NATO-Einsätze: Wie sehr ist die Bundeswehr gefordert?
Die NATO rüstet auf – und Deutschland beteiligt sich. Die Bundeswehr soll 15.000 kampfbereite Soldaten für die schnelle Eingreiftruppe der Allianz bereitstellen. Ein Plan mit einigen Hürden.
Die schnelle Eingreiftruppe ist die “Brandschutzmauer” der NATO. Ihre multinationalen Kampfverbände stehen auf Abruf bereit. Erste Einheiten rücken im Ernstfall innerhalb von 48 Stunden in Krisengebiete ein und übernehmen verschiedenste Missionen: am Boden, in der Luft oder zur See. Sie bilden die erste Verteidigungslinie.
Bald soll die NATO Response Force NRF noch abschreckender wirken. Das beschloss die Allianz vergangene Woche auf ihrem Gipfel in Madrid – wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und zur Sicherung ihrer Ostflanke. Dafür wird die Reaktionsstreitmacht massiv aufgestockt: von derzeit 40.000 auf 300.000 kampfbereite Soldatinnen und Soldaten.
Die schnelle Eingreiftruppe ist die “Brandschutzmauer” der NATO. Ihre multinationalen Kampfverbände stehen auf Abruf bereit. Erste Einheiten rücken im Ernstfall innerhalb von 48 Stunden in Krisengebiete ein und übernehmen verschiedenste Missionen: am Boden, in der Luft oder zur See. Sie bilden die erste Verteidigungslinie.
Bereits im nächsten Jahr will Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg einen Großteil der ausgebauten schnellen Reaktionskräfte einsatzfähig sehen. Mit der neuen NATO-Strategie steht auch die Bundeswehr unter Druck.
Bundeswehr-Beteiligung an NATO-Einsätzen
Deutschland beteiligt sich mit 15.000 Landstreitkräften, kündigte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) an. Drei- bis fünftausend sollen in Litauen stationiert werden. Bisher sind es in dem baltischen Land rund eintausend. Hinzu kommen 65 Flugzeuge, 20 Schiffe sowie Einheiten der Spezialeinheit Kommando Spezialkräfte KSK.
Während man in der Brüsseler NATO-Zentrale neues Selbstbewusstsein getankt hat, weil die von Frankreichs Präsident Macron als “hirntot” bezeichnete Verteidigungsallianz lebendiger denn je ist, fallen die Reaktionen in Deutschland aber eher ernüchternd aus. Der marode Zustand der Bundeswehr weckt Zweifel, ob sie die neuen NATO-Aufgaben bewältigt. Seit dem Ende des Kalten Kriegs wurde die Truppe rigoros runtergespart. Nun steht sie ziemlich blank da im “Kalten Krieg 2.0”.
Wie schlimm es um die Parlamentsarmee steht, legte ihre Dienstherrin zuletzt bei einer Bundestagsdebatte Ende April offen: “Wir haben auf dem Papier 350 Schützenpanzer Puma, davon sind tatsächlich 150 einsatzbereit”, sagte Verteidigungsministerin Lambrecht. Beim Kampfhubschrauber Tiger sei es ähnlich. Von 51 Maschinen könnten nur neun abheben. Es fehlen auch Schutzwesten, Rucksäcke und Nachsichtgeräte. Sogar wärmende Unterwäsche für die Truppen an der NATO-Ostflanke ist Mangelware.
Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl (SPD), rechnet damit, dass die Aufstockung der schnellen NATO-Einsatztruppe die Bundeswehr schwer belasten wird. “Absehbar ist, dass die Anforderungen an Deutschland steigen werden. Für die Bundeswehr bedeutet das eine enorme Herausforderung und erfordert große Anstrengungen hinsichtlich Personal, Material, Ausrüstung und Infrastruktur”, erklärte Högl der Tageszeitung Augsburger Allgemeine.
Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, André Wüstner, sieht die Armee “vor der Riesenherausforderung, aus einem Zustand der kleinsten Bundeswehr aller Zeiten jetzt diese Aufgabe übernehmen zu können.” Derzeit leisten rund 183.000 Soldatinnen und Soldaten Dienst in der Bundeswehr.
Wüstner geht davon aus, dass das schuldenfinanzierte Sondervermögen von einhundert Milliarden Euro für eine strukturelle Neusaurichtung der Truppe nicht ausreichen wird: “Wenn man erreichen will, was man vorhat, dann sprechen wir von einem Volumen von über 200 Milliarden”, sagte der Vorsitzende des Bundeswehrverbands im Zweiten Deutschen Fernsehen.
Was genau mit dem vielen Geld eingekauft wird, darüber beraten Strategen des Verteidigungsministeriums. Viel Zeit bleibt nicht. Es muss Tempo gemacht werden, um die Streitkräfte fit zu machen. Sonst könnte bereits die Ausrüstungsbeschaffung zum Fiasko werden.
“Die Regale sind leer. So muss man sich das vorstellen”, warnt Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, DGAP, im DW-Gespräch. “Der Markt macht erst was verfügbar, wenn sie sagen, dass sie kaufen wollen. Es ist ja nicht so, als ob man einen Panzer wie in einem Supermarkt von der Stange bekommt. Die müssen erst hergestellt werden und stehen nicht irgendwo rum, zumindest keine guten.”
Dann kann es auch noch passieren, dass Rüstungshersteller eventuell bestehende Aufträge vorher abarbeiten müssen. “Wenn es die Bundeswehr schaffen will, das benötigte Material zu bekommen, dann muss bald mal eine Bestellung ausgelöst werden, um die Panzer, die Artillerie und den ganzen Rest zu kaufen”, sagt Mölling.
Vor allen Dingen bräuchten die Soldaten Führungsstrukturen und Logistik. “Sie müssen transportfähig sein. Und – das ist im Militär das Wichtigste – die Fähigkeit zu kommunizieren”, fügt der DGAP-Experte hinzu. Also moderne Funkgeräte, Satelliten, die ganze Bandbreite an Kommunikationsmöglichkeiten. “Da haben wir auch Nachholbedarf.”
In Friedenszeiten könne man solche Mängel überspielen, sagt Mölling. “In Kriegszeiten aber werden diese Defizite brutal sichtbar. Wenn man die nicht in den Griff kriegt, dann ist man im Zweifelsfall tot.”
Beim Eilmarsch in die Zukunft muss die Bundeswehr einige tiefe Gräben überwunden. Dabei geht es auch um einen Mentalitätswandel. Zu den Grundlagen deutscher Sicherheitspolitik nach dem Zeiten Weltkrieg gehört die größtmögliche militärische Zurückhaltung. Das war weitgehend Konsens sowohl in der Politik wie der deutschen Mehrheitsgesellschaft. In den Jahrzehnten des Friedens hatte sich Deutschland außerdem sehr bequem eingerichtet. Vieles wurde über-bürokratisiert, Entscheidungsprozesse dadurch verlangsamt.
Das rächt sich. Jetzt, wo der Ernstfall so nah scheint und sich die Bundeswehr in eine schlagkräftige Kampftruppe wandeln muss, die selbst schwere Gefechte bestehen soll. Ein weiteres defizitäres Herumlavieren dürfte sich Deutschland angesichts der neuen NATO-Strategie kaum mehr leisten können.
“Sie ist eine weitere Zeitenwende”, sagt Frank Sauer von der Bundeswehruniversität in München in Anspielung auf die Zeitenwenden-Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz zu Beginn der russischen Invasion. “Die NATO-Kontingente, die bisher an der Ostflanke im Baltikum standen, waren im Prinzip nur gedacht, als eine Art Stolperdraht”, erklärt der Militärforscher im DW-Gespräch. Dahinter stand die Idee, einen möglichen Einmarsch Russlands in NATO-Gebiet zu verlangsamen, damit die Allianz Zeit gewinnt, deren Rückeroberung zu organisieren.
“Aber angesichts der russischen Kriegführung in der Ukraine sagt man jetzt: Wir können nicht nur einen Stolperdraht spannen. Wir müssen von Anfang an verteidigungsfähig sein. Deswegen hat man diese massive Aufstockung beschlossen”, erläutert Sauer.
Für die Bundeswehr sei es insofern extrem bedeutsam, als dass sie mit Blick auf Litauen nicht nur weiter aufstocke, “sondern weil Deutschland voraussichtlich die logistische Drehscheibe sein wird, über die alles abgewickelt wird.” Es gehe im Kern um eine große strategische Neuausrichtung in Europa mit nachhaltigen Effekten für die Bundeswehr. Sauer: “Wenn die Frage ist: kann man es schaffen? Würde ich sagen, Ja. Ob wir es schaffen werden, weiß ich nicht, weil es eine solche Herausforderung ist.”
Die schnelle Eingreiftruppe ist die “Brandschutzmauer” der NATO. Ihre multinationalen Kampfverbände stehen auf Abruf bereit. Erste Einheiten rücken im Ernstfall innerhalb von 48 Stunden in Krisengebiete ein und übernehmen verschiedenste Missionen: am Boden, in der Luft oder zur See. Sie bilden die erste Verteidigungslinie.
Bald soll die NATO Response Force NRF noch abschreckender wirken. Das beschloss die Allianz vergangene Woche auf ihrem Gipfel in Madrid – wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und zur Sicherung ihrer Ostflanke. Dafür wird die Reaktionsstreitmacht massiv aufgestockt: von derzeit 40.000 auf 300.000 kampfbereite Soldatinnen und Soldaten.
Bundeswehr-Beteiligung an NATO-Einsätzen
Bereits im nächsten Jahr will Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg einen Großteil der ausgebauten schnellen Reaktionskräfte einsatzfähig sehen. Mit der neuen NATO-Strategie steht auch die Bundeswehr unter Druck.
Deutschland beteiligt sich mit 15.000 Landstreitkräften, kündigte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) an. Drei- bis fünftausend sollen in Litauen stationiert werden. Bisher sind es in dem baltischen Land rund eintausend. Hinzu kommen 65 Flugzeuge, 20 Schiffe sowie Einheiten der Spezialeinheit Kommando Spezialkräfte KSK.
Während man in der Brüsseler NATO-Zentrale neues Selbstbewusstsein getankt hat, weil die von Frankreichs Präsident Macron als “hirntot” bezeichnete Verteidigungsallianz lebendiger denn je ist, fallen die Reaktionen in Deutschland aber eher ernüchternd aus. Der marode Zustand der Bundeswehr weckt Zweifel, ob sie die neuen NATO-Aufgaben bewältigt. Seit dem Ende des Kalten Kriegs wurde die Truppe rigoros runtergespart. Nun steht sie ziemlich blank da im “Kalten Krieg 2.0”.
Wie schlimm es um die Parlamentsarmee steht, legte ihre Dienstherrin zuletzt bei einer Bundestagsdebatte Ende April offen: “Wir haben auf dem Papier 350 Schützenpanzer Puma, davon sind tatsächlich 150 einsatzbereit”, sagte Verteidigungsministerin Lambrecht. Beim Kampfhubschrauber Tiger sei es ähnlich. Von 51 Maschinen könnten nur neun abheben. Es fehlen auch Schutzwesten, Rucksäcke und Nachsichtgeräte. Sogar wärmende Unterwäsche für die Truppen an der NATO-Ostflanke ist Mangelware.
Zweifel an der Bundeswehrtauglichkeit
Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl (SPD), rechnet damit, dass die Aufstockung der schnellen NATO-Einsatztruppe die Bundeswehr schwer belasten wird. “Absehbar ist, dass die Anforderungen an Deutschland steigen werden. Für die Bundeswehr bedeutet das eine enorme Herausforderung und erfordert große Anstrengungen hinsichtlich Personal, Material, Ausrüstung und Infrastruktur”, erklärte Högl der Tageszeitung Augsburger Allgemeine.
Riesenherausforderung für kleinste Armee aller Zeiten
Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, André Wüstner, sieht die Armee “vor der Riesenherausforderung, aus einem Zustand der kleinsten Bundeswehr aller Zeiten jetzt diese Aufgabe übernehmen zu können.” Derzeit leisten rund 183.000 Soldatinnen und Soldaten Dienst in der Bundeswehr.
Wüstner geht davon aus, dass das schuldenfinanzierte Sondervermögen von einhundert Milliarden Euro für eine strukturelle Neusaurichtung der Truppe nicht ausreichen wird: “Wenn man erreichen will, was man vorhat, dann sprechen wir von einem Volumen von über 200 Milliarden”, sagte der Vorsitzende des Bundeswehrverbands im Zweiten Deutschen Fernsehen.
Was genau mit dem vielen Geld eingekauft wird, darüber beraten Strategen des Verteidigungsministeriums. Viel Zeit bleibt nicht. Es muss Tempo gemacht werden, um die Streitkräfte fit zu machen. Sonst könnte bereits die Ausrüstungsbeschaffung zum Fiasko werden.
Kein Supermarkt mit Panzern von der Stange
“Die Regale sind leer. So muss man sich das vorstellen”, warnt Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, DGAP, im DW-Gespräch. “Der Markt macht erst was verfügbar, wenn sie sagen, dass sie kaufen wollen. Es ist ja nicht so, als ob man einen Panzer wie in einem Supermarkt von der Stange bekommt. Die müssen erst hergestellt werden und stehen nicht irgendwo rum, zumindest keine guten.”
Dann kann es auch noch passieren, dass Rüstungshersteller eventuell bestehende Aufträge vorher abarbeiten müssen. “Wenn es die Bundeswehr schaffen will, das benötigte Material zu bekommen, dann muss bald mal eine Bestellung ausgelöst werden, um die Panzer, die Artillerie und den ganzen Rest zu kaufen”, sagt Mölling.
Im Zweifelsfall ist man tot
Vor allen Dingen bräuchten die Soldaten Führungsstrukturen und Logistik. “Sie müssen transportfähig sein. Und – das ist im Militär das Wichtigste – die Fähigkeit zu kommunizieren”, fügt der DGAP-Experte hinzu. Also moderne Funkgeräte, Satelliten, die ganze Bandbreite an Kommunikationsmöglichkeiten. “Da haben wir auch Nachholbedarf.”
Deutschland als Logistik-Drehscheibe
In Friedenszeiten könne man solche Mängel überspielen, sagt Mölling. “In Kriegszeiten aber werden diese Defizite brutal sichtbar. Wenn man die nicht in den Griff kriegt, dann ist man im Zweifelsfall tot.”
Beim Eilmarsch in die Zukunft muss die Bundeswehr einige tiefe Gräben überwunden. Dabei geht es auch um einen Mentalitätswandel. Zu den Grundlagen deutscher Sicherheitspolitik nach dem Zeiten Weltkrieg gehört die größtmögliche militärische Zurückhaltung. Das war weitgehend Konsens sowohl in der Politik wie der deutschen Mehrheitsgesellschaft. In den Jahrzehnten des Friedens hatte sich Deutschland außerdem sehr bequem eingerichtet. Vieles wurde über-bürokratisiert, Entscheidungsprozesse dadurch verlangsamt.
Das rächt sich. Jetzt, wo der Ernstfall so nah scheint und sich die Bundeswehr in eine schlagkräftige Kampftruppe wandeln muss, die selbst schwere Gefechte bestehen soll. Ein weiteres defizitäres Herumlavieren dürfte sich Deutschland angesichts der neuen NATO-Strategie kaum mehr leisten können.
“Sie ist eine weitere Zeitenwende”, sagt Frank Sauer von der Bundeswehruniversität in München in Anspielung auf die Zeitenwenden-Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz zu Beginn der russischen Invasion. “Die NATO-Kontingente, die bisher an der Ostflanke im Baltikum standen, waren im Prinzip nur gedacht, als eine Art Stolperdraht”, erklärt der Militärforscher im DW-Gespräch. Dahinter stand die Idee, einen möglichen Einmarsch Russlands in NATO-Gebiet zu verlangsamen, damit die Allianz Zeit gewinnt, deren Rückeroberung zu organisieren.
“Aber angesichts der russischen Kriegführung in der Ukraine sagt man jetzt: Wir können nicht nur einen Stolperdraht spannen. Wir müssen von Anfang an verteidigungsfähig sein. Deswegen hat man diese massive Aufstockung beschlossen”, erläutert Sauer.
Für die Bundeswehr sei es insofern extrem bedeutsam, als dass sie mit Blick auf Litauen nicht nur weiter aufstocke, “sondern weil Deutschland voraussichtlich die logistische Drehscheibe sein wird, über die alles abgewickelt wird.” Es gehe im Kern um eine große strategische Neuausrichtung in Europa mit nachhaltigen Effekten für die Bundeswehr. Sauer: “Wenn die Frage ist: kann man es schaffen? Würde ich sagen, Ja. Ob wir es schaffen werden, weiß ich nicht, weil es eine solche Herausforderung ist.”