In Afrika geboren, im deutschen Parlament zu Hause
Das gab es in der Geschichte des Bundestages noch nie: Seit der letzten Wahl sitzen drei Abgeordnete im Parlament, die in Afrika geboren wurden. Sie traten mit großen Zielen an. Was ist davon geblieben?
Es ist sein erster großer Auftritt, doch Armand Zorn ist erstaunlich gelassen. Anfang April spricht er zum ersten Mal im Bundestag. Thema: Steuerpolitik, das Spezialthema des 33-jährigen Unternehmensberaters, der letzten September ins Parlament gewählt wurde. “Ich war ein bisschen aufgeregt, muss ich gestehen. Ich mag das aber. Wenn man kurz angespannt ist, dann merkt man doch, wie wichtig die Sache ist”, erzählt er der DW am nächsten Tag in seinem Bundestagsbüro.
Die Aufregung hat ihm niemand angemerkt. Seine Rede ist selbstbewusst, kenntnisreich und sachlich, mit kleinen Spitzen gegen die rechtspopulistische AfD. Der neue Abgeordnete Armand Zorn hat eine besondere Biografie: In Kamerun geboren zog er mit 12 Jahren nach Halle. Der neue Partner seiner Mutter lebte dort. Von dort ging es weiter: nach Paris, Konstanz, Bologna, Hongkong und Oxford.
Es ist sein erster großer Auftritt, doch Armand Zorn ist erstaunlich gelassen. Anfang April spricht er zum ersten Mal im Bundestag. Thema: Steuerpolitik, das Spezialthema des 33-jährigen Unternehmensberaters, der letzten September ins Parlament gewählt wurde. “Ich war ein bisschen aufgeregt, muss ich gestehen. Ich mag das aber. Wenn man kurz angespannt ist, dann merkt man doch, wie wichtig die Sache ist”, erzählt er der DW am nächsten Tag in seinem Bundestagsbüro.
Seit 2015 lebt Zorn in Frankfurt, seit 2009 engagiert er sich politisch, im Jahr 2011 ist er in die SPD eingetreten. Letztes Jahr dann der Sprung in den Bundestag – als Direktkandidat. Weil er für mehr soziale Gerechtigkeit kämpfen wollte, sagt Zorn heute: “Aus meiner persönlichen Biographie heraus habe ich viele Erfahrungen gemacht, wo ich junge Menschen kennengelernt habe, die sehr fleißig waren, die hart gearbeitet waren, die kompetent waren, die aber nie den Erfolg bekommen haben, den sie verdient hätten. Das hat mich nie in Ruhe gelassen”, sagt Zorn.
Drei Sprachen, viele Länder
Im Bundestag ist er Mitglied im mächtigen Finanzausschuss und im wichtigen Digitalausschuss. Hier sieht er seine Stärken und Kompetenzen. Auch seinem Herkunftskontinent Afrika bleibt er verbunden. “Im Bereich Finanzen beispielweise gibt es viele Themen in Bezug auf die globale Finanzstabilität. Es geht um die Schuldenquoten bestimmter afrikanischer Länder, es geht darum, Gelder zur Verfügung zu stellen, um auch eine Perspektive und eine ökonomische Entwicklung in bestimmten afrikanischen Ländern zuzulassen”, sagt er.
Auch Awet Tesfaiesus ist seit der letzten Wahl im Bundestag. Sie hat sich noch immer nicht ganz daran gewöhnt, Abgeordnete zu sein. “Es ist eine ganz andere Welt. Die Menschen suchen das Gespräch und sind offen. Man kann Menschen einladen. Man ist ganz hoch in der Hierarchie, vor allem wenn man sonst als schwarze Frau in der Drogerie kritisch beäugt wurde, ob man nicht etwas klaut”, sagt Tesfaiesus der DW. Trotzdem erlebt sie auch immer noch Alltagsrassismus. “Wenn ich dann einkaufe und die Blicke des Sicherheitspersonals ernte. Das normalisiert wieder.”
Rassismus-Erfahrungen begleiten sie schon lange. 1974 wird Tesfaiesus in Asmara geboren. Heute die Hauptstadt Eritreas, damals von Äthiopien besetzt. Das Land ist eine Militärdiktatur, ihre Eltern sind politisch aktiv. Als Tesfaiesus 10 Jahre alt ist, muss die Familie nach Deutschland fliehen. Ihr neues Zuhause wird ein Flüchtlingsheim, wo viele Familien aus Eritrea leben. “Für meine Eltern war es schwer. Wir lebten auf einem engen Raum mit vielen eritreischen Kindern. Wir waren mit der ganzen Familie zu sechst auf einem Zimmer. Aber als Kind achtet man nicht darauf, sondern freut sich, dass so viele tolle Menschen da sind”, sagt sie heute.
Die Erfahrungen treiben sie an. Tesfaiesus studiert Jura, eröffnet eine Anwaltskanzlei. Fachgebiet: Asylrecht. Sie will anderen helfen, die ebenfalls als Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Doch sie stößt an ihre Grenzen – viele Flüchtlinge bekommen keinen Aufenthaltsstatus in Deutschland. Denn die sogenannten Dublin-Regeln der EU sind klar: Flüchtlinge müssen ihren Asylantrag in dem EU-Land stellen, das sie zuerst betreten haben. Bei ihren Mandanten sind das meist Italien oder Spanien. “In Italien lebten viele Menschen auf der Straße, hatten vielleicht eine Anerkennung als Asylberechtigte, aber keinerlei soziale Leistungen, keine Sprachkurse, nichts. Es war frustrierend, gegen dieses System anzugehen, aber ich hatte das Gefühl, dass ich politisch etwas ändern müsste.”
Seit 2009 ist Tesfaiesus bei den Grünen, war fünf Jahre Stadträtin in ihrer Heimat Kassel. Seit Oktober letzten Jahres sitzt sie im Bundestag und ist bereits Obfrau ihrer Partei im Kulturausschuss. Und hat sich auch hier ein ambitioniertes Ziel gesetzt: Geraubte Kulturschätze sollen an die Herkunftsländer zurückgegeben werden. “Wenn ich durch deutsche Museen gehe und Kunst und kulturelle Güter aus meiner Region sehe, dann tut es mir im Herzen weh. Die Dinge werden hier betrachtet und sie bedeuten den Menschen im Grunde nichts. Den Menschen in ihren Herkunftsländern bedeuten sie viel, weil es ihre Identität ist, die da geraubt wurde”, sagt sie.
Neben den beiden Neulingen ist Karamba Diaby fast so etwas wie ein alter Hase im Bundestag. An einem warmen Tag Ende April sitzt er in seinem Bundestagsbüro und feilt an einer Rede. Neben dem schwarzen Ledersofa hängt eine Tafel mit Unterschriften seiner Helfer aus einem vergangenen Wahlkampf. 2013 kam er erstmals in den Bundestag, damals berichtete sogar die New York Times. Denn Diaby war der erste Abgeordneter mit afrikanischen Wurzeln im deutschen Parlament. “Viele haben gedacht, dass ich der Experte für Afrika oder für Rassismus im Alltag wäre und wollten nicht wahrnehmen, dass ich Bildungs- und Forschungspolitiker bin”, sagt Diaby.
Heute ist er im Bundestag anerkannt – und bei seinen Wählern auch. 2021 wählten sie ihn zum ersten Mal direkt. In den achtziger Jahren kam er mit einem Stipendium aus seiner Heimat Senegal in die damalige DDR. In Halle studierte er Chemie und promovierte schließlich über die Schwermetallbelastung in lokalen Kleingärten. Halle nennt er längst Heimat, was Rechtsextreme noch immer nicht akzeptieren wollen. Rassistische Angriffe in den sozialen Medien sind Teil seines Alltags.
Für jemanden, der so viel Hass und Hetze aushalten muss, ist Diaby bemerkenswert ruhig. Auch nach Jahren versucht er zu differenzieren, vermeidet Pauschalurteile und politische Kampfrhetorik. “Morddrohungen und solche Dinge tun mir weh. Aber ich habe auch immer Rückendeckung und Solidarität gespürt, wenn irgendetwas Unqualifiziertes, Beleidigendes oder Erniedrigendes gepostet wurde. Da kamen Briefe von Menschen, die ihre Solidarität bekunden oder Schulklassen, die Unterschriften gesammelt haben”, sagt er im Interview.
Diaby ist auch nach fast neun Jahren Bundestag noch immer der Typ “freundlicher Nachbar von nebenan” mit viel Interesse an seinem Gegenüber. Den typischen Parlamentarier-Sound hat er gelernt und versucht, ihn im direkten Gespräch trotzdem so wenig wie möglich zu nutzen. In dieser Legislaturperiode sitzt er im Auswärtigen Ausschuss und im Entwicklungsausschuss. Es ist längst nicht mehr das gleiche Parlament wie 2013 – heute ist es viel diverser, sagt Diaby. Und kämpft trotzdem weiter für Vielfalt. Nicht nur bei der Herkunft. Sondern auch, wenn es um das Verhältnis zwischen Akademikern und Nicht-Akademikern, Menschen aus Stadt und Land, Menschen mit und ohne Behinderungen geht. “Das sind alles Faktoren, bei denen ich sage: Je vielfältiger das Parlament ist, desto differenzierter sind die Perspektiven, die wahrgenommen werden”, sagt er.
Es ist sein erster großer Auftritt, doch Armand Zorn ist erstaunlich gelassen. Anfang April spricht er zum ersten Mal im Bundestag. Thema: Steuerpolitik, das Spezialthema des 33-jährigen Unternehmensberaters, der letzten September ins Parlament gewählt wurde. “Ich war ein bisschen aufgeregt, muss ich gestehen. Ich mag das aber. Wenn man kurz angespannt ist, dann merkt man doch, wie wichtig die Sache ist”, erzählt er der DW am nächsten Tag in seinem Bundestagsbüro.
Die Aufregung hat ihm niemand angemerkt. Seine Rede ist selbstbewusst, kenntnisreich und sachlich, mit kleinen Spitzen gegen die rechtspopulistische AfD. Der neue Abgeordnete Armand Zorn hat eine besondere Biografie: In Kamerun geboren zog er mit 12 Jahren nach Halle. Der neue Partner seiner Mutter lebte dort. Von dort ging es weiter: nach Paris, Konstanz, Bologna, Hongkong und Oxford.
Drei Sprachen, viele Länder
Seit 2015 lebt Zorn in Frankfurt, seit 2009 engagiert er sich politisch, im Jahr 2011 ist er in die SPD eingetreten. Letztes Jahr dann der Sprung in den Bundestag – als Direktkandidat. Weil er für mehr soziale Gerechtigkeit kämpfen wollte, sagt Zorn heute: “Aus meiner persönlichen Biographie heraus habe ich viele Erfahrungen gemacht, wo ich junge Menschen kennengelernt habe, die sehr fleißig waren, die hart gearbeitet waren, die kompetent waren, die aber nie den Erfolg bekommen haben, den sie verdient hätten. Das hat mich nie in Ruhe gelassen”, sagt Zorn.
Im Bundestag ist er Mitglied im mächtigen Finanzausschuss und im wichtigen Digitalausschuss. Hier sieht er seine Stärken und Kompetenzen. Auch seinem Herkunftskontinent Afrika bleibt er verbunden. “Im Bereich Finanzen beispielweise gibt es viele Themen in Bezug auf die globale Finanzstabilität. Es geht um die Schuldenquoten bestimmter afrikanischer Länder, es geht darum, Gelder zur Verfügung zu stellen, um auch eine Perspektive und eine ökonomische Entwicklung in bestimmten afrikanischen Ländern zuzulassen”, sagt er.
Auch Awet Tesfaiesus ist seit der letzten Wahl im Bundestag. Sie hat sich noch immer nicht ganz daran gewöhnt, Abgeordnete zu sein. “Es ist eine ganz andere Welt. Die Menschen suchen das Gespräch und sind offen. Man kann Menschen einladen. Man ist ganz hoch in der Hierarchie, vor allem wenn man sonst als schwarze Frau in der Drogerie kritisch beäugt wurde, ob man nicht etwas klaut”, sagt Tesfaiesus der DW. Trotzdem erlebt sie auch immer noch Alltagsrassismus. “Wenn ich dann einkaufe und die Blicke des Sicherheitspersonals ernte. Das normalisiert wieder.”
Rassismus-Erfahrungen begleiten sie schon lange. 1974 wird Tesfaiesus in Asmara geboren. Heute die Hauptstadt Eritreas, damals von Äthiopien besetzt. Das Land ist eine Militärdiktatur, ihre Eltern sind politisch aktiv. Als Tesfaiesus 10 Jahre alt ist, muss die Familie nach Deutschland fliehen. Ihr neues Zuhause wird ein Flüchtlingsheim, wo viele Familien aus Eritrea leben. “Für meine Eltern war es schwer. Wir lebten auf einem engen Raum mit vielen eritreischen Kindern. Wir waren mit der ganzen Familie zu sechst auf einem Zimmer. Aber als Kind achtet man nicht darauf, sondern freut sich, dass so viele tolle Menschen da sind”, sagt sie heute.
Mit Afrika verbunden
Die Erfahrungen treiben sie an. Tesfaiesus studiert Jura, eröffnet eine Anwaltskanzlei. Fachgebiet: Asylrecht. Sie will anderen helfen, die ebenfalls als Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Doch sie stößt an ihre Grenzen – viele Flüchtlinge bekommen keinen Aufenthaltsstatus in Deutschland. Denn die sogenannten Dublin-Regeln der EU sind klar: Flüchtlinge müssen ihren Asylantrag in dem EU-Land stellen, das sie zuerst betreten haben. Bei ihren Mandanten sind das meist Italien oder Spanien. “In Italien lebten viele Menschen auf der Straße, hatten vielleicht eine Anerkennung als Asylberechtigte, aber keinerlei soziale Leistungen, keine Sprachkurse, nichts. Es war frustrierend, gegen dieses System anzugehen, aber ich hatte das Gefühl, dass ich politisch etwas ändern müsste.”
Start im Flüchtlingsheim
Seit 2009 ist Tesfaiesus bei den Grünen, war fünf Jahre Stadträtin in ihrer Heimat Kassel. Seit Oktober letzten Jahres sitzt sie im Bundestag und ist bereits Obfrau ihrer Partei im Kulturausschuss. Und hat sich auch hier ein ambitioniertes Ziel gesetzt: Geraubte Kulturschätze sollen an die Herkunftsländer zurückgegeben werden. “Wenn ich durch deutsche Museen gehe und Kunst und kulturelle Güter aus meiner Region sehe, dann tut es mir im Herzen weh. Die Dinge werden hier betrachtet und sie bedeuten den Menschen im Grunde nichts. Den Menschen in ihren Herkunftsländern bedeuten sie viel, weil es ihre Identität ist, die da geraubt wurde”, sagt sie.
Neben den beiden Neulingen ist Karamba Diaby fast so etwas wie ein alter Hase im Bundestag. An einem warmen Tag Ende April sitzt er in seinem Bundestagsbüro und feilt an einer Rede. Neben dem schwarzen Ledersofa hängt eine Tafel mit Unterschriften seiner Helfer aus einem vergangenen Wahlkampf. 2013 kam er erstmals in den Bundestag, damals berichtete sogar die New York Times. Denn Diaby war der erste Abgeordneter mit afrikanischen Wurzeln im deutschen Parlament. “Viele haben gedacht, dass ich der Experte für Afrika oder für Rassismus im Alltag wäre und wollten nicht wahrnehmen, dass ich Bildungs- und Forschungspolitiker bin”, sagt Diaby.
Heute ist er im Bundestag anerkannt – und bei seinen Wählern auch. 2021 wählten sie ihn zum ersten Mal direkt. In den achtziger Jahren kam er mit einem Stipendium aus seiner Heimat Senegal in die damalige DDR. In Halle studierte er Chemie und promovierte schließlich über die Schwermetallbelastung in lokalen Kleingärten. Halle nennt er längst Heimat, was Rechtsextreme noch immer nicht akzeptieren wollen. Rassistische Angriffe in den sozialen Medien sind Teil seines Alltags.
‘Tut im Herzen weh’
Für jemanden, der so viel Hass und Hetze aushalten muss, ist Diaby bemerkenswert ruhig. Auch nach Jahren versucht er zu differenzieren, vermeidet Pauschalurteile und politische Kampfrhetorik. “Morddrohungen und solche Dinge tun mir weh. Aber ich habe auch immer Rückendeckung und Solidarität gespürt, wenn irgendetwas Unqualifiziertes, Beleidigendes oder Erniedrigendes gepostet wurde. Da kamen Briefe von Menschen, die ihre Solidarität bekunden oder Schulklassen, die Unterschriften gesammelt haben”, sagt er im Interview.
Diaby ist auch nach fast neun Jahren Bundestag noch immer der Typ “freundlicher Nachbar von nebenan” mit viel Interesse an seinem Gegenüber. Den typischen Parlamentarier-Sound hat er gelernt und versucht, ihn im direkten Gespräch trotzdem so wenig wie möglich zu nutzen. In dieser Legislaturperiode sitzt er im Auswärtigen Ausschuss und im Entwicklungsausschuss. Es ist längst nicht mehr das gleiche Parlament wie 2013 – heute ist es viel diverser, sagt Diaby. Und kämpft trotzdem weiter für Vielfalt. Nicht nur bei der Herkunft. Sondern auch, wenn es um das Verhältnis zwischen Akademikern und Nicht-Akademikern, Menschen aus Stadt und Land, Menschen mit und ohne Behinderungen geht. “Das sind alles Faktoren, bei denen ich sage: Je vielfältiger das Parlament ist, desto differenzierter sind die Perspektiven, die wahrgenommen werden”, sagt er.