Flüchtlinge auf der Balkanroute: Die Vergessenen
Die Welt schaut auf die Geflüchteten aus der Ukraine, andere werden vielfach vergessen. Dabei fliehen Millionen Menschen aus weiteren Ländern. Wie geht es ihnen? Ein Blick auf die Balkanroute.
“Ich habe die Mutter meiner zwei Kinder im Krieg verloren. Sie war alles für mich”, erzählt Kiano (Name geändert) und weint. Seit etwa zwei Monaten lebe der Kameruner im bosnischen Flüchtlingscamp Lipa, nahe der Stadt Bihac. Als wir uns kennenlernen, steht Kiano vor den weißen Containern, in denen jeweils etwa ein halbes Dutzend Geflüchtete in Hochbetten zusammenwohnen. Es sind um die 30 Grad in der Sonne, Schattenplätze gibt es nur wenige im Camp. Über die Details seiner Flucht und seines Lebens möchte der Kameruner nicht im Flüchtlingslager sprechen – lieber einige Tage später am Telefon.
“Ich möchte ein Schengener Land erreichen und dort Asyl beantragen”, erklärt Kiano seine Wünsche am Telefon. Kroatien ist zwar Teil der EU, aber noch nicht vollständig Teil des Schengener Abkommens. Hier finden an den Grenzen also noch Passkontrollen statt. Kiano wolle alles versuchen, um legal in der EU zu arbeiten und seine Kinder nachzuholen, sagt er. Seit 2018 sei der Mitte 30-Jährige bereits auf der Flucht. Er sei unter anderem über die Türkei und Serbien nach Bosnien gekommen.
“Ich habe die Mutter meiner zwei Kinder im Krieg verloren. Sie war alles für mich”, erzählt Kiano (Name geändert) und weint. Seit etwa zwei Monaten lebe der Kameruner im bosnischen Flüchtlingscamp Lipa, nahe der Stadt Bihac. Als wir uns kennenlernen, steht Kiano vor den weißen Containern, in denen jeweils etwa ein halbes Dutzend Geflüchtete in Hochbetten zusammenwohnen. Es sind um die 30 Grad in der Sonne, Schattenplätze gibt es nur wenige im Camp. Über die Details seiner Flucht und seines Lebens möchte der Kameruner nicht im Flüchtlingslager sprechen – lieber einige Tage später am Telefon.
Zwei Mal habe der Kameruner bereits versucht, über die bosnisch-kroatische Grenze in die EU zu gelangen. Einmal habe er es fast bis nach Slowenien geschafft. “Nach acht Tagen Fußmarsch, bei Tag und Nacht, konnte ich nicht mehr laufen”, erzählt Kiano. Er habe eine Verletzung am Fuß gehabt. Kroatische Bürger hätten die Polizei gerufen, um ihm zu helfen. Diese habe ihm aber nicht geglaubt, dass er verletzt sei – und ihm und seinen Mit-Geflüchteten all ihr Geld und ihre Handys abgenommen.
Gefährliche Minen an der Grenze
“Sie brachten mich und meine Freunde um ein Uhr nachts zurück nach Bosnien, in den ‘Dschungel'”, sagt Kiano. An der bosnisch-kroatischen Grenze gibt es kilometerweit dichten Wald, teilweise noch mit lebensgefährlichen Minen aus dem bosnischen Krieg. Schätzungsweise gibt es noch etwa 200.000 Minen und Blindgänger aus dem Krieg in den 1990ern in Bosnien.
Viele Geflüchtete im Camp Lipa berichten von teils gewalttätigen Ausweisungen der kroatischen Polizei. Menschenrechtsorganisationen sprechen von allein 16.000 illegalen Pushbacks an der kroatisch-bosnischen Grenze im Jahr 2020. 2021 dokumentierte ein Rechercheteam aus Journalisten, unter anderen der ARD, die gewalttätigen Angriffe der kroatischen Polizei sowie die Wunden von Flüchtenden filmisch – geändert hat sich die Situation an der Grenze bisher offensichtlich nicht.
Auch Kamran (Name geändert) aus Pakistan erzählt von illegalen Ausweisungen. “Ich habe zehn bis zwölf Mal versucht, in die EU zu gelangen”, sagt er. Auch ihn habe die Polizei gewaltvoll zurück nach Bosnien gebracht. Eine seiner Hände und einer seiner Füße sind mit einem Verband versehen, als wir sprechen.
Kamran kennt sein genaues Alter nicht. Er sei 18 oder 19, sagt er. Vor fünf Jahren habe er Pakistan verlassen – und seitdem seine Mutter und seine Brüder nicht gesehen. “Ich vermisse meine Mutter sehr”, sagt er.
Jeder im Camp Lipa, mit dem ich spreche, möchte in die EU. Das Flüchtlingslager soll nur vorübergehend ihr zuhause sein. Laut offiziellen Angaben gibt es im Camp Platz für 1.500 Geflüchtete, bei Bedarf könne es sogar 3.000 Menschen aufnehmen. Viele der Geflüchteten kommen aus Afghanistan, aus Pakistan, auch aus Kuba sind einige Menschen hier gestrandet. Es gibt Strom, WLAN, fließend Wasser, sanitäre Anlagen. Aufgrund der Corona-Pandemie steht auf Schildern an den Toiletten-Containern, dass die Geflüchteten auf ihre eigene persönliche Hygiene Acht geben sollen. In den Containern selbst steht zentimeterhoch das Wasser.
Die Geflüchteten beschweren sich aber nicht. “Die Mitarbeiter geben ihr Bestes für uns”, sagt beispielsweise Kiano aus Kamerun. “Es gibt einen Fitnessraum, wir können Karten spielen, wir können Sprachen lernen wie Englisch, Italienisch, Bosnisch”, erzählt er weiter. Nur arbeiten dürfen die Geflüchteten nicht – sie haben keine Arbeitserlaubnis.
Doch die Fluchtversuche kosten. Manchmal müssten Taxis bezahlt werden, Essen und Trinken für die tage- und nächtelangen Fußmärsche, erzählen einige der Männer. Einige bekommen Geld von ihren Familien oder Freunden aus dem Ausland geschickt. Andere fahren in die Stadt und verkaufen dort auf der Straße Packungen von Taschentüchern oder andere Dinge, die sie in Mülleimern oder auf der Straße finden. Einige haben auch kleine Lädchen im Camp aufgemacht, um Geld zu verdienen.
In einem Container hat ein Mann, der von allen liebevoll Chaacha genannt wird, “Onkel” auf Hindi, beispielsweise einen kleinen Tee-Laden eingerichtet. Neben den Hochbetten, in denen die Männer schlafen, stehen auf einer kleinen Bank und einem kleinen Tisch zwei Wasserkocher, Plastikbecher, Teepulver sowie Milch. Nur einige Container daneben schneidet ein Geflüchteter einem anderen für umgerechnet etwa zwei Euro die Haare. Ein paar Meter weiter türmen sich in einem Container auf einem Hochbett Chips, Gummibärchen und Säfte.
Auch Kiano hat schon versucht, irgendwie Geld zu verdienen. Er habe zum Beispiel schon seine eigenen Schuhe verkauft. Der Kameruner möchte aber gern “richtiger” Arbeit nachgehen. “Ich bin gelernter Klempner”, erklärt er, “Ich möchte nach Europa, um nützlich zu sein.” Wenn sein Fuß wieder gesund sei, wolle er nochmal versuchen, über die Grenze zu kommen. “Ich habe keine andere Option”, sagt er. Zurück in den Krieg nach Kamerun wolle er nicht – obwohl auch die Flucht gefährlich sei. Einer seiner Freunde sei auf der Flucht gestorben. Aber auch über sich und alle anderen Geflüchteten sagt Kiano: “Wir leben zwar, aber innerlich sind wir tot”.
“Ich habe die Mutter meiner zwei Kinder im Krieg verloren. Sie war alles für mich”, erzählt Kiano (Name geändert) und weint. Seit etwa zwei Monaten lebe der Kameruner im bosnischen Flüchtlingscamp Lipa, nahe der Stadt Bihac. Als wir uns kennenlernen, steht Kiano vor den weißen Containern, in denen jeweils etwa ein halbes Dutzend Geflüchtete in Hochbetten zusammenwohnen. Es sind um die 30 Grad in der Sonne, Schattenplätze gibt es nur wenige im Camp. Über die Details seiner Flucht und seines Lebens möchte der Kameruner nicht im Flüchtlingslager sprechen – lieber einige Tage später am Telefon.
“Ich möchte ein Schengener Land erreichen und dort Asyl beantragen”, erklärt Kiano seine Wünsche am Telefon. Kroatien ist zwar Teil der EU, aber noch nicht vollständig Teil des Schengener Abkommens. Hier finden an den Grenzen also noch Passkontrollen statt. Kiano wolle alles versuchen, um legal in der EU zu arbeiten und seine Kinder nachzuholen, sagt er. Seit 2018 sei der Mitte 30-Jährige bereits auf der Flucht. Er sei unter anderem über die Türkei und Serbien nach Bosnien gekommen.
Gefährliche Minen an der Grenze
Zwei Mal habe der Kameruner bereits versucht, über die bosnisch-kroatische Grenze in die EU zu gelangen. Einmal habe er es fast bis nach Slowenien geschafft. “Nach acht Tagen Fußmarsch, bei Tag und Nacht, konnte ich nicht mehr laufen”, erzählt Kiano. Er habe eine Verletzung am Fuß gehabt. Kroatische Bürger hätten die Polizei gerufen, um ihm zu helfen. Diese habe ihm aber nicht geglaubt, dass er verletzt sei – und ihm und seinen Mit-Geflüchteten all ihr Geld und ihre Handys abgenommen.
“Sie brachten mich und meine Freunde um ein Uhr nachts zurück nach Bosnien, in den ‘Dschungel'”, sagt Kiano. An der bosnisch-kroatischen Grenze gibt es kilometerweit dichten Wald, teilweise noch mit lebensgefährlichen Minen aus dem bosnischen Krieg. Schätzungsweise gibt es noch etwa 200.000 Minen und Blindgänger aus dem Krieg in den 1990ern in Bosnien.
Viele Geflüchtete im Camp Lipa berichten von teils gewalttätigen Ausweisungen der kroatischen Polizei. Menschenrechtsorganisationen sprechen von allein 16.000 illegalen Pushbacks an der kroatisch-bosnischen Grenze im Jahr 2020. 2021 dokumentierte ein Rechercheteam aus Journalisten, unter anderen der ARD, die gewalttätigen Angriffe der kroatischen Polizei sowie die Wunden von Flüchtenden filmisch – geändert hat sich die Situation an der Grenze bisher offensichtlich nicht.
Tausende von illegalen Pushbacks an der kroatisch-bosnischen Grenze
Auch Kamran (Name geändert) aus Pakistan erzählt von illegalen Ausweisungen. “Ich habe zehn bis zwölf Mal versucht, in die EU zu gelangen”, sagt er. Auch ihn habe die Polizei gewaltvoll zurück nach Bosnien gebracht. Eine seiner Hände und einer seiner Füße sind mit einem Verband versehen, als wir sprechen.
Camp Lipa: Zwischenstation für Geflüchtete mit der EU als Ziel?
Kamran kennt sein genaues Alter nicht. Er sei 18 oder 19, sagt er. Vor fünf Jahren habe er Pakistan verlassen – und seitdem seine Mutter und seine Brüder nicht gesehen. “Ich vermisse meine Mutter sehr”, sagt er.
Jeder im Camp Lipa, mit dem ich spreche, möchte in die EU. Das Flüchtlingslager soll nur vorübergehend ihr zuhause sein. Laut offiziellen Angaben gibt es im Camp Platz für 1.500 Geflüchtete, bei Bedarf könne es sogar 3.000 Menschen aufnehmen. Viele der Geflüchteten kommen aus Afghanistan, aus Pakistan, auch aus Kuba sind einige Menschen hier gestrandet. Es gibt Strom, WLAN, fließend Wasser, sanitäre Anlagen. Aufgrund der Corona-Pandemie steht auf Schildern an den Toiletten-Containern, dass die Geflüchteten auf ihre eigene persönliche Hygiene Acht geben sollen. In den Containern selbst steht zentimeterhoch das Wasser.
Die Geflüchteten beschweren sich aber nicht. “Die Mitarbeiter geben ihr Bestes für uns”, sagt beispielsweise Kiano aus Kamerun. “Es gibt einen Fitnessraum, wir können Karten spielen, wir können Sprachen lernen wie Englisch, Italienisch, Bosnisch”, erzählt er weiter. Nur arbeiten dürfen die Geflüchteten nicht – sie haben keine Arbeitserlaubnis.
Die Geflüchteten versuchen, Geld für die Flucht zu verdienen
Doch die Fluchtversuche kosten. Manchmal müssten Taxis bezahlt werden, Essen und Trinken für die tage- und nächtelangen Fußmärsche, erzählen einige der Männer. Einige bekommen Geld von ihren Familien oder Freunden aus dem Ausland geschickt. Andere fahren in die Stadt und verkaufen dort auf der Straße Packungen von Taschentüchern oder andere Dinge, die sie in Mülleimern oder auf der Straße finden. Einige haben auch kleine Lädchen im Camp aufgemacht, um Geld zu verdienen.
In einem Container hat ein Mann, der von allen liebevoll Chaacha genannt wird, “Onkel” auf Hindi, beispielsweise einen kleinen Tee-Laden eingerichtet. Neben den Hochbetten, in denen die Männer schlafen, stehen auf einer kleinen Bank und einem kleinen Tisch zwei Wasserkocher, Plastikbecher, Teepulver sowie Milch. Nur einige Container daneben schneidet ein Geflüchteter einem anderen für umgerechnet etwa zwei Euro die Haare. Ein paar Meter weiter türmen sich in einem Container auf einem Hochbett Chips, Gummibärchen und Säfte.
Auch Kiano hat schon versucht, irgendwie Geld zu verdienen. Er habe zum Beispiel schon seine eigenen Schuhe verkauft. Der Kameruner möchte aber gern “richtiger” Arbeit nachgehen. “Ich bin gelernter Klempner”, erklärt er, “Ich möchte nach Europa, um nützlich zu sein.” Wenn sein Fuß wieder gesund sei, wolle er nochmal versuchen, über die Grenze zu kommen. “Ich habe keine andere Option”, sagt er. Zurück in den Krieg nach Kamerun wolle er nicht – obwohl auch die Flucht gefährlich sei. Einer seiner Freunde sei auf der Flucht gestorben. Aber auch über sich und alle anderen Geflüchteten sagt Kiano: “Wir leben zwar, aber innerlich sind wir tot”.