WM-Schiedsrichterinnen für Katar: Brüskiert und angefeindet
Fußball-Referees brauchen generell ein dickes Fell. Das gilt besonders für Frauen, die Männer-Spiele leiten – wie jene sechs Schiedsrichterinnen, die bei der WM 2022 in Katar zum Einsatz kommen werden.
War es wirklich nur ein Missverständnis? Als die Brasilianerin Neuza Ines Back letztmals bei einem Fußballspiel in Katar war, gehörte sie zum Schiedsrichterinnen-Team beim Finale der Klub-WM 2021, dem wichtigsten Vereinsturnier der FIFA. Back hatte bereits Spiele auf höchstem Niveau gepfiffen, unter anderem bei der Weltmeistermeisterschaft der Frauen 2019 in Frankreich. Beim Endspiel in Al Rayyan, das der damalige Champions-League-Sieger FC Bayern gegen den mexikanischen Spitzenklub Tigres mit 1:0 gewann, war die Brasilianerin als Reserve-Referee eingeteilt – an der Seite der Vierten Offiziellen, ihrer Landsfrau Alves Batista.
Bei der Siegerehrung hielt Scheich Joaan bin Hamad Al Thani, Mitglied des katarischen Königshauses, den an ihm vorbei defilierenden Spielern und männlichen Offiziellen zum jovialen Gruß die Faust entgegen. Doch als Back und Batista ihn erreichten, blickte Al Thani an den beiden Frauen vorbei, als wären sie Luft. Das islamische Recht verbietet es Männern zwar, Frauen zu berühren, die nicht zu ihrer engsten Familie gehören. Aber es hindert sie nicht daran, höflich zu sein, indem sie den Blick senken oder andere Gesten wählen, die nicht mit einer Berührung verbunden sind.
War es wirklich nur ein Missverständnis? Als die Brasilianerin Neuza Ines Back letztmals bei einem Fußballspiel in Katar war, gehörte sie zum Schiedsrichterinnen-Team beim Finale der Klub-WM 2021, dem wichtigsten Vereinsturnier der FIFA. Back hatte bereits Spiele auf höchstem Niveau gepfiffen, unter anderem bei der Weltmeistermeisterschaft der Frauen 2019 in Frankreich. Beim Endspiel in Al Rayyan, das der damalige Champions-League-Sieger FC Bayern gegen den mexikanischen Spitzenklub Tigres mit 1:0 gewann, war die Brasilianerin als Reserve-Referee eingeteilt – an der Seite der Vierten Offiziellen, ihrer Landsfrau Alves Batista.
Das Video des Vorfalls ging viral. Die Organisatoren betonten, es habe sich um ein “kleines Missverständnis” im Zusammenhang mit den COVID-19-Hygieneprotokollen gehandelt. Kritiker werteten den Vorfall jedoch als weiteres Indiz dafür, dass der Golfstaat mit seinen strengen Gesetzen eigentlich ungeeignet sei, Sportveranstaltungen globaler Dimension auszurichten.
Sechs Frauen, 123 Männer
Die Brasilianerin Back wird im November nach Katar zurückkehren. Die 37-Jährige ist eine von sechs Frauen im 129-köpfigen Schiri-Team für die Fußball-WM. Wie die US-Amerikanerin Kathryn Nesbitt und die Mexikanerin Karen Diaz Medina ist Back als Assistentin eingeplant. Die Französin Stephanie Frappart, die Japanerin Yoshimi Yamashita und Salima Mukansanga aus Ruanda sollen WM-Spiele leiten.
Das ist eine Premiere bei einer Männer-WM. Und das ausgerechnet bei einer Endrunde, die so umstritten ist wie kaum eine andere zuvor. Menschenrechtsorganisationen werfen der Regierung Katars “Sportswashing” vor: Mit dem Glanz der Fußball-WM solle von den Menschenrechtsverletzungen im Land abgelenkt werden, einschließlich der Diskriminierung von Frauen. Auch wenn der Frauenanteil unter den WM-Referees nur knapp fünf Prozent ausmacht, halten Expertinnen den Schritt für wichtig. Besonders in einem Land, in dem Frauen – wie beim Finale der Klub-WM geschehen – oft buchstäblich übersehen werden.
“Dass dies in Katar geschieht, ist ein starkes Statement”, findet Erin Blankenship, Mitbegründerin von “Equal Playing Field”. Die gemeinnützige Organisation setzt sich für eine stärke Rolle von Frauen im Sport ein. “Ich erwarte nicht, dass wir bei einer WM eine Geschlechterquote von 50/50 haben”, sagt Blankenship der DW. “Aber wir sollten dorthin kommen, dass es egal wird, welches Geschlecht man hat: Wenn man den Job beherrscht, sollte man auch das Recht haben, auf dem Platz zu stehen. Das ist das Ziel.”
Nicht alle freuen sich über Schiedsrichterinnen bei einer Fußball-WM. Vor allem Männer machen sich häufig über weibliche Referees lustig. Davon kann Stephanie Frappart ein Lied singen. Dabei gehört die 37-Jährige seit langem zu den besten Referees Frankreichs. 2019 war Frappart die erste Frau, die ein UEFA-Finale der Männer leitete: das Endspiel um den Supercup zwischen dem FC Liverpool und dem FC Chelsea. 2020 pfiff Frappart zudem als erster weiblicher Schiri ein Champions-League-Spiel: Juventus Turin gegen Dynamo Kiew.
Seit mehr als zehn Jahren steht die Französin auch auf der Referee-Liste des Weltverbands FIFA. So leitete sie das spannende Finale der Frauen-WM 2019 in Frankreich, in dem das von Megan Rapinoe angeführte US-Team die Europameisterinnen aus den Niederlanden mit 2:0 besiegte. Und dennoch kritisierte der frühere französische Nationalspieler Jérôme Rothen die Berufung Frapparts für die WM 2022 in Katar. Die Schiedsrichterin sei dieser Aufgabe “nicht gewachsen”, sagte der 44-Jährige in einer Radiosendung.
“Wer so etwas von sich gibt, denkt, dass Frauen niemals gut genug für Männerspiele sein werden”, entgegnet Erin Blankenship. “Dabei handelt es sich bei Sportlerinnen, die es so weit gebracht haben, in der Regel um Frauen, die bereit sind, sich zu wehren. Und die schon viele unsichtbare Berge bestiegen haben.”
Während Frappant in Frankreich weiterhin mit Chauvinismus zu kämpfen hat, sieht sich ihre Kollegin Salima Mukansanga in Ruanda vor ganz anderen Herausforderungen. Referees, egal ob Männer oder Frauen, sind für die meisten Fans Feindbilder. Selbst ihr eigener Vater habe die Offiziellen wüst beschimpft, wenn sein Team verloren habe, sagt die 33-Jährige. Sie selbst habe dagegen in den Referees immer die wichtigsten Personen auf dem Feld gesehen, weil sie die Spielerinnen und Spieler anleiteten. Als sie mit 15 Jahren von der Schule abging, begann Mukansanga, Fußballspiele zu pfeifen. Sie arbeitete sich durch die Ligen Ruandas bis hinauf zu internationalen Turnieren. Anfang des Jahres machte sie Schlagzeilen als erste Schiedsrichterin beim Afrika-Cup der Männer: Mukansanga leitete zwei Spiele des Turniers in Kamerun.
Vor dem Anpfiff des Spieles zwischen Simbabwe und Guinea sei sie nervös gewesen, räumt die Schiedsrichterin gegenüber der DW ein. Der Druck, bei einem so wichtigen Männerturnier zu pfeifen, sei höher als sonst gewesen. Auch weil viele Menschen in ihrem Heimatland Ruanda von ihrem Einsatz begeistert gewesen seien und sie ganz genau beobachtet hätten. Als das Spiel lief, blendete Mukansanga das Publikum vollkommen aus – und besiegte ihre Angst. Als ein Stürmer sie herablassend am Arm berührte und ihr riet, die Gelbe Karte für seinen Mitspieler zu überdenken, antwortete die Schiedsrichterin: “Willst du auch eine?” Daraufhin schlich sich der Spieler davon.
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.
War es wirklich nur ein Missverständnis? Als die Brasilianerin Neuza Ines Back letztmals bei einem Fußballspiel in Katar war, gehörte sie zum Schiedsrichterinnen-Team beim Finale der Klub-WM 2021, dem wichtigsten Vereinsturnier der FIFA. Back hatte bereits Spiele auf höchstem Niveau gepfiffen, unter anderem bei der Weltmeistermeisterschaft der Frauen 2019 in Frankreich. Beim Endspiel in Al Rayyan, das der damalige Champions-League-Sieger FC Bayern gegen den mexikanischen Spitzenklub Tigres mit 1:0 gewann, war die Brasilianerin als Reserve-Referee eingeteilt – an der Seite der Vierten Offiziellen, ihrer Landsfrau Alves Batista.
Bei der Siegerehrung hielt Scheich Joaan bin Hamad Al Thani, Mitglied des katarischen Königshauses, den an ihm vorbei defilierenden Spielern und männlichen Offiziellen zum jovialen Gruß die Faust entgegen. Doch als Back und Batista ihn erreichten, blickte Al Thani an den beiden Frauen vorbei, als wären sie Luft. Das islamische Recht verbietet es Männern zwar, Frauen zu berühren, die nicht zu ihrer engsten Familie gehören. Aber es hindert sie nicht daran, höflich zu sein, indem sie den Blick senken oder andere Gesten wählen, die nicht mit einer Berührung verbunden sind.
Sechs Frauen, 123 Männer
Das Video des Vorfalls ging viral. Die Organisatoren betonten, es habe sich um ein “kleines Missverständnis” im Zusammenhang mit den COVID-19-Hygieneprotokollen gehandelt. Kritiker werteten den Vorfall jedoch als weiteres Indiz dafür, dass der Golfstaat mit seinen strengen Gesetzen eigentlich ungeeignet sei, Sportveranstaltungen globaler Dimension auszurichten.
Die Brasilianerin Back wird im November nach Katar zurückkehren. Die 37-Jährige ist eine von sechs Frauen im 129-köpfigen Schiri-Team für die Fußball-WM. Wie die US-Amerikanerin Kathryn Nesbitt und die Mexikanerin Karen Diaz Medina ist Back als Assistentin eingeplant. Die Französin Stephanie Frappart, die Japanerin Yoshimi Yamashita und Salima Mukansanga aus Ruanda sollen WM-Spiele leiten.
Das ist eine Premiere bei einer Männer-WM. Und das ausgerechnet bei einer Endrunde, die so umstritten ist wie kaum eine andere zuvor. Menschenrechtsorganisationen werfen der Regierung Katars “Sportswashing” vor: Mit dem Glanz der Fußball-WM solle von den Menschenrechtsverletzungen im Land abgelenkt werden, einschließlich der Diskriminierung von Frauen. Auch wenn der Frauenanteil unter den WM-Referees nur knapp fünf Prozent ausmacht, halten Expertinnen den Schritt für wichtig. Besonders in einem Land, in dem Frauen – wie beim Finale der Klub-WM geschehen – oft buchstäblich übersehen werden.
“Dass dies in Katar geschieht, ist ein starkes Statement”, findet Erin Blankenship, Mitbegründerin von “Equal Playing Field”. Die gemeinnützige Organisation setzt sich für eine stärke Rolle von Frauen im Sport ein. “Ich erwarte nicht, dass wir bei einer WM eine Geschlechterquote von 50/50 haben”, sagt Blankenship der DW. “Aber wir sollten dorthin kommen, dass es egal wird, welches Geschlecht man hat: Wenn man den Job beherrscht, sollte man auch das Recht haben, auf dem Platz zu stehen. Das ist das Ziel.”
Unsichtbare Berge bestiegen
Nicht alle freuen sich über Schiedsrichterinnen bei einer Fußball-WM. Vor allem Männer machen sich häufig über weibliche Referees lustig. Davon kann Stephanie Frappart ein Lied singen. Dabei gehört die 37-Jährige seit langem zu den besten Referees Frankreichs. 2019 war Frappart die erste Frau, die ein UEFA-Finale der Männer leitete: das Endspiel um den Supercup zwischen dem FC Liverpool und dem FC Chelsea. 2020 pfiff Frappart zudem als erster weiblicher Schiri ein Champions-League-Spiel: Juventus Turin gegen Dynamo Kiew.
Nervös, aber entschlossen
Seit mehr als zehn Jahren steht die Französin auch auf der Referee-Liste des Weltverbands FIFA. So leitete sie das spannende Finale der Frauen-WM 2019 in Frankreich, in dem das von Megan Rapinoe angeführte US-Team die Europameisterinnen aus den Niederlanden mit 2:0 besiegte. Und dennoch kritisierte der frühere französische Nationalspieler Jérôme Rothen die Berufung Frapparts für die WM 2022 in Katar. Die Schiedsrichterin sei dieser Aufgabe “nicht gewachsen”, sagte der 44-Jährige in einer Radiosendung.
“Wer so etwas von sich gibt, denkt, dass Frauen niemals gut genug für Männerspiele sein werden”, entgegnet Erin Blankenship. “Dabei handelt es sich bei Sportlerinnen, die es so weit gebracht haben, in der Regel um Frauen, die bereit sind, sich zu wehren. Und die schon viele unsichtbare Berge bestiegen haben.”
Während Frappant in Frankreich weiterhin mit Chauvinismus zu kämpfen hat, sieht sich ihre Kollegin Salima Mukansanga in Ruanda vor ganz anderen Herausforderungen. Referees, egal ob Männer oder Frauen, sind für die meisten Fans Feindbilder. Selbst ihr eigener Vater habe die Offiziellen wüst beschimpft, wenn sein Team verloren habe, sagt die 33-Jährige. Sie selbst habe dagegen in den Referees immer die wichtigsten Personen auf dem Feld gesehen, weil sie die Spielerinnen und Spieler anleiteten. Als sie mit 15 Jahren von der Schule abging, begann Mukansanga, Fußballspiele zu pfeifen. Sie arbeitete sich durch die Ligen Ruandas bis hinauf zu internationalen Turnieren. Anfang des Jahres machte sie Schlagzeilen als erste Schiedsrichterin beim Afrika-Cup der Männer: Mukansanga leitete zwei Spiele des Turniers in Kamerun.
Vor dem Anpfiff des Spieles zwischen Simbabwe und Guinea sei sie nervös gewesen, räumt die Schiedsrichterin gegenüber der DW ein. Der Druck, bei einem so wichtigen Männerturnier zu pfeifen, sei höher als sonst gewesen. Auch weil viele Menschen in ihrem Heimatland Ruanda von ihrem Einsatz begeistert gewesen seien und sie ganz genau beobachtet hätten. Als das Spiel lief, blendete Mukansanga das Publikum vollkommen aus – und besiegte ihre Angst. Als ein Stürmer sie herablassend am Arm berührte und ihr riet, die Gelbe Karte für seinen Mitspieler zu überdenken, antwortete die Schiedsrichterin: “Willst du auch eine?” Daraufhin schlich sich der Spieler davon.
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.