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Wer zieht nach Boris Johnsons Abgang in die Downing Street?

Die konservative Partei eröffnet das Rennen um die Nachfolge von Boris Johnson – Stichtag ist der 5. September. Politisch sind die Kandidaten ziemlich einig.

Es soll einigermaßen schnell gehen, aber nicht überhastet wirken: Die britischen Konservativen geben den Startschuss für das Rennen um Boris Johnsons Nachfolge.

Der noch amtierende Premier selbst übrigens, der an diesem Montag das erste Interview nach seiner Rücktrittsankündigung gab, hält sich zur Frage nach einem Nachfolger bedeckt. Er wolle niemandes Chancen mit einem Votum verderben.  

Es soll einigermaßen schnell gehen, aber nicht überhastet wirken: Die britischen Konservativen geben den Startschuss für das Rennen um Boris Johnsons Nachfolge.

Die Tories kehren der Entwicklung in Boris Johnsons Amtszeit den Rücken und zeigen sich jetzt wieder als Partei der radikalen Steuersenker. Quasi alle Kandidaten wollen den Bürgern mehr von ihrem Einkommen lassen – unter Johnson waren die Steuern auf den höchsten Stand der letzten Jahre gestiegen.

Die Ziele ähneln sich

Dazu gehört auch die Rücknahme des Anstiegs bei den Sozialabgaben. Und die vom letzten Finanzminister Rishi Sunak geplante Erhöhung der Unternehmenssteuer soll ebenfalls vom Tisch: Er wollte sie auf 21 Prozent anheben, viele seiner Konkurrenten fordern jetzt einen Niedrigsteuersatz von 15 Prozent und wischen damit die internationalen Pläne für eine globale Mindeststeuer vom Tisch. 

Ob damit allerdings die anhaltende Schwäche bei den Auslandsinvestitionen behoben werden könnte, ist dahingestellt. Denn alle Kandidatinnen und Kandidaten bekennen sich gleichzeitig zum harten Brexit, der nach Schätzungen das Land schon mehr als zwei Prozent vom Wirtschaftswachstum gekostet hat.

Die Angst selbst der moderateren Bewerber vor Gegenwind von den harten Brexiteers in der missverständlich benannten “European Research Group” ist so groß, dass nicht einmal der Oppositionsführer es wagt, am Credo des harten Ausstiegs zu rütteln.

Das größte Problem bei diesen Steuerplänen ist allerdings, dass kaum jemand sie gegenfinanziert. Außer vagen Hinweisen auf Ersparnisse im öffentlichen Dienst und fiskalische “Luft nach oben” bleibt das meiste offen. Aufgrund der Coronakrise und des schwachen Wachstums ist die britische Staatsverschuldung auf etwa 95 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gestiegen und die nächste Tory-Regierung – wer auch immer ihr vorsteht – scheint diese wohl weiter in die Höhe treiben zu wollen.

Und übrigens: Natürlich versprechen alle, aber auch wirklich alle einen Neuanfang. 

Das Feld der Bewerberinnen und Bewerber ist in diesem Rennen diverser denn je, mehrere von ihnen sind asiatischer oder afrikanischer Abstammung. Allerdings bilden sie eine erstaunliche Mischung aus früheren Ministern der Johnson Regierung, ausgesprochen kontroversen Figuren und völlig unbekannten Hinterbänklern.

Die besten Chancen scheint nach wie vor Ex-Finanzminister Rishi Sunak zu haben. Allerdings laufen die Intrigen gegen ihn heiß: Erneute Hinweise auf den Steuersitz seiner superreichen Ehefrau und die Tatsache, dass Sunak selbst lange Zeit über eine US-Green Card verfügte, sollen ihn in den Augen der Parteimitglieder diskreditieren.

Es gibt Gerüchte, die Negativkampagne käme aus dem Umfeld von Boris Johnsons Beratern. Johnson sei immer noch wütend über Sunaks Rücktritt am letzten Dienstag, der zu seinem politischen Abgang PM entscheidend beigetragen hatte.

Durch die Mangel gedreht wird auch Sunaks Nachfolger im Amt des Schatzkanzlers, Nadhim Zahawi, der sich gegen Vorwürfe wehren muss, es gebe gegen ihn anhängige Steuerermittlungen. Er soll beim Aufbau seines Multimillionenvermögens angeblich zweimal mit Unternehmen zusammengearbeitet haben, die später Bankrott machten.

Und auch Ex-Gesundheitsminister Sajid Javid, der die meiste Regierungserfahrung mitbringt und ebenfalls zu Boris Johnsons Abgang beigetragen hat, drückt sich um genauere Angaben zu seinen Steuerangelegenheiten herum. Die Superreichen unter den Kandidaten scheinen da Probleme zu haben.

Mit im Feld laufen auch Außenministerin Liz Truss, deren Gegner ihr weitgehende Ahnungslosigkeit nachsagen. Oder Generalanwältin Suella Braverman, die von Teilen der harten Tory-Rechten unterstützt wird und sich den Kampf gegen “Woke”ism und Identitätspolitik auf die Fahne schreibt.

Der Anführer der Rechten, Steve Baker, warnte inzwischen sogar noch vor einer Kandidatur von Jacob Rees-Mogg, den viele Briten für die Karikatur eines Tory-Abgeordneten aus dem 19. Jahrhundert halten und der als reines Wählergift erscheint.  

Der Abgeordnete Rehman Chishti ist der große Unbekannte, von dem selbst politische Insider in London noch nie gehört haben. Er scheint die Teilnahme am Rennen um das Premierministeramt eher wie die olympischen Spiele zu betrachten: Dabei sein ist alles. 

Die Ausscheidung ähnelt einer Art Wahlkampf: Die zwei Kandidaten stellen sich bei den regionalen Parteiverbänden vor und werben um Stimmen. Auf den sommerlichen Gartenpartys der Tories in ihren Hochburgen im Süden Englands entscheidet sich dann, wer die Gunst der Partei erringt und in die Downing Street einzieht.

Jeder Kandidat muss die Unterstützung von mindestens 20 Kolleginnen und Kollegen im Unterhaus mitbringen, um sich für die Auswahl zu qualifizieren. Bewerbungsschluss ist Dienstagabend. Danach folgen Ausscheidungsrunden im Unterhaus. Das ganze Verfahren soll bis zum 5. September beendet sein, wenn den Briten der neue Regierungschef präsentiert wird.

Die Kandidaten werden in zwei ersten Wahlrunden am kommenden Mittwoch und Donnerstag ausgesiebt, wobei diejenigen mit den wenigsten Stimmen aus dem Rennen ausscheiden. Das verbleibende Feld wird in weiteren Runden um jeweils den Letztplatzierten reduziert.

Graham Brady, Chef des sogenannten “1922 Komitees” der konservativen Abgeordneten, das in diesem Verfahren die entscheidende Rolle spielt, will die Bewerber vor den Sommerferien am 21.Juli auf zwei schrumpfen, die dann in die Ausscheidung gehen. In den nächsten zwei Wochen wird sich das Parlament in einen großen Intrigenstadel verwandeln, die internen Kämpfe sind giftig.

Großbritannien Finanzminister Nadhim Zahawi
Kombobild Rishi Sunak und Sajid Javid

Es soll einigermaßen schnell gehen, aber nicht überhastet wirken: Die britischen Konservativen geben den Startschuss für das Rennen um Boris Johnsons Nachfolge.

Der noch amtierende Premier selbst übrigens, der an diesem Montag das erste Interview nach seiner Rücktrittsankündigung gab, hält sich zur Frage nach einem Nachfolger bedeckt. Er wolle niemandes Chancen mit einem Votum verderben.  

Die Ziele ähneln sich

Die Tories kehren der Entwicklung in Boris Johnsons Amtszeit den Rücken und zeigen sich jetzt wieder als Partei der radikalen Steuersenker. Quasi alle Kandidaten wollen den Bürgern mehr von ihrem Einkommen lassen – unter Johnson waren die Steuern auf den höchsten Stand der letzten Jahre gestiegen.

Dazu gehört auch die Rücknahme des Anstiegs bei den Sozialabgaben. Und die vom letzten Finanzminister Rishi Sunak geplante Erhöhung der Unternehmenssteuer soll ebenfalls vom Tisch: Er wollte sie auf 21 Prozent anheben, viele seiner Konkurrenten fordern jetzt einen Niedrigsteuersatz von 15 Prozent und wischen damit die internationalen Pläne für eine globale Mindeststeuer vom Tisch. 

Ob damit allerdings die anhaltende Schwäche bei den Auslandsinvestitionen behoben werden könnte, ist dahingestellt. Denn alle Kandidatinnen und Kandidaten bekennen sich gleichzeitig zum harten Brexit, der nach Schätzungen das Land schon mehr als zwei Prozent vom Wirtschaftswachstum gekostet hat.

Die Angst selbst der moderateren Bewerber vor Gegenwind von den harten Brexiteers in der missverständlich benannten “European Research Group” ist so groß, dass nicht einmal der Oppositionsführer es wagt, am Credo des harten Ausstiegs zu rütteln.

Die Guten, die Schlechten und die Unbekannten

Das größte Problem bei diesen Steuerplänen ist allerdings, dass kaum jemand sie gegenfinanziert. Außer vagen Hinweisen auf Ersparnisse im öffentlichen Dienst und fiskalische “Luft nach oben” bleibt das meiste offen. Aufgrund der Coronakrise und des schwachen Wachstums ist die britische Staatsverschuldung auf etwa 95 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gestiegen und die nächste Tory-Regierung – wer auch immer ihr vorsteht – scheint diese wohl weiter in die Höhe treiben zu wollen.

Viel Geld, viele Fragen

Und übrigens: Natürlich versprechen alle, aber auch wirklich alle einen Neuanfang. 

Das Feld der Bewerberinnen und Bewerber ist in diesem Rennen diverser denn je, mehrere von ihnen sind asiatischer oder afrikanischer Abstammung. Allerdings bilden sie eine erstaunliche Mischung aus früheren Ministern der Johnson Regierung, ausgesprochen kontroversen Figuren und völlig unbekannten Hinterbänklern.

Die besten Chancen scheint nach wie vor Ex-Finanzminister Rishi Sunak zu haben. Allerdings laufen die Intrigen gegen ihn heiß: Erneute Hinweise auf den Steuersitz seiner superreichen Ehefrau und die Tatsache, dass Sunak selbst lange Zeit über eine US-Green Card verfügte, sollen ihn in den Augen der Parteimitglieder diskreditieren.

Wie funktioniert das Verfahren?

Es gibt Gerüchte, die Negativkampagne käme aus dem Umfeld von Boris Johnsons Beratern. Johnson sei immer noch wütend über Sunaks Rücktritt am letzten Dienstag, der zu seinem politischen Abgang PM entscheidend beigetragen hatte.

Durch die Mangel gedreht wird auch Sunaks Nachfolger im Amt des Schatzkanzlers, Nadhim Zahawi, der sich gegen Vorwürfe wehren muss, es gebe gegen ihn anhängige Steuerermittlungen. Er soll beim Aufbau seines Multimillionenvermögens angeblich zweimal mit Unternehmen zusammengearbeitet haben, die später Bankrott machten.

Und auch Ex-Gesundheitsminister Sajid Javid, der die meiste Regierungserfahrung mitbringt und ebenfalls zu Boris Johnsons Abgang beigetragen hat, drückt sich um genauere Angaben zu seinen Steuerangelegenheiten herum. Die Superreichen unter den Kandidaten scheinen da Probleme zu haben.

Mit im Feld laufen auch Außenministerin Liz Truss, deren Gegner ihr weitgehende Ahnungslosigkeit nachsagen. Oder Generalanwältin Suella Braverman, die von Teilen der harten Tory-Rechten unterstützt wird und sich den Kampf gegen “Woke”ism und Identitätspolitik auf die Fahne schreibt.

Der Anführer der Rechten, Steve Baker, warnte inzwischen sogar noch vor einer Kandidatur von Jacob Rees-Mogg, den viele Briten für die Karikatur eines Tory-Abgeordneten aus dem 19. Jahrhundert halten und der als reines Wählergift erscheint.  

Der Abgeordnete Rehman Chishti ist der große Unbekannte, von dem selbst politische Insider in London noch nie gehört haben. Er scheint die Teilnahme am Rennen um das Premierministeramt eher wie die olympischen Spiele zu betrachten: Dabei sein ist alles. 

Die Ausscheidung ähnelt einer Art Wahlkampf: Die zwei Kandidaten stellen sich bei den regionalen Parteiverbänden vor und werben um Stimmen. Auf den sommerlichen Gartenpartys der Tories in ihren Hochburgen im Süden Englands entscheidet sich dann, wer die Gunst der Partei erringt und in die Downing Street einzieht.

Jeder Kandidat muss die Unterstützung von mindestens 20 Kolleginnen und Kollegen im Unterhaus mitbringen, um sich für die Auswahl zu qualifizieren. Bewerbungsschluss ist Dienstagabend. Danach folgen Ausscheidungsrunden im Unterhaus. Das ganze Verfahren soll bis zum 5. September beendet sein, wenn den Briten der neue Regierungschef präsentiert wird.

Die Kandidaten werden in zwei ersten Wahlrunden am kommenden Mittwoch und Donnerstag ausgesiebt, wobei diejenigen mit den wenigsten Stimmen aus dem Rennen ausscheiden. Das verbleibende Feld wird in weiteren Runden um jeweils den Letztplatzierten reduziert.

Graham Brady, Chef des sogenannten “1922 Komitees” der konservativen Abgeordneten, das in diesem Verfahren die entscheidende Rolle spielt, will die Bewerber vor den Sommerferien am 21.Juli auf zwei schrumpfen, die dann in die Ausscheidung gehen. In den nächsten zwei Wochen wird sich das Parlament in einen großen Intrigenstadel verwandeln, die internen Kämpfe sind giftig.

Die Entscheidung über den neuen Premierminister fällen dann die rund 100.000 konservativen Parteimitglieder. Beim letzten Mal gaben sie ein überwältigendes Votum für Boris Johnson ab. Jetzt müssen sie überlegen, welche Qualitäten außer Witz und der Gabe für Popularität ein Amtsnachfolger eigentlich haben sollte.

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