gezeigt wurde.
Anschließend studierte sie ab 2013 Politikwissenschaften an der Karwan University in Kabul. Schon damals wurde sie – als Frauenrechtlerin und Künstlerin – von den Taliban bedroht. Im Dezember 2014 wurde sie an der Universität Zeugin eines Selbstmordattentats. Vor ihren Augen sprengte sich ein Mann in die Luft. Für Nabil ein entscheidender Wendepunkt: “Dieses Mal habe ich überlebt, aber nächstes Mal werde ich sterben”, sagte sich die Künstlerin. Kurz darauf, im Februar 2015, nutzte sie eine Einladung zu einer Studierendenkonferenz in den Niederlanden, um in Deutschland um politisches Asyl zu bitten. Seit 2016 studiert sie Kunst an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach.
Durch die Möglichkeit eines Visums sei ihre Flucht anders als die vieler Menschen verlaufen, so Nabil. Aber die Erfahrung des Exils teile sie mit Millionen von Menschen, die aufgrund ihrer Religion oder politisch verfolgt werden.
Mit der Flucht habe sie bis heute nicht abgeschlossen, sagt die junge Künstlerin. Sie lebe zwischen zwei Welten. Immer fragt sie sich: Wie kommt meine Kunst in Afghanistan an? Nicht immer werde sie dort verstanden, berichtet sie. Manches sei ein Schock für die afghanische Gesellschaft. “Aber das ist es, was ich will. Ich will etwas Starkes sagen, das etwas bewirkt und neue Diskussionen eröffnet.”
Auch über die sozialen Medien verbreitet Sara Nabil ihre Botschaft. Auf Instagram veröffentlichte sie am 8. März anlässlich des Weltfrauentags ein Video vor dem Sitz der Vereinten Nationen in Genf. Darin schreit sie gut zweieinhalb Minuten in die Kamera, am Ende sichtlich angestrengt:
“Dies ist ein Schrei nach Überleben, Widerstand, Gleichberechtigung und Befreiung von allen sozialen und politischen Fesseln”, schreibt Nabil im Post.
“Es ist sehr schmerzvoll für mich, dass in Afghanistan gerade gar keine Kunst mehr stattfindet”, sagt die Künstlerin gegenüber der DW. Alles, was in 20 Jahren im Kunstbereich erbaut wurde, sei von den Taliban zerstört worden. So wurden Graffiti-Kunstwerke im öffentlichen Raum übermalt oder mit Sätzen aus dem Koran überschrieben. Am Afghanistan National Institute of Music zerstörten die Taliban Instrumente, nahmen Künstler und Künstlerinnen fest. Auch Freunde von Sara Nabil wurden verhaftet. Ihre Familie musste nach Deutschland fliehen, nachdem sie aufgrund von Saras Aktivismus von den Taliban bedroht wurde.
Es sei erschreckend, wie Frauen und Mädchen ihre Identität genommen werde, sagt Nabil. Dieses Thema verarbeitet sie in ihrer Fotoserie “Power”, die ebenfalls in der Kunsthalle Mannheim zu sehen sein wird. Im Mittelpunkt der Schwarz-Weiß-Fotografien steht eine bis zur Unkenntlichkeit verschleierte Person. “Sara Nabil dekliniert verschiedene, teils fiktive Formen der Vollverschleierung durch, um zu zeigen, dass die Taliban bewusst Kleidungs- und Verhaltensvorschriften nutzen, um in ihrer fundamentalistischen Auslegung der Scharia Frauen und Mädchen zu unterdrücken”, sagt Christina Bergemann, die Kuratorin der Ausstellung.
Durch die Verschleierung würden die Frauen ihre Umwelt gar nicht richtig wahrnehmen und gestalten können. Somit würden sie aus dem öffentlichen Raum mehr oder weniger ausgeschlossen. Nabil kritisiert nicht das Kopftuch oder die Entscheidung, die Haare zu bedecken. Sie prangert jedoch den Unterdrückungsmechanismus der Vollverschleierung und die damit verbundenen Machtstrukturen an. Das letzte Bild der Fotoserie “Power” ist komplett schwarz, man kann nichts erkennen. “Das ist das, was die Taliban sich für die Frauen vorstellen. Die Frau ist komplett verschwunden”, sagt Nabil.
Nabils Arbeit geht weit über die Kunst hinaus. Um Mädchen in Afghanistan konkret zu helfen, gründete sie ein Online-Programm für Schülerinnen namens E-School Afghanistan. Damit will sie gewährleisten, dass afghanische Mädchen Bildung erhalten, nachdem die Taliban die weiterführenden Schulen für Mädchen trotz anderslautender Ankündigungen nicht öffneten.
Die Studio-Ausstellung von Sara Nabil im Atrium der Kunsthalle Mannheim läuft noch bis zum 28.08.2022. Sie ist kostenlos zugänglich.
Was Politik ist und was Kunst, lässt sich in Sara Nabils Werken kaum trennen. Die afghanische Künstlerin – heute lebt sie in Deutschland – verarbeitet in ihrem Werk ihre eigenen Erfahrung von Unterdrückung, Flucht und Identitätsfindung. Mittels Fotografien und Performances erzählt sie, wie Frauen in Afghanistan Opfer einer systematischen Unterdrückung werden. Und erprobt Wege, die Kontrolle über ihre Identität zurückzuerobern.
Für die Schau in der Kunsthalle Mannheim entfaltet Sara Nabil eine für sie neue künstlerische Radikalität: In einer Performance vor Ausstellungsbeginn schnitt sich die Künstlerin ihre langen, schwarzen Haare vor den Augen eines Publikums komplett ab. Schnitt um Schnitt, bevor sie sich die letzten Strähnen abrasierte. Mit diesem Kunstprotest will Nabil zeigen, wie der weibliche Körper in Afghanistan immer mehr zu einem Austragungsort politischer Ideologien, kultureller Konflikte und Machtkämpfe geworden ist – noch viel mehr, seitdem die Taliban im Sommer des vergangenen Jahres erneut die Macht ergriffen. Dort ist eine solch öffentliche Inszenierung weiblicher Körperlichkeit ein Tabu.
Feministischer Protest
Für Sara Nabil ist Kunst ein Akt der Selbstbefreiung. “In Afghanistan haben wir eine islamische, patriarchale Gesellschaft. Durch meine Identität als Frau wurde ich immer unterdrückt”, sagt sie im DW-Gespräch. “Dadurch, dass ich mir die Haare abschneide, gewinne ich die Freiheit über meinen Körper zurück. Ich wende mich gegen die Vorschriften, Gesetze und Regelungen, die mir als afghanische Frau von Religion, Gesellschaft und der Regierung auferlegt wurden.” Während der Performancerief sie das Publikum dazu auf, die eigenen Haare zu spenden:als Zeichen der Solidarität mit den Frauen in Afghanistan und denen, die ein gleiches Schicksal erlebt haben.
Für die Kunsthalle Mannheim wurde die Performance von drei verschiedenen Künstlern gefilmt. Die verschiedenen Videos werden Teil der Ausstellung sein – ebenso wie Nabils Haare. Christina Bergemann, die Kuratorin der Ausstellung, sagt gegenüber der DW: “Was wichtig in Sara Nabils Arbeit ist, ist dass es in der Kunst eine Handlungsoption gibt, nämlich die Freiheit über den eigenen Körper zurückzuerobern.”
Sara Nabil wurde 1994 in der afghanischen Hauptstadt Kabul geboren und ging zur Schule, nachdem das Taliban-Regime im Jahr 2001 gestürzt wurde. Bereits als Jugendliche begann sie, sich mit moderner Kunst am Center for Contemporary Arts Afghanistan (CCAA) zu beschäftigen. 2008 nahm sie an einer Ausstellung teil, die auch in Deutschland gezeigt wurde.
Anschließend studierte sie ab 2013 Politikwissenschaften an der Karwan University in Kabul. Schon damals wurde sie – als Frauenrechtlerin und Künstlerin – von den Taliban bedroht. Im Dezember 2014 wurde sie an der Universität Zeugin eines Selbstmordattentats. Vor ihren Augen sprengte sich ein Mann in die Luft. Für Nabil ein entscheidender Wendepunkt: “Dieses Mal habe ich überlebt, aber nächstes Mal werde ich sterben”, sagte sich die Künstlerin. Kurz darauf, im Februar 2015, nutzte sie eine Einladung zu einer Studierendenkonferenz in den Niederlanden, um in Deutschland um politisches Asyl zu bitten. Seit 2016 studiert sie Kunst an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach.
In Kabul erlebte Nabil ein Selbstmordattentat – und flüchtete
Durch die Möglichkeit eines Visums sei ihre Flucht anders als die vieler Menschen verlaufen, so Nabil. Aber die Erfahrung des Exils teile sie mit Millionen von Menschen, die aufgrund ihrer Religion oder politisch verfolgt werden.
Mit Kunst Diskussionen eröffnen
Mit der Flucht habe sie bis heute nicht abgeschlossen, sagt die junge Künstlerin. Sie lebe zwischen zwei Welten. Immer fragt sie sich: Wie kommt meine Kunst in Afghanistan an? Nicht immer werde sie dort verstanden, berichtet sie. Manches sei ein Schock für die afghanische Gesellschaft. “Aber das ist es, was ich will. Ich will etwas Starkes sagen, das etwas bewirkt und neue Diskussionen eröffnet.”
Auch über die sozialen Medien verbreitet Sara Nabil ihre Botschaft. Auf Instagram veröffentlichte sie am 8. März anlässlich des Weltfrauentags ein Video vor dem Sitz der Vereinten Nationen in Genf. Darin schreit sie gut zweieinhalb Minuten in die Kamera, am Ende sichtlich angestrengt:
“Dies ist ein Schrei nach Überleben, Widerstand, Gleichberechtigung und Befreiung von allen sozialen und politischen Fesseln”, schreibt Nabil im Post.
Schmerz über die Zerstörung der Kunstszene in Afghanistan
“Es ist sehr schmerzvoll für mich, dass in Afghanistan gerade gar keine Kunst mehr stattfindet”, sagt die Künstlerin gegenüber der DW. Alles, was in 20 Jahren im Kunstbereich erbaut wurde, sei von den Taliban zerstört worden. So wurden Graffiti-Kunstwerke im öffentlichen Raum übermalt oder mit Sätzen aus dem Koran überschrieben. Am Afghanistan National Institute of Music zerstörten die Taliban Instrumente, nahmen Künstler und Künstlerinnen fest. Auch Freunde von Sara Nabil wurden verhaftet. Ihre Familie musste nach Deutschland fliehen, nachdem sie aufgrund von Saras Aktivismus von den Taliban bedroht wurde.
Es sei erschreckend, wie Frauen und Mädchen ihre Identität genommen werde, sagt Nabil. Dieses Thema verarbeitet sie in ihrer Fotoserie “Power”, die ebenfalls in der Kunsthalle Mannheim zu sehen sein wird. Im Mittelpunkt der Schwarz-Weiß-Fotografien steht eine bis zur Unkenntlichkeit verschleierte Person. “Sara Nabil dekliniert verschiedene, teils fiktive Formen der Vollverschleierung durch, um zu zeigen, dass die Taliban bewusst Kleidungs- und Verhaltensvorschriften nutzen, um in ihrer fundamentalistischen Auslegung der Scharia Frauen und Mädchen zu unterdrücken”, sagt Christina Bergemann, die Kuratorin der Ausstellung.
Engagement für Bildung von Mädchen und Frauen
Durch die Verschleierung würden die Frauen ihre Umwelt gar nicht richtig wahrnehmen und gestalten können. Somit würden sie aus dem öffentlichen Raum mehr oder weniger ausgeschlossen. Nabil kritisiert nicht das Kopftuch oder die Entscheidung, die Haare zu bedecken. Sie prangert jedoch den Unterdrückungsmechanismus der Vollverschleierung und die damit verbundenen Machtstrukturen an. Das letzte Bild der Fotoserie “Power” ist komplett schwarz, man kann nichts erkennen. “Das ist das, was die Taliban sich für die Frauen vorstellen. Die Frau ist komplett verschwunden”, sagt Nabil.
Nabils Arbeit geht weit über die Kunst hinaus. Um Mädchen in Afghanistan konkret zu helfen, gründete sie ein Online-Programm für Schülerinnen namens E-School Afghanistan. Damit will sie gewährleisten, dass afghanische Mädchen Bildung erhalten, nachdem die Taliban die weiterführenden Schulen für Mädchen trotz anderslautender Ankündigungen nicht öffneten.
Die Studio-Ausstellung von Sara Nabil im Atrium der Kunsthalle Mannheim läuft noch bis zum 28.08.2022. Sie ist kostenlos zugänglich.