Atomkraft zwischen Laufzeitverlängerung und Streckbetrieb
Sollen die deutschen Atomkraftwerke länger am Netz bleiben? Die Ampel-Parteien antworten darauf sehr unterschiedlich. Und während man auf das Ergebnis eines neuen Stresstests wartet, drosselt Putin weiter das Gas.
Der Krieg Russlands in der Ukraine tobt weiter. Spätestens seit Mitte Juli dürfte auch dem letzten Optimisten klar geworden sein, dass Deutschland auf eine ausgewachsene Energiekrise im Winterhalbjahr zusteuert. Kein Wunder, dass selbst unter den Berliner Ampel-Parteien darüber nachgedacht wird, mit den drei letzten deutschen Atomkraftwerken (AKW) weiter Strom zu produzieren.
Selbst das kategorische ‘Nein’ der Grünen ist mittlerweile zu einem zerknirschten ‘Jein’ geworden. Zu groß ist die Angst der Anti-Atomkraft-Partei vor der Wut der Bürger, wenn im Winter in kalten Wohnungen auch noch die Lichter ausgehen – nämlich dann, wenn es zu Blackouts kommt.
Der Krieg Russlands in der Ukraine tobt weiter. Spätestens seit Mitte Juli dürfte auch dem letzten Optimisten klar geworden sein, dass Deutschland auf eine ausgewachsene Energiekrise im Winterhalbjahr zusteuert. Kein Wunder, dass selbst unter den Berliner Ampel-Parteien darüber nachgedacht wird, mit den drei letzten deutschen Atomkraftwerken (AKW) weiter Strom zu produzieren.
Die FDP geht dagegen immer mehr in die Offensive und will die Atomkraftwerke nicht nur ein paar Monate länger bis zum Sommer 2023 laufen lassen. Die Liberalen plädierten zuletzt dafür, dass die drei AKW sogar bis zum Frühjahr 2024 Strom produzieren. Bis dann, so die Hoffnung, könnte die deutsche Wirtschaft den kalten Entzug, um vom russischen Gas loszukommen, weitgehend hinter sich haben.
Opposition und FDP in der Offensive
Die bei den letzten Bundestagswahlen abgewählte Union ist ebenfalls für Kernkraft, um einem akuten Energiemangel etwas entgegenzusetzen. Oppositionsführer Friedrich Merz sagte im ZDF, dass zwar jetzt noch diskutiert werde, es aber nichts werde mit dem geplanten Ausstieg aus der Kernenergie zum Jahresende. “Ich sage Ihnen auch voraus, wir werden am Ende des Jahres sehen, dass die Laufzeit der Kernkraftwerke verlängert wird”, so der CDU-Chef.
Die oppositionelle AfD und die Freien Wähler, die in Bayern mit der CSU zusammen regieren, werden noch konkreter: Sie wollen zu den drei aktiven auch noch die drei zum Jahresende 2021 abgeschalteten Atomkraftwerke wieder anlaufen lassen.
Die drei noch aktiven Atom-Meiler Neckarwestheim 2, Emsland und Isar 2 müssen nach geltendem Recht spätestens am 31. Dezember abgeschaltet werden. An der Nettostromerzeugung in Deutschland haben sie im laufenden Jahr einen Anteil von rund sechs Prozent. Mit Erdgas wurden bisher etwa zehn Prozent des Stroms erzeugt.
Obwohl die Rufe nach einer längeren Nutzung von deutschem Atomstrom in den vergangenen Wochen immer lauter geworden waren, argumentierte Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen bislang, dass der Hauptmangel nicht beim Strom drohe, sondern bei Gas und Wärme für die Industrie – und dass Atomkraftwerke da nichts bringen würden.
Dieses Argument lässt die Bau- und Energieexpertin Lamia Messari-Becker nicht gelten. “Die wiederholt anzutreffende Aussage, wir hätten ausschließlich ein Wärmeproblem und eben kein Stromproblem, ist unerträglich falsch.” Viele Menschen könnten bald notgedrungen mit Strom heizen – “mit dramatischen Folgen für den Stromverbrauch”, unterstreicht die Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen.
Zur Zeit verweisen vor allem grüne und sozialdemokratische Entscheidungsträger der Ampel-Regierung auf die Ergebnisse eines erneuten Stresstests zur Sicherheit der Stromversorgung, der “in wenigen Wochen” vorliegen soll. Der Weiterbetrieb der drei aktiven Atomkraftwerke über das Jahresende hinaus werde “ergebnisoffen geprüft”, sagte vor kurzem die Sprecherin von Kanzler Olaf Scholz.
Im grün geführten Umweltministerium beharrt man dagegen (noch) auf dem seit Jahren anvisierten Ende der drei letzten AKW. “Zum jetzigen Zeitpunkt gehen wir davon aus, dass Deutschland aus der Atomkraft aussteigt”, sagte ein Sprecher von Umweltministerin Steffi Lemke. Die Anforderungen für einen Weiterbetrieb wären sehr hoch, Sicherheitsfragen wären ausschlaggebend. Experten hatten dagegen wiederholt betont, dass rechtliche und Sicherheitsfragen lösbar sind, wenn die Politik dafür die nötigen Weichen stellt.
Um das Wort “Laufzeitverlängerung” zu vermeiden – vor allem für große Teile von Grünen und SPD ein rotes Tuch – ist jetzt immer häufiger von einem sogenannten “Streckbetrieb” die Rede. Noch im März waren die Bundesministerien für Umwelt und Wirtschaft in einer Prüfung zum Ergebnis gekommen, dass die drei Atom-Meiler mit den vorhandenen Brennstäben nach dem 31. Dezember nur dann weiterlaufen könnten, wenn ihre Stromerzeugung vorher gedrosselt würde.
Die Ministerien hatten von einem Weiterbetrieb abgeraten. Der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) zufolge wäre ein Streckbetrieb für mindestens 80 Tage realisierbar.
Dabei wird der Prozess, bei dem die atomare Kettenreaktion in einem alten Reaktorkern zum Erliegen kommt, weil das spaltbare Uran in den Brennstäben aufgebraucht ist, in die Länge “gestreckt”. Durch eine Anpassung der Anlagensteuerung in den AKW kann so noch für einige Monate Strom erzeugt werden. Allerdings verliert der Reaktor dabei fortlaufend 0,5 Prozent seiner Leistung pro Tag.
Nach Angaben des Bundesverbandes der Atomenergiebranche ist das allerdings beim AKW Isar 2 gar nicht notwendig. Der Atom-Meiler, der unter den fünf größten Kraftwerken für Atomstrom weltweit rangiert, könnte mit den installierten Brennstäben noch bis in den Sommer 2023 Strom erzeugen. Das bestätigt ein TÜV-Gutachten, aus dem verschiedene Nachrichtenagenturen zitieren. Der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger von den Freien Wählern sagte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, dass sogar das Ende 2021 abgeschaltete bayerische Atomkraftwerk Gundremmingen C noch über Brennstäbe verfüge, die bis August 2023 Strom liefern könnten.
Mittlerweile räumen selbst Vordenker der grünen Energiewende wie Thorsten Lenck ein, dass die Stromversorgung im Winter alles andere als sicher ist. “Nach unseren bisherigen Analysen ist es durchaus möglich, dass es im Winter in einigen Stunden knapp werden könnte”, räumte der neue Chef des Thinktanks Agora Energiewende vor einer Woche ein. Die Expertise der Organisation hat in Deutschland Gewicht: Lencks Vorgänger Patrick Graichen zieht mittlerweile als Staatssekretär die klimapolitischen Fäden im Wirtschaftsministerium von Robert Habeck.
Der Krieg Russlands in der Ukraine tobt weiter. Spätestens seit Mitte Juli dürfte auch dem letzten Optimisten klar geworden sein, dass Deutschland auf eine ausgewachsene Energiekrise im Winterhalbjahr zusteuert. Kein Wunder, dass selbst unter den Berliner Ampel-Parteien darüber nachgedacht wird, mit den drei letzten deutschen Atomkraftwerken (AKW) weiter Strom zu produzieren.
Selbst das kategorische ‘Nein’ der Grünen ist mittlerweile zu einem zerknirschten ‘Jein’ geworden. Zu groß ist die Angst der Anti-Atomkraft-Partei vor der Wut der Bürger, wenn im Winter in kalten Wohnungen auch noch die Lichter ausgehen – nämlich dann, wenn es zu Blackouts kommt.
Opposition und FDP in der Offensive
Die FDP geht dagegen immer mehr in die Offensive und will die Atomkraftwerke nicht nur ein paar Monate länger bis zum Sommer 2023 laufen lassen. Die Liberalen plädierten zuletzt dafür, dass die drei AKW sogar bis zum Frühjahr 2024 Strom produzieren. Bis dann, so die Hoffnung, könnte die deutsche Wirtschaft den kalten Entzug, um vom russischen Gas loszukommen, weitgehend hinter sich haben.
Die bei den letzten Bundestagswahlen abgewählte Union ist ebenfalls für Kernkraft, um einem akuten Energiemangel etwas entgegenzusetzen. Oppositionsführer Friedrich Merz sagte im ZDF, dass zwar jetzt noch diskutiert werde, es aber nichts werde mit dem geplanten Ausstieg aus der Kernenergie zum Jahresende. “Ich sage Ihnen auch voraus, wir werden am Ende des Jahres sehen, dass die Laufzeit der Kernkraftwerke verlängert wird”, so der CDU-Chef.
Die oppositionelle AfD und die Freien Wähler, die in Bayern mit der CSU zusammen regieren, werden noch konkreter: Sie wollen zu den drei aktiven auch noch die drei zum Jahresende 2021 abgeschalteten Atomkraftwerke wieder anlaufen lassen.
Die drei noch aktiven Atom-Meiler Neckarwestheim 2, Emsland und Isar 2 müssen nach geltendem Recht spätestens am 31. Dezember abgeschaltet werden. An der Nettostromerzeugung in Deutschland haben sie im laufenden Jahr einen Anteil von rund sechs Prozent. Mit Erdgas wurden bisher etwa zehn Prozent des Stroms erzeugt.
Argument Wärmeproblem “unerträglich falsch”
Obwohl die Rufe nach einer längeren Nutzung von deutschem Atomstrom in den vergangenen Wochen immer lauter geworden waren, argumentierte Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen bislang, dass der Hauptmangel nicht beim Strom drohe, sondern bei Gas und Wärme für die Industrie – und dass Atomkraftwerke da nichts bringen würden.
Verwirrung um Streckbetrieb
Dieses Argument lässt die Bau- und Energieexpertin Lamia Messari-Becker nicht gelten. “Die wiederholt anzutreffende Aussage, wir hätten ausschließlich ein Wärmeproblem und eben kein Stromproblem, ist unerträglich falsch.” Viele Menschen könnten bald notgedrungen mit Strom heizen – “mit dramatischen Folgen für den Stromverbrauch”, unterstreicht die Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen.
Zur Zeit verweisen vor allem grüne und sozialdemokratische Entscheidungsträger der Ampel-Regierung auf die Ergebnisse eines erneuten Stresstests zur Sicherheit der Stromversorgung, der “in wenigen Wochen” vorliegen soll. Der Weiterbetrieb der drei aktiven Atomkraftwerke über das Jahresende hinaus werde “ergebnisoffen geprüft”, sagte vor kurzem die Sprecherin von Kanzler Olaf Scholz.
Im grün geführten Umweltministerium beharrt man dagegen (noch) auf dem seit Jahren anvisierten Ende der drei letzten AKW. “Zum jetzigen Zeitpunkt gehen wir davon aus, dass Deutschland aus der Atomkraft aussteigt”, sagte ein Sprecher von Umweltministerin Steffi Lemke. Die Anforderungen für einen Weiterbetrieb wären sehr hoch, Sicherheitsfragen wären ausschlaggebend. Experten hatten dagegen wiederholt betont, dass rechtliche und Sicherheitsfragen lösbar sind, wenn die Politik dafür die nötigen Weichen stellt.
Isar 2 ohne Einschränkungen weiter am Netz?
Um das Wort “Laufzeitverlängerung” zu vermeiden – vor allem für große Teile von Grünen und SPD ein rotes Tuch – ist jetzt immer häufiger von einem sogenannten “Streckbetrieb” die Rede. Noch im März waren die Bundesministerien für Umwelt und Wirtschaft in einer Prüfung zum Ergebnis gekommen, dass die drei Atom-Meiler mit den vorhandenen Brennstäben nach dem 31. Dezember nur dann weiterlaufen könnten, wenn ihre Stromerzeugung vorher gedrosselt würde.
Die Ministerien hatten von einem Weiterbetrieb abgeraten. Der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) zufolge wäre ein Streckbetrieb für mindestens 80 Tage realisierbar.
Umdenken auf breiter Front
Dabei wird der Prozess, bei dem die atomare Kettenreaktion in einem alten Reaktorkern zum Erliegen kommt, weil das spaltbare Uran in den Brennstäben aufgebraucht ist, in die Länge “gestreckt”. Durch eine Anpassung der Anlagensteuerung in den AKW kann so noch für einige Monate Strom erzeugt werden. Allerdings verliert der Reaktor dabei fortlaufend 0,5 Prozent seiner Leistung pro Tag.
Nach Angaben des Bundesverbandes der Atomenergiebranche ist das allerdings beim AKW Isar 2 gar nicht notwendig. Der Atom-Meiler, der unter den fünf größten Kraftwerken für Atomstrom weltweit rangiert, könnte mit den installierten Brennstäben noch bis in den Sommer 2023 Strom erzeugen. Das bestätigt ein TÜV-Gutachten, aus dem verschiedene Nachrichtenagenturen zitieren. Der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger von den Freien Wählern sagte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, dass sogar das Ende 2021 abgeschaltete bayerische Atomkraftwerk Gundremmingen C noch über Brennstäbe verfüge, die bis August 2023 Strom liefern könnten.
Mittlerweile räumen selbst Vordenker der grünen Energiewende wie Thorsten Lenck ein, dass die Stromversorgung im Winter alles andere als sicher ist. “Nach unseren bisherigen Analysen ist es durchaus möglich, dass es im Winter in einigen Stunden knapp werden könnte”, räumte der neue Chef des Thinktanks Agora Energiewende vor einer Woche ein. Die Expertise der Organisation hat in Deutschland Gewicht: Lencks Vorgänger Patrick Graichen zieht mittlerweile als Staatssekretär die klimapolitischen Fäden im Wirtschaftsministerium von Robert Habeck.