Europäische Rabbinerkonferenz in München
Nie zuvor waren so viele Rabbiner nach Deutschland gekommen. 250 jüdische Geistliche waren drei Tage in München, dem Ort, in dem der Nationalsozialismus entstand. Wie ist das, wenn Rabbiner hierzulande unterwegs sind?
Aharon Brodman, der orthodoxe Münchner Rabbiner, erinnert an seinen Großvater, der in Auschwitz starb. Dann kommt er auf seinen Vater, der, 1936 geboren, mehrere Lager überlebte und in Dachau zu denen gehörte, an dem die Nazis in fürchterlicher Weise ausprobierten, wie Menschen hungern. “Mein Vater starb vor zwei Jahren”, sagt er und fragt sich selbst: “Wie ist das, dass ich hier stehe, hier in Dachau?”
Brodman spricht in der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Dachau. Dieses erste deutsche Konzentrationslager wurde im März 1933 errichtet, nur einige Wochen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Der deutsche Ort des Schreckens blieb zwölf Jahre in Betrieb. Hier waren mehr als 200.000 Häftlinge interniert, darunter 50.000 Juden. 41.000 Menschen ließen in Dachau ihr Leben.
Aharon Brodman, der orthodoxe Münchner Rabbiner, erinnert an seinen Großvater, der in Auschwitz starb. Dann kommt er auf seinen Vater, der, 1936 geboren, mehrere Lager überlebte und in Dachau zu denen gehörte, an dem die Nazis in fürchterlicher Weise ausprobierten, wie Menschen hungern. “Mein Vater starb vor zwei Jahren”, sagt er und fragt sich selbst: “Wie ist das, dass ich hier stehe, hier in Dachau?”
Zu Brodmans Zuhörern zählen Dutzende Rabbiner aus ganz Europa. Andere kommen aus Marokko, dem Iran, aus Mexiko oder Kolumbien. Sie hören die Worte, steigen schweigend hinab zum Gedenkort, der von einem vergoldeten siebenarmigen Leuchter überragt wird. “Es ist ein Ort des Erschreckens, ein Ort von so viel Leid”, sagt Brodman.
Rabbiner in der “Hauptstadt der Bewegung”
Der Besuch in Dachau ist der Abschluss der dreitägigen Generalversammlung der Europäischen Rabbinerkonferenz, kurz CER. Es sind historische Tage: Nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren so viele Rabbiner, 300 jüdische Geistliche, gleichzeitig in Deutschland.
Nach Berlin 2013 ist es erst die zweite Generalversammlung in Deutschland. Der CER-Präsident, Rabbiner Pinchas Goldschmidt, benutzt in einem 15-minütigen Interview mit der Deutschen Welle in englischer Sprache nur drei deutsche Begriffe: “Altes Rathaus”, “Reichskristallnacht” und, “Pogromnacht”.
Dann erinnert er daran, dass der Propagandaminister der Hitler-Regierung, Joseph Goebbels, die Bevölkerung zu den gewalttätigen Angriffen auf Juden und den Zerstörungen der Synagogen am 9. November 1938 im Alten Rathaus von München aufstachelte.
München, die “Hauptstadt der Bewegung”, wie sie einst hieß, der braunen Nazi-Bewegung. Und nun hat ausgerechnet München so viele Rabbiner zu Gast wie keine deutsche Stadt zuvor. Eigentlich ein willkommener Anlass für die deutsche Politik, dies zu betonen. Doch kein Bundespräsident und auch kein Mitglied des Bundeskabinetts schaut vorbei oder spricht zumindest ein Grußwort per Video.
Zumindest Bayerns Ministerpräsident Markus Söder tritt am Montag vor die Rabbiner. Der CSU-Politiker begrüßt sie mit dem ihm eigenen Charme – “ein herzliches Shalom” – in lockerer Rede, spricht vom “Schicksal” der Shoa, dankt für den Besuch, zeigt sich gerührt und ermuntert die Rabbiner zweimal, in der Stadt auch Geld auszugeben.
Dann regt Söder an, dass die europäischen Rabbiner ihre alle zwei Jahre stattfindenden Großtreffen immer in München abhalten könnten. Die Landesregierung würde alle ihr mögliche Hilfe anbieten. Noch bis zum Ende der Konferenz ist spürbar, wie das einige der Rabbiner beeindruckt.
Aber 250 orthodoxe Rabbiner aus 47 Ländern, deutlich als gläubige Juden erkennbar – das ist für Deutschland auch eine Sicherheitsfrage. Schon vor Tagungsbeginn ziehen auch nachts Polizeibeamte um das Hotel im Münchner Osten. Während der gesamten Tage sind Sicherheitskräfte in Zivil im Gebäude unterwegs.
Am Dienstag fahren zwölf Rabbiner in einem Bus zum Münchner Olympiapark, um dort der elf israelischen Sportler zu gedenken, die bei den Olympischen Spielen 1972 von palästinensischen Terroristen ermordet wurden. Vor Ort sind einige Dutzend Polizisten im Einsatz, die Gruppe ist unübersehbar. Ein ähnliches Bild beim Besuch der Rabbiner in der KZ-Gedenkstätte Dachau.
Deutschland im Jahr 2022: Die Zahl der judenfeindlichen Übergriffe steigt, die Politik beginnt in den vergangenen Jahren aber, aktiver zu handeln, rechtlich und sicherheitspolitisch. Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, bekräftigt vor den Rabbinern, die Politik handele entschlossen und werde auch weitere Schritte gehen.
Klein sagt, es gebe “keinen harmlosen Antisemitismus”, Deutschland sei auf einem guten Weg, die Herausforderung des “Antisemitismus in den Griff zu bekommen”. Und wiederholt kommt die Mahnung, Hass im Netz und Antisemitismus in bestimmten muslimischen Milieus stärker zu bekämpfen.
Der CER-Präsident, Rabbiner Pinchas Goldschmidt, nennt das Aufblühen neuer jüdischer Gemeinden in Deutschland ein “Wunder”, es “gebe wieder jüdisches Leben in Deutschland.” Wenn Goldschmidt vor Antisemitismus und Einschränkungen der Religionsfreiheit warnt, hat er stets ganz Europa im Blick. Wenn in einem Land beispielsweise die Beschneidung von neugeborenen Jungen oder das Schächten, das rituelle Schlachten, verboten würde, werde dort jüdisches Leben unmöglich und Juden müssten das Land verlassen.
Daniel Höltgen, beim Europarat Sonderbeauftragter für antisemitische, antimuslimische und andere Formen religiöser Intoleranz und Hasskriminalität, wirbt dafür, den muslimischen Antisemitismus anzugehen. Es müssten sich auch Religionsgemeinschaften und Zivilgesellschaften stärker engagieren. Höltgen setzt auf “Graswurzel-Begegnungen”, auf lokale Initiativen, die das Thema konkret angehen sollten.
Wie zum Beispiel in Malmö, eine Stadt, die lange Zeit berüchtigt war für ihren Hass auf Juden. Aus keiner Stadt Schwedens zogen mehr Juden weg. Dort bringt der junge Rabbiner Moshe David HaCohen nun jüdische und muslimische Jugendliche zusammen. Vielleicht ein Beispiel für andere Rabbiner.
Der Kampf gegen Antisemitismus ist ein Schwerpunkt des Treffens, bei ihren Vollversammlungen erörtern die Rabbiner stets auch Fragen des religiösen Rechts oder liturgischer Regelungen. Es geht auch um Vorgaben, um sexuellen Missbrauch zu verhindern. Aber alle Themen werden überschattet von der russischen Aggression gegen die Ukraine, viele der Rabbiner haben Verwandte in der Region. Der Koordinator der CER-Flüchtlingshilfe, Polens Oberrabbiner Michael Schudrich, schildert drastische Schicksale von Holocaust-Überlebenden aus der Ostukraine.
Und auch die Lage der Juden in Russland verändert sich. “Ein signifikanter Teil der Juden hat das Land bereits verlassen”, sagt Rabbiner Goldschmidt, der selbst Oberrabbiner von Moskau ist. “Und ein weiterer signifikanter Teil erwägt, diesen Schritt zu gehen.” Goldschmidt lebt derzeit überwiegend in Jerusalem.
Wie keine andere Person verkörpert die große alte Dame der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, die 89-jährige Charlotte Knobloch, die Spannung dieser Tage. Sie überlebte als Kind die Nazi-Zeit im Versteck, hielt lange jüdisches Leben in Deutschland nicht mehr für möglich.In Dachau hält sie die beeindruckendste Rede. Der Ort mahne “wie kein anderer in Deutschland an das ‘Nie Wieder’. Nie wieder Ausgrenzung, nie wieder Entrechtung!”
Der Weg in die KZ-Gedenkstätte, sagt sie den Rabbinern, sei “für alle von ihnen kein leichter Schritt. Und hier in Dachau sehen wir, warum dieser Schritt so schwer bleibt.” Das gelte es, bleibend zu erinnern. Es komme bald “die Zeit ohne Zeitzeugen. Die Verantwortung bleibt gleich.” Aber zugleich schwärmt Knobloch in diesen Tagen immer wieder von diesem blühenden jüdischen Leben in Deutschland, das sie nie für möglich gehalten hätte. Von neuen Synagogen und von lebendigen Gemeinden.
Aharon Brodman, der orthodoxe Münchner Rabbiner, erinnert an seinen Großvater, der in Auschwitz starb. Dann kommt er auf seinen Vater, der, 1936 geboren, mehrere Lager überlebte und in Dachau zu denen gehörte, an dem die Nazis in fürchterlicher Weise ausprobierten, wie Menschen hungern. “Mein Vater starb vor zwei Jahren”, sagt er und fragt sich selbst: “Wie ist das, dass ich hier stehe, hier in Dachau?”
Brodman spricht in der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Dachau. Dieses erste deutsche Konzentrationslager wurde im März 1933 errichtet, nur einige Wochen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Der deutsche Ort des Schreckens blieb zwölf Jahre in Betrieb. Hier waren mehr als 200.000 Häftlinge interniert, darunter 50.000 Juden. 41.000 Menschen ließen in Dachau ihr Leben.
Rabbiner in der “Hauptstadt der Bewegung”
Zu Brodmans Zuhörern zählen Dutzende Rabbiner aus ganz Europa. Andere kommen aus Marokko, dem Iran, aus Mexiko oder Kolumbien. Sie hören die Worte, steigen schweigend hinab zum Gedenkort, der von einem vergoldeten siebenarmigen Leuchter überragt wird. “Es ist ein Ort des Erschreckens, ein Ort von so viel Leid”, sagt Brodman.
Der Besuch in Dachau ist der Abschluss der dreitägigen Generalversammlung der Europäischen Rabbinerkonferenz, kurz CER. Es sind historische Tage: Nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren so viele Rabbiner, 300 jüdische Geistliche, gleichzeitig in Deutschland.
Nach Berlin 2013 ist es erst die zweite Generalversammlung in Deutschland. Der CER-Präsident, Rabbiner Pinchas Goldschmidt, benutzt in einem 15-minütigen Interview mit der Deutschen Welle in englischer Sprache nur drei deutsche Begriffe: “Altes Rathaus”, “Reichskristallnacht” und, “Pogromnacht”.
Dann erinnert er daran, dass der Propagandaminister der Hitler-Regierung, Joseph Goebbels, die Bevölkerung zu den gewalttätigen Angriffen auf Juden und den Zerstörungen der Synagogen am 9. November 1938 im Alten Rathaus von München aufstachelte.
Markus Söder mit “herzlichem Shalom”
München, die “Hauptstadt der Bewegung”, wie sie einst hieß, der braunen Nazi-Bewegung. Und nun hat ausgerechnet München so viele Rabbiner zu Gast wie keine deutsche Stadt zuvor. Eigentlich ein willkommener Anlass für die deutsche Politik, dies zu betonen. Doch kein Bundespräsident und auch kein Mitglied des Bundeskabinetts schaut vorbei oder spricht zumindest ein Grußwort per Video.
Rabbinertreffen unter strengen Sicherheitsvorkehrungen
Zumindest Bayerns Ministerpräsident Markus Söder tritt am Montag vor die Rabbiner. Der CSU-Politiker begrüßt sie mit dem ihm eigenen Charme – “ein herzliches Shalom” – in lockerer Rede, spricht vom “Schicksal” der Shoa, dankt für den Besuch, zeigt sich gerührt und ermuntert die Rabbiner zweimal, in der Stadt auch Geld auszugeben.
Dann regt Söder an, dass die europäischen Rabbiner ihre alle zwei Jahre stattfindenden Großtreffen immer in München abhalten könnten. Die Landesregierung würde alle ihr mögliche Hilfe anbieten. Noch bis zum Ende der Konferenz ist spürbar, wie das einige der Rabbiner beeindruckt.
Aber 250 orthodoxe Rabbiner aus 47 Ländern, deutlich als gläubige Juden erkennbar – das ist für Deutschland auch eine Sicherheitsfrage. Schon vor Tagungsbeginn ziehen auch nachts Polizeibeamte um das Hotel im Münchner Osten. Während der gesamten Tage sind Sicherheitskräfte in Zivil im Gebäude unterwegs.
“Es gibt keinen harmlosen Antisemitismus”
Am Dienstag fahren zwölf Rabbiner in einem Bus zum Münchner Olympiapark, um dort der elf israelischen Sportler zu gedenken, die bei den Olympischen Spielen 1972 von palästinensischen Terroristen ermordet wurden. Vor Ort sind einige Dutzend Polizisten im Einsatz, die Gruppe ist unübersehbar. Ein ähnliches Bild beim Besuch der Rabbiner in der KZ-Gedenkstätte Dachau.
Deutschland im Jahr 2022: Die Zahl der judenfeindlichen Übergriffe steigt, die Politik beginnt in den vergangenen Jahren aber, aktiver zu handeln, rechtlich und sicherheitspolitisch. Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, bekräftigt vor den Rabbinern, die Politik handele entschlossen und werde auch weitere Schritte gehen.
Die Hoffnung auf Graswurzel-Begegnungen
Klein sagt, es gebe “keinen harmlosen Antisemitismus”, Deutschland sei auf einem guten Weg, die Herausforderung des “Antisemitismus in den Griff zu bekommen”. Und wiederholt kommt die Mahnung, Hass im Netz und Antisemitismus in bestimmten muslimischen Milieus stärker zu bekämpfen.
“Die Juden verlassen Russland”
Der CER-Präsident, Rabbiner Pinchas Goldschmidt, nennt das Aufblühen neuer jüdischer Gemeinden in Deutschland ein “Wunder”, es “gebe wieder jüdisches Leben in Deutschland.” Wenn Goldschmidt vor Antisemitismus und Einschränkungen der Religionsfreiheit warnt, hat er stets ganz Europa im Blick. Wenn in einem Land beispielsweise die Beschneidung von neugeborenen Jungen oder das Schächten, das rituelle Schlachten, verboten würde, werde dort jüdisches Leben unmöglich und Juden müssten das Land verlassen.
Daniel Höltgen, beim Europarat Sonderbeauftragter für antisemitische, antimuslimische und andere Formen religiöser Intoleranz und Hasskriminalität, wirbt dafür, den muslimischen Antisemitismus anzugehen. Es müssten sich auch Religionsgemeinschaften und Zivilgesellschaften stärker engagieren. Höltgen setzt auf “Graswurzel-Begegnungen”, auf lokale Initiativen, die das Thema konkret angehen sollten.
Wie zum Beispiel in Malmö, eine Stadt, die lange Zeit berüchtigt war für ihren Hass auf Juden. Aus keiner Stadt Schwedens zogen mehr Juden weg. Dort bringt der junge Rabbiner Moshe David HaCohen nun jüdische und muslimische Jugendliche zusammen. Vielleicht ein Beispiel für andere Rabbiner.
Der Kampf gegen Antisemitismus ist ein Schwerpunkt des Treffens, bei ihren Vollversammlungen erörtern die Rabbiner stets auch Fragen des religiösen Rechts oder liturgischer Regelungen. Es geht auch um Vorgaben, um sexuellen Missbrauch zu verhindern. Aber alle Themen werden überschattet von der russischen Aggression gegen die Ukraine, viele der Rabbiner haben Verwandte in der Region. Der Koordinator der CER-Flüchtlingshilfe, Polens Oberrabbiner Michael Schudrich, schildert drastische Schicksale von Holocaust-Überlebenden aus der Ostukraine.
Und auch die Lage der Juden in Russland verändert sich. “Ein signifikanter Teil der Juden hat das Land bereits verlassen”, sagt Rabbiner Goldschmidt, der selbst Oberrabbiner von Moskau ist. “Und ein weiterer signifikanter Teil erwägt, diesen Schritt zu gehen.” Goldschmidt lebt derzeit überwiegend in Jerusalem.
Wie keine andere Person verkörpert die große alte Dame der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, die 89-jährige Charlotte Knobloch, die Spannung dieser Tage. Sie überlebte als Kind die Nazi-Zeit im Versteck, hielt lange jüdisches Leben in Deutschland nicht mehr für möglich.In Dachau hält sie die beeindruckendste Rede. Der Ort mahne “wie kein anderer in Deutschland an das ‘Nie Wieder’. Nie wieder Ausgrenzung, nie wieder Entrechtung!”
Der Weg in die KZ-Gedenkstätte, sagt sie den Rabbinern, sei “für alle von ihnen kein leichter Schritt. Und hier in Dachau sehen wir, warum dieser Schritt so schwer bleibt.” Das gelte es, bleibend zu erinnern. Es komme bald “die Zeit ohne Zeitzeugen. Die Verantwortung bleibt gleich.” Aber zugleich schwärmt Knobloch in diesen Tagen immer wieder von diesem blühenden jüdischen Leben in Deutschland, das sie nie für möglich gehalten hätte. Von neuen Synagogen und von lebendigen Gemeinden.
Deshalb soll dieser Bericht auch nicht in Dachau enden. Beim Abschlussabend zuvor feiern die 300 Rabbiner bis weit nach Mitternacht, chassidische Rockmusik mit frommen und lebensfrohen Texten dröhnt durch den Saal. Und die Rabbiner, alt und jung, tanzen ausgelassen vor der Bühne. Auch das ist jüdisches Leben 2022.