Nicht nur die Mutter ist eine wichtige Bindungsperson
Das westliche Erziehungsmodell ist darauf ausgerichtet, dass die Mutter beziehungsweise die Eltern die primären Bezugspersonen des Kindes sind. Dies geht aber an der Lebensrealität vieler Familien vorbei.
Mutterliebe, Muttersprache, Muttererde – Mutti ist die Beste! Die Bindung zwischen Kindern und Müttern gilt als ganz besondere Basis für die Entwicklung eines Menschen, hilft sie doch, ein Urvertrauen aufzubauen.
Natürlich können beide Elternteile eine liebevolle Beziehung zu ihrem Kind aufbauen, aber vor allem das Bild der fürsorglichen Mutter und die daraus erwachsende enge Bindung zum Kind ist besonders im Westen fest im kollektiven Bewusstsein verankert.
Mutterliebe, Muttersprache, Muttererde – Mutti ist die Beste! Die Bindung zwischen Kindern und Müttern gilt als ganz besondere Basis für die Entwicklung eines Menschen, hilft sie doch, ein Urvertrauen aufzubauen.
Sicherlich gibt es auch “Rabenmütter” und nicht bei allen ist das Verhältnis zur Mutter gut, aber gemeinhin gilt die Mutter als die Person, die das Kind von Anfang an behütet, seit dem ersten Körperkontakt, dem sogenannten “Bonding” gleich nach der Geburt.
Frühkindliche Bindung
Vor allem eine Mutter spüre die Bedürfnisse des Kindes, hier finde es Trost, hier sei es sicher. “Eine Mutter ist der einzige Mensch auf der Welt, der dich schon liebt, bevor er dich kennt”, befand der Schweizer Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi bereits Ende des 18. Jahrhunderts. Wie schön, das passt so gut zum Muttertag!
Diese Erziehungsmethode, in der vor allem die Mutter zeitlebens als wichtigste Bindungsperson auf all die Bedürfnisse des Kindes eingeht, hat ihren Ursprung in der Bindungstheorie. Entwickelt wurde diese Theorie vom britischen Psychoanalytiker und Kinderpsychiater John Bowlby. Besonders im Westen gilt diese Theorie als Goldstandard der Erziehungsmethoden.
Bowlby untersuchte systematisch Waisenheimkinder, die durch Trennung von der Mutter Entwicklungsschäden aufwiesen. Bei vielen verhaltensauffälligen Schülern und jugendlichen Dieben hatte er stark zerrüttete frühe Mutterbindungen beobachtet. Mit seinem 1969 erschienenen Buch Bindung – Eine Analyse der Mutter-Kind-Beziehung bezog er neben den hindernden dann aber auch die fördernden Faktoren in der Mutter-Kind-Beziehung mit ein.
Laut Bindungstheorie gilt der Mensch als Bindungsperson, den das Kind beispielsweise sucht, wenn es von der Schaukel gefallen ist oder um den es bei einer Trennung besonders weint, erklärt der Kinder- und Jugendpsychiater Karl Heinz Brisch. Er ist ein Befürworter der Bindungstheorie. Solch eine innige Nähe komme in etwa einem Jahr zustande, erklärt der Professor an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Salzburg.
Bindung bedeutet demnach ein lang anhaltendes emotionales Band zu ganz bestimmten Personen, die nicht beliebig austauschbar sind. Ihre Nähe und Unterstützung sucht das Kind, wenn es den Schmerz, die Angst oder Trauer nicht mehr selbstständig bewältigen kann.
Zu den Eigenschaften einer Bindungsperson zähle etwa ein feinfühliger Charakter, der auf die Emotionen des Kindes reagiere, so Brisch. Gemeinsam Zeit zu verbringen, reiche allein nicht aus. Nur wer fürsorglich sei, könne einem weinenden Kind Trost spenden. Erst dann handle die Bindungsperson bedarfsgerecht.
Es gibt allerdings auch Kritik an dieser Bindungstheorie. Heidi Keller, Psychologin an der Hebrew University in Jerusalem, kritisiert in ihrem Buch “Mythos Bindungstheorie” zum Beispiel, dass die Bindungstheorie im Westen eine Allgemeingültigkeit beanspruche.
Schließlich sei es in vielen Kulturen nicht üblich, dass sich nur die Eltern um das Kind kümmern – auch Verwandte, die Großeltern, Geschwister und Nachbarn spielten bei der Erziehung eine große Rolle. In vielen Kulturen würden Säuglinge und Kleinkinder von Beziehungsnetzwerken betreut, so Keller. Als Professorin für Psychologie hat Heidi Keller jahrzehntelang erforscht, wie Kinder in verschiedenen Kulturen aufwachsen. Dafür war sie in afrikanischen Ländern, in Indien, Südamerika, den USA, Europa und im Nahen Osten unterwegs – in großen Städten und entlegenen Dörfern.
Entscheidend für eine emotional gesunde Entwicklung sei, in der Kindheit genug Liebe und Zuwendung von einer Bindungsperson zu bekommen. Und das müssen nicht die Mütter oder Eltern sein. Der Kontakt zu anderen Menschen sei besonders wichtig, um soziale Fähigkeiten zu erwerben und zu erweitern. Davon würden die Kinder nur profitieren.
Außerdem könne die ständige Verfügbarkeit, das Bedürfnis permanent auf die Wünsche des Kindes einzugehen, bei manchen Frauen Erschöpfung oder Burnout auslösen, meint Keller. Denn am Ende stehe die Mutter meist alleine da – oft auch ohne den Vater.
Keller verweist auf eine wegweisende Langzeitstudie der US-Psychologinnen Emmi Werner und Ruth Smith, die Hunderte Kinder über 40 Jahre lang begleiteten und die allesamt 1955 auf der Insel Kauai geboren worden waren.
Ein Drittel der Kinder wuchs in schwierigen Familienverhältnisse oder in Armut auf. Aber trotzdem entwickelten sich diese Kinder erfolgreich und ohne Verhaltensauffälligkeiten. Grund dafür waren der Studie zufolge nicht die Bindung an Mutter oder Vater – sondern die Beziehungen zu Gleichaltrigen, Nachbarn, Lehrern oder auch zu Ersatzeltern. Keine Theorie, sondern eine gute Beziehung zu einer Bindungsperson, die sich kümmert, ist aus Sicht der Psychologin für die Kindererziehung förderlich.
“Man kann in der Wahl seiner Eltern nicht vorsichtig genug sein”, schrieb der Psychologe Paul Watzlawick einmal augenzwinkernd, denn die engste Bezugs- bzw. Bindungsperson im frühsten Kindesalter hat eine enorm prägende Verantwortung, schließlich haben viele psychische Erkrankungen ihren Ursprung in der Kindheit.
Auch der Kinder- und Jugendpsychiater Karl Heinz Frisch bestätigt, dass Kinder priorisieren und meistens eine oder zwei Bindungspersonen haben: “Kinder hierarchisieren in der Regel, je nachdem wer feinfühliger mit ihnen umgeht.” Dies müssten nicht unbedingt Mutter und Vater, sondern könnten auch andere Menschen sein.
“Bindung hat nichts mit biologischer Verwandtschaft zu tun”, erläutert Brisch. Dass sich Kinder eher zu Blutsverwandten hingezogen fühlten, sei wissenschaftlich nicht belegt.
Mutterliebe, Muttersprache, Muttererde – Mutti ist die Beste! Die Bindung zwischen Kindern und Müttern gilt als ganz besondere Basis für die Entwicklung eines Menschen, hilft sie doch, ein Urvertrauen aufzubauen.
Natürlich können beide Elternteile eine liebevolle Beziehung zu ihrem Kind aufbauen, aber vor allem das Bild der fürsorglichen Mutter und die daraus erwachsende enge Bindung zum Kind ist besonders im Westen fest im kollektiven Bewusstsein verankert.
Frühkindliche Bindung
Sicherlich gibt es auch “Rabenmütter” und nicht bei allen ist das Verhältnis zur Mutter gut, aber gemeinhin gilt die Mutter als die Person, die das Kind von Anfang an behütet, seit dem ersten Körperkontakt, dem sogenannten “Bonding” gleich nach der Geburt.
Vor allem eine Mutter spüre die Bedürfnisse des Kindes, hier finde es Trost, hier sei es sicher. “Eine Mutter ist der einzige Mensch auf der Welt, der dich schon liebt, bevor er dich kennt”, befand der Schweizer Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi bereits Ende des 18. Jahrhunderts. Wie schön, das passt so gut zum Muttertag!
Diese Erziehungsmethode, in der vor allem die Mutter zeitlebens als wichtigste Bindungsperson auf all die Bedürfnisse des Kindes eingeht, hat ihren Ursprung in der Bindungstheorie. Entwickelt wurde diese Theorie vom britischen Psychoanalytiker und Kinderpsychiater John Bowlby. Besonders im Westen gilt diese Theorie als Goldstandard der Erziehungsmethoden.
Bowlby untersuchte systematisch Waisenheimkinder, die durch Trennung von der Mutter Entwicklungsschäden aufwiesen. Bei vielen verhaltensauffälligen Schülern und jugendlichen Dieben hatte er stark zerrüttete frühe Mutterbindungen beobachtet. Mit seinem 1969 erschienenen Buch Bindung – Eine Analyse der Mutter-Kind-Beziehung bezog er neben den hindernden dann aber auch die fördernden Faktoren in der Mutter-Kind-Beziehung mit ein.
Trost bei der Bindungsperson
Laut Bindungstheorie gilt der Mensch als Bindungsperson, den das Kind beispielsweise sucht, wenn es von der Schaukel gefallen ist oder um den es bei einer Trennung besonders weint, erklärt der Kinder- und Jugendpsychiater Karl Heinz Brisch. Er ist ein Befürworter der Bindungstheorie. Solch eine innige Nähe komme in etwa einem Jahr zustande, erklärt der Professor an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Salzburg.
Zweifel an Allgemeingültigkeit
Bindung bedeutet demnach ein lang anhaltendes emotionales Band zu ganz bestimmten Personen, die nicht beliebig austauschbar sind. Ihre Nähe und Unterstützung sucht das Kind, wenn es den Schmerz, die Angst oder Trauer nicht mehr selbstständig bewältigen kann.
Zu den Eigenschaften einer Bindungsperson zähle etwa ein feinfühliger Charakter, der auf die Emotionen des Kindes reagiere, so Brisch. Gemeinsam Zeit zu verbringen, reiche allein nicht aus. Nur wer fürsorglich sei, könne einem weinenden Kind Trost spenden. Erst dann handle die Bindungsperson bedarfsgerecht.
Es gibt allerdings auch Kritik an dieser Bindungstheorie. Heidi Keller, Psychologin an der Hebrew University in Jerusalem, kritisiert in ihrem Buch “Mythos Bindungstheorie” zum Beispiel, dass die Bindungstheorie im Westen eine Allgemeingültigkeit beanspruche.
Aufschlussreiche Langzeitstudie
Schließlich sei es in vielen Kulturen nicht üblich, dass sich nur die Eltern um das Kind kümmern – auch Verwandte, die Großeltern, Geschwister und Nachbarn spielten bei der Erziehung eine große Rolle. In vielen Kulturen würden Säuglinge und Kleinkinder von Beziehungsnetzwerken betreut, so Keller. Als Professorin für Psychologie hat Heidi Keller jahrzehntelang erforscht, wie Kinder in verschiedenen Kulturen aufwachsen. Dafür war sie in afrikanischen Ländern, in Indien, Südamerika, den USA, Europa und im Nahen Osten unterwegs – in großen Städten und entlegenen Dörfern.
Entscheidend für eine emotional gesunde Entwicklung sei, in der Kindheit genug Liebe und Zuwendung von einer Bindungsperson zu bekommen. Und das müssen nicht die Mütter oder Eltern sein. Der Kontakt zu anderen Menschen sei besonders wichtig, um soziale Fähigkeiten zu erwerben und zu erweitern. Davon würden die Kinder nur profitieren.
Bindung hat nichts mit Verwandtschaft zu tun
Außerdem könne die ständige Verfügbarkeit, das Bedürfnis permanent auf die Wünsche des Kindes einzugehen, bei manchen Frauen Erschöpfung oder Burnout auslösen, meint Keller. Denn am Ende stehe die Mutter meist alleine da – oft auch ohne den Vater.
Keller verweist auf eine wegweisende Langzeitstudie der US-Psychologinnen Emmi Werner und Ruth Smith, die Hunderte Kinder über 40 Jahre lang begleiteten und die allesamt 1955 auf der Insel Kauai geboren worden waren.
Ein Drittel der Kinder wuchs in schwierigen Familienverhältnisse oder in Armut auf. Aber trotzdem entwickelten sich diese Kinder erfolgreich und ohne Verhaltensauffälligkeiten. Grund dafür waren der Studie zufolge nicht die Bindung an Mutter oder Vater – sondern die Beziehungen zu Gleichaltrigen, Nachbarn, Lehrern oder auch zu Ersatzeltern. Keine Theorie, sondern eine gute Beziehung zu einer Bindungsperson, die sich kümmert, ist aus Sicht der Psychologin für die Kindererziehung förderlich.
“Man kann in der Wahl seiner Eltern nicht vorsichtig genug sein”, schrieb der Psychologe Paul Watzlawick einmal augenzwinkernd, denn die engste Bezugs- bzw. Bindungsperson im frühsten Kindesalter hat eine enorm prägende Verantwortung, schließlich haben viele psychische Erkrankungen ihren Ursprung in der Kindheit.
Auch der Kinder- und Jugendpsychiater Karl Heinz Frisch bestätigt, dass Kinder priorisieren und meistens eine oder zwei Bindungspersonen haben: “Kinder hierarchisieren in der Regel, je nachdem wer feinfühliger mit ihnen umgeht.” Dies müssten nicht unbedingt Mutter und Vater, sondern könnten auch andere Menschen sein.
“Bindung hat nichts mit biologischer Verwandtschaft zu tun”, erläutert Brisch. Dass sich Kinder eher zu Blutsverwandten hingezogen fühlten, sei wissenschaftlich nicht belegt.