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Uwe Seeler – authentisch bis in die Fußspitze

Mit 85 Jahren ist der legendäre deutsche Stürmer Uwe Seeler gestorben. Wie kein zweiter Fußballer verkörperte er den Hamburger SV. Doch auch weit über seine Heimatstadt hinaus war “Uns Uwe” ein Sympathieträger.

Uns Franz? Niemand wäre auf die Idee gekommen, Beckenbauer so zu titulieren. Der hieß nicht umsonst der “Kaiser”. Wegen seiner leicht hochnäsigen Art, auf und neben dem Platz. Uns Günter? Niemals, viel zu exzentrisch war Netzer. Uns Wolfgang? Auch Overath war nie Integrationsfigur. Uns Gerd? Ebenfalls nicht, der unvergessene Torjäger Müller war dafür zu maulfaul. Nein, das Attribut “uns” gehörte zu Seeler, weil “Uns Uwe” einfach so perfekt zu ihm passte.

1936 wurde Uwe Seeler geboren – na klar, in Hamburg. Dort blieb er sein ganzes Leben, in der Hansestadt und beim Hamburger SV. Die Elbmetropole machte ihn 2003 als ersten und bis heute einzigen Sportler überhaupt zum Ehrenbürger, der HSV stellte eine große Bronze-Plastik seines rechten Fußes vor dem Stadion auf. Hätte es in Hamburg eine Volksabstimmung darüber gegeben, welche Person der Gegenwart am ehesten die Stadt verkörperte, Uwe Seeler hätte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Rennen gemacht. Seeler war eben für die Hamburger, plattdeutsch gesagt, “Uns Uwe”.

Uns Franz? Niemand wäre auf die Idee gekommen, Beckenbauer so zu titulieren. Der hieß nicht umsonst der “Kaiser”. Wegen seiner leicht hochnäsigen Art, auf und neben dem Platz. Uns Günter? Niemals, viel zu exzentrisch war Netzer. Uns Wolfgang? Auch Overath war nie Integrationsfigur. Uns Gerd? Ebenfalls nicht, der unvergessene Torjäger Müller war dafür zu maulfaul. Nein, das Attribut “uns” gehörte zu Seeler, weil “Uns Uwe” einfach so perfekt zu ihm passte.

Seine Bodenständigkeit sei ihm quasi in die Wiege gelegt worden, hat Seeler einmal berichtet. Den Ball immer schön flachhalten, nicht abheben – so sei er erzogen worden. “Wir sind stinknormal – und das ist wunderbar”, fand Seeler. “Damit bin ich immer sehr gut gefahren.” Dabei hätte er allen Grund gehabt, die Nase hoch zu tragen. Denn er war ein außergewöhnlicher Stürmer.

Der Hamburger schlechthin

Schon sein Vater Erwin, ein Hafenarbeiter, gehörte in den 1920er und 30er Jahren zu den populärsten Fußballern in Hamburg. 1946 meldete er seine beiden Söhne Uwe und Dieter beim HSV an. Das besondere Talent Uwe Seelers wurde früh entdeckt. Bereits mit 16 Jahren gab er sein Debüt in der ersten Mannschaft des HSV, mit 18 war er Nationalspieler.

Die Zahl seiner Tore von der Jugend bis zum Karriereende wird auf etwa 1400 geschätzt. In der Oberliga und der 1963 gegründeten Bundesliga traf Seeler laut einer Statistik seines HSV insgesamt 445-mal in 519 Spielen. Einmal (1960) wurde er mit dem Verein deutscher Meister, einmal (1963) Pokalsieger. Seeler war mit 30 Treffern der erste Torschützenkönig der Bundesliga (1964).

Auch in der deutschen Nationalmannschaft lieferte “Uns Uwe”: 43 Tore in 72 Spielen. Ein großer Titel mit dem DFB-Team blieb ihm zwar versagt, doch Seeler sorgte für unvergessene Momente. Wie jenen, als er nach dem verlorenen WM-Finale 1966 im Wembleystadion als Kapitän der deutschen Elf mit gesenktem Kopf vom Platz schlich. Oder mit seinem vielleicht berühmtesten Tor, zum 2:2 kurz vor Schluss der regulären Spielzeit im WM-Viertelfinale 1970 gegen England (Endstand 3:2 n.V.). Jedes Kind in Deutschland, das in jener Zeit auf der Straße oder im Hinterhof kickte, versuchte anschließend, Seelers Treffer mit dem Hinterkopf zu kopieren.

Nach dem Karriereende wurde er zum Ehrenspielführer der Nationalmannschaft ernannt – eine von zahllosen Auszeichnungen. So war Seeler dreimal Deutschlands Fußballer des Jahres (1960, 1964, 1970). Als erster Sportler erhielt er 1970 das Große Bundesverdienstkreuz. In seiner Heimatstadt durfte sich Seeler zudem “Ehren-Schleusenwärter” (1982) und “Ehrenkommissar der Polizei Hamburg” (2006) nennen.

Zweifellos war er schon zu seiner aktiven Zeit ein Star, aber eben einer zum Anfassen, vollkommen ohne Allüren. 1961 erhielt Seeler ein für die damalige Zeit fast unglaubliches Angebot: Inter Mailand wollte ihm für einen Wechsel zu dem italienischen Traditionsverein erst 900.000, am Ende sogar angeblich 1,5 Millionen D-Mark zahlen. Seeler schlug das Angebot aus und blieb beim HSV. Ein mehr als eindrucksvoller Liebesbeweis zum Verein und seiner Heimatstadt. Spätestens jetzt war Seeler nur noch “Uns Uwe”. Einer, der durch ehrliche Arbeit ganz nach oben gekommen war. Ein Malocher, kein Neureicher, von denen es in den Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders viele gab.

Zu Seelers Abschiedsspiel am 1. Mai 1972 kamen 71.000 Zuschauer ins Volksparkstation. Der HSV spielte gegen eine Weltauswahl mit Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Eusebio, Bobby Moore, Bobby Charlton, George Best und Gianni Rivera. Der brasilianische Superstar Pelé, der auch gerne gekommen wäre, ließ sich entschuldigen. Der HSV verlor den Freundschaftskick mit 3:7, Seeler traf zweimal.

Kurioserweise wird in vielen Fußballstatistiken jedoch nicht der HSV, sondern der irische Verein Cork Celtic FC als letzter Klub des Torjägers aufgeführt. 1978 schnürte Seeler, damals bereits 41 Jahre alt, noch einmal seine Fußballschuhe. Der Sportartikelhersteller Adidas, für den Seeler nach dem Karriereende als Vertreter arbeitete, hatte den Gastauftritt für Cork gegen die Shamrock Rovers vermittelt. Seeler dachte, es handele sich um ein Freundschaftsspiel: “Erst hinterher erfuhr ich, dass es um Meisterschaftspunkte ging. Ich wusste nicht, dass dies mit einer Gastspielgenehmigung erlaubt war.” Seeler erzielte für Cork beim 2:6 beide Treffer, einen per Fallrückzieher.

Ob auf oder neben dem Platz, bei Uwe Seeler gab es keine Eskapaden, geschweige denn Skandale, keine verbalen Entgleisungen. Mehr als 60 Jahre lang war er mit seiner Frau Ilka verheiratet, 2019 feierten sie Diamantene Hochzeit. “Ilka war mein bester Treffer”, sagte Seeler einmal über seine Frau, mit der er drei Töchter hatte. Die älteste Tochter Kerstin bezeichnete Seeler als einen “tollen Papa”: “Er war stets ruhig und ausgeglichen – und immer sehr großzügig.” “Uns Uwe” eben, auch in der Familie.

Seeler blieb Seeler blieb Seeler. Bis zu seinem Tod. Das erklärt seine außergewöhnliche Popularität. Sein Wort war bis zuletzt gefragt, vor allem natürlich in Hamburg. Besonders dann, wenn es um den HSV ging, seinen HSV, an dem er in seinen letzten Lebensjahren reichlich zu leiden hatte. “Mir geht es schlecht”, sagte Seeler, als der Klub 2018 erstmals aus der Bundesliga. “Ich hätte nie gedacht, dass ich zu meinen Lebzeiten mal einen Abstieg erleben muss. Aber immer wieder Wunder gibt’s nicht.” Jeder nahm ihm diesen Schmerz ab. Wem auch sonst, wenn nicht ihm? 

Seelers Äußerungen mögen nicht immer geschliffen geklungen, zuweilen auch wenig Tiefgang gehabt haben, authentisch aber waren sie immer. Selbst die junge Generation spürte: Einen so “Stinknormalen” wie Seeler gibt es kaum mehr im modernen Fußball, diesem durch und durch kommerzialisierten Wanderzirkus mit exorbitanten Ablösesummen und Gehältern, in dem sich Spieler fast zwangsläufig fühlen müssen, als drehte sich die Welt nicht ohne sie. Viel mehr noch und deutlich länger als der HSV war daher “Uns Uwe” ein Dinosaurier. Einer, den man einfach mögen musste.

Jetzt ist Uwe Seeler zu Hause in Norderstedt bei Hamburg im Kreis seiner Familie friedlich eingeschlafen. Er wurde 85 Jahre alt. 

Uwe Seeler mit einem Torschuss im Länderspiel 1965 gegen Schweden
Uwe Seeler trifft bei der WM in Mexiko gegen England per Kopf zum 2:2

Uns Franz? Niemand wäre auf die Idee gekommen, Beckenbauer so zu titulieren. Der hieß nicht umsonst der “Kaiser”. Wegen seiner leicht hochnäsigen Art, auf und neben dem Platz. Uns Günter? Niemals, viel zu exzentrisch war Netzer. Uns Wolfgang? Auch Overath war nie Integrationsfigur. Uns Gerd? Ebenfalls nicht, der unvergessene Torjäger Müller war dafür zu maulfaul. Nein, das Attribut “uns” gehörte zu Seeler, weil “Uns Uwe” einfach so perfekt zu ihm passte.

1936 wurde Uwe Seeler geboren – na klar, in Hamburg. Dort blieb er sein ganzes Leben, in der Hansestadt und beim Hamburger SV. Die Elbmetropole machte ihn 2003 als ersten und bis heute einzigen Sportler überhaupt zum Ehrenbürger, der HSV stellte eine große Bronze-Plastik seines rechten Fußes vor dem Stadion auf. Hätte es in Hamburg eine Volksabstimmung darüber gegeben, welche Person der Gegenwart am ehesten die Stadt verkörperte, Uwe Seeler hätte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Rennen gemacht. Seeler war eben für die Hamburger, plattdeutsch gesagt, “Uns Uwe”.

Der Hamburger schlechthin

Seine Bodenständigkeit sei ihm quasi in die Wiege gelegt worden, hat Seeler einmal berichtet. Den Ball immer schön flachhalten, nicht abheben – so sei er erzogen worden. “Wir sind stinknormal – und das ist wunderbar”, fand Seeler. “Damit bin ich immer sehr gut gefahren.” Dabei hätte er allen Grund gehabt, die Nase hoch zu tragen. Denn er war ein außergewöhnlicher Stürmer.

Schon sein Vater Erwin, ein Hafenarbeiter, gehörte in den 1920er und 30er Jahren zu den populärsten Fußballern in Hamburg. 1946 meldete er seine beiden Söhne Uwe und Dieter beim HSV an. Das besondere Talent Uwe Seelers wurde früh entdeckt. Bereits mit 16 Jahren gab er sein Debüt in der ersten Mannschaft des HSV, mit 18 war er Nationalspieler.

Die Zahl seiner Tore von der Jugend bis zum Karriereende wird auf etwa 1400 geschätzt. In der Oberliga und der 1963 gegründeten Bundesliga traf Seeler laut einer Statistik seines HSV insgesamt 445-mal in 519 Spielen. Einmal (1960) wurde er mit dem Verein deutscher Meister, einmal (1963) Pokalsieger. Seeler war mit 30 Treffern der erste Torschützenkönig der Bundesliga (1964).

Auch in der deutschen Nationalmannschaft lieferte “Uns Uwe”: 43 Tore in 72 Spielen. Ein großer Titel mit dem DFB-Team blieb ihm zwar versagt, doch Seeler sorgte für unvergessene Momente. Wie jenen, als er nach dem verlorenen WM-Finale 1966 im Wembleystadion als Kapitän der deutschen Elf mit gesenktem Kopf vom Platz schlich. Oder mit seinem vielleicht berühmtesten Tor, zum 2:2 kurz vor Schluss der regulären Spielzeit im WM-Viertelfinale 1970 gegen England (Endstand 3:2 n.V.). Jedes Kind in Deutschland, das in jener Zeit auf der Straße oder im Hinterhof kickte, versuchte anschließend, Seelers Treffer mit dem Hinterkopf zu kopieren.

Tore wie am Fließband

Nach dem Karriereende wurde er zum Ehrenspielführer der Nationalmannschaft ernannt – eine von zahllosen Auszeichnungen. So war Seeler dreimal Deutschlands Fußballer des Jahres (1960, 1964, 1970). Als erster Sportler erhielt er 1970 das Große Bundesverdienstkreuz. In seiner Heimatstadt durfte sich Seeler zudem “Ehren-Schleusenwärter” (1982) und “Ehrenkommissar der Polizei Hamburg” (2006) nennen.

Mit dem Hinterkopf

Zweifellos war er schon zu seiner aktiven Zeit ein Star, aber eben einer zum Anfassen, vollkommen ohne Allüren. 1961 erhielt Seeler ein für die damalige Zeit fast unglaubliches Angebot: Inter Mailand wollte ihm für einen Wechsel zu dem italienischen Traditionsverein erst 900.000, am Ende sogar angeblich 1,5 Millionen D-Mark zahlen. Seeler schlug das Angebot aus und blieb beim HSV. Ein mehr als eindrucksvoller Liebesbeweis zum Verein und seiner Heimatstadt. Spätestens jetzt war Seeler nur noch “Uns Uwe”. Einer, der durch ehrliche Arbeit ganz nach oben gekommen war. Ein Malocher, kein Neureicher, von denen es in den Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders viele gab.

Zu Seelers Abschiedsspiel am 1. Mai 1972 kamen 71.000 Zuschauer ins Volksparkstation. Der HSV spielte gegen eine Weltauswahl mit Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Eusebio, Bobby Moore, Bobby Charlton, George Best und Gianni Rivera. Der brasilianische Superstar Pelé, der auch gerne gekommen wäre, ließ sich entschuldigen. Der HSV verlor den Freundschaftskick mit 3:7, Seeler traf zweimal.

Kurioserweise wird in vielen Fußballstatistiken jedoch nicht der HSV, sondern der irische Verein Cork Celtic FC als letzter Klub des Torjägers aufgeführt. 1978 schnürte Seeler, damals bereits 41 Jahre alt, noch einmal seine Fußballschuhe. Der Sportartikelhersteller Adidas, für den Seeler nach dem Karriereende als Vertreter arbeitete, hatte den Gastauftritt für Cork gegen die Shamrock Rovers vermittelt. Seeler dachte, es handele sich um ein Freundschaftsspiel: “Erst hinterher erfuhr ich, dass es um Meisterschaftspunkte ging. Ich wusste nicht, dass dies mit einer Gastspielgenehmigung erlaubt war.” Seeler erzielte für Cork beim 2:6 beide Treffer, einen per Fallrückzieher.

Kein Neureicher

Ob auf oder neben dem Platz, bei Uwe Seeler gab es keine Eskapaden, geschweige denn Skandale, keine verbalen Entgleisungen. Mehr als 60 Jahre lang war er mit seiner Frau Ilka verheiratet, 2019 feierten sie Diamantene Hochzeit. “Ilka war mein bester Treffer”, sagte Seeler einmal über seine Frau, mit der er drei Töchter hatte. Die älteste Tochter Kerstin bezeichnete Seeler als einen “tollen Papa”: “Er war stets ruhig und ausgeglichen – und immer sehr großzügig.” “Uns Uwe” eben, auch in der Familie.

Seeler blieb Seeler blieb Seeler. Bis zu seinem Tod. Das erklärt seine außergewöhnliche Popularität. Sein Wort war bis zuletzt gefragt, vor allem natürlich in Hamburg. Besonders dann, wenn es um den HSV ging, seinen HSV, an dem er in seinen letzten Lebensjahren reichlich zu leiden hatte. “Mir geht es schlecht”, sagte Seeler, als der Klub 2018 erstmals aus der Bundesliga. “Ich hätte nie gedacht, dass ich zu meinen Lebzeiten mal einen Abstieg erleben muss. Aber immer wieder Wunder gibt’s nicht.” Jeder nahm ihm diesen Schmerz ab. Wem auch sonst, wenn nicht ihm? 

Einmal für Cork

Seelers Äußerungen mögen nicht immer geschliffen geklungen, zuweilen auch wenig Tiefgang gehabt haben, authentisch aber waren sie immer. Selbst die junge Generation spürte: Einen so “Stinknormalen” wie Seeler gibt es kaum mehr im modernen Fußball, diesem durch und durch kommerzialisierten Wanderzirkus mit exorbitanten Ablösesummen und Gehältern, in dem sich Spieler fast zwangsläufig fühlen müssen, als drehte sich die Welt nicht ohne sie. Viel mehr noch und deutlich länger als der HSV war daher “Uns Uwe” ein Dinosaurier. Einer, den man einfach mögen musste.

“Ilka war mein bester Treffer”

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Uwe Seeler läuft an seinem 80. Geburtstag im Hamburger Stadion durch das Spalier der Balljungen

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