Katerstimmung am Tag nach dem Rücktritt
Großbritanniens Premier Boris Johnson ist zurückgetreten, bleibt aber zunächst im Amt. Nach der politischen Explosion beginnt die Suche nach einem Nachfolger. Manche befürchten eine lange politische Lähmung.
Es herrscht Katerstimmung in London am Tag nach der großen politischen Explosion, und die konservative Partei kehrt die Scherben auf. Boris Johnson bleibt vorerst als Interims-Premier im Amt; diese Tatsache scheint weitgehend akzeptiert. Ihn sofort aus der Downing Street zu verjagen – dazu haben zwar einige Tories durchaus Lust, aber mehrheitlich fehlt der Partei dazu der Antrieb. Der Premier kann sich mit dem Kistenpacken noch Zeit lassen.
Am U-Bahnhof Westminster vermischen sich Londoner auf dem Weg zur Arbeit mit Touristen aus aller Welt, die das House of Parliaments noch immer als Sehenswürdigkeit, nicht als Ort eines Politthrillers betrachten. Ellie aber, auf dem Weg zu ihrem Supermarkt-Job, spuckt Feuer: “Boris hätte schon vor eineinhalb Jahren gehen müssen. Er hat nur Schande über uns gebracht. Er ist einfach ein Clown und der falsche Mann als Premierminister.” Ron schleppt seine Werkzeugtasche aus der U-Bahn und teilt ihre Meinung: “Ich persönlich bin froh, dass er weg ist; er hat uns nur geschadet. Ob jetzt ein besserer kommt, weiß ich auch nicht, aber Johnsons Skandale waren einfach zu viel”. Und eine ältere Passantin erwähnt die dunkle Seite der langen konservativen Regierungszeit: “Uns bleiben am Ende 10 Pfund am Tag übrig zum Leben. Dass sollte Boris selbst mal versuchen. Gut dass er weg ist, für die Ärmeren hat er doch nie etwas getan.”
Es herrscht Katerstimmung in London am Tag nach der großen politischen Explosion, und die konservative Partei kehrt die Scherben auf. Boris Johnson bleibt vorerst als Interims-Premier im Amt; diese Tatsache scheint weitgehend akzeptiert. Ihn sofort aus der Downing Street zu verjagen – dazu haben zwar einige Tories durchaus Lust, aber mehrheitlich fehlt der Partei dazu der Antrieb. Der Premier kann sich mit dem Kistenpacken noch Zeit lassen.
Der Verkäufer im Zeitungsladen findet Johnsons angekündigten Rücktritt gut: “Er hat doch überhaupt nichts gebracht.” Der Premier hat in London kaum Freunde, und ob er in seinem Wahlkreis Uxbridge im Norden der Hauptstadt wieder gewählt würde, gilt als zweifelhaft. Die britische Presse wiederum bietet an diesem Tag das volle Spektrum. “Danke Boris, du hast Großbritannien seine Freiheit wieder gegeben”, titelt der Daily Express, Zentralorgan der Brexit-Anhänger und standhaft auf der Seite von Boris Johnson. Die Kommentare im Inneren sind auf Bedauern und Abschiedsschmerz gestimmt.
Schadenfreude und andere Reaktionen
Der eher sozialdemokratische Guardian dagegen schreibt: “Es ist (fast) vorbei” und merkt an, dass Johnson selbst in seiner Abschiedsrede noch “seinem Stil treu geblieben” sei. Er habe allen die Schuld an seinem Sturz gegeben außer sich selbst. Und der frühere konservative Premier John Major kommentiert, es sei nicht klug, dass Johnson als Übergangsregierungschef im Amt bleibe. Er habe weiter die Macht im Lande, und das könne sich noch ziemlich negativ auswirken. Major traut Johnson offenbar überhaupt nicht über den Weg. Ein paar Stunden später, am Freitag allerdings versprach der Noch-Amtsinhaber dann, er werde keine grundsätzlichen oder finanziellen Entscheidungen treffen, die seinem Nachfolger die Hände binden würden.
Gerade über diesen Zustand macht sich “The Telegraph”, das Hausblatt der konservativen Partei jetzt Sorgen: “Der lange Abschied des Premierministers versetzt das Land in einen Zustand der Lähmung.” Kritische Tory-Stimmen werden zitiert, die Johnson auffordern, seinen Platz schnell zu räumen und damit sein politisches Erbe zu retten.
Auf der Wiese vor dem Parlament, wo sich in Krisenzeiten die Fernsehteams aufbauen, um Abgeordnete zu befragen, machen die potentiellen Nachfolgekandidaten die Runde. Brexit-Hardliner Steve Baker stoppt auch bei der DW: “Ich habe eine Nachricht für Deutschland. An der Brexit-Politik wird auch ein Nachfolger von Boris Johnson nicht das kleinste Bisschen ändern.” Lasset also alle Hoffnung fahren, die ihr geglaubt habt, es könnte freundschaftlichere Beziehungen mit den Briten geben. Und abgesehen davon preist Baker sich und seine Regierungserfahrung: “Ich kann Sitzungen und Leute leiten, ich habe Ideen, (…), ich bin ganz sicher, wenn ich an die Macht komme werde ich gute Arbeit leisten.” Baker hat allerdings in der Partei nicht viele Freunde, ihn umweht der Hauch des Überzeugungstäters.
Von allen Seiten kommen jetzt die Kandidaten für die Downing Street aus der Deckung und wollen selbst ans Ruder. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Tom Tugendhat zum Beispiel ist außer unter Politik-Nerds wenig bekannt. Er war früher Soldat und glaubt wohl, Großbritannien brauche jetzt einen festen Griff. Ansonsten verspricht er einen Neuanfang. Aber das tun sie alle, die bislang 16 Anwärter auf Johnsons Stuhl: von der Außenministerin Liz Truss über Verteidigungsminister Ben Wallace bis zum derzeit Erstplatzierten, dem früheren Finanzminister Rishi Sunak, der am Dienstag durch seinen Rücktritt das politische Erdbeben in London mit ausgelöst hatte.
Der Tory Abgeordnete Mark Jenkinson macht sich auf Twitter über den Ansturm seiner Parteikollegen auf das Premierministeramt lustig:
“Ich habe Rat von Leuten gesucht, die mir Honig ums Maul schmieren. Das führt mich dazu, wie auch das übertriebene Gefühl meiner eigenen Wichtigkeit, meinen Hut in den Ring zu werfen und mich um das Amt als Vorsitzender der konservativen Partei zu bewerben”.
Selbst im größten Chaos funktioniert der britische Humor. Und manche fühlen sich beflügelt, wie die Journalisten des britischen Wirtschaftsmagazins “The Economist”, die mit ihrem Titelbild zum “Fall eines Clowns” um die treffendste Karikatur des Jahres konkurrieren können. Darüber hinaus aber kommen sie zu einer niederschmetternden Bewertung von Boris Johnsons Amtszeit: Seine Regierungszeit sei vorbei und die Konservativen schlecht darauf vorbereitet, “die Schäden zu beheben.” Er habe im Amt ringsum, politisch und ökonomisch, Trümmer hinterlassen.
Kurz vor Ende habe es fast so ausgesehen, als würde Boris Johnson “Großbritannien noch an einen düsteren Ort im Stil von Donald Trump führen”, als er sich am Amt festklammerte. “Jetzt sind viele froh, dass es einfach vorbei ist”, kommentiert George Parker von der “Financial Times” auf der Parlamentswiese das Geschehen der letzten Tage. Und bisher sei überhaupt nicht klar, in welche Richtung die Partei treibe: “Wird jemand gewählt, der die Beziehungen zu Europa verbessert und den Streit um das Nordirland-Protokoll beendet?” All das sei noch völlig offen. Aber Parker hofft auf bessere Zeiten für Großbritannien bei den internationalen Beziehungen: “Ehrlich, wie viele andere Regierungschefs haben den Abgang von Boris Johnson beweint? Ich habe eine Stellungnahme von Präsident Joe Biden gesehen, der über die besondere Beziehung (zwischen den USA und Großbritannien) spricht und Boris Johnsons Namen nicht einmal erwähnt.”
Und dann gibt es auch noch eine Opposition im Land. Der Chef der Labour Party Keir Starmer meldete sich am Freitag zu Wort und versprach eine bessere Politik: “Hier geht es nicht nur um Boris Johnson. Das Gefühl, dass die Politik nicht funktioniert, köchelt schon seit Jahren. Und die Leute haben den Glauben daran verloren, dass sich das ändern kann”. Er würde als Premierminister zwar nicht alles richtig, aber vieles besser machen, verspricht Starmer. Nur: Dazu braucht er Neuwahlen, und weil Labour in den Umfragen deutlich führt, werden die Konservativen ihre existierende Parlamentsmehrheit nutzen und dies um jeden Preis zu verhindern versuchen.
Es herrscht Katerstimmung in London am Tag nach der großen politischen Explosion, und die konservative Partei kehrt die Scherben auf. Boris Johnson bleibt vorerst als Interims-Premier im Amt; diese Tatsache scheint weitgehend akzeptiert. Ihn sofort aus der Downing Street zu verjagen – dazu haben zwar einige Tories durchaus Lust, aber mehrheitlich fehlt der Partei dazu der Antrieb. Der Premier kann sich mit dem Kistenpacken noch Zeit lassen.
Am U-Bahnhof Westminster vermischen sich Londoner auf dem Weg zur Arbeit mit Touristen aus aller Welt, die das House of Parliaments noch immer als Sehenswürdigkeit, nicht als Ort eines Politthrillers betrachten. Ellie aber, auf dem Weg zu ihrem Supermarkt-Job, spuckt Feuer: “Boris hätte schon vor eineinhalb Jahren gehen müssen. Er hat nur Schande über uns gebracht. Er ist einfach ein Clown und der falsche Mann als Premierminister.” Ron schleppt seine Werkzeugtasche aus der U-Bahn und teilt ihre Meinung: “Ich persönlich bin froh, dass er weg ist; er hat uns nur geschadet. Ob jetzt ein besserer kommt, weiß ich auch nicht, aber Johnsons Skandale waren einfach zu viel”. Und eine ältere Passantin erwähnt die dunkle Seite der langen konservativen Regierungszeit: “Uns bleiben am Ende 10 Pfund am Tag übrig zum Leben. Dass sollte Boris selbst mal versuchen. Gut dass er weg ist, für die Ärmeren hat er doch nie etwas getan.”
Schadenfreude und andere Reaktionen
Der Verkäufer im Zeitungsladen findet Johnsons angekündigten Rücktritt gut: “Er hat doch überhaupt nichts gebracht.” Der Premier hat in London kaum Freunde, und ob er in seinem Wahlkreis Uxbridge im Norden der Hauptstadt wieder gewählt würde, gilt als zweifelhaft. Die britische Presse wiederum bietet an diesem Tag das volle Spektrum. “Danke Boris, du hast Großbritannien seine Freiheit wieder gegeben”, titelt der Daily Express, Zentralorgan der Brexit-Anhänger und standhaft auf der Seite von Boris Johnson. Die Kommentare im Inneren sind auf Bedauern und Abschiedsschmerz gestimmt.
Der eher sozialdemokratische Guardian dagegen schreibt: “Es ist (fast) vorbei” und merkt an, dass Johnson selbst in seiner Abschiedsrede noch “seinem Stil treu geblieben” sei. Er habe allen die Schuld an seinem Sturz gegeben außer sich selbst. Und der frühere konservative Premier John Major kommentiert, es sei nicht klug, dass Johnson als Übergangsregierungschef im Amt bleibe. Er habe weiter die Macht im Lande, und das könne sich noch ziemlich negativ auswirken. Major traut Johnson offenbar überhaupt nicht über den Weg. Ein paar Stunden später, am Freitag allerdings versprach der Noch-Amtsinhaber dann, er werde keine grundsätzlichen oder finanziellen Entscheidungen treffen, die seinem Nachfolger die Hände binden würden.
Gerade über diesen Zustand macht sich “The Telegraph”, das Hausblatt der konservativen Partei jetzt Sorgen: “Der lange Abschied des Premierministers versetzt das Land in einen Zustand der Lähmung.” Kritische Tory-Stimmen werden zitiert, die Johnson auffordern, seinen Platz schnell zu räumen und damit sein politisches Erbe zu retten.
Auf der Wiese vor dem Parlament, wo sich in Krisenzeiten die Fernsehteams aufbauen, um Abgeordnete zu befragen, machen die potentiellen Nachfolgekandidaten die Runde. Brexit-Hardliner Steve Baker stoppt auch bei der DW: “Ich habe eine Nachricht für Deutschland. An der Brexit-Politik wird auch ein Nachfolger von Boris Johnson nicht das kleinste Bisschen ändern.” Lasset also alle Hoffnung fahren, die ihr geglaubt habt, es könnte freundschaftlichere Beziehungen mit den Briten geben. Und abgesehen davon preist Baker sich und seine Regierungserfahrung: “Ich kann Sitzungen und Leute leiten, ich habe Ideen, (…), ich bin ganz sicher, wenn ich an die Macht komme werde ich gute Arbeit leisten.” Baker hat allerdings in der Partei nicht viele Freunde, ihn umweht der Hauch des Überzeugungstäters.
Die Nachfolger scharren mit den Hufen
Von allen Seiten kommen jetzt die Kandidaten für die Downing Street aus der Deckung und wollen selbst ans Ruder. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Tom Tugendhat zum Beispiel ist außer unter Politik-Nerds wenig bekannt. Er war früher Soldat und glaubt wohl, Großbritannien brauche jetzt einen festen Griff. Ansonsten verspricht er einen Neuanfang. Aber das tun sie alle, die bislang 16 Anwärter auf Johnsons Stuhl: von der Außenministerin Liz Truss über Verteidigungsminister Ben Wallace bis zum derzeit Erstplatzierten, dem früheren Finanzminister Rishi Sunak, der am Dienstag durch seinen Rücktritt das politische Erdbeben in London mit ausgelöst hatte.
Abrechnung mit Johnsons Erbe
Der Tory Abgeordnete Mark Jenkinson macht sich auf Twitter über den Ansturm seiner Parteikollegen auf das Premierministeramt lustig:
“Ich habe Rat von Leuten gesucht, die mir Honig ums Maul schmieren. Das führt mich dazu, wie auch das übertriebene Gefühl meiner eigenen Wichtigkeit, meinen Hut in den Ring zu werfen und mich um das Amt als Vorsitzender der konservativen Partei zu bewerben”.
Selbst im größten Chaos funktioniert der britische Humor. Und manche fühlen sich beflügelt, wie die Journalisten des britischen Wirtschaftsmagazins “The Economist”, die mit ihrem Titelbild zum “Fall eines Clowns” um die treffendste Karikatur des Jahres konkurrieren können. Darüber hinaus aber kommen sie zu einer niederschmetternden Bewertung von Boris Johnsons Amtszeit: Seine Regierungszeit sei vorbei und die Konservativen schlecht darauf vorbereitet, “die Schäden zu beheben.” Er habe im Amt ringsum, politisch und ökonomisch, Trümmer hinterlassen.
Kurz vor Ende habe es fast so ausgesehen, als würde Boris Johnson “Großbritannien noch an einen düsteren Ort im Stil von Donald Trump führen”, als er sich am Amt festklammerte. “Jetzt sind viele froh, dass es einfach vorbei ist”, kommentiert George Parker von der “Financial Times” auf der Parlamentswiese das Geschehen der letzten Tage. Und bisher sei überhaupt nicht klar, in welche Richtung die Partei treibe: “Wird jemand gewählt, der die Beziehungen zu Europa verbessert und den Streit um das Nordirland-Protokoll beendet?” All das sei noch völlig offen. Aber Parker hofft auf bessere Zeiten für Großbritannien bei den internationalen Beziehungen: “Ehrlich, wie viele andere Regierungschefs haben den Abgang von Boris Johnson beweint? Ich habe eine Stellungnahme von Präsident Joe Biden gesehen, der über die besondere Beziehung (zwischen den USA und Großbritannien) spricht und Boris Johnsons Namen nicht einmal erwähnt.”
Und dann gibt es auch noch eine Opposition im Land. Der Chef der Labour Party Keir Starmer meldete sich am Freitag zu Wort und versprach eine bessere Politik: “Hier geht es nicht nur um Boris Johnson. Das Gefühl, dass die Politik nicht funktioniert, köchelt schon seit Jahren. Und die Leute haben den Glauben daran verloren, dass sich das ändern kann”. Er würde als Premierminister zwar nicht alles richtig, aber vieles besser machen, verspricht Starmer. Nur: Dazu braucht er Neuwahlen, und weil Labour in den Umfragen deutlich führt, werden die Konservativen ihre existierende Parlamentsmehrheit nutzen und dies um jeden Preis zu verhindern versuchen.