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Meinung: Julian Assange – Gradmesser für die Pressefreiheit

Englands Innenministerin Priti Patel hat die Auslieferung von Julian Assange an die USA verfügt. Doch die Verfolgung des Wikileaks-Gründers untergräbt die moralische Autorität des Westens, meint Matthias von Hein.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Bruch des Völkerrechts, Angriff auf die Pressefreiheit – Begriffe, die uns begegnen im Kontext des russischen Angriffs auf die Ukraine, der Verfolgung von Journalisten in Russland oder China oder anderen Diktaturen.

Zu Recht prangern westliche Politiker diese Verletzungen verbriefter Rechte immer wieder an. Und übersehen – mit Absicht oder ohne – permanent einen großen blinden Fleck. Dieser Fleck schmerzt. Und er hat einen Namen: Julian Assange.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Bruch des Völkerrechts, Angriff auf die Pressefreiheit – Begriffe, die uns begegnen im Kontext des russischen Angriffs auf die Ukraine, der Verfolgung von Journalisten in Russland oder China oder anderen Diktaturen.

Seit über drei Jahren wird der Enthüllungsjournalist im englischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh festgehalten. Schon zuvor war er jahrelang seiner Freiheit beraubt, als Assange in der Botschaft Ecuadors in London Zuflucht gesucht hatte. Angesichts der Verfolgung durch die USA, wo dem Wikileaks-Gründer 175 Jahren Haft drohen und der willigen Unterstützung durch Großbritanniens Justiz, erscheinen die moralisch aufgeladenen Sonntagsreden von wertebasierter Politik vor allem als eines: pure Heuchelei.

Mit Rucksack und Laptop die USA herausgefordert

Julian Assange gehört zu den Begründern des modernen Investigativ-Journalismus. Die Arbeit mit Whistleblowern, die große Datenmengen zur Verfügung stellen, hat mit der von ihm gegründeten Enthüllungsplattform Wikileaks ungeahnte Möglichkeiten eröffnet. Als Julian Assange mit nichts als einem Rucksack, einem Laptop und technischem Know-How massive Kriegsverbrechen und Völkerrechtsbrüche der USA aufdeckte, hat er ein für Militär-, Geheimdienst- und Regierungskreise gefährliches Modell geschaffen. Der Verdacht liegt nahe, dass Assange genau deshalb seit über zehn Jahren gnadenlos verfolgt wird: Whistleblower und Journalisten sollen abgeschreckt werden.

Insgesamt über zehn Millionen Geheimdokumente hat Wikileaks veröffentlicht. An deren Echtheit hat es nie Zweifel gegeben. Darunter so brisantes Material wie das im April 2010 veröffentlichte Video “Collateral Murder”. Es zeigt, wie in Bagdad 2007 aus einem Apache-Kampfhubschrauber heraus zwölf Zivilisten erschossen wurden, darunter zwei Reuters-Journalisten. Zwei Kinder überlebten schwer verletzt. Aus den im Herbst 2010 veröffentlichten “afghanischen Kriegstagebüchern” geht hervor, dass von 109.000 registrierten Kriegstoten in Afghanistan zwischen 2004 und 2010 rund zwei Drittel Zivilisten waren.   

Auch heute an diese Kriegsverbrechen zu erinnern, relativiert nicht die gegenwärtigen Verbrechen Russlands oder anderer Diktaturen. Es soll nur unterstreichen: Rechte sind unteilbar. Wenn Gesetze und Regeln nicht für alle gleichermaßen gelten, öffnet sich der Abgrund von Willkür und Ungerechtigkeit. Kriegsverbrechen müssen als Kriegsverbrechen angeprangert und verfolgt werden, egal wer sie begeht.  

Es muss verstören, dass im Zusammenhang mit den von Wikileaks aufgedeckten Kriegsverbrechen bisher niemand juristisch verfolgt wurde – außer derjenige, der sie enthüllt hat: Julian Assange.  

Wie passt dazu, dass US-Präsident Joe Biden im vergangenen Jahr beim “Gipfel der Demokratie” vollmundig die Pressefreiheit als Grundpfeiler der Demokratie bezeichnete? Der US-Präsident hätte es in der Hand, jederzeit das Verfahren gegen Assange zu stoppen – und damit nicht nur dem Menschen Julian Assange Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen, sondern auch Schaden vom Ansehen des Westens abzuwenden. Denn die Doppelmoral ist so augenfällig, dass sie beispielsweis von China gerne aufgespießt wird.

Praktisch alle Menschenrechtsorganisationen von Rang – von Amnesty International über den internationalen PEN bis zu Reporter ohne Grenzen – haben die sofortige Freilassung von Julian Assange gefordert. Noch Anfang Mai haben 37 Abgeordnete des Deutschen Bundestages in einem offenen Brief an die englische Innenministerin Priti Patel für die Freilassung des Wikileaks-Gründers plädiert; Mitte Mai 45 Abgeordnete des Europäischen Parlaments.

Der Umgang mit Julian Assange ist zum Gradmesser geworden, was die viel beschworene Freiheit der Presse wirklich wert ist, wie es um die bürgerlichen Freiheiten insgesamt steht. Die bisherige Bilanz des Verfahrens ist kein gutes Zeugnis. 

DW Kommentarbild Matthias von Hein

Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Bruch des Völkerrechts, Angriff auf die Pressefreiheit – Begriffe, die uns begegnen im Kontext des russischen Angriffs auf die Ukraine, der Verfolgung von Journalisten in Russland oder China oder anderen Diktaturen.

Zu Recht prangern westliche Politiker diese Verletzungen verbriefter Rechte immer wieder an. Und übersehen – mit Absicht oder ohne – permanent einen großen blinden Fleck. Dieser Fleck schmerzt. Und er hat einen Namen: Julian Assange.

Mit Rucksack und Laptop die USA herausgefordert

Seit über drei Jahren wird der Enthüllungsjournalist im englischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh festgehalten. Schon zuvor war er jahrelang seiner Freiheit beraubt, als Assange in der Botschaft Ecuadors in London Zuflucht gesucht hatte. Angesichts der Verfolgung durch die USA, wo dem Wikileaks-Gründer 175 Jahren Haft drohen und der willigen Unterstützung durch Großbritanniens Justiz, erscheinen die moralisch aufgeladenen Sonntagsreden von wertebasierter Politik vor allem als eines: pure Heuchelei.

Julian Assange gehört zu den Begründern des modernen Investigativ-Journalismus. Die Arbeit mit Whistleblowern, die große Datenmengen zur Verfügung stellen, hat mit der von ihm gegründeten Enthüllungsplattform Wikileaks ungeahnte Möglichkeiten eröffnet. Als Julian Assange mit nichts als einem Rucksack, einem Laptop und technischem Know-How massive Kriegsverbrechen und Völkerrechtsbrüche der USA aufdeckte, hat er ein für Militär-, Geheimdienst- und Regierungskreise gefährliches Modell geschaffen. Der Verdacht liegt nahe, dass Assange genau deshalb seit über zehn Jahren gnadenlos verfolgt wird: Whistleblower und Journalisten sollen abgeschreckt werden.

Insgesamt über zehn Millionen Geheimdokumente hat Wikileaks veröffentlicht. An deren Echtheit hat es nie Zweifel gegeben. Darunter so brisantes Material wie das im April 2010 veröffentlichte Video “Collateral Murder”. Es zeigt, wie in Bagdad 2007 aus einem Apache-Kampfhubschrauber heraus zwölf Zivilisten erschossen wurden, darunter zwei Reuters-Journalisten. Zwei Kinder überlebten schwer verletzt. Aus den im Herbst 2010 veröffentlichten “afghanischen Kriegstagebüchern” geht hervor, dass von 109.000 registrierten Kriegstoten in Afghanistan zwischen 2004 und 2010 rund zwei Drittel Zivilisten waren.   

Auch heute an diese Kriegsverbrechen zu erinnern, relativiert nicht die gegenwärtigen Verbrechen Russlands oder anderer Diktaturen. Es soll nur unterstreichen: Rechte sind unteilbar. Wenn Gesetze und Regeln nicht für alle gleichermaßen gelten, öffnet sich der Abgrund von Willkür und Ungerechtigkeit. Kriegsverbrechen müssen als Kriegsverbrechen angeprangert und verfolgt werden, egal wer sie begeht.  

Kriegsverbrechen sind Verbrechen – egal wer sie begeht 

Es muss verstören, dass im Zusammenhang mit den von Wikileaks aufgedeckten Kriegsverbrechen bisher niemand juristisch verfolgt wurde – außer derjenige, der sie enthüllt hat: Julian Assange.  

Gradmesser für die Wertschätzung von Pressefreiheit

Wie passt dazu, dass US-Präsident Joe Biden im vergangenen Jahr beim “Gipfel der Demokratie” vollmundig die Pressefreiheit als Grundpfeiler der Demokratie bezeichnete? Der US-Präsident hätte es in der Hand, jederzeit das Verfahren gegen Assange zu stoppen – und damit nicht nur dem Menschen Julian Assange Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen, sondern auch Schaden vom Ansehen des Westens abzuwenden. Denn die Doppelmoral ist so augenfällig, dass sie beispielsweis von China gerne aufgespießt wird.

Praktisch alle Menschenrechtsorganisationen von Rang – von Amnesty International über den internationalen PEN bis zu Reporter ohne Grenzen – haben die sofortige Freilassung von Julian Assange gefordert. Noch Anfang Mai haben 37 Abgeordnete des Deutschen Bundestages in einem offenen Brief an die englische Innenministerin Priti Patel für die Freilassung des Wikileaks-Gründers plädiert; Mitte Mai 45 Abgeordnete des Europäischen Parlaments.

Der Umgang mit Julian Assange ist zum Gradmesser geworden, was die viel beschworene Freiheit der Presse wirklich wert ist, wie es um die bürgerlichen Freiheiten insgesamt steht. Die bisherige Bilanz des Verfahrens ist kein gutes Zeugnis. 

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