Ukraine: Wo es beim Getreidetransport weiterhin hakt
Mitte Juli einigten sich Moskau und Kiew auf “Getreidekorridore”. Darüber sollen dringend benötigte Nahrungsmittel aus der Ukraine auf den Weltmarkt gelangen. Doch der Export durchs Schwarze Meer bleibt problematisch.
Brot ist knapp im Libanon – und äußerst teuer. Seit Wochen stehen die Menschen stundenlang vor den Bäckereien Schlange. Eine Sechserpackung Fladenbrot kostet trotz staatlicher Subventionen offiziell mittlerweile 13.000 libanesische Pfund – umgerechnet rund 8,50 Euro. Auf dem Schwarzmarkt wird mehr als das Doppelte gezahlt – Tendenz steigend.
Da klang es wie ein Hoffnungsschimmer, dass der erste Frachter, der es aus der Ukraine durch den russisch-ukrainischen Getreidekorridor geschafft hatte, Kurs auf den Libanon nahm. Doch kurz vor ihrer Ankunft im Zielhafen Tripoli drehte die “Razoni” mit 26.000 Tonnen Mais an Bord wieder ab. Der Käufer wolle die Ladung nicht mehr haben, da sie fünf Monate verspätet sei, so die offizielle Begründung. Zudem würde im Libanon vor allem Weizen benötigt und kein Mais, sagte der Präsident des Konsortiums für Lebensmittelimporte, Hani Buschali, gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Tatsächlich sollte die Maisfracht ursprünglich zu Tierfutter verarbeitet werden. Und so dümpelte die “Razoni” tagelang weiter im Mittelmeer herum, bis sich ein neuer Käufer für den Mais in der Türkei fand.
Brot ist knapp im Libanon – und äußerst teuer. Seit Wochen stehen die Menschen stundenlang vor den Bäckereien Schlange. Eine Sechserpackung Fladenbrot kostet trotz staatlicher Subventionen offiziell mittlerweile 13.000 libanesische Pfund – umgerechnet rund 8,50 Euro. Auf dem Schwarzmarkt wird mehr als das Doppelte gezahlt – Tendenz steigend.
Zwar lässt sich Mais auch zu Nahrungsmittel für den Menschen verarbeiten. Doch in vielen Ländern ist Weizen das Grundnahrungsmittel Nummer eins. Dennoch haben auch mehrere der folgenden Schiffe Mais oder Sonnenblumenschrot geladen.
Tierfutter statt Menschennahrung
Warum das so ist? Im UN-Koordinierungszentrum für den Getreidekorridor in Istanbul (JCC) hält man sich hierzu bedeckt. Eine entsprechende Anfrage der DW blieb bislang unbeantwortet. Auf der Webseite des JCC heißt es lediglich: “Die Schifffahrtsunternehmen entscheiden auf der Grundlage ihrer Geschäftstätigkeit und ihrer Verfahren über die Bewegungen ihrer Schiffe.” Nur einige der Getreidelieferungen werden vom UN-Welternährungsprogramm gekauft und direkt an hungernde Menschen in aller Welt geliefert. Bei den übrigen der bisher zwölf Frachter, die die Ukraine verlassen haben, entscheidet das JCC nicht mit, welches Getreide wohin geliefert wird. Bisherige Zielhäfen lagen etwa in der Türkei, Großbritannien, Irland oder Südkorea.
“Es sind kommerzielle Transaktionen”, verteidigte UN-Sprecher Stephane Dujarric das Prozedere in einem UN-Briefing. Die Schiffe “waren im Rahmen von Handelsgeschäften unter Vertrag”. Da sei es doch “ganz normal, dass sie dorthin fahren, wo der Vertrag es vorsieht”.
Zwölf Frachter – bei geschätzten 22 Millionen Tonnen Weizen, die noch immer in der Ukraine lagern. Der Getreideexport läuft also nur schleppend an, und das aus gleich mehreren Gründen. Zum einen können die ukrainischen Häfen derzeit nur mit einem Bruchteil ihrer Vorkriegskapazität arbeiten. Bei der Einfahrt ins Schwarze Meer wird in Istanbul kontrolliert, dass sie keine Waffen schmuggeln; bei der Ausfahrt, dass sich kein gestohlenes Getreide darin befindet. Diese Inspektionen sind aufwändig.
Zudem ist nicht sicher, ob genügend Schiffe eingesetzt werden können. Viele Versicherer scheuen sich, Transporte durch ein Konfliktgebiet zu versichern. Und so sind Reedereien, die früher im Schwarzen Meer tätig waren, auf andere Frachtrouten ausgewichen. Deshalb kann möglicherweise nur ein Bruchteil des in der Ukraine gelagerten Getreides ausgeführt werden.
Hinzu kommt der Streit um angeblich von Russland gestohlenes Getreide. In Tripoli wurde bis vor wenigen Tagen ein unter syrischer Flagge fahrender Frachter festgehalten. Die “Laodicea”, so die Anschuldigungen der ukrainischen Botschaft in Beirut, habe 10.000 Tonnen gestohlenes ukrainischen Getreides geladen.
Laut den offiziellen Papieren kam das Schiff aus “Port Kawkas”, einem russischen Hafen an der Straße von Kertsch. Da sich dieser Hafen nicht im Kriegsgebiet befindet, fallen Schiffe, die von dort kommen, auch nicht unter die Kontrolle des UN-Koordinierungsbüros in Istanbul. Allerdings können in Port Kawkas der Nachrichtenagentur Reuters zufolge nur Schiffe mit einem Tiefgang von höchstens fünf Metern anlegen. Die ukrainische Botschaft übergab zudem den Behörden in Beirut Satellitenbilder, die beweisen sollen, dass der Frachter zunächst leer den Hafen von Feodossija auf der Krim anlief und dann schwer beladen wieder verließ.
Die ukrainische Botschaft vermutet, dass hier Getreide aus den russisch besetzten Gebieten in der Südukraine außer Landes geschafft wurde – eine Sicht, die der renommierte türkische Sicherheitsexperte Yörük Işık vom Istanbuler Middle East Institute teilt.
Recherchen der “Financial Times” zufolge ist die “Laodicea” beileibe kein Einzelfall. Vielmehr folge sie anscheinend einem gängigen Muster. Die FT hat anhand von Satellitenfotos bereits im Mai mindestens acht Schiffe identifiziert, die nicht in Russland, sondern im mit Sanktionen belegten Hafen von Sewastopol auf der Krim mit Getreide befüllt worden waren. Offiziellen Schiffspapieren zufolge kommen seit Ausbruch des Krieges deutlich mehr Schiffe aus Port Kawkas als zuvor. Nicht immer ist ihre tatsächliche Route nachvollziehbar.
Eigentlich sind internationale Frachter dazu verpflichtet, über einen Transponder ihre Positionsdaten ständig zur Verfügung zu stellen. Bei den russischen Frachtern im Schwarzen Meer waren diese Transponder jedoch auffällig oft ausgeschaltet. Möglicherweise, so die FT, hätten diese Schiffe in Port Kawkas nur wenig legales russisches Getreide geladen und es dann in einem Krimhafen mit gestohlenem ukrainischem Getreide vermischt. In einem solchen Fall sei es Experten zufolge äußerst schwierig, nachzuverfolgen, ob Sendungen Getreide enthalten, das von ukrainischen Farmen gestohlen wurde.
Häufig haben diese russischen Getreideschiffe Häfen im Nahen und Mittleren Osten zum Ziel. Zu den Abnehmern gehören der Iran, Ägypten oder Libyen. Das Getreide wird dort so dringend benötigt, dass die Behörden seine Herkunft meist kaum hinterfragen. Hauptabnehmer ist und bleibt jedoch Damaskus. Mindestens 90.000 Tonnen Getreide sollen etwa seit Kriegsausbruch in Syrien angekommen sein. Syriens Machthaber Baschar al-Assad ist ein enger Verbündeter Putins.
Auch die zwischenzeitlich im Libanon festgehaltene “Laodicea” hatte einen Hafen in Syrien zum Ziel. Vor einer Woche ließen die libanesischen Behörden in Tripoli sie wieder auslaufen. Sie hatten keinerlei Verstöße feststellen können. Die Webseite marinetraffic.com verzeichnet ihre letzte Position am 4. August kurz vor dem syrischen Hafen von Tartus. Seitdem wurden keine weiteren Positionsdaten mehr übermittelt – womöglich ist auch der Transponder der “Laodicea” mittlerweile ausgeschaltet.
Brot ist knapp im Libanon – und äußerst teuer. Seit Wochen stehen die Menschen stundenlang vor den Bäckereien Schlange. Eine Sechserpackung Fladenbrot kostet trotz staatlicher Subventionen offiziell mittlerweile 13.000 libanesische Pfund – umgerechnet rund 8,50 Euro. Auf dem Schwarzmarkt wird mehr als das Doppelte gezahlt – Tendenz steigend.
Da klang es wie ein Hoffnungsschimmer, dass der erste Frachter, der es aus der Ukraine durch den russisch-ukrainischen Getreidekorridor geschafft hatte, Kurs auf den Libanon nahm. Doch kurz vor ihrer Ankunft im Zielhafen Tripoli drehte die “Razoni” mit 26.000 Tonnen Mais an Bord wieder ab. Der Käufer wolle die Ladung nicht mehr haben, da sie fünf Monate verspätet sei, so die offizielle Begründung. Zudem würde im Libanon vor allem Weizen benötigt und kein Mais, sagte der Präsident des Konsortiums für Lebensmittelimporte, Hani Buschali, gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Tatsächlich sollte die Maisfracht ursprünglich zu Tierfutter verarbeitet werden. Und so dümpelte die “Razoni” tagelang weiter im Mittelmeer herum, bis sich ein neuer Käufer für den Mais in der Türkei fand.
Tierfutter statt Menschennahrung
Zwar lässt sich Mais auch zu Nahrungsmittel für den Menschen verarbeiten. Doch in vielen Ländern ist Weizen das Grundnahrungsmittel Nummer eins. Dennoch haben auch mehrere der folgenden Schiffe Mais oder Sonnenblumenschrot geladen.
Warum das so ist? Im UN-Koordinierungszentrum für den Getreidekorridor in Istanbul (JCC) hält man sich hierzu bedeckt. Eine entsprechende Anfrage der DW blieb bislang unbeantwortet. Auf der Webseite des JCC heißt es lediglich: “Die Schifffahrtsunternehmen entscheiden auf der Grundlage ihrer Geschäftstätigkeit und ihrer Verfahren über die Bewegungen ihrer Schiffe.” Nur einige der Getreidelieferungen werden vom UN-Welternährungsprogramm gekauft und direkt an hungernde Menschen in aller Welt geliefert. Bei den übrigen der bisher zwölf Frachter, die die Ukraine verlassen haben, entscheidet das JCC nicht mit, welches Getreide wohin geliefert wird. Bisherige Zielhäfen lagen etwa in der Türkei, Großbritannien, Irland oder Südkorea.
“Es sind kommerzielle Transaktionen”, verteidigte UN-Sprecher Stephane Dujarric das Prozedere in einem UN-Briefing. Die Schiffe “waren im Rahmen von Handelsgeschäften unter Vertrag”. Da sei es doch “ganz normal, dass sie dorthin fahren, wo der Vertrag es vorsieht”.
Zwölf Frachter – bei geschätzten 22 Millionen Tonnen Weizen, die noch immer in der Ukraine lagern. Der Getreideexport läuft also nur schleppend an, und das aus gleich mehreren Gründen. Zum einen können die ukrainischen Häfen derzeit nur mit einem Bruchteil ihrer Vorkriegskapazität arbeiten. Bei der Einfahrt ins Schwarze Meer wird in Istanbul kontrolliert, dass sie keine Waffen schmuggeln; bei der Ausfahrt, dass sich kein gestohlenes Getreide darin befindet. Diese Inspektionen sind aufwändig.
Wer entscheidet über Getreideladungen?
Zudem ist nicht sicher, ob genügend Schiffe eingesetzt werden können. Viele Versicherer scheuen sich, Transporte durch ein Konfliktgebiet zu versichern. Und so sind Reedereien, die früher im Schwarzen Meer tätig waren, auf andere Frachtrouten ausgewichen. Deshalb kann möglicherweise nur ein Bruchteil des in der Ukraine gelagerten Getreides ausgeführt werden.
Schleppende Getreideausfuhr
Hinzu kommt der Streit um angeblich von Russland gestohlenes Getreide. In Tripoli wurde bis vor wenigen Tagen ein unter syrischer Flagge fahrender Frachter festgehalten. Die “Laodicea”, so die Anschuldigungen der ukrainischen Botschaft in Beirut, habe 10.000 Tonnen gestohlenes ukrainischen Getreides geladen.
Laut den offiziellen Papieren kam das Schiff aus “Port Kawkas”, einem russischen Hafen an der Straße von Kertsch. Da sich dieser Hafen nicht im Kriegsgebiet befindet, fallen Schiffe, die von dort kommen, auch nicht unter die Kontrolle des UN-Koordinierungsbüros in Istanbul. Allerdings können in Port Kawkas der Nachrichtenagentur Reuters zufolge nur Schiffe mit einem Tiefgang von höchstens fünf Metern anlegen. Die ukrainische Botschaft übergab zudem den Behörden in Beirut Satellitenbilder, die beweisen sollen, dass der Frachter zunächst leer den Hafen von Feodossija auf der Krim anlief und dann schwer beladen wieder verließ.
Die ukrainische Botschaft vermutet, dass hier Getreide aus den russisch besetzten Gebieten in der Südukraine außer Landes geschafft wurde – eine Sicht, die der renommierte türkische Sicherheitsexperte Yörük Işık vom Istanbuler Middle East Institute teilt.
Schmuggelt Russland Kriegsbeute über die Krim?
Recherchen der “Financial Times” zufolge ist die “Laodicea” beileibe kein Einzelfall. Vielmehr folge sie anscheinend einem gängigen Muster. Die FT hat anhand von Satellitenfotos bereits im Mai mindestens acht Schiffe identifiziert, die nicht in Russland, sondern im mit Sanktionen belegten Hafen von Sewastopol auf der Krim mit Getreide befüllt worden waren. Offiziellen Schiffspapieren zufolge kommen seit Ausbruch des Krieges deutlich mehr Schiffe aus Port Kawkas als zuvor. Nicht immer ist ihre tatsächliche Route nachvollziehbar.
Eigentlich sind internationale Frachter dazu verpflichtet, über einen Transponder ihre Positionsdaten ständig zur Verfügung zu stellen. Bei den russischen Frachtern im Schwarzen Meer waren diese Transponder jedoch auffällig oft ausgeschaltet. Möglicherweise, so die FT, hätten diese Schiffe in Port Kawkas nur wenig legales russisches Getreide geladen und es dann in einem Krimhafen mit gestohlenem ukrainischem Getreide vermischt. In einem solchen Fall sei es Experten zufolge äußerst schwierig, nachzuverfolgen, ob Sendungen Getreide enthalten, das von ukrainischen Farmen gestohlen wurde.
Verschleierte Schiffsrouten und gemischtes Getreide
Häufig haben diese russischen Getreideschiffe Häfen im Nahen und Mittleren Osten zum Ziel. Zu den Abnehmern gehören der Iran, Ägypten oder Libyen. Das Getreide wird dort so dringend benötigt, dass die Behörden seine Herkunft meist kaum hinterfragen. Hauptabnehmer ist und bleibt jedoch Damaskus. Mindestens 90.000 Tonnen Getreide sollen etwa seit Kriegsausbruch in Syrien angekommen sein. Syriens Machthaber Baschar al-Assad ist ein enger Verbündeter Putins.
Not in Nahost lässt Behörden wegschauen
Auch die zwischenzeitlich im Libanon festgehaltene “Laodicea” hatte einen Hafen in Syrien zum Ziel. Vor einer Woche ließen die libanesischen Behörden in Tripoli sie wieder auslaufen. Sie hatten keinerlei Verstöße feststellen können. Die Webseite marinetraffic.com verzeichnet ihre letzte Position am 4. August kurz vor dem syrischen Hafen von Tartus. Seitdem wurden keine weiteren Positionsdaten mehr übermittelt – womöglich ist auch der Transponder der “Laodicea” mittlerweile ausgeschaltet.