Getrennt von den Liebsten durch Krieg oder Flucht? Der DRK-Suchdienst hilft
Nicht nur in der Ukraine: Kriege und Migration reißen weltweit Familien auseinander. Das Team vom Deutschen Roten Kreuz versucht, sie wieder in Kontakt zu bringen und Schicksale zu klären.
Tot, verletzt, verhaftet? Wo sind meine Kinder, mein Mann, meine Eltern? Was ist mit meiner Schwester passiert? Fragen wie diese quälen Menschen mit Kriegs- oder Fluchterfahrungen wie derzeit in der Ukraine. Die Sorge, den Kontakt zu geliebten Menschen zu verlieren, ist groß.
“Wenn sie einen Angehörigen nicht erreichen können, sind alle verzweifelt”, sagt Marina Brinkmann. Das gelte für Geflüchtete aus der Ukraine genauso wie für Menschen aus allen anderen Konfliktregionen, denen sie und ihr internationales Team helfen wollen: aus Afghanistan, Somalia, Syrien oder dem Irak.
Tot, verletzt, verhaftet? Wo sind meine Kinder, mein Mann, meine Eltern? Was ist mit meiner Schwester passiert? Fragen wie diese quälen Menschen mit Kriegs- oder Fluchterfahrungen wie derzeit in der Ukraine. Die Sorge, den Kontakt zu geliebten Menschen zu verlieren, ist groß.
Die 55-Jährige leitet die Fachgruppe Internationale Suche beim Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in München. “Restoring family links”, heißt der englische Slogan, “Familien suchen, verbinden, vereinen”, erklärt der deutsche Untertitel.
“Solange gekämpft wird, kann nicht gesucht werden”
107 Suchanfragen von Menschen aus der Ukraine – Tendenz steigend – hat Brinkmanns Team seit Kriegsbeginn im Februar in ihrer Datenbank registriert. Viele haben den Kontakt zu ihren Angehörigen in Mariupol verloren – darunter Familien mit Kindern -, manche bei der Flucht durch Polen oder Ungarn. Etwa jede 5. Anfrage betrifft Soldaten. Einzelne vermisste Kinder oder Kinder, die ihre Eltern suchen, wurden dem DRK noch nicht gemeldet.
Das Bundeskriminalamt teilte der Deutschen Welle auf Anfrage mit, in Deutschland seien seit 24. Februar 45 Menschen mit ukrainischer Staatsbürgerschaft vermisst gemeldet worden, davon 37 unter 18 Jahren (Stand 6.5.22). Allerdings handele es sich dabei nicht nur um Personen, “die im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen nach Deutschland gekommen sind”. Vermisstenmeldungen aus dem Ausland lägen nicht vor.
Suchende, die sich beim DRK melden, können ein Online-Formular ausfüllen, dann bekommen sie einen Termin in einer von über 90 Beratungsstellen in Deutschland. Dort werden die persönlichen Daten und sämtliche Informationen erfasst, die helfen können, Gesuchte zu finden: Sind es Militärangehörige oder Zivilisten, wo waren sie zuletzt, könnten sie verletzt sein, werden sie irgendwo festgehalten? Alle Daten werden vertraulich behandelt.
Die Suchanfragen werden ins Englische übersetzt. In Konfliktgebieten gibt das DRK die Anfragen weiter an die Delegation des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), in anderen Regionen an die nationalen Partnerorganisationen.
Im Fall der Ukraine sammelt die Central Tracing Agency (CTA) beim IKRK in Genf alle Anfragen und leitet sie weiter an die IKRK-Komitees in der Ukraine und teilweise auch in Russland. “Die Menschen fliehen in zwei Richtungen”, sagt Brinkmann. Allerdings brauchten die Suchenden Geduld: “Solange gekämpft wird, kann nicht gesucht werden.”
Klarheit zu bekommen über das Schicksal der Angehörigen ist extrem wichtig. Schon der Schweizer Henry Dunant, der als Rotkreuz-Begründer gilt, hatte 1859 auf Schlachtfeldern in Italien mit verletzten und sterbenden Soldaten gesprochen und ihre Nachrichten an die Familien überbracht.
Der 8. Mai, Dunants Geburtstag, ist der Internationale Weltrotkreuz- und Rothalbmond-Tag. Es ist ein weltumspannendes Netzwerk: In 192 Ländern gibt es Rotkreuz- oder Rothalbmond-Organisationen. In Konflikten bleiben sie neutral, um Zugang zu den Menschen zu erhalten, die Hilfe brauchen.
Den Zentralen Suchdienst beim IKRK, die CTA, gibt es seit 150 Jahren. 2018 konnte im Netzwerk jede halbe Stunde ein Schicksal geklärt werden. In Deutschland entstand mit dem DRK-Suchdienst 1945, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, einer der größten Suchdienste, sagt Dorota Dziwoki, Leiterin der Suchdienst-Leitstelle.
Der kostenlose Dienst, finanziert vom Bundesinnenministerium, ist sehr gefragt: Mehr als 13.000 Anfragen nach dem Schicksal von Vermissten im Zweiten Weltkrieg erhielt der Suchdienst 2021, dazu kommen Suchen von Geflüchteten. Seit dem Ende des Kalten Krieges ergänzen sowjetische Akten das Archiv. Angehörige berichten in Video-Interviews, wie erleichtert sie waren, als sich das Schicksal ihres Vaters oder ihrer Großmutter endlich geklärt hat.
Am schlimmsten ist die Unsicherheit, das berichten Menschen, die Angehörige vermissen, aus Afrika und Asien genauso wie aus Lateinamerika oder Europa. Jahrzehntelang blieb etwa das Schicksal vieler Opfer der Balkankriege in den 1990er Jahren ungeklärt.
Der DRK-Suchdienst habe ein Projekt unterstützt für Angehörige, die in Deutschland ankamen und Familienmitglieder vermisst haben, sagt Marina Brinkmann: “Sie haben DNA-Proben abgegeben, genau beschrieben, welche Kleidung sie trugen und welche Körpermerkmale es gab.” Selbst wenn Massengräber erst Jahrzehnte später gefunden werden, gleichen Forensiker das ab: “Wir bekommen immer wieder Rückmeldungen. Das Schicksal der Betroffenen wird geklärt.”
Mindestens ebenso schwierig ist die Suche nach Angehörigen, die über das Mittelmeer nach Europa fliehen wollten. Rund 24.000 Menschen sind dort nach Schätzung der Internationalen Organisation für Migration seit 2014 ertrunken. Nur wenn die Toten an den Küsten angeschwemmt und dort identifiziert werden, können die Angehörigen Klarheit bekommen.
In Griechenland etwa, erzählt Marina Brinkmann, gebe es eine kleine IKRK-Delegation, die sich auf solche Anfragen spezialisiert hat. Der DRK-Suchdienst begleitet Angehörige in Deutschland zur Polizei, wenn sie dort DNA-Proben zum Abgleich abgeben wollen.
Auch zu Menschen in Gefangenenlagern oder Gefängnissen in Konfliktgebieten kann das Rote Kreuz Kontakt herstellen. Das IKRK hat das Recht, Inhaftierte zu besuchen, erläutert Brinkmann: “Sie werden registriert, damit sie nicht verschwinden, es wird medizinische Hilfe geleistet, falls notwendig. Gleichzeitig haben die Menschen das Recht auf Kontakte mit Angehörigen im In- und Ausland.”
Eine Option ist eine Rotkreuz-Mitteilung, eine Art offener Brief, der keinen politischen Inhalt haben darf. So habe der Suchdienst einem Mann in Deutschland geholfen, Kontakt mit seinem Bruder zu halten, der im US-Gefangenenlager Guantánamo inhaftiert war.
Daraus habe sich ein Telefonkontakt und schließlich sogar eine Video-Konferenz über vier Kontinente entwickelt: “Der Inhaftierte in Guantanamo, der Bruder in Deutschland, die restliche Familie in Mauretanien und der Cousin in Malaysia.” Das war schwierig nicht nur wegen der Zeitverschiebung, erinnert sich Marina Brinkmann: Alle Gespräche “dürfen nur aus den Räumlichkeiten der Rotkreuz-Gesellschaften geführt werden”.
30 bis 40 Prozent aller Anfragenden habe der DRK-Suchdienst in den vergangenen Jahren helfen können, schätzt Marina Brinkmann. Die Erfolge variieren von Land zu Land.
Tot, verletzt, verhaftet? Wo sind meine Kinder, mein Mann, meine Eltern? Was ist mit meiner Schwester passiert? Fragen wie diese quälen Menschen mit Kriegs- oder Fluchterfahrungen wie derzeit in der Ukraine. Die Sorge, den Kontakt zu geliebten Menschen zu verlieren, ist groß.
“Wenn sie einen Angehörigen nicht erreichen können, sind alle verzweifelt”, sagt Marina Brinkmann. Das gelte für Geflüchtete aus der Ukraine genauso wie für Menschen aus allen anderen Konfliktregionen, denen sie und ihr internationales Team helfen wollen: aus Afghanistan, Somalia, Syrien oder dem Irak.
“Solange gekämpft wird, kann nicht gesucht werden”
Die 55-Jährige leitet die Fachgruppe Internationale Suche beim Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in München. “Restoring family links”, heißt der englische Slogan, “Familien suchen, verbinden, vereinen”, erklärt der deutsche Untertitel.
107 Suchanfragen von Menschen aus der Ukraine – Tendenz steigend – hat Brinkmanns Team seit Kriegsbeginn im Februar in ihrer Datenbank registriert. Viele haben den Kontakt zu ihren Angehörigen in Mariupol verloren – darunter Familien mit Kindern -, manche bei der Flucht durch Polen oder Ungarn. Etwa jede 5. Anfrage betrifft Soldaten. Einzelne vermisste Kinder oder Kinder, die ihre Eltern suchen, wurden dem DRK noch nicht gemeldet.
Das Bundeskriminalamt teilte der Deutschen Welle auf Anfrage mit, in Deutschland seien seit 24. Februar 45 Menschen mit ukrainischer Staatsbürgerschaft vermisst gemeldet worden, davon 37 unter 18 Jahren (Stand 6.5.22). Allerdings handele es sich dabei nicht nur um Personen, “die im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen nach Deutschland gekommen sind”. Vermisstenmeldungen aus dem Ausland lägen nicht vor.
Suchende, die sich beim DRK melden, können ein Online-Formular ausfüllen, dann bekommen sie einen Termin in einer von über 90 Beratungsstellen in Deutschland. Dort werden die persönlichen Daten und sämtliche Informationen erfasst, die helfen können, Gesuchte zu finden: Sind es Militärangehörige oder Zivilisten, wo waren sie zuletzt, könnten sie verletzt sein, werden sie irgendwo festgehalten? Alle Daten werden vertraulich behandelt.
Weltumspannendes Netzwerk: Rotes Kreuz und Roter Halbmond
Die Suchanfragen werden ins Englische übersetzt. In Konfliktgebieten gibt das DRK die Anfragen weiter an die Delegation des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), in anderen Regionen an die nationalen Partnerorganisationen.
Tausende Anfragen zu Vermissten des Zweiten Weltkriegs
Im Fall der Ukraine sammelt die Central Tracing Agency (CTA) beim IKRK in Genf alle Anfragen und leitet sie weiter an die IKRK-Komitees in der Ukraine und teilweise auch in Russland. “Die Menschen fliehen in zwei Richtungen”, sagt Brinkmann. Allerdings brauchten die Suchenden Geduld: “Solange gekämpft wird, kann nicht gesucht werden.”
Klarheit zu bekommen über das Schicksal der Angehörigen ist extrem wichtig. Schon der Schweizer Henry Dunant, der als Rotkreuz-Begründer gilt, hatte 1859 auf Schlachtfeldern in Italien mit verletzten und sterbenden Soldaten gesprochen und ihre Nachrichten an die Familien überbracht.
Der 8. Mai, Dunants Geburtstag, ist der Internationale Weltrotkreuz- und Rothalbmond-Tag. Es ist ein weltumspannendes Netzwerk: In 192 Ländern gibt es Rotkreuz- oder Rothalbmond-Organisationen. In Konflikten bleiben sie neutral, um Zugang zu den Menschen zu erhalten, die Hilfe brauchen.
Klarheit über den Tod: Massengräber und Ertrunkene im Mittelmeer
Den Zentralen Suchdienst beim IKRK, die CTA, gibt es seit 150 Jahren. 2018 konnte im Netzwerk jede halbe Stunde ein Schicksal geklärt werden. In Deutschland entstand mit dem DRK-Suchdienst 1945, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, einer der größten Suchdienste, sagt Dorota Dziwoki, Leiterin der Suchdienst-Leitstelle.
Der kostenlose Dienst, finanziert vom Bundesinnenministerium, ist sehr gefragt: Mehr als 13.000 Anfragen nach dem Schicksal von Vermissten im Zweiten Weltkrieg erhielt der Suchdienst 2021, dazu kommen Suchen von Geflüchteten. Seit dem Ende des Kalten Krieges ergänzen sowjetische Akten das Archiv. Angehörige berichten in Video-Interviews, wie erleichtert sie waren, als sich das Schicksal ihres Vaters oder ihrer Großmutter endlich geklärt hat.
Guantánamo-Häftling: Videokontakt über vier Kontinente
Am schlimmsten ist die Unsicherheit, das berichten Menschen, die Angehörige vermissen, aus Afrika und Asien genauso wie aus Lateinamerika oder Europa. Jahrzehntelang blieb etwa das Schicksal vieler Opfer der Balkankriege in den 1990er Jahren ungeklärt.
Ukraine: Hoffnung auf 50 Prozent Aufklärung
Der DRK-Suchdienst habe ein Projekt unterstützt für Angehörige, die in Deutschland ankamen und Familienmitglieder vermisst haben, sagt Marina Brinkmann: “Sie haben DNA-Proben abgegeben, genau beschrieben, welche Kleidung sie trugen und welche Körpermerkmale es gab.” Selbst wenn Massengräber erst Jahrzehnte später gefunden werden, gleichen Forensiker das ab: “Wir bekommen immer wieder Rückmeldungen. Das Schicksal der Betroffenen wird geklärt.”
Mindestens ebenso schwierig ist die Suche nach Angehörigen, die über das Mittelmeer nach Europa fliehen wollten. Rund 24.000 Menschen sind dort nach Schätzung der Internationalen Organisation für Migration seit 2014 ertrunken. Nur wenn die Toten an den Küsten angeschwemmt und dort identifiziert werden, können die Angehörigen Klarheit bekommen.
In Griechenland etwa, erzählt Marina Brinkmann, gebe es eine kleine IKRK-Delegation, die sich auf solche Anfragen spezialisiert hat. Der DRK-Suchdienst begleitet Angehörige in Deutschland zur Polizei, wenn sie dort DNA-Proben zum Abgleich abgeben wollen.
Auch zu Menschen in Gefangenenlagern oder Gefängnissen in Konfliktgebieten kann das Rote Kreuz Kontakt herstellen. Das IKRK hat das Recht, Inhaftierte zu besuchen, erläutert Brinkmann: “Sie werden registriert, damit sie nicht verschwinden, es wird medizinische Hilfe geleistet, falls notwendig. Gleichzeitig haben die Menschen das Recht auf Kontakte mit Angehörigen im In- und Ausland.”
Eine Option ist eine Rotkreuz-Mitteilung, eine Art offener Brief, der keinen politischen Inhalt haben darf. So habe der Suchdienst einem Mann in Deutschland geholfen, Kontakt mit seinem Bruder zu halten, der im US-Gefangenenlager Guantánamo inhaftiert war.
Daraus habe sich ein Telefonkontakt und schließlich sogar eine Video-Konferenz über vier Kontinente entwickelt: “Der Inhaftierte in Guantanamo, der Bruder in Deutschland, die restliche Familie in Mauretanien und der Cousin in Malaysia.” Das war schwierig nicht nur wegen der Zeitverschiebung, erinnert sich Marina Brinkmann: Alle Gespräche “dürfen nur aus den Räumlichkeiten der Rotkreuz-Gesellschaften geführt werden”.
30 bis 40 Prozent aller Anfragenden habe der DRK-Suchdienst in den vergangenen Jahren helfen können, schätzt Marina Brinkmann. Die Erfolge variieren von Land zu Land.
Das Rote Kreuz klärt auch darüber auf, wie sich Familien vor einem Kontaktverlust schützen können, gerade Kinder sollten die nötigen Informationen bei sich tragen oder auswendig lernen.
Was die Ukraine betrifft, ist die erfahrene Teamleiterin grundsätzlich optimistisch in Sachen Aufklärung. Sorgen macht ihr aber, dass getötete Soldaten oder Zivilisten “in namenlosen Massengräbern verschwinden” könnten. Das IKRK habe schon lange forensische Mitarbeiter im Land, man wisse aber nicht, ob alles getan werde, um Tote später identifizieren zu können.
Was die Ukraine betrifft, ist die erfahrene Teamleiterin grundsätzlich optimistisch in Sachen Aufklärung. Sorgen macht ihr aber, dass getötete Soldaten oder Zivilisten “in namenlosen Massengräbern verschwinden” könnten. Das IKRK habe schon lange forensische Mitarbeiter im Land, man wisse aber nicht, ob alles getan werde, um Tote später identifizieren zu können.