Somewhere Over the Rainbow: Judy Garland zum 100. Geburtstag
Wunderkind, Hollywood-Diva, Musical-Star, Schwulenikone: Judy Garland wurde nur 47 Jahre alt. Ihr Leben glich einer Achterbahnfahrt, die mit einer Überdosis Tabletten endete.
“Es ist dein Job, die Menschen träumen zu lassen”, sagt Filmboss Louis B. Mayer zur jugendlichen Judy Garland. Und er rät ihr, dafür zu sorgen, dass sie ihre schlanke Figur und ihre Singstimme nicht verliert: “Wenn du eine Legende werden willst, arbeite hart, gehorche und gehe für immer auf Diät.”
Mit dieser Szene beginnt das Biopic “Judy” (2019) mit Renée Zellweger in der Hauptrolle. Zellweger spielt die ältere Judy Garland, den ehemaligen Star, der seine großen Erfolge, wiederholte Abstürze und Comebacks hinter sich hat, der mit Mitte 40 noch einmal versucht, im Showbiz und im Leben Fuß zu fassen – und bitter scheitert.
“Es ist dein Job, die Menschen träumen zu lassen”, sagt Filmboss Louis B. Mayer zur jugendlichen Judy Garland. Und er rät ihr, dafür zu sorgen, dass sie ihre schlanke Figur und ihre Singstimme nicht verliert: “Wenn du eine Legende werden willst, arbeite hart, gehorche und gehe für immer auf Diät.”
Am 10. Juni 1922 kommt Judy Garland zur Welt – und bereits als Kleinkind schleift ihre Mutter sie auf die Bühne. Ein Star soll sie werden, und die Rechnung geht auf. Mit 17 Jahren bekommt Judy Garland die Rolle ihres Lebens: die Dorothy in “Der Zauberer von Oz”. Zum Soundtrack gehört die sehnsüchtige Ballade “Somewhere Over The Rainbow”. Mit Judys Stimme wird das Lied zum Welthit und der Teenie zum Weltstar. Hollywood liebt und umgarnt sie und gleichzeitig zermalmt es die junge Künstlerin. Ihr wird eingetrichtert, dass sie schlank und fit zu bleiben hat. Damit das Mädchen funktioniert, bekommt es Drogen und Tabletten: Aufputschmittel, damit sie am Set fit ist, Schlafmittel für die Nacht und Diätpillen, damit sie ihre schmale Taille behält.
Unsichtbares Drama
Dies alles sieht das Publikum nicht. Es trägt sie auf Händen. Und Judy spielt und singt fröhliche oder melodramatische Lieder, als ginge es um ihr Leben. Während sie einen Erfolgsfilm nach dem anderen dreht und mit ihrer dunklen, kräftigen Gesangsstimme die Menschen in ihren Bann zieht, kämpft sie gegen ihre Dämonen: Tabletten- und Alkoholsucht, Entzug und Rückfall. Vier Ehen werden geschieden – aber bis zum Schluss ist sie stolze Mutter ihrer drei Kinder. Sie ist gerade drei Monate mit ihrem fünften Mann verheiratet, als sie an einer Überdosis Tabletten stirbt. “Versehentlich” ist die offizielle Lesart, ob es Selbstmord war, ist bis heute nicht sicher geklärt.
Ein Leben wie das von Judy Garland schreit geradezu nach Legendenbildung. Heute wird sie in der queeren Szene ganz besonders gefeiert. Aus mehreren Gründen. Als der Film “Der Zauberer von Oz” 1939 in die Kinos kommt, gilt Homosexualität in den USA, wie in vielen anderen Teilen der Welt, als Verbrechen. Queeres Leben findet hinter verschlossenen Türen statt. Auch in Hollywood ist das undenkbar, wobei die halbe Filmindustrie oder deren Angehörige heimlich homo- oder bisexuell sind. So wird auch Judy Garlands Vater nachgesagt, er habe Vorlieben für Männer gehabt – und Judys zweiter Ehemann Vincente Minnelli (ihre gemeinsame Tochter Liza Minnelli ist eine weitere Schwulen-Ikone) soll bisexuell gewesen sein.
Die queere Szene der USA muss sich also jahrzehntelang vor dem Gesetz verstecken – in manchen Bundesstaaten bis ins 21. Jahrhundert hinein. Als Codewort etabliert sich in den 1940er-Jahren “Friends of Dorothy”. Bei Garlands Konzerten sind häufig mehr Männer als Frauen im Publikum – die Presse der 1960er-Jahre spricht von “Männern in engen Hosen” – und alle wissen, wer damit gemeint ist.
Auch als Judy Garland am 27. Juni 1969 in New York beerdigt wird, sind unter den 22.000 Anwesenden auffällig viele Männer, und einige von ihnen tragen eine Regenbogenfahne.
Ob es Zufall ist oder nicht – am Tag nach Garlands Beerdigung beginnen im New Yorker Stadtteil Greenwich Village die “Stonewall-Unruhen”. Nach einer Razzia in der Bar “Stonewall Inn” in der Christopher Street brechen Demonstrationen und Straßenkämpfe aus, die den Beginn der homosexuellen Emanzipationsbewegung markieren.
Und so ist es nicht allzu überraschend, dass der 100. Geburtstag der Judy Garland bereits seit Tagen in der Christopher Street begangen wird – vor dem Gebäude des ehemaligen “Stonewall Inn” und in der ganzen Straße wehen Regenbogenfahnen.
Das Lied “Somewhere Over The Rainbow” gehört zu den inoffiziellen Hymnen der LGBTQI-Gemeinschaft. Es wird sogar vermutet, dass dieses Lied die Inspiration für die Regenbogenfahne war. Sie ist das Symbol für die Akzeptanz und Gleichberechtigung von Menschen jeder sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität, ein stolzes Bekenntnis zur eigenen Sexualität und ein Zeichen für Toleranz und Diversität.
In dem Filmsong wünscht sich die junge Dorothy auf die andere Seite des Regenbogens. Der Film ist in schwarz-weiß gehalten – bis Dorothy tatsächlich hinterm Regenbogen landet, in einer knatschbunten und verrückten Welt, in der jeder sein darf, wie er ist.
Der Regenbogen steht für unerfüllte Wünsche und Träume, auch für die Sehnsucht nach einem besseren Leben. Judy Garland sagt Jahre später über dieses Lied: “Ich wollte an den Regenbogen glauben, und ich habe mein Bestes gegeben, um daran zu glauben. Ich habe versucht, rüberzukommen, aber ich konnte es nicht! Na und? Viele Leute können es nicht!”
Mit den Jahren und Jahrzehnten verändert sich auch Judy Garlands Interpretation dieses Songs. Hat sie es als Jugendliche noch sehnsüchtig melancholisch gesungen, so wird aus dem Lied, je älter sie wird und je länger es an ihr geradezu klebt, ein Spiegelbild ihrer Seele. In einer Weihnachtsshow 1955 widmet sie das Lied ihren Kindern und singt es mit einer unendlichen Traurigkeit. Drei Monate vor ihrem Tod trägt sie den Song zum letzten Mal in der Öffentlichkeit vor – es klingt nahezu verzweifelt mit einem Schuss Trotz.
Die Liste der Coverversionen ist unendlich lang. Zu den etwa 1500 aufgenommenen und bei den Verwertungsgesellschaften dokumentierten Versionen kommen unzählige weitere dazu. Die ganz Großen hatten das Lied in ihrem Repertoire: Ella Fitzgerald, Frank Sinatra, Aretha Franklin, Tony Bennett, Ray Charles, Barbra Streisand, Doris Day, bis hin zum deutschen Anarcho-Poeten Rio Reiser oder der Berliner Techno-Djane Marusha.
Zu einem großen Hit wurde das Lied in einer zuckersüßen Ukulelenversion des Hawaiianers Israel “IZ” Kamakawiwo’ole im Jahr 2010. Der war damals längst gestorben – die Menschen feierten eine Aufnahme, die der an Fettsucht erkrankte Sänger bereits 1990 eingespielt hatte.
Ob geschmettert, gehaucht, geträllert oder einfach nur gesungen – bis heute öffnet das Lied Herzen und erweckt eine melancholische Sehnsucht.
“Es ist dein Job, die Menschen träumen zu lassen”, sagt Filmboss Louis B. Mayer zur jugendlichen Judy Garland. Und er rät ihr, dafür zu sorgen, dass sie ihre schlanke Figur und ihre Singstimme nicht verliert: “Wenn du eine Legende werden willst, arbeite hart, gehorche und gehe für immer auf Diät.”
Mit dieser Szene beginnt das Biopic “Judy” (2019) mit Renée Zellweger in der Hauptrolle. Zellweger spielt die ältere Judy Garland, den ehemaligen Star, der seine großen Erfolge, wiederholte Abstürze und Comebacks hinter sich hat, der mit Mitte 40 noch einmal versucht, im Showbiz und im Leben Fuß zu fassen – und bitter scheitert.
Unsichtbares Drama
Am 10. Juni 1922 kommt Judy Garland zur Welt – und bereits als Kleinkind schleift ihre Mutter sie auf die Bühne. Ein Star soll sie werden, und die Rechnung geht auf. Mit 17 Jahren bekommt Judy Garland die Rolle ihres Lebens: die Dorothy in “Der Zauberer von Oz”. Zum Soundtrack gehört die sehnsüchtige Ballade “Somewhere Over The Rainbow”. Mit Judys Stimme wird das Lied zum Welthit und der Teenie zum Weltstar. Hollywood liebt und umgarnt sie und gleichzeitig zermalmt es die junge Künstlerin. Ihr wird eingetrichtert, dass sie schlank und fit zu bleiben hat. Damit das Mädchen funktioniert, bekommt es Drogen und Tabletten: Aufputschmittel, damit sie am Set fit ist, Schlafmittel für die Nacht und Diätpillen, damit sie ihre schmale Taille behält.
Dies alles sieht das Publikum nicht. Es trägt sie auf Händen. Und Judy spielt und singt fröhliche oder melodramatische Lieder, als ginge es um ihr Leben. Während sie einen Erfolgsfilm nach dem anderen dreht und mit ihrer dunklen, kräftigen Gesangsstimme die Menschen in ihren Bann zieht, kämpft sie gegen ihre Dämonen: Tabletten- und Alkoholsucht, Entzug und Rückfall. Vier Ehen werden geschieden – aber bis zum Schluss ist sie stolze Mutter ihrer drei Kinder. Sie ist gerade drei Monate mit ihrem fünften Mann verheiratet, als sie an einer Überdosis Tabletten stirbt. “Versehentlich” ist die offizielle Lesart, ob es Selbstmord war, ist bis heute nicht sicher geklärt.
Ein Leben wie das von Judy Garland schreit geradezu nach Legendenbildung. Heute wird sie in der queeren Szene ganz besonders gefeiert. Aus mehreren Gründen. Als der Film “Der Zauberer von Oz” 1939 in die Kinos kommt, gilt Homosexualität in den USA, wie in vielen anderen Teilen der Welt, als Verbrechen. Queeres Leben findet hinter verschlossenen Türen statt. Auch in Hollywood ist das undenkbar, wobei die halbe Filmindustrie oder deren Angehörige heimlich homo- oder bisexuell sind. So wird auch Judy Garlands Vater nachgesagt, er habe Vorlieben für Männer gehabt – und Judys zweiter Ehemann Vincente Minnelli (ihre gemeinsame Tochter Liza Minnelli ist eine weitere Schwulen-Ikone) soll bisexuell gewesen sein.
Die queere Szene der USA muss sich also jahrzehntelang vor dem Gesetz verstecken – in manchen Bundesstaaten bis ins 21. Jahrhundert hinein. Als Codewort etabliert sich in den 1940er-Jahren “Friends of Dorothy”. Bei Garlands Konzerten sind häufig mehr Männer als Frauen im Publikum – die Presse der 1960er-Jahre spricht von “Männern in engen Hosen” – und alle wissen, wer damit gemeint ist.
Legende in der queeren Szene
Auch als Judy Garland am 27. Juni 1969 in New York beerdigt wird, sind unter den 22.000 Anwesenden auffällig viele Männer, und einige von ihnen tragen eine Regenbogenfahne.
Ein Lied mit viel Interpretationsspielraum
Ob es Zufall ist oder nicht – am Tag nach Garlands Beerdigung beginnen im New Yorker Stadtteil Greenwich Village die “Stonewall-Unruhen”. Nach einer Razzia in der Bar “Stonewall Inn” in der Christopher Street brechen Demonstrationen und Straßenkämpfe aus, die den Beginn der homosexuellen Emanzipationsbewegung markieren.
Und so ist es nicht allzu überraschend, dass der 100. Geburtstag der Judy Garland bereits seit Tagen in der Christopher Street begangen wird – vor dem Gebäude des ehemaligen “Stonewall Inn” und in der ganzen Straße wehen Regenbogenfahnen.
Das Lied “Somewhere Over The Rainbow” gehört zu den inoffiziellen Hymnen der LGBTQI-Gemeinschaft. Es wird sogar vermutet, dass dieses Lied die Inspiration für die Regenbogenfahne war. Sie ist das Symbol für die Akzeptanz und Gleichberechtigung von Menschen jeder sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität, ein stolzes Bekenntnis zur eigenen Sexualität und ein Zeichen für Toleranz und Diversität.
Eines der am häufigsten gecoverten Lieder
In dem Filmsong wünscht sich die junge Dorothy auf die andere Seite des Regenbogens. Der Film ist in schwarz-weiß gehalten – bis Dorothy tatsächlich hinterm Regenbogen landet, in einer knatschbunten und verrückten Welt, in der jeder sein darf, wie er ist.
Der Regenbogen steht für unerfüllte Wünsche und Träume, auch für die Sehnsucht nach einem besseren Leben. Judy Garland sagt Jahre später über dieses Lied: “Ich wollte an den Regenbogen glauben, und ich habe mein Bestes gegeben, um daran zu glauben. Ich habe versucht, rüberzukommen, aber ich konnte es nicht! Na und? Viele Leute können es nicht!”
Mit den Jahren und Jahrzehnten verändert sich auch Judy Garlands Interpretation dieses Songs. Hat sie es als Jugendliche noch sehnsüchtig melancholisch gesungen, so wird aus dem Lied, je älter sie wird und je länger es an ihr geradezu klebt, ein Spiegelbild ihrer Seele. In einer Weihnachtsshow 1955 widmet sie das Lied ihren Kindern und singt es mit einer unendlichen Traurigkeit. Drei Monate vor ihrem Tod trägt sie den Song zum letzten Mal in der Öffentlichkeit vor – es klingt nahezu verzweifelt mit einem Schuss Trotz.
Die Liste der Coverversionen ist unendlich lang. Zu den etwa 1500 aufgenommenen und bei den Verwertungsgesellschaften dokumentierten Versionen kommen unzählige weitere dazu. Die ganz Großen hatten das Lied in ihrem Repertoire: Ella Fitzgerald, Frank Sinatra, Aretha Franklin, Tony Bennett, Ray Charles, Barbra Streisand, Doris Day, bis hin zum deutschen Anarcho-Poeten Rio Reiser oder der Berliner Techno-Djane Marusha.
Zu einem großen Hit wurde das Lied in einer zuckersüßen Ukulelenversion des Hawaiianers Israel “IZ” Kamakawiwo’ole im Jahr 2010. Der war damals längst gestorben – die Menschen feierten eine Aufnahme, die der an Fettsucht erkrankte Sänger bereits 1990 eingespielt hatte.
Ob geschmettert, gehaucht, geträllert oder einfach nur gesungen – bis heute öffnet das Lied Herzen und erweckt eine melancholische Sehnsucht.